Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingriff in eine zugesagte Rentendynamik durch ablösende Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus früheren Betriebsvereinbarungen einschränken, unterliegen einer Rechtskontrolle nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Das gilt auch für Betriebsvereinbarungen, in denen eine Rentenanpassung entsprechend der Entwicklung der tariflichen Entgelte der aktiven Arbeitnehmer ersetzt wird durch eine Regelung, nach der die Betriebsrente nur noch entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten steigt.
  • Auf einen solchen nur die Rentenentwicklung betreffenden Eingriff sind nicht die konkretisierenden Grundsätze anzuwenden, die für den Eingriff in Versorgungsanwartschaften entwickelt worden sind. Der Eingriff ist regelmäßig bereits dann gerechtfertigt und rechtswirksam, wenn es für ihn sachlich nachvollziehbare und Willkür ausschließende Gründe gibt.
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Ablösung, § 2 Abs. 1, § 16

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 08.12.1994; Aktenzeichen 3 Sa 162/93)

ArbG Bremen (Urteil vom 17.03.1993; Aktenzeichen 7 Ca 7460/92)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten drüber, in welchem Umfang die Beklagte die dem Kläger zustehende Betriebsrente des Klägers anzupassen hat.

Der am 16. Juli 1947 geborene Kläger war seit dem 1. April 1974 bei der Beklagten als Elektroingenieur beschäftigt. Im Sommer 1990 erlitt er mehrere Herzinfarkte. Nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unternahm der Kläger ab Januar 1991, zunächst in Teilzeit, dann in Vollzeit einen im Ergebnis erfolglosen Arbeitsversuch. Auf seinen Antrag vom 24. Oktober 1991 wurde ihm mit Wirkung ab dem 1. November 1991 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. Seit dem 1. November 1991 zahlt die Beklagte an den Kläger ein betriebliches Ruhegeld.

Nach dem Arbeitsvertrag vom 22. November/6. Dezember 1977 erhält der Kläger “Ruhegeldzahlungen und Hinterbliebenenversorgung nach der jeweils geltenden Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer der ÜNH”. In der Betriebsvereinbarung in der Fassung vom 1. Oktober 1962 (BV 62), die für den Kläger im wesentlichen unverändert bis zum 31. Dezember 1990 galt, ist die Anpassung der laufenden Renten wie folgt geregelt:

“§ 16

Änderungen der Gehalts- oder Lohnsätze der Beschäftigten wirken sich für den gleichen Zeitraum auf die Versorgungsbezüge (Ruhegeld, Witwen- und Waisengeld) entsprechend aus.”

Die Bestimmung wurde bei der Beklagten in der Form gehandhabt, daß anläßlich von Tarifgehaltserhöhungen das Ruhegeld auf der Grundlage des gestiegenen pensionsfähigen Diensteinkommens neu berechnet wurde.

Die BV 62 wurde durch die Betriebsvereinbarung vom 4. Juni 1991 (BV 91), die zum 1. Januar 1991 in Kraft gesetzt wurde, geändert. Die bei Eintritt in den Ruhestand an den Kläger zu zahlende Betriebsrente änderte sich nach dieser Neuregelung nicht. An die Stelle des § 16 der BV 62 trat die Regelung in § 10 BV 91:

“Anpassung der laufenden Versorgungsleistungen

  • Die laufenden Versorgungsleistungen werden jeweils erhöht, wenn und soweit sich der neueste vom Statistischen Bundesamt festgestellte Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (Gesamtlebenshaltung) jeweils im Vergleich zum Vorjahr erhöht hat. Die Preisindexerhöhung wird gemessen am Durchschnitt der monatlichen Indexwerte vom vorangegangenen April bis einschließlich März des laufenden Kalenderjahres im Verhältnis zum jeweils entsprechend ermittelten Durchschnittswert des Vorjahres. Die Erhöhung erfolgt jeweils zum 1. Juli. Eine Steigerung um weniger als 3 % löst keine Erhöhung aus; sie wird jedoch der Steigerung des Folgejahres zugerechnet.
  • Die Erhöhung der laufenden Versorgungsleistungen erfolgt erstmals zum 1. Juli des auf den Eintritt des Versorgungsfalles folgenden Kalenderjahres.

