Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; Personalvertretungsgesetz der DDR §§ 79, 82, 116b; BPersVG §§ 79, 82; GG Art. 33 Abs. 2, 5; KSchG §§ 4, 7

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 25.11.1992; Aktenzeichen 2 Sa 96/92)

KreisG Zittau (Urteil vom 12.05.1992; Aktenzeichen Ca 372/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 25. November 1992 – 2 Sa 96/92 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nummer 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochen hat.

Der im Jahre 1944 geborene Kläger war von 1964 bis 1989 Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA), zuletzt im Range eines Oberstleutnants. Während dieser Zeit absolvierte er von 1967 bis 1972 ein Fernstudium mit dem Abschluß zum Maschinenbauingenieur, 1986 schloß er ein von der NVA organisiertes militärpädagogisch-psychologisches Hochschulteilstudium ab.

Der Kläger war an der ehemaligen Offiziershochschule Z. zunächst Zugführer in einer Sicherstellungseinheit, die sich mit der Fahrzeug- und Gerätewartung befaßte; dabei hatte er Ausbildungsaufgaben gegenüber Zeitsoldaten und Soldaten im Grundwehrdienst wahrzunehmen. Von 1985 bis 1989 war er Lehrgruppenleiter und Kompaniechef in einer Ausbildungseinheit für Offiziersschüler. Zu diesen gehörten auch Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die zur militärischen Ausbildung abgeordnet waren. Der Kläger hielt Vorlesungen zum Problembereich „Dienstvorschriften” sowie zu Fragen der Exerzierausbildung. Die Exerzierausbildung führte er auch selbst durch. Ferner überwachte er praktische Übungen im Bereich der Technikerausbildung.

Als SED-Mitglied war der Kläger von 1974 bis 1988 in mehreren Wahlperioden Mitglied der Leitung der Grundorganisation der SED sowie innerhalb der Grundorganisation Gruppenorganisationsleiter für eine kleine Gruppe.

Am 1. September 1989 wurde der Kläger vom Rat des Kreises Z. als Berufsschullehrer für das Fach Kraftfahrzeugtechnik eingestellt. Das Landratsamt Z. führte dieses Arbeitsverhältnis fort; es schloß mit dem Kläger am 1. Oktober 1990 einen Arbeitsvertrag, nach dem der Kläger als „Fachlehrer Metall” weiterbeschäftigt wurde.

Mit Schreiben vom 28. Mai 1991, welches dem Kläger am 30. Mai 1991 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 1991.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er sei für den Lehrerberuf nicht persönlich ungeeignet. Nach dem Einigungsvertrag würde für ihn bei einer Weiterbeschäftigung als Berufssoldat der Bundeswehr eine Loyalitätsvermutung bestehen. Das müsse auch bei einer Tätigkeit als Gewerbeschullehrer gelten. Innerhalb der SED habe er nur auf der untersten Ebene eine Funktion bekleidet. Auch die fachliche Qualifikation für den Lehrerberuf liege vor. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Personalvertretung vor Ausspruch der Kündigung.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Mai 1991 nicht aufgelöst sei, sondern fortbestehe,
  2. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger über den 31. August 1991 zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die mangelnde persönliche Eignung des Klägers ergebe sich aus dessen beruflicher Lebensgeschichte. Als langjähriger NVA-Berufsoffizier sei der Kläger nicht geeignet, die Grundwerte des Grundgesetzes glaubhaft zu vermitteln. Außerdem sei er als Parteigruppenorganisator neben seiner beruflichen Tätigkeit freiwillig für die SED tätig geworden. In fachlicher Hinsicht verfüge er lediglich über eine militärpädagogische Teilausbildung. Eine Mitwirkung der Personalvertretung entfalle, da bei dem Oberschulamt als der zuständigen Dienststelle zum Kündigungszeitpunkt noch keine Stufenvertretung bestanden habe. Unabhängig hiervon sei der Kreispersonalrat beim Schulamt Z. ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, der Kläger entspreche wegen mangelnder persönlicher Eignung nicht den Anforderungen an einen Lehrer. Diesen Anforderungen werde im allgemeinen derjenige nicht gerecht, der sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert habe. Dieser Staat habe die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt und bekämpft. Wer ihn besonders unterstützt habe, habe sich in auffälliger Weise zu ihm bekannt. Damit erwecke er Zweifel, ob er als Lehrer die Grundwerte unserer Verfassung glaubwürdig vermitteln könne. Dem Erfordernis einer umfassenden Prüfung des bisherigen dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens entspreche es, die persönliche Eignung eines Arbeitnehmers für den Lehrerberuf daran zu messen, in welchem Maße er sich in der Vergangenheit mit dem SED-Staat identifiziert habe.

