Leitsatz (amtlich)

  • Ein befristetes Probearbeitsverhältnis eines Handlungsgehilfen kann nur aus wichtigem Grunde fristlos gekündigt werden.
  • Sofern die Revision nach ihrem Vorbringen geltend macht, das Berufungsgericht habe eine ordnungsgemäße Ermittlung des Sachverhaltes als solchen nicht vorgenommen, ist eine Verletzung des § 286 ZPO gerügt.
  • Bei fristloser Entlassung ist das Nachschieben von Kündigungsgründen, die erst nach der Kündigung entstanden sind, nicht zulässig. Allerdings können nachträglich entstandene Kündigungsgründe insofern von Bedeutung sein, als sie das frühere Verhalten des Gekündigten in einem neuen Licht erscheinen lassen.
 

Normenkette

BGB §§ 620, 626; HGB §§ 66-67, 77 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 07.04.1954; Aktenzeichen Ber. Reg. Nr. 405/54 II)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der Kammer Ia des Landesarbeitsgerichts Bayern in München vom 7. April 1954 – Ber. Reg. Nr. 405/54 II – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Durch schriftlichen Vertrag vom 5. September 1953 wurde der Kläger am 1. Oktober 1953 mit 650.- DM Monatsgehalt als Verkaufskorrespondent bei der Beklagten eingestellt. Der Vertrag enthielt eine Bestimmung, daß die ersten drei Monate als Probezeit gelten sollten. Am 29. Oktober 1953 hatte der Kläger während der Mittagspause in der Kantine der Beklagten eine streitige Auseinandersetzung mit dem für die Beklagte tätigen freien Vertreter Greindl, die sich nicht auf Angelegenheiten des Unternehmens bezog, sondern einen politischen Hintergrund hatte. Diese Auseinandersetzung wurde durch den Angestellten Scholz derart beigelegt, daß der Kläger und Greindl nichts gegeneinander unternahmen. Sie hinterließ aber auf beiden Seiten eine starke Verstimmung. Am 17. November 1953 kam es zu neuem Streit, der diesmal dadurch entstand, daß Greindl sich in ein Telefongespräch des Klägers mit einem Kunden einschaltete. Der Kläger machte Greindl deswegen heftige, z.T. beleidigende Vorwürfe, die Greindl entsprechend erwiderte. Greindl beschwerte sich schriftlich bei der Betriebsleitung über den Kläger. Die Prokuristin Maltz, die zugleich die Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten ist, bestellte deswegen den Kläger am 24. November 1953 zu sich und machte ihm Vorhaltungen, wobei sie darauf hinwies, daß der Kläger nur auf Probe angestellt sei, während der Vertreter Greindl für die Beklagte eine besonders wertvolle Kraft darstelle; unter diesen Umständen sei eine Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht möglich. Der Kläger, der hieraus schloß, daß er mit einer festen Anstellung nicht rechnen könne, machte beim Verlassen des Zimmers eine Bemerkung etwa des Inhalts, es sei also doch richtig, was er erfahren habe, daß sich bei der beklagten Firma niemand halten könne. Auf diese Bemerkung forderte die Prokuristin ihn auf, das Werk sofort zu verlassen. Am 25. November 1953 teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, daß sein Arbeitsverhältnis wegen Störung des Betriebsfriedens mit sofortiger Wirkung gelöst sei.

Der Kläger hat auf Feststellung geklagt, daß das Dienstverhältnis durch die fristlose Entlassung nicht aufgelöst worden ist. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und die fristlose Entlassung des Klägers nunmehr auch darauf gestützt, daß der Kläger auf nochmalige Kündigung des Probedienstvertrages hin in einer Klageschrift vom 31. Dezember 1953 die unwahre und beleidigende Behauptung aufgestellt habe, die Beklagte arbeite in dem vorliegenden Prozeß mit einem unzutreffenden Arbeitsvertrag, indem sie das erste Blatt des Vertrages vom 5. September 1953 durch ein anderes Blatt mit anderen Bedingungen ersetzt haben solle.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung seines Urteils hat es ausgeführt, das unstreitig befristete Probedienstverhältnis zwischen den Parteien habe nur aus wichtigem Grunde vorzeitig gekündigt werden können. Ein solcher Grund könne jedoch nicht festgestellt werden. Der nachgeschobene Kündigungsgrund könne nur als neue Kündigung aufgefaßt werden und wirke nicht auf die ursprüngliche Kündigung zurück.

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sind in allen drei Punkten im Ergebnis nicht zu beanstanden.

I. Dem Kläger ist während der Dauer seiner Probezeit fristlos gekündigt worden. Was die Frage der Kündbarkeit von Probearbeitsverhältnissen anlangt, so ist von der Feststellung des Landesarbeitsgerichts auszugehen, daß die Parteien ein auf drei Monate, d.h. bis zum 31. Dezember 1953 befristetes Probedienstverhältnis vereinbart haben. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat gebunden. Die Beklagte hat auch diese Feststellung nicht angegriffen, und sie wird durch sie im übrigen nicht beschwert.

Mit Recht hat das angefochtene Urteil erkannt, daß das Probedienstverhältnis des Klägers fristlos nur aus wichtigen Grunde gekündigt werden konnte. Der gegenteiligen Ansicht der Revision, daß ein solcher Arbeitsvertrag auf Probe seiner Natur nach auch ohne wichtigen Grund jederzeit fristlos kündbar sei, kann nicht zugestimmt werden.

§ 620 BGB unterscheidet zwischen Dienstverhältnissen auf bestimmte Zeit (Abs. 1) und solchen auf unbestimmte Zeit (Abs. 2). Daraus, daß § 620 Abs. 2 nur bei der zuletzt genannten Art von der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gemäß §§ 621 bis 623 BGB spricht, ist zwar nicht zu folgern, daß bei einem befristeten Arbeitsvertrag eine ordentliche Kündigung, d.h. eine solche ohne wichtigen Grund, ausgeschlossen ist. Sie ist es weder begrifflich noch nach der Verkehrsanschauung. Denn es ist denkbar und unter Umständen sinnvoll, daß sich die Parteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auch bei einem befristeten Dienstverhältnis die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung aus nicht wichtigem Grunde offenhalten wollen. Doch sind dies Ausnahmefälle. Sie setzen auf jeden Fall voraus, daß die Parteien eine vorzeitige Kündbarkeit ihres auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsvertrages entweder ausdrücklich vereinbart haben oder daß ein dahingehender beiderseitiger Wille aus den Umständen eindeutig erkennbar ist.

Für den hier vorliegenden Fall eines befristeten Probedienstvertrages gilt grundsätzlich dasselbe. Zuzugeben ist nur, daß ein Probedienstvertrag nach seinem Wesen eine weniger feste Bindung darstellt als ein gewöhnlicher Dienstvertrag. Er ist infolgedessen auch leichter zu lösen (vgl. BAG 1, 137). Ob daraus folgt, daß ein Probedienstvertrag, auch wenn er für eine bestimmte Zeit geschlossen wurde, im Zweifel mit der gesetzlichen Kündigungsfrist oder gar mit der Mindestfrist, die die Parteien zulässigerweise hätten vereinbaren dürfen, lösbar ist, kann hier unerörtert bleiben. Denn nach § 66 HGB ist einem Handlungsgehilfen wie dem Kläger mit sechs Wochen Frist zum Schluß des Kalendervierteljahres zu kündigen. Nach § 67 HGB kann diese Frist durch Parteivereinbarung bis auf einen Monat abgekürzt werden, aber nur mit der Maßgabe, daß die Kündigung dann zum Schluß eines Kalendermonats wirkt. Der Kläger gehört nach der Höhe seines Gehalts von monatlich 650.- DM zweifellos zu dem Kreis der Handlungsgehilfen, auf die § 67 HGB anwendbar ist (§ 68 HGB i.V. mit § 2 der VO vom 23. Oktober 1923, RGBl I S. 990). Die Mindestkündigungsfrist von einem Monat soll verhüten, daß der Handlungsgehilfe mehr oder weniger unmittelbar vor einen Existenzverlust steht (vgl. Geßler-Hefermehl, HGB, 2. Aufl., § 67 Anm. 6; Staub, HGB, 12.–13. Aufl., § 67 Anm. 7; Würdinger, HGB 2. Aufl., § 67 Anm. 7). Da das Gesetz diesen Gedanken ganz allgemein zum Ausdruck bringt, gilt er auch bei befristeten Probeverträgen (Staub, HGB, 12.–13. Aufl., § 66 Anm. 4; Würdinger, HGB, 2. Aufl., § 66 Anm. 3; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl., S. 558). Die von der Beklagten am 25. November 1953 erklärte fristlose Entlassung des Klägers hätte infolgedessen als befristete Kündigung frühestens zum 31. Dezember 1953 wirken können. Das ist aber der Zeitpunkt, zu dem der Probedienstvertrag ohnehin geendet hätte. Auf die Möglichkeit seiner befristeten Kündigung kommt es daher in diesem Rechtsstreit nicht an.

Es bleibt somit nur die Frage, ob der befristete Probedienstvertrag eines Handlungsgehilfen seinem Wesen nach auch ohne wichtigen Grund jederzeit fristlos gekündigt werden kann. Sie ist mit dem angefochtenen Urteil zu verneinen. Die Parteien haben über die Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen. Insbesondere haben sie nicht vereinbart, daß der Vertrag jederzeit fristlos gelöst werden kann. Auch eine stillschweigende Vereinbarung kann entgegen der Ansicht der Revision aus den besonderen Umständen des Falles, insbesondere aus der Interessenlage, nicht hergeleitet werden. Mit Recht hat nämlich das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß überhaupt einer jeden solchen Vereinbarung bereits die erwähnten unabdingbaren Vorschriften des § 67 HGB entgegenstehen würden, die eben auch für Probedienstverträge gelten. Auch bei einem Probedienstvertrag, jedenfalls bei einem befristeten, ist eine sofortige Entlassung des Arbeitnehmers eine so einschneidende, ja sogar ihn kränkende und u.U. sein berufliches Fortkommen hindernde Maßnahme, daß sie nur beim Vorliegen eines wichtigen Grundes angebracht erscheint. Ein auf unbestimmte Zeit zur Probe eingegangenes Dienstverhältnis kann, da dem Dienstverpflichteten Gelegenheit gegeben werden soll, sich in der vereinbarten Zeit zu bewähren, seinem Wesen nach gerade nicht jeder Zeit ohne weiteres vom Dienstherren aufgelöst werden. Die gegenteilige Auffassung ist als überholt anzusehen. Sie wird von der herrschenden Meinung mit Recht abgelehnt (so schon Hueck-Nipperdey, Lehrbuch, 3.–5. Aufl., 1. Band S. 319; neuerdings auch RGR-Komm., Anm. 1 zu § 620 BGB, und Palandt, BGB, 14. Aufl., Anm. 4 zu § 620 im Gegensatz zu den früheren Auflagen; ferner Nikisch Arbeitsrecht, 2. Aufl., S. 558, 559; Walter, Arbeitsverhältnisse zur Probe und Aushilfe, 1955, S. 27–30). Daß § 77 Abs. 2 Satz 1 HGB bei Handlungslehrlingen während der Probezeit die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausdrücklich zuläßt, ist ein auf das Lehrverhältnis abgestellte und beschränkte Sondervorschrift. Sie gilt nicht für Handlungsgehilfen.

II. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, ob die Beklagte einen wichtigen Grund zur fristlosen Entlassung des Klägers hatte. Die Ausführungen, mit denen das angefochtene Urteil dies verneint, sind einer Nachprüfung im Revisionsverfahren nicht in jeder Hinsicht zugänglich. Der Senat kann im wesentlichen nur prüfen, ob etwaige Verfahrensrügen durchgreifen, ferner ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes im gegebenen Falle ohne Rechtsfehler angewandt hat, und schließlich, ob es bei seiner Erwägung, daß der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der Probezeit zugemutet werden konnte, alle wesentlichen Umstände des festgestellten Sachverhalts berücksichtigte (vgl. die zum Abdruck in der amtlichen Sammlung bestimmten Urteile des Senats vom 3. November 1955, 2 AZR 39/54 und 2 AZR 86/54).

In diesem Rahmen ist im einzelnen folgendes zu sagen:

a) Zu dem Streit des Klägers mit dem Zeugen Greindl am 29. Oktober 1953 während der Mittagspause meint das Landesarbeitsgericht, er könne in seinen Anfängen und in seinem ganzen Verlauf nicht mehr geklärt werden, da sich die in Betracht kommenden Zeugen nicht mehr erinnern könnten. Die Revision rügt, diese Feststellung sei nicht richtig, da das Landesarbeitsgericht dabei die den Kläger belastenden Aussagen der Zeugen Scholz, Steiner und Greindl nicht berücksichtigt habe. Weil mit jenem Vorbringen geltend gemacht wird, das Landesarbeitsgericht habe eine ordnungsgemäße Ermittlung des Sachverhaltes als solchen nicht vorgenommen, handelt es sich hier um eine Verfahrensrüge, nämlich um eine solche der Verletzung des § 286 ZPO, der zwar eine freie Beweiswürdigung gestattet, aber auch vorschreibt, daß sie erschöpfend sein muß. Diese in der Revisionsbegründung enthaltene und auch sonst den Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entsprechende Verfahrensrüge ist der Beklagten nicht etwa deshalb verwehrt, weil es zu Beginn der Revisionsbegründung heißt: “Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts”. Denn diesem Satz kann hier nach dem aus dem weiteren. Inhalt der Revisionsbegründung erkennbaren Willen der Beklagten nicht die Bedeutung beigemessen werden, daß dadurch jegliche Verfahrensrügen, insbesondere auch solche der Verletzung des § 286 ZPO, ausgeschlossen werden sollen. Die Rüge ist aber sachlich nicht begründet. Das angefochtene Urteil hat die Aussagen der genannten Zeugen nicht beiseite geschoben oder übergangen, wenn es sie auch nur summarisch gewürdigt hat. Der Zeuge Scholz hat nämlich auch ausgesagt, er habe Keine genaue Erinnerung, wie das Gespräch zwischen dem Kläger und Greindl zustandekam und was im einzelnen gesagt wurde. Der Zeuge Steiner hat u.a. bekundet, es sei ihm nicht mehr im einzelnen erinnerlich, was der Kläger zu Greindl gesagt habe. In ähnlicher Weise hat auch der Zeuge Greindl seine Aussage eingeschränkt. Danach kann nicht die Rede davon sein, daß das Landesarbeitsgericht die erwähnten Zeugenaussagen verkannt und übergangen hat. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die Verfahrensrüge Erfolg haben. Im übrigen sind die Beweiswürdigung im einzelnen und die tatsächlichen Feststellungen, die das Landesarbeitsgericht auf Grund der Zeugenaussagen getroffen hat, einer Nachprüfung im Revisionsverfahren entzogen. Eine tatsächliche Feststellung ist auch die Ansicht des angefochtenen Urteils, daß der Verlauf des Streits und besonders sein Beginn nicht mehr zu klären sei.

Ebenso sind es tatsächliche Feststellungen, wenn das angefochtene Urteil bei der Betrachtung des Streits vom 29. Oktober 1953 abschließend meint, er habe sich auf den Betriebsfrieden nicht besonders störend ausgewirkt, weil er alsbald abgebrochen worden sei, und weil Greindl als freier Vertreter nicht zur Belegschaft zählte, sondern offenbar nur hin und wieder in den Betrieb kam, wo er dem Kläger aus dem Wege gehen konnte. Damit will das Landesarbeitsgericht im Sinne der Beklagten anscheinend zugeben, daß an sich auch eine blosse Spannung zwischen zwei Betriebsangehörigen u.U. für den Arbeitgeber ein hinreichender Grund sein könne, den einen oder anderen fristlos zu entlassen, wenn dies aus betrieblichen Gründen unbedingt notwendig ist. Es verneint nur diese Notwendigkeit hier deswegen, weil eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens nicht erfolgt sei, also aus tatsächlichen Gründen, die einer Revisionsprüfung im wesentlichen unzugänglich sind. Wenn es in diesem Zusammenhang u.a. auch auf den Unterschied zwischen einem Angestellten und einem doch seltener in den Betrieb kommenden freien Vertreter hinweist, so ist dies eine sachgemäße Erwägung, die der allgemeinen Lebenserfahrung nicht widerspricht. Man kann zwar nicht sagen, daß eine Feindschaft eines Angestellten mit einem freien Vertreter die betrieblichen Interessen überhaupt nicht berühren könne. So weit wollte aber auch das angefochtene Urteil offenbar nicht gehen. Auf jeden Fall ist ein Verstoß gegen einen allgemein geltenden unbedingten Erfahrungssatz nicht zu erkennen.

b) In ähnlicher Weise frei von rechtlichen Bedenken ist auch die Beurteilung der Vorgänge am 17. November 1953, bei denen der Zeuge Greindl sich in ein geschäftliches Telefongespräch des Klägers eingeschaltet hat und beide sich dann mit z.T. beleidigenden Vorwürfen bedacht haben. Hier meint das Landesarbeitsgericht nach eingehender Beurteilung des beiderseitigen Verhaltens, es werde wohl so gewesen sein, daß im Verlauf der Auseinandersetzung, die mangels Zeugen – wenn man von der Aussage des beteiligten Greindl absehe – in ihren Einzelheiten nicht mehr festgestellt werden könne, beide Teile unbeherrscht gewesen und in gleicher Weise schuldig geworden seien. Hervorzuheben sei aber, daß im ganzen gesehen die Schuld Greindle größer sei, weil er den Streit durch seine unberechtigte Einmischung ausgelöst habe. Diese von der Revision angegriffenen Ausführungen lassen weder einen Verfahrensmangel noch einen Rechtsirrtum erkennen. Daß das Landesarbeitsgericht der Aussage des Zeugen Greindl keinen Beweiswert beigemessen hat, weil er an dem Streit mit dem Kläger beteiligt war, ist kein Verfahrensmangel, sondern ein Teil der freien Beweiswürdigung und insoweit mit der Revision nicht zu beanstanden.

c) Die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Prokuristin Maltz am 24. November 1953 hat das angefochtene Urteil im wesentlichen dahin gewürdigt, daß diese, anstatt die Vorkommnisse zunächst einmal ruhig und unvoreingenommen zu besprechen, von vornherein im Kläger den allein Schuldigen gesehen, ihm von Anfang an Vorhaltungen gemacht und ihm erklärt habe, daß das Arbeitsverhältnis mit ihm nicht fortgesetzt werden könne. Diese Betrachtung beruht auf unangreifbaren tatsächlichen Feststellungen. Sie verkennt auch nicht, wie die Revision anscheinend meint, daß die Prokuristin als Vorgesetzte des Klägers an sich berechtigt war, ihm wegen seiner Entgleisungen gegenüber Greindl in angemessener Form und zur rechten Zeit Vorhaltungen zu machen. Sie ist lediglich darauf abgestellt, daß das Vorgehen der Prokuristin einseitig war und deshalb den Kläger zu seiner unbedachten Äusserung (bei der Beklagten könne sich niemand halten) gereizt hat. Daß das Landesarbeitsgericht nicht zur weiteren Aufklärung des Vorfalls vom 29. November 1953 die Prokuristin selbst als Zeugin gehört hat, wäre nur dann ein Verfahrensmangel, wenn die Beklagte Frau Maltz als Zeugin benannt hätte. Dies ist jedoch nach dem Urteilstatbestand nicht geschehen. Die Beklagte hat auch in ihrer Revisionsbegründung einen solchen Verfahrensmangel nicht gerügt. Die erst bei der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge ist unbeachtlich.

d) Bei der abschließenden und zusammenfassenden Erwägung des Urteils, daß der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum 31. Dezember 1953 zugemutet werden könne, vermißt die Revision eine Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kläger vorerst nur auf Probe angestellt war und deshalb sein Arbeitsvertrag leichter zu lösen sei als ein sonstiger Vertrag. Diese Erwägung ist naheliegend und an sich beachtlich. Indessen wird sie hier zurückgedrängt durch die weitere Überlegung, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers ohnehin nur bis zum 31. Dezember 1953 befristet war, und daß es infolgedessen der Beklagten leicht zugemutet werden konnte, den Kläger trotz seiner Differenzen mit Greindl noch die wenigen Wochen bis dahin zu behalten. Wenn das angefochtene Urteil dieser Erwägung Raum gibt und jene andere nicht besonders hervorhebt, so bedeutet das nicht, daß es sie unberücksichtigt gelassen hat, und stellt jedenfalls nach Lage der Sache keinen wesentlichen Mangel der Zumutbarkeitserwägungen dar.

III. Schließlich beanstandet die Revision, daß das Landesarbeitsgericht den nachgeschobenen Kündigungsgrund nicht zugelassen hat. Es handelt sich dabei um einen Grund, der im Zeitpunkt der Erklärung der fristlosen Kündigung, d.h. am 25. November 1953, noch nicht gegeben war, sondern erst nachher, nämlich am 31. Dezember 1953, entstanden ist, also gerade in dem Zeitpunkt, in dem das befristete Probedienstverhältnis nach der Feststellung des angefochtenen Urteils ohnehin sein Ende gefunden hat. Denn die angebliche Beleidigung, auf die die Beklagte die Entlassung des Klägers nachträglich stützt, war erst in seiner Klageschrift vom 31. Dezember 1953 enthalten.

Würde man einen derart nachgeschobenen Kündigungsgrund zulassen, so würde das bedeuten, daß eine ursprünglich unbegründete fristlose Kündigung hinterher mit rückwirkender Kraft zu einer begründeten werden könnte. Gegen eine solche Auffassung erheben sich durchgreifende Bedenken. Sie ist nicht damit vereinbar, daß eine Kündigung unbedingt sein muß, insbesondere schafft sie Unklarheiten hinsichtlich der Wirkung der Kündigung und schließlich bringt sie den Kündigenden in Versuchung, zuerst leichtfertig ohne hinreichenden Grund fristlos zu kündigen und dann nachträgliche Kündigungsgründe zu provozieren. Deshalb wird das hier fragliche Nachschieben von Kündigungsgründen in Rechtsprechung und Schrifttum kaum noch für zulässig erachtet. In der neuen Rechtsprechung könnte, soweit ersichtlich, nur die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 26. Oktober 1949 (AP 50 Nr. 27 mit insoweit ablehnender Anm. von Hueck) eindeutig in diesem Sinne verstanden werden. Die herrschende Auffassung steht demgegenüber jetzt auf dem Standpunkt, daß Kündigungsgründe, die erst nach der Kündigung entstanden sind, nicht mit rückwirkender Kraft nachgeschoben werden dürfen, sondern nur eine neue Kündigung mit Wirkung “ex nune” rechtfertigen können (so u.a. bereits Hueck-Nipperdey, Lehrbuch 3.–5. Aufl., S. 327; ferner Nikisch, Arbeitsrecht 2. Aufl., S. 569, 607; Schnorr von Carolsfeld, Arbeitsrecht S. 393, 394; RGR Komm. 10. Aufl. Anm. 3b zu § 626; Soergel, BGB 8. Aufl. Anm. 2 zu § 626; Palandt BGB 11. Aufl. Anm. 2e zu § 626; Galperin in BB 48, 305 (308); Molitor in SJZ 1950 Sp. 399; Oehmann in BB 53, 628; Hueck in Anm. zu AP 50 Nr. 27). Dabei ist es für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung, ob und inwieweit das unzulässige Nachschieben eines neu entstandenen Kündigungsgrundes im anhängigen Prozeß ohne weiteres als neue Kündigung aufzufassen ist. Denn hier ist, wie bereits hervorgehoben, der neue Grund erst in einem Zeitpunkt entstanden und nachgeschoben worden, in dem das Arbeitsverhältnis ohnehin bereits beendet war.

Die früheren Meinungsverschiedenheiten in der Literatur, insbesondere auch gewisse Unklarheiten in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Reichsarbeitsgerichts, sind als überholt anzusehen. Sie beruhten im wesentlichen darauf, daß nicht scharf genug unterschieden wurde zwischen solchen Fällen, in denen der nachgeschobene Grund im Zeitpunkt der Kündigung zwar bereits gegeben, aber vom Arbeitgeber nicht herangezogen und vielleicht auch noch gar nicht erkannt worden ist, und dem hier vorliegenden Fall, in dem der Grund im Zeitpunkt der Kündigung noch gar nicht vorhanden war. Zum Teil beruhten sie anscheinend auch auf einem Mißverstehen der Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 32, 249, auf die in diesem Zusammenhang immer wieder hingewiesen worden ist (vgl. dazu Molitor, Die Kündigung, 2. Aufl., S. 258, insbesondere Anm. 29). Das angefochtene Urteil hat sich mit Recht im entscheidenden Punkte der überwiegenden Meinung angeschlossen, freilich ohne zu erkennen, daß sie bereits die herrschende geworden ist.

Mit dieser Auffassung steht es nicht in Widerspruch, daß nachträgliche Vorgänge insofern von Bedeutung sein können, als sie die früheren Vorgänge, die zu der Kündigung Anlaß gegeben haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen, d.h. ihnen ein größeres Gewicht als Kündigungsgrund verleihen. Dabei handelt es sich aber in Wirklichkeit nicht um einen neuen Kündigungsgrund, sondern nur um eine neue Würdigung der alten Gründe mit neu gewonnen Erkenntnissen. Ein solcher Fall ist z.B. dann gegeben, wenn der ursprüngliche Verdacht einer strafbaren Handlung des Arbeitnehmers sich nachträglich verstärkt oder gar zur Überführung verdichtet. Jedenfalls müssen zwischen den neuen Vorgängen, damit sie rückwirkend berücksichtigt werden können, und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, daß an jenen nicht vorbeigegangen werden kann, ohne daß ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen wird. Davon kann aber hier nicht die Rede sein, weil der Kläger bei seiner von der Beklagten beanstandeten Klageschrift vom 31. Dezember 1953 aus einer völlig neuen Sachlage heraus und in einer Verteidigungsstellung gehandelt hat, in die er von der Beklagten durch eine neue formelle Kündigung gedrängt worden ist. Unter diesen Umständen brauchte das angefochtene Urteil auf diesen Punkt nicht einzugehen.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Schilgen, Dr. Boldt, Walter Röglin, Schormann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1766826

BAGE, 245

JZ 1956, 292

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