Entscheidungsstichwort (Thema)

Erweiterung der Rechte des Personalrats

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Durch Tarifvertrag können die Mitbestimmungsrechte des Personalrats beim Bayerischen Rundfunk in bezug auf die Einstellung von Arbeitnehmern nicht erweitert werden (Art 3 PersVG BY).

2. Abschnitt 216 des Tarifvertrags für den Bayerischen Rundfunk vom 14. Mai 1957 verstößt gegen Art 3 PersVG BY und ist insoweit nichtig.

3. Die Einschränkung der Rechtssetzungsbefugnisse der Koalitionen durch Art 3 PersVG BY ist mit Art 9 Abs 3 GG vereinbar.

 

Normenkette

TVG § 1; PersVG BY Art. 3; GG Art. 9 Abs. 3; BPersVG § 97; TVG § 3 Abs. 1; ZPO § 62 Abs. 1; PersVG § 70 Abs. 1, § 71 Abs. 2, § 70 Abs. 2; PersVG BY Art. 75 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 31.10.1984; Aktenzeichen 9 Sa 143/84)

ArbG München (Entscheidung vom 24.01.1984; Aktenzeichen 15 Ca 5029/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Tarifbestimmung im Tarifvertrag für den Bayerischen Rundfunk (TV- BR), der am 14. Mai 1957 zwischen dem Bayerischen Rundfunk und den vier beklagten Gewerkschaften abgeschlossen wurde.

Abschnitt 216 dieses Tarifvertrags lautet - seit 1957 unverändert -:

"Der Personalrat kann die Zustimmung zur Ein-

stellung eines Arbeitnehmers - abgesehen von

den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten -

nur aus wichtigem Grunde verweigern; mangeln-

de fachliche Qualität gilt nicht als wichti-

ger Grund. Dagegen kann er die Zustimmung

auch verweigern, wenn für den zu besetzenden

Arbeitsplatz geeignete Arbeitnehmer des Baye-

rischen Rundfunks zur Verfügung stehen."

Dieser Abschnitt ist Teil der Regelung des Tarifvertrags über die Einstellung. In diesem Abschnitt finden sich Bestimmungen über die vorgeschriebene Schriftform des Arbeitsvertrags, Diskriminierungsverbote, die Beteiligung des Orchestervorstandes oder Chorvorstandes, die Regelung über Probespiel oder Probesingen. Die Abschnitte 213 und 215 enthalten ebenfalls Regelungen über die Beteiligung des Personalrats. Sie lauten:

"Dem Personalrat ist rechtzeitig vor einer Ein-

stellung Gelegenheit zur Stellungnahme zu ge-

ben (213).

Wenn die Einstellung eines Arbeitnehmers ohne

Zustimmung des Personalrats erfolgt, muß der

Bayerische Rundfunk den Arbeitnehmer davon in

Kenntnis setzen (215)."

Der Bayerische Rundfunk ist der Auffassung, Abschnitt 216 des Tarifvertrags verstoße gegen Art. 3 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes (BayPersVG vom 29. April 1974 - GVBl. S. 157 in der Fassung vom 24. Mai 1985 - GVBl. S. 120):

"Durch Tarifvertrag kann das Personalvertre-

tungsrecht nicht abweichend von diesem Gesetz

geregelt werden."

Der Bayerische Rundfunk hat beantragt

festzustellen, daß die Tarifziffer 216

des Tarifvertrags für den Bayerischen

Rundfunk vom 15. Mai 1957 in Satz 1

und 2 rechtsunwirksam ist.

Die Beklagten zu 1) und 3) haben in erster Instanz beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagten zu 2) und 4) haben keinen Antrag gestellt. Gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Sie hat die Auffassung vertreten, Art. 3 BayPersVG sei unwirksam, er verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tarifnorm selbst enthalte im übrigen nur eine Auswahlrichtlinie, die jedenfalls wirksam sei, oder begründe für den Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch, bei Eignung für einen zu besetzenden Arbeitsplatz einem externen Bewerber vorgezogen zu werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage des Bayerischen Rundfunks stattgegeben. Die Berufung der Beklagten zu 1) ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt diese beklagte Gewerkschaft ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Gewerkschaft (RFFU) ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage des Arbeitgebers zu Recht stattgegeben.

