Entscheidungsstichwort (Thema)

Umgehung einer Unkündbarkeitsregelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs 3 BAT greift nur ein, wenn deren Voraussetzungen (Vollendung des 40. Lebensjahres und 15jährige Dienstzeit des Angestellten) bereits beim Zugang der Kündigungserklärung vorliegen; es genügt nicht, daß diese Voraussetzungen erst in dem Zeitpunkt gegeben sind, zu dem die Kündigung das Arbeitsverhältnis beenden soll. Deshalb ist die dem Angestellten kurz vor dem Eintritt seiner Unkündbarkeit erklärte ordentliche Kündigung jedenfalls dann nicht nach § 53 Abs 3 BAT unzulässig, wenn sie zum tariflich oder vertraglich nächstmöglichen Termin ausgesprochen wird.

2. Eine objektiv funktionswidrige Umgehung des § 53 Abs 3 BAT liegt jedoch vor, wenn die kurz vor dem Eintritt der Unkündbarkeit erklärte ordentliche Kündigung nicht zum nächstmöglichen Kündigungstermin, sondern erst zu einem späteren Termin wirken soll und dem Arbeitgeber für einen derart frühzeitigen Ausspruch der Kündigungserklärung kein sachlich rechtfertigender Grund zur Seite steht. In einem solchen Fall ist die ordentliche Kündigung tarifwidrig und damit unwirksam.

 

Orientierungssatz

Auslegung eines Vertrages mit typischen Klauseln und individueller Einzelklausel.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; BAT § 53 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.10.1986; Aktenzeichen 2 Sa 34/86)

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 18.02.1986; Aktenzeichen 1 Ca 658/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes mit dessen Schreiben vom 16. Dezember 1985 zum 31. Dezember 1986 aufgelöst worden ist oder ob es darüber hinaus fortbesteht. Sie haben ferner darüber gestritten, ob die Klägerin seit dem 31. Oktober 1985 in ihrem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land unkündbar ist; insoweit ist die Klage in der Revisionsverhandlung zurückgenommen worden.

Die 1942 geborene, verheiratete und für ein Kind unterhaltspflichtige Klägerin ist Ägyptologin. Unter dem 28. Oktober 1969 schlossen die Parteien einen Dienstvertrag für die Zeit vom 1. November 1969 bis 31. Dezember 1969. Hiernach war die Klägerin gegen eine monatliche Vergütung von 360,-- DM bei einer durchschnittlichen monatlichen Beschäftigungszeit von 100 Stunden in einem außertariflichen Angestelltenverhältnis (gem. § 3 Buchst. g BAT) bei dem Ägyptologischen Institut der Universität T des beklagten Landes zur Wahrnehmung wissenschaftlicher Hilfstätigkeiten und zu ihrer wissenschaftlichen Fortbildung als wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt worden. Anfang Dezember 1969 hatte sie ihr Promotionsverfahren an dieser Universität beendet.

Aufgrund des schriftlichen Dienstvertrages vom 14. Januar 1970 war sie sodann vom 1. Januar 1970 bis 31. Januar 1970 befristet bei dem Sonderforschungsbereich (SFB) 19 der Universität T als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Sie wurde dort anschließend in einem Arbeitsverhältnis ab 1. Februar 1970 weiterbeschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis endete auf Wunsch der Klägerin am 30. September 1971, weil sie für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 30. September 1972 ein Reisestipendium hatte.