Für die Zeit ab dem 1. November 1991 errechnete die Beklagte für den Kläger einen Anspruch auf eine monatliche Betriebsrente von 3.139,06 DM brutto. Nach Maßgabe der BV 91 zahlte sie an den Kläger ab dem 1. Juli 1992 eine um 4,77 % höhere Betriebsrente, nämlich 3.288,79 DM brutto monatlich.

Der Kläger beanstandet die Höhe der Anpassung. Er hat die Auffassung vertreten, auf sein Versorgungsverhältnis sei § 16 BV 62 und nicht die neue Anpassungsregelung der BV 91 anwendbar. Der Eingriff in die ihm ursprünglich zugesagte Steigerung seiner Rentenansprüche entsprechend der Tarifentwicklung sei rechtsunwirksam. Die Beklagte habe früher stets von einer Rückwirkung ihrer Änderungsregelungen auf bereits bestehende Arbeitsverhältnisse abgesehen. Der Kläger habe seinen Arbeitsplatz auch im Hinblick auf die Altersversorgung bei der Beklagten gewählt und später attraktivere Angebote anderer Arbeitgeber wegen der geltenden Versorgungsordnung ausgeschlagen. Er meint, zu seinen Gunsten müsse jedenfalls eine Härteregelung greifen. Er habe vor und während seiner Arbeitsversuche stets bei der Beklagten nachgefragt, ob er nicht besser einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente stellen solle. Hiervon sei ihm abgeraten worden. Bei früherer Antragstellung hätte die ablösende Regelung möglicherweise ihm gegenüber nicht mehr gegolten.

Der Kläger hat die Differenz zwischen dem nach der BV 91 gezahlten und der seiner Ansicht nach geschuldeten Rente, berechnet nach der BV 62, gefordert. Er hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen,

    • an ihn rückständige betriebliche Versorgungsbezüge für die Zeit von Mai 1992 bis einschließlich November 1992 von 1.893,71 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen;
    • an ihn ab Dezember 1992 betriebliche Versorgungsbezüge in Höhe von monatlich 3.516,54 M zu zahlen;
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die betrieblichen Versorgungsbezüge jeweils zum Zeitpunkt der tariflichen Lohn- und Gehaltserhöhung in der Weise zu erhöhen, daß jeweils das pensionsfähige Diensteinkommen um die entsprechenden Prozentsätze zu erhöhen ist und die Versorgungsbezüge danach neu zu berechnen sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hält den Eingriff in die Regelung über die Steigerungsraten des Rentenanspruchs für rechtswirksam. Hierfür bestünden sachlich proportionale Gründe. Sie lägen in der Anpassung der betrieblichen Altersversorgung an das Rentenreformgesetz und in der Beseitigung von Überversorgungen. Die Beklagte habe langfristige Spareffekte erreichen müssen, weil sich entsprechend der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung die Alterspyramide ungünstig entwickelt habe. Die Absicht, Spareffekte durch Eingriffe in die Anwartschaftsrechte der Betriebsrentner zu erzielen, habe sich mit dem Betriebsrat nicht verwirklichen lassen. Weiter habe die Beklagte die Verwaltung der betrieblichen Versorgungsleistungen vereinfacht. Neuberechnungen müßten nun nicht mehr bei jeder Tariferhöhung und bei jeder Anpassung der gesetzlichen Rente, sondern nur noch einmal im Jahr vorgenommen werden.

Der Fall des Klägers sei kein Härtefall. Er habe mit einem Scheitern seines Arbeitsversuchs rechnen müssen und damit, daß die Anfang 1991 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung auch auf seinen Fall anzuwenden sei. Ihm sei auch nie davon abgeraten worden, einen Rentenantrag zu stellen.

Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision fordert der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe, daß die Beklagte zu verurteilen sei, an den Kläger rückständige Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 1.570,31 DM nebst Zinsen sowie ab dem 1. Dezember 1992 monatlich 3.451,86 DM zu zahlen. Bei der Berechnung seiner Forderung hat der Kläger berücksichtigt, daß sich sein Betriebsrentenanspruch nach der von ihm geforderten Berechnungsweise ab Juli 1992 auf 3.451,86 DM monatlich verringerte, weil zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Rente erhöht wurde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat den Betriebsrentenanspruch des Klägers zutreffend nach § 10 der Betriebsvereinbarung vom 4. Juni 1991 (BV 91) und nicht nach § 16 der Betriebsvereinbarung vom 1. Oktober 1962 (BV 62) angepaßt. Die Beklagte schuldet deshalb auch keine höhere als die von ihr tatsächlich ausgezahlte Betriebsrente.

I. Der Betriebsrentenanspruch des Klägers ist nach der jeweils geltenden Betriebsvereinbarung zu berechnen. Das war im Zeitpunkt seines Ausscheidens die BV 91.

1. Nach Nr. 5 seines Arbeitsvertrages richten sich die Ruhegeldzahlungen an den Kläger nach der jeweils bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung. Eine einzelvertragliche Zusage, daß sich sein Anspruch nach der BV 62 richtet, hat der Kläger nicht erhalten.

2. Als der Kläger zum 1. November 1991 aus dem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten ausschied, galt für ihn die BV 91, die am 4. Juni 1991 abgeschlossen worden war. Er war bei Abschluß der Betriebsvereinbarung Arbeitnehmer der Beklagten. Der Betriebsrat konnte mit Wirkung für ihn die Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1962 durch die neue Betriebsvereinbarung des Jahres 1991 ablösen. Es gilt die Zeitkollisionsregel (BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BAGE 65, 157 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung; Griebeling, Betriebliche Altersversorgung, Rz 857).

II. Die BV 91 ist rechtswirksam, soweit sie in § 10 anstelle der in § 16 der BV 62 vorgesehenen tarifentgeltbezogenen Dynamisierung des Rentenanspruchs eine Anpassung entsprechend der Entwicklung des Lebenshaltungskostenindexes vorsieht.

1. Spätere Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, unterliegen einer Rechtskontrolle. Die Betriebsparteien müssen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachten. Am Zweck der Neuregelung gemessen, müssen Eingriffe geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Die Änderungsgründe sind gegenüber den Bestandsschutzinteressen der betroffenen Arbeitnehmer abzuwägen. Je stärker in Besitzstände eingegriffen wird, desto schwerwiegender müssen die sachlichen Rechtfertigungsgründe für diesen Eingriff sein (BAGE 54, 261, 270 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 1 der Gründe; BAGE 65, 157, 160 f. = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung, zu 2a der Gründe).

2. Diesem Prüfungsmaßstab hält die Neuregelung in § 10 BV 91 stand.

a) Aus der hierfür maßgeblichen Sicht bei Abschluß der neuen Betriebsvereinbarung verschlechterte § 10 BV 91 gegenüber § 16 BV 62 das bei der Beklagten bestehende betriebliche Versorgungswerk.

Die ursprüngliche Regelung sah für jeden Fall einer Änderung des Tarifentgelts bei den aktiven Arbeitnehmern eine Neuberechnung der Betriebsrente vor. Daneben war bei jeder Veränderung der gesetzlichen Rente eine weitere Neuberechnung vorzunehmen. Dies führte in der Praxis dazu, daß die Betriebsrenten nach einer Tariflohnerhöhung überproportional anstiegen, weil die Sozialversicherungsrente zunächst konstant blieb. Erst wenn auch die Sozialversicherungsrente angehoben wurde, wurde die Betriebsrente wieder gekürzt.

§ 10 BV 91 verlangt demgegenüber nur eine Rentenneuberechnung am 1. Juli eines jeden Jahres. Zu diesem Stichtag erhöht sich die Betriebsrente im Umfang der Steigerung des Lebenshaltungskostenindexes, es sei denn, die Steigerungen bleiben unterhalb der Grenze von 3 %. In diesem Fall wird die Betriebsrente erst erhöht, wenn der Index um 3 % oder mehr gestiegen ist.

Beide Regelungen sind günstiger als die gesetzliche Anpassungsregel des § 16 BetrAVG: Auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beklagten, die Anpassungslast zu tragen, kommt es nach beiden Regelungen nicht an. Im übrigen verschlechterte § 10 BV 91 das Versorgungswerk der Beklagten. In den Jahren vor 1991 stiegen die Tarifentgelte stets stärker als der Lebenshaltungskostenindex. Damit war aus der Sicht bei Abschluß der abändernden Betriebsvereinbarung zu erwarten, daß die Betriebsrenten in Zukunft in geringerem Umfang ansteigen würden, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

b) Der Senat hatte bisher nur Gelegenheit, die Eingriffsmaßstäbe der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes anhand von Neuregelungen zu konkretisieren, welche die Entwicklung einer Anwartschaft auf eine Betriebsrente betrafen.

Dabei hat der Senat drei Arten von Eingriffen unterschieden und ihnen je nach ihrer Intensität für ihre Wirksamkeit erforderliche Rechtfertigungsgründe zugeordnet: In den zum Zeitpunkt der Neuregelung erdienten und nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu errechnenden Teilbetrag kann nur ganz ausnahmsweise, bei zwingenden Gründen, eingegriffen werden. Solche Gründe liegen nur vor, wenn sich die Geschäftsgrundlage der ursprünglichen Versorgungsregelung wesentlich geändert hat oder gänzlich weggefallen ist. Will die Neuregelung die sog. erdiente Dynamik, also einen dienstzeitunabhängigen variablen Berechnungsfaktor wie das ruhegehaltsfähige Entgelt für die Arbeitnehmer nachteilig verändern, bedarf es eines triftigen Grundes; der Eingriff muß erforderlich sein, um eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens zu verhindern. Geht es nur um eine Neuregelung hinsichtlich der dienstzeitabhängigen künftigen Zuwächse, genügt zu deren Rechtfertigung bereits ein sachlicher, also willkürfreier, nachvollziehbarer und anerkennenswerter Grund; er kann auf eine wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Unternehmens oder auch eine Fehlentwicklung im betrieblichen Versorgungswerk zurückgehen (vgl. hierzu insgesamt BAGE 49, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BAGE 65, 157, 161 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung, zu 2a der Gründe; BAGE 66, 39, 43 f. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 1 der Gründe; BAGE 71, 372, 379 f. = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 2, 3 der Gründe).

c) Die Ablösung von § 16 BV 62 durch § 10 BV 91 kann keiner dieser Eingriffsarten zugeordnet werden.

§ 10 BV 91 greift weder in den erdienten Teilbetrag noch in eine erdiente Dynamik noch in dienstzeitabhängige künftige Zuwächse ein. Diese Eingriffe sind sämtlich dadurch gekennzeichnet, daß sich gegenüber demjenigen, was der Arbeitnehmer aufgrund der ihm ursprünglich erteilten Versorgungszusage erwarten durfte, eine Versorgungslücke ergibt. Stets wird der zunächst erreichbare Versorgungsgrad für den Arbeitnehmer verschlechtert. Die so entstehende Versorgungslücke kann je nach ihrem Umfang Anlaß für den Arbeitnehmer sein, in der verbleibenden Zeit bis zum Ende des aktiven Arbeitslebens zu versuchen, sie durch private Vorsorge auszugleichen. Soweit dies – wie bei Eingriffen in bereits erdiente Besitzstände regelmäßig – aufgrund der verstrichenen Zeit des Berufslebens nicht mehr oder nur noch mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, ist ein verstärkter Bestandsschutz geboten.