I. Am Rechtsstreit sind alle beklagten Gewerkschaften beteiligt. Sie sind notwendige Streitgenossen im Sinne von § 62 Abs. 1 ZPO. Das Rechtsverhältnis - Bestehen von Rechten aus dem Tarifvertrag - kann ihnen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden. Die beklagten Gewerkschaften haben einen Einheitstarifvertrag abgeschlossen. Das ist unstreitig. Entsteht in einem solchen Fall Streit über die Wirksamkeit einer Tarifnorm, sind die beteiligten vertragsschließenden Parteien - hier die Gewerkschaften - in einem Rechtsstreit notwendige Streitgenossen (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 78).

Bei notwendiger Streitgenossenschaft kann jeder Streitgenosse ein Rechtsmittel einlegen. Rechtsmittelführer ist der Streitgenosse, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Sein Rechtsmittel wirkt für alle Streitgenossen und bringt die Verfahren gegen die übrigen Streitgenossen in die Rechtsmittelinstanz (Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 62 Rz 40; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 44. Aufl., § 62 Anm. 4 D b; Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl., § 62 Anm. 11 b).

II. Die vom Bayerischen Rundfunk erhobene negative Feststellungsklage ist zulässig. Sie ist gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen des Personalrats oder der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. § 9 TVG sieht solche Klagen ausdrücklich vor. Nach dieser Bestimmung sind rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen, die in Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien über das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrags ergangen sind, in anderen Rechtsstreitigkeiten zwischen den tarifgebundenen Parteien sowie zwischen diesen und Dritten für die Gerichte und Schiedsgerichte bindend.

III. Abschnitt 216 des Tarifvertrags verstößt gegen Art. 3 BayPersVG und ist deshalb unwirksam.

1. Durch Abschnitt 216 des Tarifvertrags sollen die Rechte des Personalrats bei der Einstellung eines Arbeitnehmers erweitert werden.

Nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 BayPersVG hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einstellung oder Anstellung von Arbeitnehmern. Er kann die Zustimmung zur Einstellung jedoch nur verweigern, wenn

"a) die Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verord-

nung, eine Bestimmung in einem Tarifvertrag,

eine gerichtliche Entscheidung oder eine

Verwaltungsanordnung oder gegen eine Richt-

linie im Sinne des Art. 76 Abs. 2 Nr. 4 ver-

stößt oder

b) die durch Tatsachen begründete Besorgnis be-

steht, daß durch die Maßnahme der betroffene

Beschäftigte oder andere Beschäftigte be-

nachteiligt werden, ohne daß dies aus dienst-

lichen oder persönlichen Gründen gerechtfer-

tigt ist, oder

c) die durch Tatsachen begründete Besorgnis be-

steht, daß der Beschäftigte oder Bewerber

den Frieden der Dienststelle durch unsozia-

les oder gesetzwidriges Verhalten stören

werde."

Über diese kraft Gesetzes bestehenden Möglichkeiten hinaus soll Abschnitt 216 dem Personalrat das Recht geben, die Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers auch aus wichtigem Grunde verweigern zu dürfen (Satz 1). Er soll weiter berechtigt sein, die Zustimmung zu verweigern, wenn für den zu besetzenden Arbeitsplatz geeignete Arbeitnehmer des Bayerischen Rundfunks zur Verfügung stehen (Satz 2).

a) Für eine Auslegung, wonach durch diesen Abschnitt des Tarifvertrags Rechte des Personalrats erweitert werden sollen, sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der systematische Zusammenhang dieser Norm mit anderen tariflichen Bestimmungen.

