Entscheidungsstichwort (Thema)

Wehrdienstzeit und Stufenlohn bei der Lufthansa

 

Orientierungssatz

Anrechnung von Wehrdienstzeit im Arbeitsverhältnis auf Stufenlohnerhöhung; Begriff der Beschäftigungszeit nach dem Vergütungstarifvertrag Nr 24 für das Bordpersonal der Lufthansa vom 16.5.1982.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 25.06.1985; Aktenzeichen 6 Sa 42/85)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 25.02.1985; Aktenzeichen 21 Ca 244/84)

 

Tatbestand

Der 26-jährige Kläger, der der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) als Mitglied angehört, steht seit 1. September 1977 in den Diensten der Beklagten. Er wurde von der Beklagten zunächst zum Flugtriebwerksmechaniker ausgebildet. Nach der Ausbildungszeit beschäftigte die Beklagte den Kläger ab 17. Januar 1981 gemäß einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 22. Januar 1981 weiter. In dem Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien, daß sich die Rechte und Pflichten des Klägers aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der Beklagten ergäben. Ferner vereinbarten die Parteien in dem Arbeitsvertrag für den Kläger eine Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 4 des Vergütungstarifvertrags. Ab 1. Juli 1981 richtete sich seine Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 5.

In der Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1983 leistete der Kläger Wehrdienst als Soldat auf Zeit mit einer auf nicht mehr als zwei Jahre festgesetzten Dienstzeit. Ab 1. Januar 1984 wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien fortgesetzt. Hierbei zahlte die Beklagte dem Kläger weiterhin Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 5. Wären für den Kläger je Beschäftigungsjahr für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis 30. Juni 1982 und vom 1. Juli 1982 bis 30. Juni 1983 je eine weitere Stufe in seiner Vergütungsgruppe zu berücksichtigen gewesen, hätte er für die Monate Januar bis April 1984 Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 7 beanspruchen können, die monatlich DM 154,-- höher war als die von der Beklagten gezahlte Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 5. Seit 1. Mai 1984 erhält der Kläger Vergütung nach VergGr. 7 Stufe 4.

Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, seine Wehrdienstzeit auf seine Beschäftigungszeit im Sinne des Vergütungstarifvertrags anzurechnen. Daher stehe ihm für die Zeit von Januar bis April 1984 Vergütung nach VergGr. 6 Stufe 7 zu. Aus seiner wehrdienstbedingten Abwesenheit aus dem Betrieb der Beklagten dürfe ihm in beruflicher und betrieblicher Hinsicht kein Nachteil entstehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM

770,-- brutto nebst 4 % Zinsen seit 17.

Mai 1984 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, daß nach den tariflichen Vorschriften nur die tatsächliche Beschäftigung gemäß der jeweiligen Vergütungsgruppe zu einer Erhöhung der Steigerungsstufen der Vergütungsgruppe führe. Auf die bloße Betriebszugehörigkeit zum Betrieb der Beklagten komme es insoweit nicht an. Deshalb könne auch der Kläger keine Anrechnung der Wehrdienstzeit auf die für die Steigerungsstufen der Vergütungsgruppe zu berücksichtigenden Beschäftigungszeiten verlangen. Dies ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen. Die Anrechnung von Wehrdienstzeiten sei allein nach § 6 Abs. 2 bis 4 ArbPlSchG zu beurteilen. Das Benachteiligungsverbot des § 6 Abs. 1 ArbPlSchG greife insoweit nicht ein.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision unter Beschränkung seines Klageantrags auf den Betrag von DM 616,-- brutto für die Zeit bis 30. April 1984 nebst Zinsen aus dem Nettobetrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, soweit der Kläger seine auf die Zeit von Januar bis April 1984 in der Revisionsinstanz beschränkte Klage noch weiterverfolgt. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Januar bis April 1984 die Differenzbeträge zwischen den Stufen 5 und 7 der VergGr. 6 des Vergütungstarifvertrags Nr. 24 für das Bordpersonal der Beklagten (VergTV) in der rechnerisch unstreitigen Höhe von DM 616,-- brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit 17. Mai 1984 zu zahlen. Denn der Kläger war im Klagezeitraum nach Stufe 7 der VergGr. 6 VergTV zu vergüten, weil er bei der Beklagten im 7. Beschäftigungsjahr stand.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) abgeschlossenen Tarifverträge mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Dazu gehören auch der Manteltarifvertrag Nr. 11 für das Bordpersonal der Beklagten vom 12. Mai 1981 (MTV) und der Vergütungstarifvertrag Nr. 24 für das Bordpersonal der Beklagten vom 16. Mai 1982 (VergTV).

Der Kläger erhielt im Klagezeitraum Vergütung nach VergGr. 6 des Vergütungstarifvertrags (VergTV). Nach welcher Stufe der VergGr. 6 VergTV die Arbeitnehmer zu vergüten sind, ist in § 2 VergTV wie folgt geregelt:

Grundvergütung

--------------

(1) Bei ihrer Einstellung erhalten die Mitar-

beiter eine Grundvergütung entsprechend

der Vergütungsgruppe gemäß Stufe 1 der

nachfolgenden Tabelle 1.

.....

(2) Die Grundvergütung steigt mit der Vollen-

dung jeden Beschäftigungsjahres um eine

Stufe auf die nächsthöhere Grundvergütung

gemäß Tabelle 1, höchstens jedoch bis zur

Grundvergütung der letzten Stufe der Ta-

belle 1. Das Beschäftigungsjahr gilt als

vollendet mit dem Beginn des Monats, in

den der festgesetzte Beginn der Beschäfti-

gung fällt.