Nach der Durchführung des Reisestipendiums wurde die Klägerin aufgrund des Arbeitsvertrags vom 9. Oktober 1972 befristet vom 1. Oktober 1972 bis 30. September 1974 wiederum beim Sonderforschungsbereich 19 der Universität T angestellt, nunmehr als wissenschaftliche Angestellte. Aufgrund der weiteren Arbeitsverträge vom 30. September 1974 und vom 16. September 1976 wurde sie dort gleichermaßen bis zum 30. September 1976 bzw. bis 30. September 1977 weiterbeschäftigt. In demselben Sonderforschungsbereich 19 wurde die Klägerin schließlich aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 13. Juli 1977 als Angestellte auf unbestimmte Zeit für Tätigkeiten der VergGr. II a BAT eingesetzt. Der vorgedruckte Formulartext des Vertrags lautet in § 1 Abs. 2:

"Abweichend von Absatz 1 endet das Arbeitsverhältnis

jedoch mit Ablauf des Monats, in

dem Mittel zur Finanzierung des Forschungsvorhabens

nicht mehr bereitgestellt werden

und der Angestellte seine Vergütung nicht

mehr aus diesen Mitteln erhalten kann."

Ebenso vorgedruckt ist in § 2 die Anwendbarkeit des BAT und der ihn ändernden oder ergänzenden Tarifverträge vereinbart worden. In § 5 ist maschinenschriftlich eingesetzt:

"Die Vergütung erfolgt aus den von der DFG

bereitgestellten Mitteln zur Förderung der

Sonderforschungsbereiche. Bei Wegfall dieser

Mittel richtet sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

nach den tariflichen und

gesetzlichen Bestimmungen."

Die Klägerin war beim SFB 19 - T - in eine Stelle außerhalb des Stellenplans zum Staatshaushaltsplan eingewiesen. Der SFB 19 wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert (Drittmittelfinanzierung). Der Bewilligungsausschuß der DFG für die Förderung der Sonderforschungsbereiche traf am 21. und 22. November 1985 die Entscheidung über die Förderung des SFB 19 in den Haushaltsjahren 1986 bis 1988; diese Entscheidung wurde der Universität mit Schreiben der DFG vom 1. Dezember 1985 mitgeteilt. Die DFG wies dabei darauf hin, daß die bewilligten Mittel zur Förderung der wissenschaftlichen Arbeiten als Abschlußfinanzierung zu betrachten seien. Die Stelle der Klägerin im Teilprojekt Ägyptologie des SFB 19 wurde von der DFG bis zum 31. Dezember 1986 gefördert; für die Zeit danach stehen hierfür auch von anderer Stelle keine Mittel mehr zur Verfügung. Nach dem Beschluß des Verwaltungsrats der Universität T vom 13. Juli 1985 ist eine Erweiterung der von der Universität zu tragenden Grundausstattung mit Dauerstellen im wissenschaftlichen Dienst im Bereich der Ägyptologie nicht möglich.

Aufgrund dieser Entscheidungen hat die Universität T des beklagten Landes das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Dezember 1985 zum 31. Dezember 1986 ordentlich gekündigt. Das Schreiben ist der Klägerin am 17. Dezember 1985 zugegangen.

Auf den Antrag der Klägerin hatte das beklagte Land zuvor durch Schreiben vom 26. November 1985 unter Hinweis darauf, daß das Reisestipendium nach der Bescheinigung des Archäologischen Instituts in Berlin der Berufsfortbildung der Klägerin gedient habe, den Neubeginn ihrer Beschäftigungszeit auf den 1. Januar 1971 festgesetzt.

Mit ihrer am 23. Dezember 1985 eingereichten Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung und gegen die Nichtberücksichtigung ihrer Beschäftigungszeit vom 1. November 1969 bis 31. Dezember 1969.

Sie hat geltend gemacht, seit dem 31. Oktober 1985 sei ihr Arbeitsverhältnis unkündbar, weil sie das 40. Lebensjahr vollendet und seit Ablauf des 31. Oktober 1985 eine Beschäftigungszeit von 15 Jahren erreicht habe. Auch in der Zeit vom 1. November 1969 bis 31. Dezember 1969 sei sie nämlich als wissenschaftliche Hilfskraft tätig gewesen, zumindest aber seit Vollendung ihrer Promotion. Selbst wenn man der Auffassung des beklagten Landes über die Dauer der Beschäftigungszeit folge, sei die Kündigung unwirksam, weil das beklagte Land durch die vorzeitige Kündigung den Eintritt der Unkündbarkeit vereitelt habe. Für die Einhaltung der Kündigungsfrist des § 53 Abs. 2 BAT hätte es genügt, die Kündigung erst Ende Juni 1986 zu erklären. Die Kündigung sei auch nicht sozial gerechtfertigt. Dringende betriebliche Erfordernisse lägen nicht vor; die soziale Auswahl sei im Hinblick auf Herrn Dr. F und Herrn B unzureichend getroffen worden.