Der Wortlaut des Tarifvertrags knüpft an die damals bekannten Regelungen über die Mitwirkung des Betriebsrats oder des Personalrats bei Einstellungen von Arbeitnehmern an. Nach § 62 des Bayer. Betriebsrätegesetzes vom 25. Oktober 1950 (BayBS IV, 586) konnte der Betriebsrat, der gegen eine geplante Einstellung Bedenken hatte, Einspruch einlegen. Nach § 70 Abs. 1 Buchst. b) des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 5. August 1955 (BGBl. I, 477) hatte der Personalrat bei der Einstellung von Angestellten und Arbeitern mitzuwirken. Er konnte Einwendungen gegen die geplante Einstellung nur auf die in § 71 Abs. 2 des Gesetzes aufgeführten Gründe stützen (§ 70 Abs. 2 des Gesetzes). Diese Gründe waren schon diejenigen, die das geltende BayPersVG jetzt ebenfalls nennt. Die Systematik des Bundespersonalvertretungsgesetzes, das allerdings nicht für die Länder galt, sondern insoweit nur Rahmenbestimmungen enthielt (Art. 73 Nr. 8 GG), entsprach derjenigen des heutigen § 75 BayPersVG.

Satz 1 und 2 des Abschnitts 216 TV-BR knüpfen an die schon im Jahre 1957 bekannte Systematik an. Der Wortlaut der tariflichen Bestimmung ist der Regelung des Bundespersonalvertretungsgesetzes 1955 nachgebildet. Die tarifliche Vorschrift gibt dem Personalrat über die bekannten gesetzlichen Gründe hinaus weitere Zustimmungsverweigerungsgründe. Die Rechte des Personalrats bei Einstellungen sollten dadurch erweitert werden.

Abschnitt 216 ist Teil der Regelung, die sich mit der Einstellung eines Arbeitnehmers befaßt. Dieser Abschnitt des Tarifvertrags enthält Inhalts-, Abschluß- und betriebsverfassungsrechtliche Normen (§ 1 Abs. 1 TVG). So ist in Abschnitt 213 eine betriebsverfassungsrechtliche Frage geregelt. Diese Bestimmung betrifft nur das Verhältnis von Arbeitgeber und Personalrat. Das zeigt, daß bei Abschluß des Tarifvertrags alle die eine Einstellung berührenden Rechtsfragen in einem Abschnitt geregelt werden sollten, unabhängig davon, welche Rechtsnatur die einzelnen Regelungen hatten. Die Bestimmungen des Tarifvertrags sind nur nach dem Regelungsgegenstand - "Einstellung" - geordnet. Es ist also nicht ungewöhnlich, in Abschnitt 216 eine betriebsverfassungsrechtliche Norm zu finden.

Bei Abschluß des Tarifvertrags im Jahre 1957 war noch unklar, ob Rechte des Personalrats durch Tarifvertrag erweitert werden durften. Die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten war bei Abschluß des Tarifvertrags in Bayern geregelt durch das Betriebsrätegesetz vom 25. Oktober 1950 (BayBS IV, 586). Dieses Gesetz enthielt kein ausdrückliches Verbot. Erst Art. 78 Abs. 1 BayPersVG 1958 (GVBl. S. 333) bestimmte - ebenso wie jetzt Art. 3 BayPersVG 1974 -, daß durch Tarifvertrag das Personalvertretungsrecht nicht abweichend vom Gesetz geregelt werden konnte.

Auch die beklagte Gewerkschaft muß einräumen, daß Abschnitt 216 TV-BR als eine die Rechte des Personalrats erweiternde Bestimmung verstanden werden kann. Gäbe es das Verbot des Art. 3 BayPersVG nicht, würde sich die Gewerkschaft sicher mit diesem Auslegungsergebnis zufrieden geben und nicht versuchen, der Tarifbestimmung einen anderen Inhalt zu geben. Zunächst muß jedoch der Inhalt der Tarifbestimmung ermittelt werden. Dann erst wird geprüft, ob sie mit dem festgestellten Inhalt mit gesetzlichen Bestimmungen vereinbar ist.

b) Entgegen der Auffassung der beklagten Gewerkschaft gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, in der Tarifbestimmung eine Auswahlrichtlinie zu sehen. Auch darin ist dem Berufungsgericht beizupflichten.

