Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten

 

Leitsatz (redaktionell)

Stimmt die Hauptfürsorgestelle der außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten zu, so kann der Arbeitgeber die Kündigung zumindest dann nach § 21 Abs 5 SchwbG 1986 erklären, wenn die Hauptfürsorgestelle ihm ihre Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 21 Abs 3 SchwbG 1986 mündlich oder fernmündlich bekanntgegeben hat.

 

Normenkette

SchwbG § 18 Fassung 1986-08-26, § 21 Fassung 1986-08-26

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 20.03.1990; Aktenzeichen 11 Sa 1291/89)

ArbG Köln (Entscheidung vom 11.10.1989; Aktenzeichen 7/10 Ca 3627/89)

 

Tatbestand

Der im Jahre 1928 geborenen Kläger, der schwerbehindert mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % ist, war gemäß Anstellungsvertrag vom 5. November 1959 bei der Beklagten, die Polstermöbel herstellt, zuletzt als Verkaufsrepräsentant im Außendienstgebiet 14 (Köln/Bonn) beschäftigt. Er bezog ein monatliches Fixum von 2.000,-- DM brutto und erzielte ein durchschnittliches Provisionseinkommen von 10.000,-- DM monatlich. Im Jahre 1987 betrug sein Provisionseinkommen 121.198,15 DM.

Bei der Beklagten, die etwa 1800 Arbeitnehmer beschäftigt, besteht ein Betriebsrat.

In der Zeit von Anfang Februar 1988 bis zum 31. Dezember 1988 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Nach seiner Genesung wollte ihn die Beklagte mit der Begründung, er sei gesundheitlich eingeschränkt und habe im Rahmen seiner Verkaufstätigkeit unzureichende Leistungen erbracht, als Polstermöbelfachberater weiterbeschäftigen. Der Kläger widersprach einer solchen Änderung seines Aufgabengebiets. Daraufhin stellte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle (Regierung von Oberbayern in München) mit Schreiben vom 3. März 1989 einen Antrag auf Zustimmung zu einer Änderungskündigung, über den bisher nicht entschieden ist.

Mit Schreiben vom 31. März 1989 wies die Beklagte den Kläger an, bis zur Entscheidung der Hauptfürsorgestelle als Polstermöbelfachberater im Umkreis von 300 km von seinem Wohnsitz (P ) tätig zu sein. Gegen diese unter Vorbehalt angenommene Anweisung erhob der Kläger Klage (Arbeitsgericht Köln - 17 Ca 2734/89 -).

Im Zusammenhang mit diesem Prozeß überprüfte die Beklagte die Reisetätigkeit des Klägers in der Vergangenheit, insbesondere seine Spesenabrechnungen für das Jahr 1987. Dabei will ihre Personalleitung am 18. April 1989 von Spesenmanipulationen des Klägers erfahren haben.

Mit Schreiben vom 19. April 1989, das bei der Hauptfürsorgestelle am 20. April 1989 einging, beantragte die Beklagte die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung wegen dringenden Verdachts des Spesenbetrugs. Am 5. Mai 1989 teilte die Hauptfürsorgestelle der Beklagten fernmündlich mit, daß der außerordentlichen Kündigung zugestimmt werde. Daraufhin kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 1989, das ihm am 9. Mai 1989 zuging, außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Zur Begründung gab sie an, die Überprüfung seiner Reisetätigkeit im Jahre 1987 habe Differenzen in den von ihm mitgeteilten Zeitangaben bezüglich der Spesenabrechnungen und der gefahrenen Kilometer ergeben, die den dringenden Verdacht des Spesenbetrugs nahelegten.

Am 23. Mai 1989 ging der Beklagten der schriftliche Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle vom 17. Mai 1989 zu.