Die Klägerin, die erstmals in der Berufungsverhandlung erklärt hat, Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu sein, hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

zwischen den Parteien nicht durch die

ordentliche Kündigung der Beklagten vom

16. Dezember 1985, dem Prozeßbevollmächtigten

der Klägerin am 17. Dezember 1985

zugegangen, am 31. Dezember 1986 enden

wird, sondern darüber hinaus fortbesteht;

2. festzustellen, daß die Klägerin mit Ablauf

des 31. Oktober 1985 sich in einem unkündbaren

Beschäftigungsverhältnis mit der

Beklagten befindet.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat entgegnet, die Klägerin sei in der Zeit vom 1. November 1969 bis 31. Dezember 1969 lediglich im Hinblick auf ihre bevorstehende Doktorprüfung beschäftigt worden. Dabei habe ihre Ausbildung, nicht aber der Leistungsaustausch im Vordergrund gestanden, so daß ein nicht zu den Beschäftigungszeiten i.S. des § 19 BAT zählendes ausbildungs- bzw. praktikantenähnliches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Zudem sei auf den Status der damals noch nicht promovierten Klägerin bei Vertragsbeginn abzustellen. Die Kündigung sei auch deshalb nicht nach § 53 Abs. 3 BAT unwirksam, weil diese Vorschrift in § 5 des Arbeitsvertrags wirksam abbedungen worden sei. Die Erklärung der Kündigung sei nicht treuwidrig. Sie sei vielmehr unmittelbar nach dem Zeitpunkt erfolgt, in welchem die Universität Kenntnis vom Wegfall der Drittmittelfinanzierung erhalten habe. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin sei nicht möglich. Zwar würden andere Fächer des SFB 19 noch bis 1988 gefördert, nicht jedoch das Fach Ägyptologie. Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse, nämlich den Wegfall der Drittmittel für die Stelle der Klägerin zum 31. Dezember 1986, sozial gerechtfertigt. Zu Unrecht berufe sich die Klägerin auf eine fehlerhafte soziale Auswahl.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit darin festgestellt worden ist, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 16. Dezember 1985 zum 31. Dezember 1986 aufgelöst worden ist. Im übrigen hat die Klägerin ihre Klage mit Zustimmung des beklagten Landes zurückgenommen. Das beklagte Land hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im aufrechterhaltenen Teil der Klage begründet. Insoweit war das arbeitsgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Die Neufassung des Urteilsausspruchs dient lediglich der Rechtsklarheit.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erweist sich die ordentliche Kündigung wegen objektiver Umgehung der Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3 BAT als rechtsunwirksam.

I. Bei seiner Entscheidung unterstellt der Senat zugunsten des beklagten Landes, daß die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Zeit der streitbefangenen Kündigung nicht kraft beiderseitiger Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG anzuwenden waren, sondern nur kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung. Dementsprechend läßt sich die Unwirksamkeit der Vereinbarung in § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags, sofern sie einen zum Nachteil der Klägerin von § 53 Abs. 3 BAT abweichenden Inhalt haben sollte, nicht aus § 4 Abs. 3 TVG herleiten.

Ferner wird zugunsten des beklagten Landes unterstellt, daß es den Beginn der Beschäftigungszeit i.S. des § 19 BAT zutreffend auf den 1. Januar 1971 festgesetzt hat mit der Folge, daß die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 BAT hinsichtlich der 15-jährigen Beschäftigungszeit der Klägerin nicht bereits beim Zugang der streitbefangenen Kündigung am 17. Dezember 1985 vorgelegen haben, sondern erst am 1. Januar 1986 eingetreten sind.