Auswahlrichtlinien sind Regeln, die der Arbeitgeber seinen personellen Entscheidungen bei Einstellungen, Versetzungen und Beförderungen zugrunde zu legen hat. Sie können Entscheidungskriterien festlegen und das Verfahren bei der personellen Maßnahme regeln (vgl. Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 76 Rz 129). Abschnitt 216 TV-BR enthält weder die Voraussetzungen für die Auswahl von Arbeitnehmern noch regelt diese Bestimmung das Verfahren. Das gilt für beide Regelungen dieses Abschnitts. Wenn der Personalrat die Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers aus wichtigem Grund verweigern darf, erhält der Arbeitgeber keine weiteren materiell-rechtlichen Kriterien für seine Personalentscheidung. Satz 2 enthält zwar ein Entscheidungskriterium. Die Bevorzugung betriebsangehöriger Arbeitnehmer bei gleicher Eignung kann ein Auswahlgesichtspunkt sein (vgl. Dietz/Richardi, BPersVG, § 76 Rz 137; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 95 Rz 8 a). Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht aber darauf hin, daß der Bayerische Rundfunk als Arbeitgeber nach Abschnitt 216 TV-BR gerade nicht verpflichtet ist, eine Einstellung betriebsfremder Arbeitnehmer zu unterlassen, wenn geeignete interne Bewerber zur Verfügung stehen. In diesem Fall kann nur der Personalrat die Zustimmung zu einer Einstellung verweigern. Das ist allenfalls eine indirekte Beeinflussung der Entscheidung des Arbeitgebers. Enthielte die tarifliche Bestimmung Auswahlrichtlinien, müßte der Arbeitgeber sie auch beachten, wenn es keinen Personalrat gäbe. Das zeigt, daß nur die Mitbestimmungsrechte des Personalrats erweitert werden sollten.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob Auswahlrichtlinien Gegenstand einer tarifvertraglichen Regelung sein können.

c) Aus dem gleichen Grund kann Abschnitt 216 des Tarifvertrags auch keine tarifliche Bestimmung sein, die den Inhalt der Arbeitsverhältnisse der beim klagenden Arbeitgeber beschäftigten tarifgebundenen Arbeitnehmer bestimmt (§ 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Der Abschnitt 216 TV-BR gewährt keinem beim Bayerischen Rundfunk beschäftigten Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, auf einen Arbeitsplatz versetzt zu werden, um den er sich beworben hatte. Aus der Sicht des bereits beschäftigten Arbeitnehmers handelt es sich um eine Versetzung. Geeignete Arbeitnehmer des Bayerischen Rundfunks sollen zwar bevorzugt werden, wenn ein freigewordener Arbeitsplatz besetzt werden soll. Doch wird in dieser Bestimmung nur das Verhältnis von internen und externen Bewerbern geregelt; die Bestimmung enthält keine Regelungen darüber, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Arbeitnehmer sich bewerben. Als Norm, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses regeln sollte, wäre Abschnitt 216 TV-BR höchst lückenhaft und nicht praktikabel. Im übrigen liegt die Entscheidung darüber, wer den Arbeitsplatz erhalten soll, nicht bei den betroffenen Arbeitnehmern, sondern, wie der Wortlaut ausweist, beim Personalrat.

2. Als Norm, die die Rechte des Personalrats gegenüber dem Arbeitgeber erweitern soll, ist Abschnitt 216 des Tarifvertrags unwirksam. Die tarifliche Regelung verstößt gegen Art. 3 BayPersVG. Nach dieser Bestimmung kann das Personalvertretungsrecht durch Tarifvertrag nicht abweichend geregelt werden.

Eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Personalrats ist eine vom bayerischen Personalvertretungsrecht abweichende tarifliche Regelung (vgl. BAG Urteil vom 20. März 1974 - 4 AZR 266/73 - AP Nr. 2 zu § 29 MTB II, zu III 3 der Gründe zur wortgleichen Vorschrift des § 78 Abs. 1 PersVG 1955; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 3 Rz 3; Ballerstedt/Schleicher/Faber, BayPersVG, Art. 3 Rz 6).

3. Art. 3 BayPersVG ist mit Bundesrecht vereinbar.

a) Nach § 97 BPersVG 1974, einer Rahmenvorschrift für die Landesgesetzgebung, darf durch Tarifvertrag oder Dienstvereinbarung keine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Regelung des Personalvertretungsrechts zugelassen werden. Genau das bestimmt Art. 3 BayPersVG. Auch § 1 TVG steht dieser landesrechtlichen Regelung nicht entgegen. Zwar kann nach § 1 TVG der Tarifvertrag betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen. Durch § 97 BPersVG ist diese allgemein eingeräumte Möglichkeit für den öffentlichen Dienst in den Ländern jedoch eingeschränkt worden. Als jüngeres und spezielleres Gesetz geht § 97 BPersVG dem § 1 TVG vor.

b) Entgegen der Auffassung der beklagten Gewerkschaft ist Art. 3 BayPersVG auch mit Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar. Nach dieser Bestimmung hat jedermann das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden.

Der Gesetzgeber hat bisher die Reichweite dieses Grundrechts der Koalitionsfreiheit nicht hinreichend bestimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gebildeten Vereinigungen (Koalitionen) ein Grundrecht auf Bestand und freie Betätigung (zusammenfassend Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 1979 - Mitbestimmungsurteil - BVerfGE 50, 290, 353 ff. mit weiteren Nachweisen aus der früheren Rechtsprechung des Gerichts; BVerfGE 57, 220 - Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen -; in ähnlicher Weise zusammenfassend auch BAG - Großer Senat - Beschluß vom 29. November 1967 - BAG 20, 175, 210 ff.).

Allerdings schützt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG die Koalitionen nur in ihrem Kernbereich. Nur in diesem Kernbereich wird der Koalition mit Verfassungsrang ein Handlungsspielraum gewährleistet. Im übrigen darf der Gesetzgeber die Tragweite der Koalitionsfreiheit bestimmen und insbesondere bei der kollektiven Koalitionsfreiheit die Befugnisse der Koalitionen im einzelnen näher regeln. Das hat er in bezug auf die Mitwirkung der Koalitionen bei der Gestaltung des Personalvertretungsrechts in Art. 3 BayPersVG getan. Diese Bestimmung wäre daher nur verfassungswidrig, wenn durch sie die Handlungsfreiheit der Koalitionen in ihrem Kernbereich verletzt wäre. Das ist jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht der Fall.

Zum Kernbereich, in dem Koalitionen geschützt werden, gehören ihre Existenz- und ihre Funktionsfähigkeit. Die Koalitionen müssen Maßnahmen ergreifen können, die für die Erhaltung und Sicherung ihrer Existenz notwendig sind. Ihnen muß ein Mindestmaß an spezifisch koalitionsmäßiger Betätigung eingeräumt werden (BVerfGE, aaO). Art. 3 BayPersVG verletzt aber weder Existenz- noch Betätigungsrechte der Gewerkschaft. Die Bestimmung berührt nicht die Betätigung der Koalition in der Dienststelle der klagenden Rundfunkanstalt. Sie verbietet nur die tarifvertragliche Rechtssetzung im Bereich der Personalvertretung. Das ist zulässig (vgl. Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 3 Rz 5 mit weiteren Nachweisen; a.A. Däubler, AuR 1973, 233, 235). Das Gesetz kann eine in sich ausgewogene Regelung über die Beteiligung von Personalräten an Entscheidungen des Arbeitgebers bei Einstellungen von Arbeitnehmern für abschließend und nicht mehr erweiterungsfähig erklären.

Im übrigen bleibt es den Koalitionen unbenommen, Tarifnormen zu schaffen, die den einzelnen Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Versetzung einräumen. Die Koalitionen können auf diese Weise auch erreichen, daß die bereits beschäftigten Mitarbeiter bei der Besetzung freiwerdender Stellen bevorzugt werden. Das ist möglich durch die Schaffung von Inhaltsnormen (§ 1 Abs. 1 TVG), nicht aber dadurch, daß sie dem Personalrat erweiterte Mitbestimmungsrechte einräumen.

4. Danach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden. Die Revision der beklagten Gewerkschaft ist unbegründet.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Kehrmann Rösch

 

Fundstellen

BAGE 52, 279-287 (LT1-3)

BAGE, 279

DB 1987, 283-284 (LT1-3)

RdA 1986, 406

AP, Nr 1 zu Art 3 LPVG Bayern (LT1-3)

AR-Blattei, Personalvertretung XIA Entsch 3 (LT1-3)

AfP 1987, 452

EzA § 1 TVG, Nr 26 (LT1-3)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge