Entscheidungsstichwort (Thema)

Restitutionsklage gegen DDR-Urteil

 

Normenkette

ZPO §§ 256, 580 Nr. 7b, § 328 Abs. 1 Nr. 4; Einigungsvertrag Art. 8, 18; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschn. III Nrn. 5i, 28g, 28i, 28l; ZPO-DDR § 163

 

Verfahrensgang

BezirksG Rostock (Teilurteil vom 16.08.1991; Aktenzeichen 2 BAB 61/90)

KreisG Bad Doberan (Urteil vom 14.12.1989; Aktenzeichen A 32/89)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des Bezirksgerichts Rostock vom 16. August 1991 – 2 BAB 61/90 – aufgehoben.

Die Klage auf Wiederaufnahme des durch das Urteil des Bezirksgerichts Rostock vom 10. April 1990 abgeschlossenen Verfahrens – BAB 1/90 – wird insgesamt als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wiederaufnahme eines vor dem Bezirksgericht Rostock mit Urteil vom 10. April 1990 rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsrechtsstreits.

Die 1941 geborene Klägerin war seit Januar 1989 als Fachärztin für Kinderheilkunde im Landambulatorium N. tätig. Grundlage ihrer Beschäftigung war ein bis zum 31. Dezember 1990 befristeter Arbeitsvertrag mit dem Kreiskrankenhaus K., das inzwischen eine Einrichtung des Beklagten ist. Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte auch die Wahrnehmung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes.

Von April bis August 1989 nahm die Klägerin keine Bereitschaftsdienste wahr. Sie hatte auf den jeweils zuvor bekanntgegebenen Dienstplänen vermerkt, daß sie aus gesundheitlichen Gründen den Bereitschaftsdienst an den sie betreffenden Tagen nicht leisten könne. Nachdem sie die Bereitschaftsdienste vom 21. bis 24. April und vom 2. auf den 3. Mai 1989 nicht wahrgenommen hatte, sprach der ärztliche Direktor gegenüber der Klägerin am 4. Mai 1989 einen strengen Verweis als Disziplinarmaßnahme aus. Die dagegen von der Klägerin eingelegten Rechtsmittel blieben in allen Instanzen erfolglos. Die Ableistung der planmäßigen Bereitschaftsdienste am 7., 20. und 26. Juli sowie am 15. August 1989 verweigerte die Klägerin erneut unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand. Daraufhin wurde sie am 14. August 1989 fristlos entlassen.

Die Konfliktkommission wies den Einspruch der Klägerin gegen die fristlose Entlassung mit Beschluß vom 26. Oktober 1989 zurück. Den Einspruch der Klägerin gegen den Beschluß der Konfliktkommission, verbunden mit dem Antrag, die fristlose Entlassung für unwirksam zu erklären, wies das Kreisgericht B. durch Urteil vom 14. Dezember 1989 ab. Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das Bezirksgericht Rostock nach Einholung medizinischer Gutachten und Zeugenvernehmung durch Urteil vom 10. April 1990 zurück, da die Klägerin vorsätzlich ihre Arbeitspflichten verletzt habe. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Oberste Gericht der DDR lehnte die Einleitung eines Kassationsverfahrens ab.

Mit ihrer am 12. Juli 1990 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Wiederaufnahme des durch Urteil des Bezirksgerichts Rostock vom 10. April 1990 abgeschlossenen Verfahrens.

Die Klägerin hat vorgetragen, eine Behandlung in der orthopädischen Klinik habe inzwischen neue Hinweise auf eine gesundheitliche Vorschädigung ergeben. Es habe sich u.a. herausgestellt, daß eine Operation notwendig gewesen sei. Aufgrund der neuen ärztlichen Befunde sei eine weitere Begutachtung möglich, die ergeben werde, daß sie im Juli und August 1989 nicht in der Lage gewesen sei, die Bereitschaftsdienste wahrzunehmen.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. das Urteil des Bezirksgerichts Rostock vom 10. April 1990 aufzuheben,
  2. das Urteil des Kreisgerichts B. vom 14. Dezember 1989 aufzuheben,
  3. festzustellen, daß die fristlose Entlassung vom 14. August 1989 rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbestehe,
  4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin entgangenen Verdienst für den Zeitraum September 1989 bis April 1991 i. H. v. 32.600,– DM zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Wiederaufnahmeklage sei nicht zulässig, weil ein Wiederaufnahmegrund nicht vorliege.

Das Bezirksgericht hat durch Teilurteil den Anträgen zu 1) und 2) stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht zulässig.