In den Gründen wird darauf hingewiesen, daß die Hauptfürsorgestelle den Betriebsrat gehört sowie dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Ferner werden seine sachlichen Einwendungen gegen die beantragte Zustimmung wiedergegeben.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 16. Mai 1989 beantragte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger, die mit Bescheid vom 22. Juni 1989 erteilt wurde. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger ebenfalls Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 28. Juni 1989 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 1989 aus denselben Gründen, die sie zur außerordentlichen Kündigung veranlaßt hatten.

Mit der am 17. Mai 1989 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die fristlose Kündigung und mit der am 14. Juli 1989 eingegangenen Klageerweiterung vom 10. Juli 1989 auch gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten gewandt.

Er hat zur fristlosen Kündigung vorgetragen, sie sei schon aus mehreren formellen Gründen unwirksam. Die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle sei nicht bereits mit der telefonischen Mitteilung der Zustimmung, sondern erst mit der Zustellung des Zustimmungsbescheids wirksam geworden, so daß die Beklagte nach § 21 Abs. 5 SchwbG erst nach der Zustellung die Kündigung hätte aussprechen dürfen. Er sei ferner vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden, wie dies zur Wirksamkeit einer auf Verdacht gestützten Kündigung Voraussetzung sei. Er habe sich nur gegenüber der Hauptfürsorgestelle äußern können. Schließlich bestreite er, daß der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört, insbesondere von sämtlichen Kündigungsgründen unterrichtet worden sei, auf die die Kündigung nunmehr gestützt werde. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien aber auch sachlich unbegründet.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der

Parteien weder durch die mit Schreiben der

Beklagten vom 8. Mai 1989 erklärte fristlose

Kündigung noch durch die mit Schreiben der

Beklagten vom 28. Juni 1989 ausgesprochene

ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist,

sondern ungekündigt fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle sei bereits mit der telefonischen Mitteilung wirksam erteilt worden, so daß sie danach und vor Zustellung des Zustimmungsbescheids die Kündigung bereits habe aussprechen dürfen.

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sei von dem beabsichtigten Zustimmungsantrag unterrichtet, der Kläger zu den Vorwürfen befragt worden. Er habe außerdem gegenüber der Hauptfürsorgestelle Stellung nehmen können.

Den Betriebsrat habe sie vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört. Die fristlose Kündigung sei auch sachlich begründet. Der Kläger habe in seinen Spesenabrechnungen die Reisedauer weit überzogen, Arztbesuche in die Arbeitszeit einbezogen, gefahrene Kilometer immer um 10 bis 20 % höher als nach der Straßenkarte berechtigt angegeben, zweifelhafte Bewirtungskosten und für September/Oktober 1988, als er schon lange arbeitsunfähig krank gewesen sei, Telefonkosten erstattet verlangt. Hiervon habe die Personalleitung am 18. April 1989 erfahren.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst ist. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Nach der im angefochtenen Urteil (veröffentlicht in LAGE Nr. 1 zu § 21 SchwbG 1986) vertretenen Auffassung ist die fristlose Kündigung der Beklagten gemäß § 21 Abs. 1, § 15 Schwerbehindertengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421, ber. S. 1550, SchwbG 1986) unwirksam, weil die Beklagte die Kündigung vor Zustellung des Zustimmungsbescheids der Hauptfürsorgestelle ausgesprochen hat. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, mit der fernmündlichen Bekanntgabe der Zustimmung am 5. Mai 1989 habe die Hauptfürsorgestelle zwar ihre Entscheidung im Sinne des § 21 Abs. 3 SchwbG 1986 getroffen. Deshalb sei die Zustimmungsfiktion des Abs. 3 Satz 2 nicht eingetreten. Für den Ausschluß der Zustimmungsfiktion sei der Inhalt der mitgeteilten Entscheidung unerheblich. Stimme die Hauptfürsorgestelle der Kündigung jedoch zu, so könne der Arbeitgeber nicht, wie hier geschehen, gemäß § 21 Abs. 5 SchwbG bereits nach einer solchen formlosen Bekanntgabe der Entscheidung, sondern erst nach Zustellung des schriftlichen Zustimmungsbescheids die Kündigung erklären.

Dieser Würdigung ist der Senat nicht in allen Punkten gefolgt.

II. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gilt im vorliegenden Fall die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht bereits wegen Ablaufs der ihr in § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 eingeräumten zweiwöchigen Entscheidungsfrist gemäß Satz 2 dieser Vorschrift als erteilt. Die Zustimmungsfiktion ist nicht eingetreten, weil die Hauptfürsorgestelle ihre Entscheidung durch die fernmündliche Bekanntgabe an die Beklagte im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 "getroffen" hatte.

1. Diese Ansicht entspricht der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden und des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts zu der - von der Verlängerung der Entscheidungsfrist für die Hauptfürsorgestelle von zehn Tagen auf zwei Wochen abgesehen - inhaltsgleichen Vorschrift des § 18 Abs. 3 SchwbG a.F. (BAGE 34, 20 = AP Nr. 2 zu § 18 SchwbG; BAGE 35, 268 = AP Nr. 3 zu § 18 SchwbG). Der erkennende Senat hat in dem erstgenannten Urteil entschieden, die Hauptfürsorgestelle müsse ihre Entscheidung innerhalb der - damals geltenden - Zehn-Tage-Frist in irgendeiner Weise, zumindest mündlich oder fernmündlich, bekanntgeben, wenn sie den Zustimmungsantrag ablehnen wolle. Die in diesem Urteil offengelassene Frage, ob eine schriftliche Bekanntgabe oder die Zustellung der Entscheidung erforderlich ist, hat der Siebte Senat in dem Urteil BAGE 35, 268 verneint und jedenfalls die mündliche oder fernmündliche Bekanntgabe der Entscheidung für ausreichend erachtet. In seinem späteren Urteil BAGE 44, 22 (= AP Nr. 6 zu § 18 SchwbG) hat es der Siebte Senat darüber hinaus für ausreichend angesehen, daß die den Zustimmungsantrag ablehnende Entscheidung der Hauptfürsorgestelle innerhalb der Zehn-Tage-Frist den Machtbereich der Hauptfürsorgestelle - im dortigen Fall durch Aufgabe zur Post - verlassen hat.

2. Ob der letztgenannten Entscheidung zuzustimmen ist, kann dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall die Hauptfürsorgestelle ihre Entscheidung bereits fernmündlich vor Ausspruch der Kündigung bekanntgegeben hatte. Dem Siebten Senat ist zumindest insoweit zu folgen, als er angenommen hat, jedenfalls eine mündliche oder fernmündliche Bekanntgabe der Entscheidung reiche zum Ausschluß der Fiktionswirkung des § 18 (jetzt § 21) Abs. 3 Satz 2 SchwbG aus.

a) Sie entspricht auch der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. Braasch, SAE 1982, 63 ff.; Dörner, SchwbG, Stand 1. November 1990, § 21 Anm. III 3 d; KR-Etzel , 3. Aufl., § 21 SchwbG Rz 16, der weitergehend auch die Absendung des Bescheids an den Arbeitgeber genügen läßt, aber auch dessen alsbaldige Zustellung an ihn fordert; Gröninger/Thomas, SchwbG, Stand Januar 1989, § 21 Rz 10, der zusätzlich die - hier vorliegende - alsbaldige nachträgliche Zustellung des Bescheids der Hauptfürsorgestelle fordert; Gröninger, Anm. zu AP Nr. 3 zu § 18 SchwbG; Herschel, Anm. zu EzA § 18 SchwbG Nr. 4; Jung/Cramer, SchwbG, 3. Aufl., § 21 Rz 5, 6; Moll, NZA 1987, 550; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch , 6. Aufl., § 179 III 3, S. 1188; ebenso LAG Schleswig-Holstein , Urteil vom 22. Februar 1985 - 3 Sa 136/84 - NZA 1985, 534; anderer Meinung Wilrodt/Neumann, SchwbG, 7. Aufl., § 21 Rz 19, der Schriftform der Bekanntgabe fordert und insoweit Telegramm oder Fernschreiben, mündliche oder fernmündliche Bekanntgabe aber nur ausreichen läßt, wenn die schriftliche Entscheidung vorliegt und auf ihr die Eröffnung amtlich vermerkt wird).