Gleichwohl erweist sich die Kündigung als rechtsunwirksam.

II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Regelung des § 53 Abs. 3 BAT im Arbeitsvertrag der Parteien nicht abbedungen worden. Die hiergegen gerichtete Rüge der Revision greift durch.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Vereinbarung in § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien habe über ihren Wortlaut hinaus die Bedeutung, daß die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3 BAT für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Auslaufens der Drittmittelfinanzierung abbedungen sei. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, daß sich ein solches Verständnis aus der Interessenlage der Parteien bereits bei Abschluß des Vertrags vom 13. Juli 1977 ergebe. Zumindest seit dem Vertrag vom 9. Oktober 1972 finde sich in allen Arbeitsverträgen der Parteien die Regelung, daß das Arbeitsverhältnis vorzeitig ende, wenn Mittel für das Forschungsvorhaben nicht mehr zur Verfügung stünden und die Klägerin ihre Vergütung nicht mehr aus diesen Mitteln erhalten könne. Die Bewilligung der Drittmittel durch die DFG sei eine Bedingung für die Tätigkeit der Klägerin gewesen. Deshalb habe es dem auch der Klägerin ohne weiteres erkennbaren Interesse der Universität entsprochen, sich für den Fall, daß diese Beschäftigungsbedingung nicht mehr gegeben sei, die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung offenzuhalten, nachdem die Parteien von der an sich in § 1 des vorgedruckten Vertragstextes vorgesehenen Möglichkeit der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Wegfalls der Drittmittel abgerückt seien. Daraus folge, daß die Regelung in § 5 des Arbeitsvertrages vom 13. Juli 1977 über ihren Wortlaut hinaus nur bedeuten könne, daß für diesen Fall die Kündigungsmöglichkeit ungeachtet des § 53 Abs. 3 BAT bestehen bleiben sollte. Hätten die Parteien die Regelung in § 1 des Vertrages aufheben wollen, so hätte es genügt, diese Regelung im Vertragstext zu streichen. Dann hätten die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages einschließlich der in § 53 Abs. 3 BAT gegolten, weil dies in § 2 des Arbeitsvertrages so vereinbart worden sei.

2. Diese Auslegung der genannten Vertragsbestimmung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist im Arbeitsvertrag der Parteien die Anwendbarkeit der Regelung des § 53 Abs. 3 BAT auch nur für den Fall, daß die Drittmittel für die Stelle der Klägerin auslaufen und nicht weiterbewilligt werden, gerade nicht ausgeschlossen.

a) Bei Verträgen, die zum Teil vorgedruckte Klauseln übernehmen, zum Teil aus einzelvertraglichen Klauseln bestehen, kann der ganze Vertrag als nichttypischer Vertrag im Sinne der Rechtsprechung zu § 73 ArbGG anzusehen sein (vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 24. Oktober 1963 - 2 AZR 396/62 - AP Nr. 26 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche). Bei dem hier vorliegenden Arbeitsvertrag vom 13. Juli 1977 handelt es sich um einen solchen nichttypischen Vertrag. Während die Regelungen in den §§ 1 bis 4 der Formularurkunde typisierte Klauseln darstellen, ist dies hinsichtlich der hier insbesondere in Rede stehenden Bestimmung des § 5 des Arbeitsvertrags nicht der Fall. Das entgegenstehende tatsächliche Vorbringen der Revision, wonach diese Klausel immer wieder verwendet worden sein soll, ist unbeachtlich, weil es nicht Gegenstand der Tatsachenfeststellung des Landesarbeitsgerichts im Sinne des § 561 ZPO ist.

