Leitsatz (amtlich)

1. Eine schriftliche Kündigung ist nach § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt und ihm dadurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafftest. Es kommt dann nicht darauf an, wann der Empfänger von dem Kündigungsschreiben tatsächlich Kenntnis genommen hat oder ob er daran aus besonderen Gründen zunächst gehindert war.

2. Ein Vermieter ist nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen, Briefsendungen für seinen Mieter entgegenzunehmen.

3. Auch ein Einschreibebrief ist dem Empfänger schon dann zugegangen, wenn seinem Vermieter kein Benachrichtigungszettel, sondern der Brief selbst ausgehändigt wird.

 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.08.1974; Aktenzeichen 8 Sa 81/74)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden – Württemberg vom 28. August 1974 – 8 Sa 81/74 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war als Leiter der Buchhaltung seit Oktober 1972 bei der Beklagten gegen ein Monatsgehalt von zuletzt 2.700,– DM brutto tätig. Mit Einschreibebrief vom 17. November 1973 hat die Beklagte dem Kläger zum 31. Dezember 1973 deswegen gekündigt, weil sie sich entschlossen hatte, ab Januar 1974 die Buchhaltung durch ein von ihr beauftragtes Steuerbüro erledigen zu lassen. Der eingeschriebene Brief wurde dem Vermieter des Klägers am 19. November 1973 gegen eine Empfangsbestätigung vom Postboten ausgehändigt. Der Vermieter legte das Einschreiben auf einen Schrank, der vor dem vom Kläger bewohnten Zimmer stand. Wie die Beklagte wußte, war der Kläger seinerzeit seit etwa zwei Wochen bettlägerig erkrankt.

Der Kläger hat Klage auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht zum 31. Dezember 1973 aufgelöst worden sei. Er hat vorgetragen, die Kündigung zum 31. Dezember 1973 sei nicht fristgerecht erfolgt, weil er den Einschreibebrief wegen seiner Erkrankung erst am 20. November 1973 habe in Empfang nehmen können. Die deswegen erst zum 31. März 1974 mögliche Kündigung sei nicht wirksam, weil sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Urteilstenor zwar der Klage voll stattgegeben, in den Entscheidungsgründen aber ausgeführt, durch die Kündigung sei das Arbeitsverhältnis zwar noch nicht zum 31. Dezember 1973, wohl aber zum 31. März 1974. beendet worden, weil sie nicht sozialwidrig sei.

Auf die allein von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Kündigung sei dem Kläger am 19. November 1973 mit der Aushändigung des Einschreibebriefes an den Vermieter zugegangen. Nach seiner Überzeugung müsse zudem davon ausgegangen werden, daß der Kläger trotz seiner Krankheit durchaus in der Lage gewesen wäre, von dem Einschreibebrief bereits am 19. November 1973 Kenntnis zu nehmen, Deswegen sei die Kündigungsfrist für die sozial gerechtfertigte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 1973 gewahrt.

Mit der Revision begehrt der Kläger nur noch die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten erst zum 31. März 1974 aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Nachdem der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts keine Anschlußberufung eingelegt und auch mit der Revision seinen Feststellungsantrag eingeschränkt hat, wie sich aus der Revisionsbegründung und einer Stellungnahme seines Prozeßbevollmächtigten ergibt, ist nicht erneut zu prüfen, ob die vom Kläger angegriffene ordentliche Kündigung der Beklagten sozial gerechtfertigt ist. Davon ist vielmehr in der Revisionsinstanz auszugehen und zu entscheiden ist nur noch, ob durch diese Kündigung das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 1973 oder erst zum 31. März 1974 geendet hat.

2. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 17. November 1973 ausgesprochene Kündigung zum 31. Dezember 1973 die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB eingehalten worden ist, weil die Kündigung dem Kläger bereits am 19-November 1973 zugegangen ist.

a) Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist dann zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt ist und es dadurch dem Empfänger ermöglicht wird, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, NJW 1965, 965 [966] und BGB-RGRK, 11. Aufl., § 130 Anm. 12). Wenn diese Möglichkeit für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Krankheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert war (vgl. RGZ 60, 334 [336]; BGH, a.a.O. und VersR 1971, 262; Staudinger-Coing, BGB, 11. Aufl., § 130 Anm. 4 c mit weiteren Nachweisen). Dabei genügt es, wenn ein Brief an eine Person ausgehändigt wird, die nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen ist, den Empfänger in der Empfangnahme zu vertreten (vgl. Staudinger-Coing, a.a.O. und Lehmann, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 14. Aufl., S. 216). Es ist nicht erforderlich, daß dem Dritten, der die schriftliche Willenserklärung für den Empfänger entgegennimmt, eine besondere Vollmacht oder Ermächtigung erteilt worden ist. Da auf die Verkehrssitte abzustellen ist, brauchen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht die Grundsätze über die sogenannte Duldungsvollmacht herangezogen zu werden.

Zu den empfangsberechtigten Vertretern gehören nach der Verkehrsauffassung nicht nur die Familienangehörigen und die Hausangestellten des Empfängers, sondern insbesondere auch sein Zimmervermieter (vgl. RGZ 50, 191 [195] und BGB-RGRK, aaO). Das Reichsgericht ist in der genannten Entscheidung schon im Jahre 1902 von einer solchen Verkehrssitte ausgegangen, indem es ausgeführt hat, wenn ein Brief an die Wohnungswirtin des Empfängers übergeben worden sei, könne unbedenklich angenommen werden, daß sie zur Empfangnahme von Briefen für ihn befugt war.

b) Für Einschreibesendungen gilt dann nichts anderes, wenn – wie im Streitfall – dem Vermieter nicht nur ein Benachrichtigungszettel, sondern der Brief selbst ausgehändigt wird (vgl. RAG HER 1940 Nr. 1427; OLG Frankfurt, VersR 1951, 99; OLG Celle, NJW 1974, 1386; Soergel-Siebert-Hefermehl, BGB, 10. Aufl., § 130 Anm. 9 und Palandt-Heinrichs BGB, 34. Aufl., § 130 Anm. 2 a – aa). Diese Auffassung entspricht auch der Entscheidung des Senats vom 15. November 1962 – 2 AZR 301/62 – (BAG 13, 313 – AP Nr. 4 zu § 130 BGB). Wenn es in dem Leitsatz dieses Urteils heißt, ein Einschreibebrief sei dann zugegangen, wenn er dem Empfänger oder seinem Bevollmächtigten ausgehändigt werde, dann folgt hieraus nicht, daß es sich um einen Vertreter handeln muß, den der Empfänger rechtsgeschäftlich bevollmächtigt oder zu seinem Boten bestellt hat. Der Senat hatte damals keinen Anlaß, den Begriff des „Bevollmächtigten” näher zu beschreiben.

c) Da das Kündigungsschreiben vom 17. November 1973 danach schon mit der Aushändigung an den Vermieter in den Machtbereich des Klägers gelangt und ihm damit nach § 130 BGB zugegangen ist, kann es dahingestellt bleiben, ob die Ersatzzustellung an den Vermieter auch „postordnungsmäßig” erfolgt ist (vgl. dazu § 51 der Postordnung vom 16. Mai 1963 BGBl. I S. 341 und zu den Voraussetzungen der Ersatzzustellung weiter BVerwG, NJV 1962, 70), wie das Landesarbeitsgericht aufgrund einer Auskunft des zuständigen Postamtes angenommen hat (vgl. RAG a.a.O.). Ebenso wie die prozessuale Wirksamkeit von Zustellungen nicht durch postalische Gesetze oder Anweisungen geregelt werden kann (vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 182 ZPO), hängt der nach § 130 Abs. 1 BGB zu beurteilende Zeitpunkt des Zugangs einer schriftlichen Willenserklärung nicht davon ab, ob die Vorschriften der Postordnung beachtet worden sind.

d) Auch auf die vom Landesarbeitsgericht im Rahmen seiner Hilfsbegründung getroffene und von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffene Feststellung, der Kläger habe trotz seiner Erkrankung noch am 19. November 1973 den vor seinem Zimmer abgelegten Einschreibebrief an sich nehmen können, kommt es nach den vorstehenden Grundsätzen nicht mehr an. Aus diesem für den Senat bindend festgestellten Sachverhalt ließe sich zwar ebenfalls ein Zugang der Kündigung am 19. November 1973 herleiten. Auf die Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils braucht aber deswegen nicht zurückgegriffen zu werden, weil der Zugang der Kündigung am 19. November 1973 bereits zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich mit der Aushändigung an den Vermieter des Klägers, erfolgt ist.

3. Da die Feststellungsklage des Klägers auch in der nunmehr gestellten Fassung unbegründet ist, war seine Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

gez.: Hillebrecht, Roeper, Dr. Jobs, Thieß, Dr. Wiedemann

 

Fundstellen

DB 1976, 1018 (LT1-3)

NJW 1976, 1284

ARST 1976, 138 (LT1)

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