b) Soweit der Siebte Senat in dem Urteil BAGE 35, 268 auf die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung abstellt, stimmen seine Ausführungen im wesentlichen mit den Erwägungen überein, die den erkennenden Senat in dem Urteil BAGE 34, 20 veranlaßt haben, für den Ausschluß der Zustimmungsfiktion des § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG a.F. zumindest die mündliche Bekanntgabe der Entscheidung zu fordern. Der erkennende Senat hat in diesem Urteil zusätzlich die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze zum Erlaß von Verwaltungsakten herangezogen (BAGE 34, 20, 27 = AP, aaO, zu II 2 d bb der Gründe, m.w.N.). Der Siebte Senat ist hierauf in dem vorbezeichneten Urteil nicht eingegangen, sondern hat die systematischen Unterschiede der gesetzlichen Regelung über die Zustimmung zur ordentlichen und außerordentlichen Kündigung in den Vordergrund gestellt. Das Schwerbehindertengesetz sehe im Gegensatz zur ordentlichen Kündigung bei der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich keine Zustellung der Entscheidung vor (BAGE 35, 268, 273 = AP, aaO). § 18 (jetzt § 21) Abs. 3 Satz 2 SchwbG sei als Spezialregelung für die außerordentliche Kündigung zu werten. Deshalb könne nicht angenommen werden, daß aufgrund der allgemeinen Verweisungsregelung des § 18 (jetzt § 21) Abs. 1 SchwbG entsprechend § 15 (jetzt § 18) Abs. 2 SchwbG eine Zustellung der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle vor Ablauf der Entscheidungsfrist von zehn Tagen (jetzt zwei Wochen) zu fordern sei.Die allgemeine Verweisungsregelung greife nämlich nur ein, "soweit sich aus den folgenden Bestimmungen (des § 18, jetzt § 21) nichts Abweichendes ergibt".

In seiner späteren Entscheidung BAGE 44, 22 (zu II 3 a der Gründe) hat der Siebte Senat die verwaltungsrechtlichen Aspekte im vorliegenden Zusammenhang für unerheblich angesehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Ansicht zu folgen ist. Denn die übereinstimmende Wertung der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der gesetzlichen Regelung sowie die auch nach der Ansicht des erkennenden Senats zutreffende Wertung der Gesetzessystematik tragen die von beiden Senaten zum Ausschluß der Fiktionswirkung des § 18 (jetzt § 21) Abs. 3 Satz 2 SchwbG vertretene Auslegung.

c) Soweit es den Ausschluß der Zustimmungsfiktion betrifft, gelten die vorstehend dargelegten Grundsätze auch für den - hier vorliegenden - Fall, daß die Hauptfürsorgestelle nicht untätig bleibt, sondern der Kündigung zustimmt. § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 schreibt vor, daß die Hauptfürsorgestelle ihre Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist "zu treffen" hat, ohne den Inhalt dieser Entscheidung anzusprechen. Damit umfaßt sie auch die dem Zustimmungsantrag stattgebende Entscheidung. Die in den vorstehend angeführten, sämtlich zu fehlenden bzw. ablehnenden Entscheidungen der Hauptfürsorgestelle ergangenen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts angestellten Erwägungen treffen auch für den Fall einer zustimmenden Entscheidung zu.

III. Stimmt die Hauptfürsorgestelle innerhalb der nunmehr zwei Wochen betragenden Frist des § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 der Kündigung zu, so kann der Arbeitgeber gemäß § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 die Kündigung erklären, wenn diese Entscheidung im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 "getroffen" ist, und somit zumindest dann, wenn die Hauptfürsorgestelle ihm ihre Entscheidung mündlich oder fernmündlich bekanntgegeben hat. Einer vorherigen Zustellung dieser Entscheidung bedarf es nicht.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat zu dieser Frage bisher noch nicht Stellung genommen. Im Schrifttum ist sie, soweit ausdrücklich behandelt, umstritten (für die Zulässigkeit der Kündigung vor Zustellung des Zustimmungsbescheids: Dörner, aaO, § 21 Anm. III 3 d am Ende; Rüthers/Heilmann in ihrer Anmerkung zu dem angefochtenen Urteil LAGE Nr. 1 zu § 21 SchwbG 1986; Schaub, aaO, § 179 III 4, S. 1188; wohl auch Wilrodt/Neumann, aaO, § 21 Rz 19; ebenso LAG Schleswig-Holstein , NZA 1985, 534; für die Zulässigkeit der Kündigung erst nach Zustellung des Zustimmungsbescheids: KR-Etzel , aaO, § 21 SchwbG Rz 29, 30 a; Gröninger/Thomas, aaO, § 21 Rz 17; Jung/Cramer, aaO, § 21 Rz 5, 6; Wiegand, SchwbG, Stand September 1990, § 21 Rz 29; ebenso ArbG Oldenburg, Urteil vom 12. Juli 1979 - 1 Ca 527/79 - EzA § 18 SchwbG Nr. 2).

2. Der erkennende Senat hat sich für die von ihm vertretene Ansicht von folgenden Erwägungen leiten lassen:

a) Wie der Siebte Senat in dem Urteil BAGE 35, 268 hervorgehoben hat, stellt § 18 (jetzt § 21) Abs. 3 SchwbG für den Fall der außerordentlichen Kündigung eine Sonderregelung gegenüber den Vorschriften für die ordentliche Kündigung dar. Nach Satz 1 hat die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung innerhalb der nunmehr mit zwei Wochen bemessenen Frist "zu treffen", und nach Satz 2 wird die Zustimmung fingiert, sofern innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht "getroffen" ist. Dabei knüpft das Gesetz an den behördeninternen Vorgang, das "Treffen" der Entscheidung an. Das setzt zumindest die mündliche oder fernmündliche Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitgeber voraus. Zwar verweist § 21 Abs. 1 SchwbG 1986 auf die für die ordentliche Kündigung geltenden Vorschriften der §§ 15 ff. und damit auch auf § 18 Abs. 2 SchwbG 1986, der die Zustellung der Entscheidung vorschreibt. Jedoch gilt die Verweisung nur, soweit sich aus den folgenden Bestimmungen (§ 21 Abs. 2 bis 6 SchwbG 1986) "nichts Abweichendes" ergibt. Da auch § 18 Abs. 1 und 2 SchwbG 1986 zwischen "Treffen" und Zustellung der Entscheidung unterscheidet, § 21 Abs. 3 SchwbG 1986 jedoch nur auf das "Treffen" der Entscheidung abstellt, enthält diese Vorschrift zur Frage, wann die Zustimmungsfiktion eintritt, etwas "Abweichendes" im Sinne der Verweisungsregelung des § 21 Abs. 1 SchwbG 1986.

b) § 21 SchwbG 1986 enthält aber auch insoweit eine von § 18 abweichende Regelung, als es um die Frage der Zulässigkeit der Kündigung im Falle der zustimmenden Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nach Abs. 5 geht. Das ergibt der Gesamtzusammenhang der in Abs. 3 und 5 enthaltenen Regelung.

aa) Soweit § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG 1986 vorschreibt, daß die Entscheidung innerhalb der dort genannten Frist "zu treffen" ist, gilt dies, wie ausgeführt, für die ablehnende wie für die zustimmende Entscheidung der Hauptfürsorgestelle. § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 bestimmt, daß die - außerordentliche - Kündigung erfolgen kann, wenn sie unverzüglich nach "Erteilung der Zustimmung" erklärt wird. Unter "Erteilung der Zustimmung" sind beide in § 21 Abs. 3 SchwbG 1986 angesprochenen Arten der Erteilung, die tatsächliche und fingierte, zu verstehen. Ist aber auch die Zustimmung (bereits) dann erteilt, wenn sie im Sinne dieser Vorschrift "getroffen" ist, so liegt auch eine "Erteilung der Zustimmung" im Sinne des § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 vor, die die Kündigungssperre des § 15 SchwbG 1986 aufhebt und den Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung berechtigt.

bb) Insoweit ergibt sich aus § 21 SchwbG 1986 nicht nur für den Ausschluß der Zustimmungsfiktion in Abs. 3, sondern auch für die Zulässigkeit des Ausspruchs der Kündigung in Abs. 5 im Sinne des Abs. 1 etwas "Abweichendes" von den Bestimmungen über die ordentliche Kündigung. § 18 SchwbG 1986 unterscheidet in Abs. 1 bis 3 zwischen dem "Treffen" der Entscheidung und ihrer Verlautbarung in Form der Zustellung. Er enthält aber in Abs. 3 für den Fall der Erteilung der Zustimmung eine besondere Regelung, indem er vorschreibt, daß der Arbeitgeber in diesem Fall die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung erklären kann. Demgegenüber enthält § 21 SchwbG 1986, wie ausgeführt, keine besondere Regelung für die Verlautbarung der "zu treffenden" Entscheidung. Aus der Vorschrift des § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Danach ist "die Entscheidung" - und damit die positive wie die negative - zuzustellen. Diese Vorschrift besagt aber noch nichts darüber, wann der Arbeitgeber im Fall der positiven Entscheidung über seinen Antrag kündigen darf und muß. Dies ist vielmehr erst in § 21 Abs. 5 i. Verb. mit Abs. 3 SchwbG 1986 geregelt. Die Vorschrift des § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 gilt zwar nach § 21 Abs. 1 SchwbG 1986 auch für die außerordentliche Kündigung, da insoweit § 21 SchwbG 1986 hiervon nichts "Abweichendes" enthält. Wohl aber enthält § 21 SchwbG 1986 in Abs. 5 für die Frage der Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung nach Erteilung der Zustimmung eine von § 18 Abs. 3 SchwbG 1986 abweichende Regelung.

cc) Neben diesen systematischen Gesichtspunkten sprechen für die hier vertretene Ansicht auch Sinn und Zweck der Sonderregelung für die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung. § 21 SchwbG 1986 dient ersichtlich der Beschleunigung des Zustimmungsverfahrens im Interesse des Arbeitgebers. Der Hauptfürsorgestelle wird eine Ausschlußfrist zur Entscheidung eingeräumt. Für die zustimmende wie die ablehnende Entscheidung gelten besondere Vorschriften über ihre Wirksamkeit zur Fristwahrung und den damit verbundenen Ausschluß der Zustimmungsfiktion. Es würde aber dem Gesetzeszweck widersprechen, im Fall der positiven Entscheidung über den Antrag für die Zulässigkeit der Kündigung noch die Zustellung der Entscheidung an den Arbeitgeber zu fordern. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Entscheidung sei nach § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 vor der Zustellung noch nicht wirksam. Denn im Rahmen des § 21 SchwbG 1986 ist sie wirksam, wenn sie im Sinn des Abs. 3 "getroffen" ist, und nach Abs. 5 ist die Kündigung zulässig, wenn die Erteilung der Zustimmung nach Abs. 3 wirksam ist. Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich, die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung noch weiter bis zur Zustellung der Entscheidung hinauszuschieben. Die nach § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 erforderliche Zustellung an beide Beteiligte ist nur insoweit nicht entbehrlich, als davon die Bestandskraft des Bescheids durch Inlaufsetzen der Widerspruchsfrist abhängt.