Bei derart in sonst typischen Verträgen enthaltenen atypischen Einzelklauseln ist die in den Tatsacheninstanzen vorgenommene Auslegung durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar; das Revisionsgericht kann - von Verfahrensrügen abgesehen - nur prüfen, ob das Berufungsgericht bei der von ihm vorgenommenen Auslegung gegen materiell-rechtliche Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verstoßen hat. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn gegen Gesetze der Logik oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen worden oder wenn der Auslegungsstoff nicht vollständig verwertet worden ist (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. BAG 22, 424 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB). Ferner liegt ein Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze vor, wenn das Berufungsgericht eine eindeutige Willenserklärung entgegen ihrem Wortlaut auslegt (BAG Urteil vom 14. September 1974 - 5 AZR 212/72 - AP Nr. 34 zu § 133 BGB).

b) Diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung ist mit den Auslegungsregeln des materiellen Rechts nicht vereinbar.

aa) Bereits der vorrangig zum Verständnis des Inhalts heranzuziehende Wortlaut des § 5 des Arbeitsvertrages steht der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung entgegen. Denn der Wortlaut ist eindeutig. In § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrages heißt es unzweideutig, daß sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach den tariflichen und den gesetzlichen Bestimmungen richtet, falls die Drittmittel - wie sie in § 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages umschrieben sind - wegfallen. Zu den für diesen Fall in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen zählen aber nicht nur die Vorschriften über die Dauer der Kündigungsfristen aus § 53 Abs. 2 BAT, sondern auch die Regelung über den Eintritt der ordentlichen Unkündbarkeit in § 53 Abs. 3 BAT. Auch bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine tarifliche Bestimmung über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen.

bb) Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht aus dem Zusammenhang des Arbeitsvertrages, insbesondere nicht im Hinblick auf dessen Regelung im zweiten Absatz des § 1. Dort ist - formularmäßig - eine das Arbeitsverhältnis auflösende Bedingung für den Fall vereinbart, daß die Drittmittel wegfallen und die Klägerin ihre Vergütung nicht mehr aus solchen Mitteln erhalten kann. Demgegenüber haben die Parteien in § 5 des Arbeitsvertrages eine speziellere einzelvertragliche Abrede getroffen. Sie hat zur Folge, daß § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages insoweit abbedungen ist, als der Wegfall der Drittmittel nicht mehr als eine das Arbeitsverhältnis auflösende Bedingung wirkt, sondern daß sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einem solchen Fall nach den tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen richtet. Dem Landesarbeitsgericht kann hinsichtlich seiner Argumentation, es hätte nur der Streichung des Formulartextes in § 1 Abs. 2 des Vertrages bedurft, um die auflösende Bedingung nicht zu vereinbaren, und deshalb habe § 5 des Vertrages nur den Sinn, daß die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3 BAT ausgeschlossen sei, nicht gefolgt werden. Es kommt nicht darauf an, daß die Parteien § 1 Abs. 2 im Vertragsformular hätten streichen können, sondern darauf, daß jene Klausel nicht gestrichen worden ist. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht nicht den gesamten Auslegungsstoff berücksichtigt.

cc) Auch die methodisch nachrangig anzustellenden Erwägungen (vgl. u.a. BGH Urteil vom 3. Dezember 1980 - VIII ZR 300/79 - NJW 1981, 1549, 1550) des Landesarbeitsgerichts zur Interessenlage lassen sich aus den von ihm festgestellten Tatsachen (vgl. § 561 ZPO) nicht ableiten. Es fehlt an jedweder Tatsachenfeststellung wie auch an entsprechenden Behauptungen der Parteien, aus denen sich ableiten ließe, daß das beklagte Land am 13. Juli 1977 bereits daran interessiert gewesen sei, die Regelung des § 53 Abs. 3 BAT, deren Voraussetzungen erst etwa 9 1/2 Jahre später erfüllt sein konnten, abzubedingen.

Darüber hinaus hätte das Landesarbeitsgericht, wenn es die Interessenlage zur Auslegung der vertraglichen Regelung heranzog, die beiderseitige Interessenlage gegenüberstellen müssen.

