Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Berufung. Anforderungen an Berufungsbegründung. Zivilprozeßrecht

 

Orientierungssatz

  • Die Zulässigkeit der Berufung ist als Prozeßfortsetzungsvoraussetzung auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.
  • Die Berufungsbegründung muß auf den Streitfall zugeschnitten sein und im einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungsführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält.
 

Normenkette

ZPO a.F. § 519 Abs. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 10.05.2001; Aktenzeichen 14 Sa 2255/00)

ArbG Verden (Aller) (Urteil vom 28.11.2000; Aktenzeichen 2 Ca 669/00)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 10. Mai 2001 – 14 Sa 2255/00 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 28. November 2000 – 2 Ca 669/00 – als unzulässig verworfen wird.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger macht Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug geltend.

Er trat am 1. November 1997 als Mitarbeiter der Fahrzeugfertigung in die Dienste der Beklagten. Ziffer 15 des Arbeitsvertrages lautet wie folgt:

“Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten seit Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verwirkt. Die Ausschlussfrist beginnt nicht, bevor der Berechtigte Kenntnis von anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat. Dies gilt nicht, wenn er es vorsätzlich oder grob fahrlässig unterläßt, Kenntnis zu erlangen.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht binnen einer Frist von 2 Wochen hierzu, so verfällt der Anspruch, wenn er nicht binnen weiterer 2 Monate nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

Von diesen Verfallsfristen sind strafbare und unerlaubte Handlungen ausgenommen.”

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. November 1999. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Verden (– 1 Ca 1164/99 –). In diesem Verfahren stellte der anwaltlich vertretene Kläger mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1999 zusätzlich den Antrag, die Beklagte zur fortlaufenden Zahlung des nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Lohnes von monatlich 3.720,00 DM brutto, beginnend mit dem 1. Dezember 1999, fällig jeweils am Monatsende, zu verurteilen.

Die Beklagte begründete ihren Klageabweisungsantrag mit Schriftsatz vom 17. Januar 2000. Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2000 erweiterte der Kläger die Zahlungsklage auf 3.854,00 DM brutto monatlich.

Im Kammertermin vom 5. April 2000 nahm der Kläger den Zahlungsantrag zurück.

Anschließend wurde ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil verkündet, das rechtskräftig geworden ist.

Mit Schreiben vom 26. April 2000 an die Beklagte verweigerte der Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gem. § 12 KSchG, weil er am 15. März 2000 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen war. Zugleich übersandte er der Beklagten eine Bescheinigung des Arbeitsamtes über die Höhe des insgesamt gewährten Arbeitslosengeldes und bat um Abrechnung und Zahlung für die Zeit bis zum 15. März 2000.

Mit der am 5. Juni 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.489,00 DM brutto abzüglich auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangener Ansprüche für gezahltes Arbeitslosengeld iHv. 4.101,40 DM netto nebst 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag im wesentlichen damit begründet, der Kläger habe die zweite Stufe der vertraglich vereinbarten Ausschlußfrist nicht gewahrt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. November 2000 abgewiesen. Es hat mit ausführlicher Begründung unter eingehender Erörterung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angenommen, die einzelvertragliche Ausschlußfrist sei wirksam, der Kläger habe die erste Stufe der Ausschlußfrist mit der Kündigungsschutzklage gewahrt, die zweite Stufe jedoch deshalb versäumt, weil er seine Zahlungsklage zurückgenommen habe, was in entsprechender Anwendung von § 212 Abs. 1 BGB die Fristwahrung rückwirkend beseitige.

Gegen dieses ihm am 7. Dezember 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2000 (eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 29. Dezember 2000) Berufung eingelegt und sie zugleich wie folgt begründet:

“Der Kläger macht mit der Klage und der Berufung Verzugslohnansprüche geltend.

Die Klagabweisung wurde erstinstanzlich darauf gestützt, die Entgeldansprüche seien verfallen.

Dies ist soweit unzutreffend, als das die Ansprüche innerhalb der Verfallsfrist rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht wurden.

Entgegen der Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichtes gibt es keine Rechtsnorm, die die Wirkung der bereits erfolgten gerichtlichen Geltendmachung mit Klagrücknahme wieder entfallen ließe im Arbeitsrecht. So auch das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung zu 5 SA 624/90.”

Mit einem am gleichen Tage beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 27. Dezember 2000 wies der Kläger ohne weiteren Zusatz “ergänzend zur Begründung der Berufung” auf die dem Schriftsatz im Leitsatz beigefügte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. November 1991 (– 2 AZR 34/91 –) hin.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, weil die Berufung unzulässig war.

  • Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozeßvoraussetzung. Von ihr hängt das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung, mithin auch das Verfahren der Revisionsinstanz in seiner Rechtswirksamkeit ab. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH 4. November 1981 – IVb ZR 625/80 – NJW 1982, 1873; 24. Oktober 1988 – II ZR 68/88 – BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 Bezugnahme 2; BAG 28. Februar 2002 – 6 AZR 731/00 – nv.).
  • Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO aF muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Die Vorschrift soll gewährleisten, daß der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird, indem sie den Berufungsführer anhält, die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt und eine Beschränkung des Rechtsstoffs im Berufungsverfahren erreicht werden. Demnach muß die Berufungsbegründung jeweils auf den Streitfall zugeschnitten sein und im einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr. vgl. BGH 6. Mai 1999 – III ZR 265/98 – NJW 1999, 3126; 24. Juni 1999 – I ZR 164/97 – NJW 1999, 3269; 15. Juni 2000 – I ZR 231/97 – NJW 2001, 228). Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden (BAG 9. Oktober 1997 – 2 AZR 32/97 – nv.), doch muß die Berufungsschrift sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es diese bekämpfen will (BAG 28. Februar 2002 – 6 AZR 731/00 – nv.). Die bloße Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen reicht auch dann nicht aus, wenn der Streit nur eine einzelne Rechtsfrage betrifft (vgl. BGH 18. Februar 1981 – IVb ZB 505/81 – NJW 1981, 1620 mwN).
  • Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers in den Schriftsätzen vom 8. und 27. Dezember 2000 nicht gerecht. Das Arbeitsgericht hatte sich zur Begründung ua. auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 7. November 1991 (– 2 AZR 34/91 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 114 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 92) bezogen, mit der die Auffassung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (11. Juli 1990 – 5 AZR 609/89 – BAGE 65, 264) bestätigt wurde, daß bei einer tarifvertraglichen Klagefrist § 212 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden ist, nicht aber § 212 Abs. 2 Satz 1 BGB. Wenn die Berufungsbegründung demgegenüber lediglich ausführt, es gebe im Arbeitsrecht keine Norm, welche die Wirkung einer gerichtlichen Geltendmachung durch Klagerücknahme beseitige, so kann darin bestenfalls eine zusammenfassende Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens gesehen werden. Es ist anhand der Berufungsbegründung nicht erkennbar, daß der Kläger die Argumentation des Arbeitsgerichts überhaupt zur Kenntnis genommen hätte, geschweige denn, in welchen Punkten und mit welchen Argumenten er sie angreifen wollte. Die auf insgesamt drei Sätze beschränkte Berufungsbegründung läßt jedes auch nur ansatzweise argumentative Eingehen auf die Entscheidungsgründe des Urteils vermissen: Das Arbeitsgericht hatte nicht etwa allgemein ausgeführt, es gebe irgendeine arbeitsrechtliche, die Wirkung von Klagerücknahmen betreffende Norm, sondern es hatte die nach seiner Auffassung anzuwendende Norm benannt und den Grund ihrer Anwendung durch Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht erläutert. Indem der Kläger in der Berufungsbegründung demgegenüber auf eben die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (vom 7. November 1991 aaO; das vom Kläger irrtümlich angegebene Aktenzeichen 5 Sa 624/90 betrifft das mit dem Revisionsurteil bestätigte Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. Dezember 1990) hinweist, die das Arbeitsgericht zur Begründung der Klageabweisung herangezogen hatte, zeigte er, daß er weder den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils noch den der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch nur aufgenommen haben kann. Erst recht ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Berufungskläger die Rechtsauffassung des angefochtenen Urteils bekämpfen will, wenn er in der Berufungsbegründung ausschließlich und ausdrücklich diejenigen Rechtsauffassungen in Bezug nimmt, die seinem Begehren gerade entgegenstehen und auf die auch das angefochtene Urteil gestützt ist.
  • Die im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens vom Kläger eingereichten Schriftsätze vom 1. Februar 2001, 8. März 2001 und vom 9. Mai 2001 lassen zwar eine – vom Landesarbeitsgericht mehrfach angeregte – nähere Auseinandersetzung mit dem Streitstoff erkennen. Indes gingen sie nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht ein. Da der Kläger am 29. Dezember 2000 die Berufung eingelegt hatte, lief die Begründungsfrist am 29. Januar 2001 ab (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 1 Satz 2 ZPO aF).
  • Die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels muß der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO tragen.
 

Unterschriften

Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Engel, Fischer

 

Fundstellen

Haufe-Index 884641

DB 2003, 1068

DB 2003, 1124

ARST 2003, 213

NZA 2003, 576

AP, 0

EzA-SD 2003, 13

EzA

NJOZ 2003, 1300

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