IV. Die Anwendung der vorstehend dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß der Rechtsstreit zurückzuverweisen ist (§ 565 Abs. 1 ZPO).

1. Die Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung hängt zunächst davon ab, ob die Beklagte den Kläger vor der Kündigung angehört hat.

Die Beklagte hat eine Verdachtskündigung ausgesprochen. Wirksamkeitsvoraussetzung für eine solche Kündigung ist die vorherige Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber (BAGE 49, 39, 54 ff. = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972, zu C III 3 der Gründe). Ob die Beklagte dieser Verpflichtung nachgekommen ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

Die vom Senat geforderte Anhörung des Arbeitnehmers soll diesem die Möglichkeit geben, die Verdachtsgründe zu beseitigen bzw. zu entkräften, Entlastungstatsachen geltend zu machen und hierdurch den Arbeitgeber zu einer Überprüfung seines Kündigungsentschlusses zu veranlassen (BAG, aaO). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nach ihrem Vortrag nachgekommen. Sie hat vorgetragen (Bl. 34/35, 147 VorA), nachdem ihre Personalleiterin am 18. April 1989 von den (behaupteten) Manipulationen des Klägers erfahren habe, habe sie den Kläger sofort unterrichtet und hierzu befragt; er habe bisher jedoch alles abgestritten. Ferner habe sie die späteren Prozeßbevollmächtigten des Klägers von dem an die Hauptfürsorgestelle gerichteten Zustimmungsantrag vom 19. April 1989 unterrichtet. Nach dem zu den Akten gereichten Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 17. Mai 1989 hat der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigten auch gegenüber der Hauptfürsorgestelle zu den einzelnen Vorwürfen Stellung genommen.

Trifft dieser Vortrag der Beklagten zu, so war eine nochmalige Anhörung des Klägers nach Abschluß des Zustimmungsverfahrens nicht mehr erforderlich. Der Senat hat es abgelehnt, in Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung die Gegenüberstellung des Arbeitnehmers mit Gegenzeugen oder die Einschaltung der Staatsanwaltschaft zur Durchführung weiterer Ermittlungen als Wirksamkeitsvoraussetzung anzusehen (Urteile vom 26. Februar 1987 - 2 AZR 170/86 - und vom 28. September 1989 - 2 AZR 111/89 - nicht veröffentlicht). Es besteht aber auch keine Notwendigkeit, in Fällen der vorliegenden Art den Arbeitnehmer nach der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nochmals anzuhören, wenn er vorher vom Arbeitgeber angehört worden war, überdies im Zustimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hatte und diese auch wahrgenommen hat.

2. Sollte sich im erneuten Berufungsverfahren ergeben, daß der Kläger zu dem Verdacht gehört worden ist, hängt die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung weiter davon ab, ob die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört hat (§ 102 Abs. 1 BetrVG) und ob ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt (§ 626 Abs. 1 BGB). Auch die hierzu erforderlichen Feststellungen kann nur das Berufungsgericht treffen.

Hillebrecht Triebfürst Bitter

Dr. Engelmann Rupprecht

 

Fundstellen

DB 1991, 2675-2676 (LT1)

DStR 1991, 1091-1091 (S1)

BetrVG, (10) (LT1)

Stbg 1992, 143-143 (K)

NZA 1991, 553-555 (LT1)

RdA 1991, 253

RzK, IV 8c 16 (LT1)

ZAP, EN-Nr 592/91 (S)

AP § 21 SchwbG 1986 (LT1), Nr 6

AP, 0

AR-Blattei, ES 1440 Nr 103 (LT1)

AR-Blattei, Schwerbehinderte Entsch 103 (LT1)

EzA § 21 SchwbG 1986, Nr 3 (LT1)

br 1991, 138-140 (LT1)

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