Der Kläger sei 25 Jahre lang Mitglied der NVA gewesen und habe den SED-Staat so in besonderem Maße repräsentiert. Dieser Staat sei für seine Existenz auf die NVA als Bestandteil seines Unterdrückungssystems angewiesen gewesen. Wer sich wie der Kläger freiwillig für eine Tätigkeit in der NVA, gleichgültig an welcher Stelle, gemeldet habe, habe um die Wichtigkeit seiner Aufgabe für den SED-Staat gewußt. Spätestens nach kurzer Zeit in der NVA habe der Berufssoldat feststellen können, daß er Bestandteil des Unterdrückungssystems der SED gewesen sei. So habe es nach den eigenen Angaben des Klägers zu seinen Dienstpflichten gehört, über „Westkontakte” seiner Mitbürger Meldung zu erstatten. Derartige Meldungen seien vom MfS ausgewertet worden. Damit habe der Kläger – zwar nicht in schädigender Absicht, aber doch bewußt – dazu beigetragen, daß Familien mit „Westkontakten” dem MfS zur Ausspähung, Erpressung oder zu anderen persönlich bedrängenden Maßnahmen ausgeliefert worden seien. Zu den Aufgaben des Klägers als Ausbildungsleiter habe es nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten auch gehört, schriftliche Beurteilungen über die persönliche Zuverlässigkeit der von ihm ausgebildeten Soldaten zu fertigen. Auch dies habe eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat erfordert. Zudem habe der Kläger besondere Parteifunktionen in der SED wahrgenommen, z.B. als Mitglied der Leitung der Grundorganisation der SED sowie als Gruppenorganisationsleiter innerhalb der Grundorganisation. Auch wenn diese Funktionen auf unterster Ebene für sich betrachtet unbedeutend seien, rundeten sie doch das Gesamtbild ab. Hinzu komme, daß der Kläger seine Tätigkeiten in der NVA und der SED über einen sehr langen Zeitraum von 25 bzw. 15 Jahren ausgeübt habe. Dies wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn er sich in diesem Zeitraum im Sinne der SED als politisch unzuverlässig erwiesen hätte, d.h. die Ziele der SED nicht in besonderem Maße vertreten hätte.

Es könne dahingestellt bleiben, ob eine Interessenabwägung vorzunehmen sei, denn diese führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger habe sich freiwillig im Jahre 1964 für eine hervorgehobene Tätigkeit im SED-Staat entschieden und sich 25 Jahre durch seine Tätigkeit als Berufsoffizier hierzu bekannt. Durch eine solche Hingabe an das SED-Unrechtsregime habe sich der Kläger für den Beruf eines Lehrers unter den Bedingungen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates ungeeignet gemacht. Deshalb sei auch unter Berücksichtigung des Alters des Klägers dem Interesse des Beklagten, sich von politisch vorbelasteten Lehrern zu trennen, der Vorzug zu geben. Unerheblich sei insoweit, ob der Kläger nach dem Einigungsvertrag noch als Berufssoldat weiterbeschäftigt werden könnte. Selbst wenn dies der Fall wäre, stünde es einer mangelnden persönlichen Eignung für den Lehrerberuf nicht entgegen.

Darüber hinaus bestünden Zweifel an der fachlichen Eignung des Klägers für den Lehrerberuf. Er habe kein abgeschlossenes pädagogisches Studium aufzuweisen, wie es im allgemeinen für den Lehrerberuf verlangt werde. Die Frage der fachlichen Qualifikation könne aber letztlich offenbleiben.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. Der Feststellungsantrag des Klägers umfaßt allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG. Die Antragsfassung führt – wie von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers generell klargestellt – keinen weitergehenden Streitgegenstand in den Prozeß ein. Auf ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO kommt es daher nicht an.

II. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an.

III. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.

1. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – und – 8 AZR 127/93 –, jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:

a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG).

c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Deshalb zwingt die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe); denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

2. Entgegen der Auffassung der Revision verstößt die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II. S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründeten Zweifel, ob er zukünftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit aus der Sicht der ehemaligen DDR für eine revanchistische und imperialistische verfassungsmäßige Ordnung eintreten wird (BAG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 15/93 – n.v., zu B II 1 der Gründe). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 13. Oktober 1988 – 6 AZR 144/85 – AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung). Aus demselben Grund scheidet auch ein Verstoß gegen den von der Revision angeführten Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 beschlossenen Fassung, gegen die Art. 2, 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II, S. 1534), gegen die Art. 2, 6 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II, S. 1570) und gegen den Art. 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 686) aus. Alle diese Bestimmungen stellen auf die Freiheit der politischen Anschauung ab, die durch die Prüfung der persönlichen Eignung gem. dem Einigungsvertrag nicht berührt wird.

3. Das Landesarbeitsgericht ist zwar im wesentlichen von den aufgezeigten Maßstäben ausgegangen. Es hat bei der Anwendung auf den Streitfall jedoch zu Unrecht angenommen, der Beklagte habe die mangelnde persönliche Eignung ausreichend dargelegt. Durch die Darstellung der früheren Funktionen des Klägers ist die Indizwirkung einer mangelnden persönlichen Eignung bisher nicht dargetan.

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Mitgliedschaft in der NVA überbewertet. Die NVA war zwar ein entscheidender Bestandteil des Unterdrückungssystems der SED. Damit ist aber noch nicht bei jedem ehemaligen Berufssoldaten, gleichgültig an welcher Stelle er eingesetzt war, eine mangelnde persönliche Eignung indiziert, wenn er freiwillig Berufssoldat geworden ist. Vielmehr muß auch hier geprüft werden, ob er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Daß die Organisation, der er angehörte, als solche die Ziele der SED umsetzte, genügt nicht.

Der Kläger war als Oberstleutnant an einer Offiziershochschule in hervorgehobener Position tätig. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß er selbst an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Ausbildungsaufgaben reichen für eine solche Annahme nicht aus. Insbesondere fehlt es an Feststellungen zum Inhalt der Exerzierausbildung und zum Inhalt der Dienstvorschriften, die der Kläger zu vermitteln hatte. Die militärische Ausbildung im technischen Bereich diente zwar auch in einem weiteren Sinne den Zielsetzungen der SED, eine unmittelbare ideologische Umsetzung war damit jedoch nicht verbunden.

Nicht zu beanstanden ist freilich die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, eine etwaige persönliche Eignung des Klägers als Berufsoffizier der Bundeswehr sei nicht maßgebend; denn die Anforderungen an einen Berufsschullehrer und die Kontrollmöglichkeiten ihm gegenüber liegen anders als bei einem Berufssoldaten. Auch mag bei sehr hohen militärischen Rängen eine derartige Staatsnähe vorliegen, daß die besondere Identifikation mit dem SED-Staat ohne weiteres anzunehmen ist. Einen solch hohen Rang hat der Kläger jedenfalls nicht erreicht.

b) Soweit das Landesarbeitsgericht auf Melde- und Berichtspflichten des Klägers abstellt, läßt sich deren Tragweite nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht hinreichend sicher beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu unangefochten festgestellt, zu den Aufgaben des Klägers habe es auch gehört, schriftliche Beurteilungen über die persönliche Zuverlässigkeit der von ihm ausgebildeten Soldaten zu fertigen. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme vom 14. Mai 1991 zur Kündigungsabsicht des Beklagten die Pflicht zu regelmäßigen Leistungseinschätzungen und Beurteilungen eingeräumt. Die Pflicht zur Beurteilung der fachlichen Eignung und persönlichen Zuverlässigkeit eines Offiziersanwärters erforderte aber noch nicht notwendig eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat. Der Vorgesetzte, der die berufliche Eignung für den Offiziersberuf beurteilt hat, weckt dadurch erst dann Zweifel an seiner eigenen persönlichen Eignung, wenn die Beurteilung über sachliche und fachbezogene Kriterien hinausging. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bleibt offen, ob eine und ggf. welche politische Dimension den Beurteilungen beizumessen war. Ferner ist ungeklärt, ob der Kläger etwa die politische Einstellung der zu Beurteilenden zu erforschen hatte oder nur „nebenbei” über zufällig bekanntgewordene Ereignisse, die die persönliche Zuverlässigkeit der Soldaten betrafen, berichten mußte. Das Landesarbeitsgericht wird daher näher aufzuklären haben, welcher Art die schriftlichen Beurteilungen über die persönliche Zuverlässigkeit zu sein hatten.

Entsprechendes gilt für die Meldepflicht über „Westkontakte”. Deren Bedeutung im Rahmen der Aufgabenstellung des Klägers bedarf der näheren Aufklärung. Es ist nicht festgestellt worden, um wessen „Westkontakte” es ging. Wenn der Kläger eine Auswertung der Berichte durch das MfS eingeräumt hat, so rechtfertigt das auch noch keinen sicheren Schluß auf seine damalige Kenntnis von der Auswertung.

c) Der Beklagte hat schließlich die Bedeutung der vom Kläger wahrgenommenen Parteifunktionen nicht näher dargelegt. Die Würdigung durch das Landesarbeitsgericht als Abrundung des Gesamtbildes zeigt, daß das Landesarbeitsgericht der Ausübung der Parteifunktionen keine Indizwirkung für die mangelnde persönliche Eignung beimißt. Das läßt nach dem bisherigen Vortrag des Beklagten keinen Rechtsfehler erkennen.

4. Sofern das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren die mangelnde persönliche Eignung des Klägers aufgrund seiner Funktionsausübung wieder als indiziert ansieht, wird es die besonderen Umstände des Einzelfalles würdigen müssen. In diesem Rahmen ist dem Vortrag des Klägers nachzugehen, es seien in großer Zahl NVA-Angehörige in den öffentlichen Dienst übernommen worden. Allerdings kann die Indizwirkung durch den pauschalen Vortrag einer Übernahme nicht erschüttert werden. Der Kläger müßte konkret vortragen, welche NVA-Angehörigen mit welchem Rang als Lehrer übernommen und weiterbeschäftigt wurden. Von weiteren Hinweisen sieht der Senat ab, da es an einem konkreten Vortrag bisher fehlt.

IV. Das Landesarbeitsgericht hat die fachliche Qualifikation des Klägers bisher nicht geprüft (zur Kündigung wegen mangelnder fachlicher Qualifikation gem. Abs. 4 Ziff. 1 EV vgl. Senatsurteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 – AP Nr. 1 zu Art. 37 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Der Senat kann das nicht selbst nachholen, da es an den erforderlichen Feststellungen hierfür fehlt. Der Beklagte kann sich vor dem Landesarbeitsgericht wieder auf alle Tatsachen berufen, die zum Zeitpunkt der Kündigung vorlagen. Er ist hieran nicht etwa aus personalvertretungsrechtlichen Gründen gehindert, denn zum Zeitpunkt der Kündigung bestand keine Personalvertretung, die hätte beteiligt werden müssen (unten V; vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2 a der Gründe).

V. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht die Kündigung zu Recht nicht schon deshalb für unwirksam erachtet, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

1. Nach § 79 Abs. 1 des Personalvertretungsgesetzes der DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. I S. 1014) – PersVG-DDR –, der nahezu wörtlich mit § 79 Abs. 1 BPersVG übereinstimmt, ist der Personalrat vor ordentlichen Kündigungen zu hören. Nach § 79 Abs. 4 beider Gesetze ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Kündigungsberechtigt war das Oberschulamt D. Die Schule, an der der Kläger zuletzt beschäftigt wurde, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde nicht.

2. Eine andere Vertretung war nach den §§ 82 Abs. 6, 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR nicht zu beteiligen.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschriften auf die vorliegende Kündigung überhaupt noch anzuwenden waren oder ob nicht bereits ausschließlich das Bundespersonalvertretungsgesetz galt, das eine entsprechende Regelung nicht enthält (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 659/92 – n.v., zu B II 2 a der Gründe).

b) Auch bei Annahme der Weitergeltung der §§ 82, 116 b PersVG-DDR ergab sich nicht die Notwendigkeit, einen anderen Personalrat anzuhören.

aa) Die Regelung des § 82 Abs. 1 und Abs. 5 PersVG-DDR ist zwingend. Ist bei der für die Entscheidung zuständigen Dienststelle eine Stufenvertretung nicht gebildet worden, ergibt sich daraus entgegen der Ansicht der Revision nicht eine Beteiligungszuständigkeit des Personalrates der nachgeordneten, nicht entscheidungsbefugten Dienststelle (vgl. Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand November 1993, § 82 Rz 18 und 48; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 82 Rz 6 und 22; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG mit WO, 7. Aufl., § 82 Rz 27). Auch im Einverständnis der Beteiligten kann von der Zuständigkeitsregelung des § 82 Abs. 1 und 5 PersVG-DDR nicht abgewichen werden, so daß aus einer etwaigen Zusage, eine nicht zuständige Personalvertretung zu beteiligen, eine Zuständigkeit nicht hergeleitet werden kann.

bb) Eine Zuständigkeit des Kreisschulpersonalrates oder des Schulpersonalrates folgt nicht aus § 82 Abs. 6 PersVG-DDR. Diese Vorschrift begründet keine neue sachliche Zuständigkeit für eine Personalvertretung. Sie betrifft, wie sich aus den dort aufgeführten Fällen der §§ 69 Abs. 3 und 4, 70, 71, 72 Abs. 4 ergibt, die Beteiligung der Stufenvertretung im „Instanzenzug”. Wesentlich ist, in diesen Fällen, daß die personalvertretungsrechtliche Zuständigkeit beim jeweils zuständigen örtlichen Personalrat liegt und die Stufenvertretungen erst in Aktion treten, nachdem die erste örtliche Ebene ausgeschöpft ist. Ist ein Hauptpersonalrat noch nicht gebildet, der im mehrstufigen Beteiligungsverfahren mitwirken kann, soll nach § 82 Abs. 6 PersVG-DDR die im Instanzenzug in einer vorangegangenen Stufe bereits beteiligte Personalvertretung oder, falls auch diese nicht vorhanden ist, die bereits beteiligte und zuständige Personalvertretung an seine Stelle treten, um sich nochmals an der zu treffenden Maßnahme zu beteiligen. Der Sinn des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR liegt also allein darin, ein mehrstufiges Verfahren auch dann zu gewährleisten, wenn ein Hauptpersonalrat nicht besteht.

cc) Dieselben Überlegungen wie für § 82 Abs. 6 PersVG-DDR gelten auch für § 116 b Abs. 2 Nr. 5 Satz 4 PersVG-DDR. § 116 b PersVG-DDR will die in § 82 Abs. 6 PersVG-DDR getroffene Regelung nicht inhaltlich erweitern. Eine analoge Anwendung des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR hätte das Vorhandensein einer ursprünglichen personalvertretungsrechtlichen Zuständigkeit des Kreisschulpersonalrates und/oder Schulpersonalrates zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers vorausgesetzt. Auch § 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR will nur den „Instanzenzug” sichern unter der Voraussetzung, daß ein personalvertretungsrechtlich erstzuständiger Personalrat vorhanden ist.

3. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrates bzw. Bezirkspersonalrates in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht und kann auch nicht aus der Denkschrift zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 entnommen werden. Dem dort geäußerten Anliegen hat das PersVG-DDR bereits Rechnung getragen.

C. Das Landesarbeitsgericht wird im erneuten Berufungsverfahren auch wieder den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers beachten müssen. Es sollte auf eine Klarstellung hinwirken, daß die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits verlangt wird. Gegen eine Anwendung der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (BAGE 48, 122) bestehen insofern keine Bedenken.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Wittendorfer, Sperl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079684

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