Die im Vertrag selbst zum Ausdruck gekommenen Interessen zeigen, daß die Vereinbarungen einerseits den Interessen der Klägerin insoweit entgegenkommen, als der Wegfall der Drittmittel nicht im Sinne einer Bedingung oder Zweckbefristung zur im Prinzip nahezu schutzlosen einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch das beklagte Land führt, sondern nur zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Die Vereinbarung kommt den Interessen des beklagten Landes aber andererseits insoweit entgegen, als der Klägerin deutlich gemacht wird, daß gerade der Wegfall der Drittmittel eine auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützte Kündigung zur Folge haben kann und die Klägerin auf einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz Wegfalls der Drittmittel nur im Rahmen der tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen vertrauen darf, nicht aber darauf, trotz Wegfalls der Drittmittel auf jeden Fall im Arbeitsverhältnis zum beklagten Land zu verbleiben, auch wenn die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 BAT nicht vorliegen.

III. Obwohl zugunsten des beklagten Landes auch unterstellt wird, daß die Voraussetzungen der hiernach zwar lediglich kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung anzuwendenden, aber andererseits auch nicht abbedungenen Regelung des § 53 Abs. 3 BAT im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung noch nicht vorgelegen haben, erweist sich die Kündigung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der objektiv funktionswidrigen Normumgehung als rechtsunwirksam.

1. Unmittelbar an § 53 Abs. 3 BAT scheitert eine ordentliche Beendigungskündigung nur dann, wenn der Angestellte bereits beim Zugang der Kündigung eine Beschäftigungszeit (§ 19 BAT) von 15 Jahren zurückgelegt und das Mindestalter von 40 Jahren vollendet hat (vgl. Böhm/Spiertz, BAT, Bd. 3, Stand Juli 1987, § 53 BAT Anm. 21; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Bd. II, Stand 15. April 1987, § 53 Erl. 8). Dagegen ist es unschädlich, wenn die genannten Unkündbarkeitsvoraussetzungen erst beim Ablauf der Kündigungsfrist oder zu dem sonstigen mit der Kündigung gewollten Beendigungszeitpunkt vorliegen. Geht man zugunsten des beklagten Landes davon aus, daß die damals 43 Jahre alte Klägerin erst mit Ablauf des 31. Dezember 1985 und damit erst nach dem Zugang der streitbefangenen Kündigung (17. Dezember 1985) die Beschäftigungszeit von 15 Jahren vollendet hatte, so verstößt die Kündigung nicht unmittelbar gegen § 53 Abs. 3 BAT.

2. Die streitbefangene Kündigung erweist sich jedoch als objektiv funktionswidrige Umgehung des § 53 Abs. 3 BAT und ist aus diesem Grunde rechtsunwirksam.

a) Daß ein Rechtsgeschäft die mit ihm gewollte Wirkung nicht entfalten kann, wenn es sich als objektive Umgehung einer zwingenden Rechtsnorm darstellt, ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit langem anerkannt (grundlegend: BAGE (GS) 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; ferner u.a. BAGE 50, 292 = AP Nr. 65 zu § 1 LohnFG; BAG Urteil vom 28. April 1987 - 3 AZR 75/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteile vom 7. Mai 1987 - 2 AZR 271/86 - und vom 25. Juni 1987 - 2 AZR 541/86 -, beide zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Eine solche Gesetzesumgehung liegt vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich, d.h. ohne einen im Gefüge der einschlägigen Rechtsnormen sachlich gerechtfertigten Grund, verwendet werden. Dabei kommt es nicht auf eine Umgehungsabsicht oder eine bewußte Mißachtung der zwingenden Rechtsnorm an; entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts (BAGE (GS) 10, 65, 70 ff.).

b) Das hier unter dem Gesichtspunkt der Normumgehung zu beanstandende rechtsgeschäftliche Handeln des beklagten Landes liegt nicht in der Kündigung als solcher und auch nicht darin, daß die Kündigung vom 16. Dezember 1985 nur wenige Tage vor dem Eintritt der Unkündbarkeit der Klägerin am 1. Januar 1986 erfolgt ist. Es liegt vielmehr in der mit der Kündigung verbundenen Erklärung des beklagten Landes, daß diese Kündigung nicht schon zum Ablauf der tariflichen Kündigungsfrist von hier sechs Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres (§ 53 Abs. 2 BAT), also zum 30. Juni 1986, sondern erst sechs Monate später zum 31. Dezember 1986 wirksam werden soll.

Zwar ist ein solches Hinausschieben des Wirksamwerdens einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung über die gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfrist hinaus an sich rechtlich möglich, weil die gesetzlichen und tariflichen Kündigungsfristen nur Mindestfristen zum Schutze des Arbeitnehmers sind und eine Verlängerung dieser Fristen durch den Arbeitgeber beim Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer zugute kommt, indem sie sein Arbeitsverhältnis länger aufrechterhält. Bei der vorliegenden Fallgestaltung wirkt sie sich jedoch gerade wegen der hier eingreifenden gesetzlichen und tariflichen Arbeitnehmerschutznormen zum Nachteil des Arbeitnehmers aus.

Das beklagte Land konnte am 16. Dezember 1985 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. Juni 1986, dem Ablauf der tariflichen Kündigungsfrist, nicht wirksam kündigen. Die Klägerin genießt Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ist daher nur wirksam, wenn sie durch Gründe in der Person oder dem Verhalten der Klägerin oder durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Das beklagte Land hat sich auf dringende betriebliche Erfordernisse berufen und dazu vorgetragen, die Stelle der Klägerin müsse wegen des Auslaufens der Drittmittelfinanzierung mit dem 31. Dezember 1986 entfallen. Der Wegfall der Stelle der Klägerin könnte daher überhaupt nur eine Kündigung zum 31. Dezember 1986 sozial rechtfertigen, nicht jedoch eine solche bereits zum 30. Juni 1986. Ohne Verlängerung der tariflichen Kündigungsfrist hätte das beklagte Land eine zum 31. Dezember 1986 wirksam werdende Kündigung erst in der Zeit zwischen dem 31. März und dem 30. Juni 1986 aussprechen können, mithin zu einer Zeit, in der die Klägerin bereits nach § 53 Abs. 3 BAT unkündbar war.

Die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3 BAT hinderte das beklagte Land hier also daran, der Klägerin aus betrieblichen Gründen wirksam mit der tariflichen Kündigungsfrist zu kündigen. Dieses tarifliche Hindernis konnte nur dadurch vermieden werden, daß die Kündigung noch vor dem Eintritt der Unkündbarkeit der Klägerin ausgesprochen wurde, was dann wiederum zur Vermeidung der Sozialwidrigkeit der Kündigung ein Hinausschieben der tariflichen Kündigungsfrist um sechs Monate notwendig machte. Damit wird die dem Arbeitnehmer an sich zugute kommende Verlängerung gesetzlicher oder tariflicher Mindestkündigungsfristen hier als Mittel eingesetzt, um eine sonst zu dem angestrebten Termin wegen zwingender Kündigungsschutzvorschriften nicht mehr mögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige Kündigung doch noch zu ermöglichen. Das ist funktionswidrig und eine Umgehung der tariflichen Unkündbarkeitsregelung.

c) Ein Grund, der die Wahl des Kündigungszeitpunkts mit der damit unlösbar verknüpften einseitigen Verlängerung der Kündigungsfrist auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der tariflichen Unkündbarkeitsregelung noch als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen könnte, steht dem beklagten Land nicht zur Seite. Er läßt sich nicht - wie das beklagte Land meint - aus der Erwägung herleiten, bei einem so frühzeitigen Ausspruch der Kündigung habe sich die Klägerin besser auf das zu erwartende Ende ihres Arbeitsverhältnisses einstellen können und mehr Zeit gehabt, sich eine andere Arbeitsstelle zu suchen.

Diese Erwägung könnte nur durchschlagen, wenn das beklagte Land der Klägerin auch zum tariflich oder vertraglich nächstmöglichen Termin wirksam hätte kündigen können; denn dann wäre durch die einseitige Verlängerung der Kündigungsfrist das sonst früher eintretende Ende des Arbeitsverhältnisses lediglich hinausgeschoben worden. Das war hier jedoch nicht der Fall. Zwar hindert die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3 BAT den Arbeitgeber nicht, dem Angestellten noch unmittelbar vor dem Beginn seiner Unkündbarkeit aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG zum tariflich oder vertraglich nächstzulässigen Termin ordentlich zu kündigen, auch wenn das Arbeitsverhältnis dadurch erst geraume Zeit nach dem Eintritt der Unkündbarkeitsvoraussetzungen endet; denn die Tarifnorm stellt nicht auf das Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung ab. Deshalb wäre es auch nicht funktionswidrig, wenn der Arbeitgeber statt einer noch möglichen Kündigung zum nächstzulässigen Termin die Kündigung erst zu einem späteren Zeitpunkt wirken lassen will. Die mit der tariflichen Unkündbarkeitsregelung bezweckte Verstärkung des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses des Angestellten könnte dann nämlich auch ohne eine solche Verlängerung der Kündigungsfrist nicht eintreten; die Verlängerung der Kündigungsfrist würde sich vielmehr nur zugunsten des Angestellten auswirken. Im vorliegenden Falle wäre aber - wie oben bereits dargelegt wurde - ohne die vorgenommene Verlängerung der Kündigungsfrist eine hier allein in Frage kommende betriebsbedingte ordentliche Kündigung überhaupt nicht möglich gewesen. Ohne die Verlängerung der Kündigungsfrist hätte sich die Klägerin also erst gar nicht auf eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einzustellen brauchen, so daß die vom beklagten Land angestellte Erwägung, die Verlängerung der Kündigungsfrist komme der Klägerin wegen des damit für sie verbundenen Zeitgewinns zugute, nicht durchgreift.

Sonstige Umstände, aus denen folgen könnte, daß dem beklagten Land für den von ihm gewählten Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung kurz vor Eintritt der Unkündbarkeit nach § 53 Abs. 3 BAT unter Verlängerung der Kündigungsfrist ein sachlich rechtfertigender Grund zur Seite steht, liegen nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor.

3. Hiernach ist die streitbefangene Kündigung wegen objektiver Umgehung des § 53 Abs. 3 BAT tarifwidrig und bereits aus diesem Grunde rechtsunwirksam. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt wäre.

4. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn man zugunsten des beklagten Landes davon ausgeht, daß die Bestimmungen des BAT nicht wegen beiderseitiger Tarifgebundenheit, sondern nur kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten; denn mit der Inbezugnahme der tariflichen Bestimmungen im Arbeitsvertrag wollen die Vertragsparteien ihr Arbeitsverhältnis den Tarifvorschriften so unterstellen, als wären sie tarifgebunden.

IV. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des in der Revisionsverhandlung zurückgenommenen Teils der Klage folgt aus den §§ 91, 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 ZPO.

Dr. Seidensticker Dr. Becker Schliemann

Imdahl Wagner

 

Fundstellen

Haufe-Index 441137

BAGE 57, 1-13 (LT1-2)

BAGE, 1

NZA 1988, 877-880 (LT1-2, ST1)

RdA 1988, 253

RzK, I 8f Nr 4 (LT1-2)

USK, 87142 (ST)

ZTR 1988, 306-307 (LT1-2)

AP § 53 BAT (LT1-2), Nr 2

AR-Blattei, ES 1020 Nr 293 (LT1-2)

AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 293 (LT1-2)

EzA § 626 BGB Unkündbarkeit, Nr 1 (LT1-2)

EzBAT § 53 BAT Unkündbarkeit, Nr 1 (LT1-2)

MDR 1988, 804 (LT1-2)

SVFAng Nr 51, 11 (K)

VR 1989, 69 (K)

br 1989, 67-70 (LT1-2)

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