I. Die Ausführungen des Bezirksgerichts, die Klage sei nach Art. 18 EV in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung von § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO begründet, halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Restitutionsklage ist nicht zulässig. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist nicht entsprechend anzuwenden.

1. Die Zulässigkeit der bereits am 12. Juli 1990 erhobenen Wiederaufnahmeklage beurteilt sich nach dem Wirksamwerden des Beitritts entgegen der Auffassung der Klägerin nicht nach DDR-Recht, sondern nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung.

Gemäß Art. 8 EV in Verbindung mit Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 5 i (fortan: Maßgabe Nr. 5 i) trat mit dem Wirksamwerden des Beitritts im Beitrittsgebiet die ZPO u.a. mit der Maßgabe in Kraft, daß gegen Entscheidungen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts rechtskräftig geworden sind, die vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen rechtskräftige Entscheidungen (u.a. §§ 579 ff. ZPO) stattfinden. Die Maßgabe geht davon aus, daß Entscheidungen, die nach altem Recht rechtskräftig geworden sind, ebenso behandelt werden wie Entscheidungen nach der nunmehr anzuwendenden Zivilprozeßordnung.

Dies bestätigen auch die Maßgaben Nr. 28 g und 28 i der genannten Anlagenregelung. Nach Nr. 28 g werden die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts anhängigen Verfahren in der Lage, in der sie sich befinden, nach den in Kraft gesetzten Vorschriften fortgesetzt. Nach Nr. 28 i richten sich die Zulässigkeit und das weitere Verfahren eines am Beitrittstag bereits eingelegten Rechtsbehelfs nach den in Kraft gesetzten Vorschriften.

Die Auffassung der Klägerin, ihre bereits vor dem Beitrittstag erhobene Wiederaufnahmeklage müsse nach § 163 ZPO-DDR beurteilt werden, läßt sich nicht auf Nr. 28 l der Anlagenregelung stützen. Danach werden am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts anhängige Kassationsverfahren nach dem Verfahrensrecht der DDR zu Ende geführt. Am 3. Oktober 1990 war aber nur die Wiederaufnahmeklage anhängig, nicht die Kassation, die das Oberste Gericht der DDR bereits vorher abgelehnt hatte. Zwar waren Kassations- und Wiederaufnahmeverfahren in der ZPO-DDR gemeinsam im Vierten Teil (§§ 160–163) geregelt. Die Maßgabe Nr. 28 l verweist jedoch nur hinsichtlich der Kassationsverfahren auf das Verfahrensrecht der DDR. Auch in den Erläuterungen zur Maßgabe 28 l (BT-Drucks, 11/7817, S. 32) ist nur von Kassationsverfahren, nicht aber von Wiederaufnahmeverfahren die Rede. Das zeigt, daß der Einigungsvertrag anhängige Kassationsverfahren und anhängige Wiederaufnahmeverfahren unterschiedlich behandeln wollte.

2. Zu Unrecht leitet das Bezirksgericht die Zulässigkeit der Wiederaufnahme aus Art. 18 Abs. 1 EV in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO her.

Art. 18 EV verweist hinsichtlich des Maßstabes für die Überprüfung von Entscheidungen der Gerichte der DDR, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangen sind, auf das in Kraft gesetzte Recht. Neue Rechtsbehelfe gegen bereits nach DDR-Recht bestandskräftige Urteile eröffnet Art. 18 EV jedoch nicht. Dies findet seine Bestätigung in der Maßgabe Nr. 5 i. Hiernach finden gegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts rechtskräftig gewordene Entscheidungen „die vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen rechtskräftige Entscheidungen statt (§§ 323, 324, 579 ff., 767 ff.)”. Das ist dahin zu verstehen, daß in diesen Fällen nur jene genannten Rechtsbehelfe Platz greifen (vgl. BGH Beschluß vom 18. Dezember 1990 – VI ZR 319/90 – ZIP 1991, 124).

3. Die Restitutionsklage der Klägerin ist unzulässig. Es fehlt an der Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes nach § 580 ZPO. Die schlüssige Behauptung eines zulässigen Anfechtungsgrundes ist Zulässigkeitsvoraussetzung der Wiederaufnahmeklage (vgl. BGHZ 57, 211, 212; BAG Urteil vom 15. August 1984 – 7 AZR 558/82 – AP Nr. 13 zu § 12 SchwbG, zu I 5 der Gründe).

a) Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sind keine geeigneten Beweismittel im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage nur statt, wenn festgestellt werden kann, daß die Urkunde schon in dem früheren Verfahren zu einer günstigeren Entscheidung für den Restitutionskläger geführt hätte. Diese Möglichkeit kann nur bei solchen Urkunden bestehen, die das Berufungsgericht in dem früheren Verfahren, wenn sie ihm hätten vorgelegt werden können, bei der Urteilsfindung hätte berücksichtigen müssen. Die Urkunde muß demnach zur Zeit des früheren Verfahrens existiert haben, denn sonst hätte sie nicht berücksichtigt werden können (vgl. BGHZ 30, 60, 64 f.). Die von der Klägerin im Wiederaufnahmeverfahren vorgelegten Bescheinigungen vom 25. Januar, 4. März und 9. April 1991 sind somit keine Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO. weil sie zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlungen im Vorprozeß, am 10. April 1990, noch nicht bestanden.

Ausnahmsweise können Urkunden als Restitutionsgrund zugelassen werden, die zwar nach Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz des Vorprozesses errichtet worden sind, aber eine vor diesem Zeitpunkt liegende Tatsache bezeugen (BAG Urteil vom 15. August 1984 – 7 AZR 558/82 – AP Nr. 13 zu § 12 SchwbG, zu I 5 der Gründe). Auf solche Urkunden stützt sich die Klägerin nicht. Sämtliche Bescheinigungen bezeugen ausnahmslos Tatsachen, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß liegen. Die Bescheinigung vom 25. Januar 1991 verweist sogar inhaltlich auf die gutachterliche Stellungnahme vom 26. Februar 1990, die Gegenstand des Vorprozesses war. Sie schließt mit dem Hinweis, daß eine Aussage über das Ausmaß der gesundheitlichen Schäden der Klägerin in den Jahren zuvor gerade nicht möglich ist.

b) Mit der Behauptung, das mit der Wiederaufnahmeklage angegriffene Urteil des Bezirksgerichts habe gegen rechtstaatliche Grundsätze verstoßen, macht die Klägerin keinen Wiederaufnahmegrund nach § 580 ZPO geltend. Die Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens sind in § 580 ZPO abschließend geregelt. Die Rechtssicherheit verbietet grundsätzlich die Anwendung dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs auf andere als die in der ZPO geregelten Fälle (vgl. BAG Urteil vom 20. Oktober 1955 – 2 AZR 438/54 – AP Nr. 1 zu § 580 ZPO; BGHZ 38, 333, 336).

Von diesem Grundsatz ist auch nach dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages keine Ausnahme zu machen. Die gegenteilige Auffassung des Bezirksgerichts widerspricht erkennbar dem Willen des Gesetzgebers, der für diesen Fall ausdrücklich eine andere als die vom Bezirksgericht angenommene Rechtsfolge vorgesehen hat. Die Regelung in der Maßgabe Nr. 5 i enthält eine abschließende Aufzählung der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts rechtskräftig geworden sind. Eine weitere Durchbrechung der Rechtskraft von Entscheidungen sollte nicht stattfinden.

4. Ob eine Überprüfung früherer Urteile der Deutschen Demokratischen Republik auf ihre Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EV) durch Feststellungsklage nach § 256 ZPO zulässig ist (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald. Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 157 II 5), bedarf keiner abschließenden Entscheidung des Senats. Die Klägerin hat ausdrücklich eine solche Klage nicht erhoben. Eine Umdeutung ihres Begehrens ist nicht angezeigt, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß eine Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vorliegt. Das Verfahren ist unter Wahrung des rechtlichen Gehörs und unter Erhebung der angebotenen Beweise durchgeführt worden.

Soweit die Klägerin in der Revisionsverhandlung erklärte, ihre fristlose Kündigung sei ein „himmelschreiendes Unrecht” gewesen, steht dies im Widerspruch zu ihrer schriftlichen Erklärung vom 4. April 1990 an das Gericht. Hier hat sie in richtiger Erkenntnis ihrer Rechtslage darauf hingewiesen, daß sie es bedauere, es versäumt zu haben, unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen um teilweise Arbeitsbefreiung zu bitten, „es wäre ihr dann der gesamte Ärger erspart geblieben”.

II. Die Restitutionsklage ist insgesamt als unzulässig zu verwerfen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

Das Bezirksgericht hat durch Teilurteil über die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage und das Vorliegen eines Restitutionsgrundes, nicht aber in der Hauptsache entschieden. Mit der Einlegung der Revision durch den Beklagten sind dem Senat mithin die Fragen der Zulässigkeit der Restitutionsklage und des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes zur Entscheidung angefallen. Sind die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt, ist die Restitutionsklage insgesamt zu verwerfen. Denn von der Bejahung der Zulässigkeit hängt die Fortsetzung des gesamten Wiederaufnahmeverfahrens ab.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Wittendorfer, Sperl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083511

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