.....

(3) Wird ein Mitarbeiter in die nächsthöhere

Vergütungsgruppe umgruppiert, so wird auf

die bisherige Grundvergütung der Steige-

rungsbetrag der höheren Vergütungsgruppe

aufgeschlagen. Stimmt der so errechnete

Betrag nicht mit einem Wert der Tabelle 1

in der neuen Vergütungsgruppe überein, so

wird er auf den nächsthöheren Tabellenwert

der neuen Vergütungsgruppe aufgerundet.

.....

Da der Kläger bei der Beklagten seit 1. September 1977 beschäftigt ist und nach § 2 Abs. 2 VergTV die Grundvergütung mit der Vollendung jeden Beschäftigungsjahres um eine Stufe steigt, hatte er im Klagezeitraum (1984) die Stufe 7 erreicht. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zwar während des Wehrdienstes des Klägers geruht (§ 16 a Abs. 1 in Verb. mit § 1 Abs. 1 ArbPlSchG). Dadurch ist die Beschäftigungszeit des Klägers bei der Beklagten aber nicht unterbrochen worden.

Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff des Beschäftigungsjahres im VergTV nicht definiert. Auch der Manteltarifvertrag enthält insoweit keine allgemeingültigen Begriffsbestimmungen. Lediglich für den Bereich der Kündigung und der Krankenbezüge sind in § 41 Abs. 4 und § 27 Abs. 4 MTV die Beschäftigungszeit bzw. Dienstzeit näher umschrieben. Deshalb ist für den Bereich des VergTV auf die allgemeine Bedeutung des Begriffs der Beschäftigungszeit zurückzugreifen. Danach ist unter Beschäftigungszeit bei einem Arbeitgeber die Zeit zu verstehen, während der das Arbeitsverhältnis rechtlich besteht (vgl. auch § 1 Abs. 1 KSchG, § 8 Abs. 1 BetrVG). Tatsächliche Unterbrechungen, etwa durch längere Krankheit oder Urlaub, bleiben insoweit unberücksichtigt. Wenn solche Zeiten ausnahmsweise auf die Beschäftigungszeit nicht angerechnet werden sollen, wird dies von den Tarifvertragsparteien besonders geregelt. Regeln Tarifvertragsparteien für einen bestimmten Bereich - hier: die Kündigung und die Krankheit - die Beschäftigungszeit besonders, bringen sie damit zum Ausdruck, daß es im übrigen bei der allgemeinen Bedeutung der Beschäftigungszeit bleiben soll. Wenn längere Unterbrechungen durch Krankheit die Beschäftigungszeit unberührt lassen - die Tarifvertragsparteien haben in § 27 Abs. 4 MTV insoweit sogar Regelungen für Krankheitszeiten bis zum Ende der 39. Woche getroffen -, kann für Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, z. B. während des Wehrdienstes - wie hier - oder während des Erziehungsurlaubs nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz nichts anderes gelten. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der tariflichen Regelung nicht entnommen werden, daß der Begriff des Beschäftigungsjahres Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht umfaßt. Da somit Beschäftigungsjahr mit dem rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses gleichzusetzen ist, war der Kläger ab 1. September 1983 in die Stufe 7 der VergGr. 6 VergTV eingruppiert.

Damit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger auch nach den Vorschriften des Arbeitsplatzschutzgesetzes die Anrechnung seiner Wehrdienstzeit auf Beschäftigungszeiten nach dem VergTV verlangen könnte. Auch alle Erwägungen der Parteien und der Vorinstanzen zu der Frage, ob § 2 Abs. 2 VergTV eine Beschäftigung in der jeweiligen Vergütungsgruppe voraussetzt, gehen insoweit fehl. Der Kläger war vor seiner Einberufung in den Wehrdienst in VergGr. 6 VergTV eingruppiert. Daran hat sich während seines Wehrdienstes nichts geändert. Denn sein Arbeitsverhältnis hat während des Wehrdienstes rechtlich fortbestanden. Damit war er auch während des Wehrdienstes nach VergGr. 6 VergTV beschäftigt.

Entgegen den von den Vorinstanzen und den Parteien angestellten Erwägungen sind die bisherigen Senatsentscheidungen zur Anrechnung von Wehrdienstzeiten auf Beschäftigungszeiten im Arbeitsverhältnis nicht einschlägig. Im Gegensatz zu den bisher vom Senat entschiedenen Fällen zu § 8 SVG (BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 -, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 28. September 1983 - 4 AZR 130/81 -, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität) und zu § 16 a ArbPlSchG in Verb. mit § 12 ArbPlSchG (BAG Urteil vom 23. Mai 1984 - 4 AZR 287/82 -, AP Nr. 1 zu § 16 a ArbPlSchG) geht es vorliegend nämlich nicht darum, ob ein Arbeitnehmer bei Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses nach Ableistung des Wehrdienstes die Anrechnung von Wehrdienstzeiten verlangen kann, sondern darum, ob eine während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses abgeleistete Wehrdienstzeit die Beschäftigungszeit unterbricht. Das war für die Zeit des Ruhens des Arbeitsverhältnisses zu verneinen.

Der Zinsanspruch des Klägers beruht auf § 288 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel

Dr. Börner H. Hamm

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439503

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