Grundsätzlich anders verhält es sich bei der Neuregelung der Rentendynamik in § 10 BV 91. Gegenüber der ursprünglichen Regelung in § 16 BV 62 ändert sich nichts an der Höhe der von einem Arbeitnehmer wie dem Kläger durch Betriebstreue erreichbaren Betriebsrente. Der aufgrund der ursprünglichen Versorgungszusage erreichbare Versorgungsgrad wird nicht verringert. Der erlangte Versorgungsanspruch erhöht sich auch nach der Neuregelung unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des beklagten Unternehmens entsprechend der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Damit bleibt auch nach der Neuregelung die Kaufkraft der Rente erhalten. Der Rentner nimmt nach der BV 91 nur nicht mehr an einer über den Erhalt der Kaufkraft hinausgehenden Steigerung der tariflichen Löhne und Gehälter der aktiven Arbeitnehmer teil. Deshalb wäre die Neuregelung in § 10 BV 91 für einen Arbeitnehmer, hätte er mit ihr gerechnet, vernünftigerweise auch nicht Anlaß für eine ausgleichende private Vorsorgemaßnahme gewesen.

d) Für die Feststellung, ob ein solcher Eingriff in die Rentendynamik rechtswirksam ist, muß deshalb auf die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zurückgegriffen werden. Danach genügt jedenfalls bei einem derart geringfügigen Eingriff, wie er durch die BV 91 vorgenommen wurde, ein sachlich nachvollziehbarer, Willkür ausschließender Grund.

e) Nach diesem Maßstab ist die Ablösung des § 16 BV 62 durch § 10 BV 91 rechtswirksam. Sie beruhte auf sachlich nachvollziehbaren Gründen.

Dabei kann dahinstehen, ob hierfür nicht schon der Umstand ausreicht, daß mit der Neuregelung der wenig sinnvolle Verwaltungs- und Abwicklungsaufwand, der mit § 16 BV 62 verbunden war, wesentlich verringert wurde. Die bisherige Regelung führte jedenfalls zu einer überproportionalen Beteiligung der Betriebsrentner am Unternehmenserfolg nach ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb. Die Tarifgehälter stiegen stärker als die gesetzlichen Renten. Außerdem verfügten die Rentner wegen ihrer günstigeren abgabenrechtlichen Situation auch noch über einen höheren Nettoanteil an den Lohnerhöhungen als die aktiven Arbeitnehmer. Damit führte § 16 BV 62 verstärkt zu einer planwidrigen Überversorgung und im Verhältnis zwischen den aktiven Arbeitnehmern und den Betriebsrentnern eines Unternehmens zu einer tendenziell unausgewogenen Ordnung. In diese absehbare Entwicklung konnten die Betriebsparteien eingreifen und die Anpassung auf eine Erhaltung der Kaufkraft beschränken.

III. Die Betriebspartner waren – entgegen der Auffassung des Klägers – an der Neuregelung nicht aufgrund ihres früheren Verhaltens gehindert. Aus dem Umstand, daß die Betriebsparteien längere Zeit nicht in bereits entstandene Rechtspositionen oder Erwerbschancen eingegriffen haben, kann sich kein rechtlich geschütztes Vertrauen der Arbeitnehmer eines Betriebes darauf ergeben, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird. Für einen dahingehenden Bestandsschutz, der unter dem Gesichtspunkt vorangegangenen Tuns die Regelungsmacht der Betriebsparteien einschränken könnte, fehlt eine rechtliche Grundlage.

IV. Der Kläger wird durch die Änderung der Rentendynamik in § 10 BV 91 auch nicht unter den besonderen Umständen des Einzelfalls besonders hart und unverhältnismäßig getroffen. Eine konkrete Billigkeitskontrolle der Neuregelung kann deshalb auch nicht dazu führen, daß die ablösende Neuregelung auf die Rentenansprüche des Klägers nicht anzuwenden wäre.

1. Die Anwendung von § 10 BV 91 ist nicht allein deshalb unbillig, weil diese Neuregelung erst kurz vor der festgestellten Erwerbsunfähigkeit des Klägers und dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorgenommen wurde. Es ist schon fraglich, ob die Betroffenheit rentennaher Jahrgänge von einer verschlechternden Neuregelung bei nicht vorhersehbaren Versorgungsfällen wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen des Todes geeignet ist, den Anwendungsbereich der Neuregelung einzuschränken. Es ist auch zweifelhaft, ob dieser Gesichtspunkt neben der nach ständiger Rechtsprechung gebotenen abgestuften Bestandsschutzsicherung bei abändernden Betriebsvereinbarungen oder Richtlinien von Unterstützungskassen eine eigenständige Bedeutung haben kann. Jedenfalls ist ein Eingriff in die Aussicht auf Steigerung der Rentenansprüche über die Kaufkrafterhaltung hinaus keine besondere Härte für rentennahe Arbeitnehmer. Auch diese Arbeitnehmer erhalten ihr erdientes Ruhegeld nicht nur nominal, sondern stets auch real. Eine Versorgungslücke entsteht aufgrund der Neuregelung nicht.

2. Auch der Umstand, daß der Kläger trotz seiner schweren Erkrankung im Arbeitsverhältnis geblieben ist und so zum Zeitpunkt der abändernden Betriebsvereinbarung noch dem Betrieb angehörte, rechtfertigt keine Härteregelung zugunsten des Klägers. Der Kläger unternahm einen Arbeitsversuch, als über Änderungen der Pensionsregelung verhandelt wurde. Ein schützenswertes Vertrauen darauf, es werde in diesem Zusammenhang nicht zu einer Beeinträchtigung seines Anspruchs kommen, konnte er nicht haben. Die Beklagte hat den Kläger auch weder zu dem von ihm unternommenen Arbeitsversuch veranlaßt noch davon abgehalten, bereits vor der Änderung der Betriebsvereinbarung den Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit zu stellen. Der Kläger hat auch nach seinem eigenen Vortrag mit keinem Mitarbeiter der Beklagten, der für solche Fragen zuständig war, hierüber gesprochen. Daß er möglicherweise von seinem direkten Vorgesetzten gehört hat, er solle mit dem Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit noch warten, kann der Beklagten nicht zugerechnet werden. Einen solchen Hinweis mußte der Kläger als privaten Rat ansehen.

Das Landesarbeitsgericht hat es auch zu Recht abgelehnt, allein daraus eine besondere Härte für den Kläger herzuleiten, daß er schon vor Inkrafttreten der ablösenden Betriebsvereinbarung die Voraussetzungen für einen vorzeitigen Ruhestand wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt gehabt und einen entsprechenden Antrag nur deshalb nicht gestellt habe, weil er der Beklagten seine Arbeitsleistung habe zur Verfügung stellen wollen. Nach der BVerdientes91 kommt es für den Anspruch auf Betriebsrente wegen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit gerade nicht darauf an, wann die Erwerbsunfähigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern darauf, wann sie durch die hierfür zuständige Behörde festgestellt wurde. Eine solche Regelung kann nicht auf dem Weg über eine konkrete Billigkeitskontrolle korrigiert werden (BAG Urteil vom 28. März 1995 – 3 AZR 343/94 – AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu II 4a der Gründe, m.w.N.).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Weinmann, Martschin

 

Fundstellen

Haufe-Index 884815

BAGE, 293

NWB 1997, 587

NZA 1997, 533

SAE 1998, 119

ZIP 1997, 428

AP, 0

MDR 1997, 372

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge