Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltschutz. betriebsübliche berufliche Entwicklung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Vergleichbar i. S. des § 37 Abs. 4 BetrVG sind die Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes eine im wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeit wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben (Fortführung von BAG Urteil vom 21. April 1983 – 6 AZR 407/80 – AP Nr. 43 zu § 37 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe). Bei Ersatzmitgliedern ist nicht auf den Zeitpunkt der Betriebsratswahl, sondern auf den Zeitpunkt des Nachrückens in den Betriebsrat abzustellen.
  • Eine “betriebsübliche berufliche Entwicklung” entsteht aus einem gleichförmigen Verhalten des Arbeitgebers und einer bestimmten Regel. Beförderungen müssen so typisch sein, daß aufgrund der betrieblichen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich, d. h. wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl der vergleichbaren Fälle damit gerechnet werden kann.
  • § 78 Satz 2 BetrVG, der neben § 37 Abs. 4 BetrVG anwendbar ist, enthält ebenso wie § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG außer einem Benachteiligungsverbot auch ein an den Arbeitgeber gerichtetes Gebot, dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung angedeihen zu lassen, wie es sie ohne das Betriebsratsamt genommen hätte. Das Betriebsratsmitglied hat nach § 78 Satz 2 BetrVG einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung dieses Gebots.
 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 4, § 38 Abs. 3, § 78 S. 2; ZPO § 256 Abs. 1-2, §§ 259, 263, 523; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Teilurteil vom 03.08.1990; Aktenzeichen 8 Sa 62/88)

ArbG Hamburg (Urteil vom 17.05.1988; Aktenzeichen 17 Ca 406/85)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 3. August 1990 – 8 Sa 62/88 – aufgehoben.
  • Die Feststellungsklage wird abgewiesen.
  • Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger als freigestelltem Betriebsratsmitglied die gleiche Arbeitsvergütung zusteht wie den seit Übernahme seines Betriebsratsamtes zu Baumaschinenmeistern beförderten Arbeitnehmern.

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen. Sie beschäftigt den Kläger in ihrer Hamburger Niederlassung seit 12. September 1960. Zunächst war der Kläger als Dreher, seit 1. Mai 1963 als Baumaschinenführer und seit 1. Juni 1968 als Baumaschinenvorarbeiter tätig. Am 24. März 1969 legte er bei der Handwerkskammer Hamburg erfolgreich die Meisterprüfung im Maschinenbauerhandwerk ab. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1969 wurde er zum Hilfsbaumaschinenmeister befördert und fast ausschließlich im Werkstattbereich auf dem Lagerplatz in Hamburg-Billbrook eingesetzt. Am 19. Dezember 1969 rückte er für ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied in den Betriebsrat nach. Seit 1978 ist er Betriebsratsvorsitzender und freigestellt.

Als der Kläger in den Betriebsrat nachrückte, beschäftigte die Beklagte sechs weitere Hilfsbaumaschinenmeister, von denen keiner eine Meisterprüfung abgelegt hatte, und zwar die Herren H… (Betriebseintritt: 22. Juni 1964, Hilfsbaumaschinenmeister seit 1. September 1965), D… (Betriebseintritt: 12. April 1955), S… (Betriebseintritt: 18. August 1959, Hilfsbaumaschinenmeister seit 1. Mai 1969), J… (Hilfsbaumaschinenmeister seit 18. November 1968), Se… (Betriebseintritt: 1946, Hilfsbaumaschinenmeister seit 1963) und R… (Betriebseintritt: 1. Februar 1962). Herr D… wurde am 1. Mai 1974 und Herr S… am 2. Januar 1980 zum Baumaschinenmeister befördert. Herr H… wurde zwar ab 1. Juli 1970 als Baumaschinenmeister eingesetzt, mit Wirkung zum 1. Oktober 1983 jedoch aus betrieblichen Gründen einvernehmlich wieder zum Hilfsbaumaschinenmeister zurückgestuft.

Am 31. Januar 1985 schied der Baumaschinenmeister im Werkstattbetrieb des Bauhofes in Hamburg, Herr Z…, aus. Die innerbetriebliche Stellenausschreibung vom 8. Mai 1985 lautete auszugsweise wie folgt:

“Aufgabenstellung: Maschinenmeister im Werkstattbetrieb;

Verteilung und Überwachung der anstehenden maschinentechnischen Arbeiten, Kontrolle aller ausgeführten Leistungen an Maschinen und Geräten. Vertretungsweise Koordination des Personals für kurzfristige Baustelleneinsätze.

Anforderungen an den Bewerber: Ausreichende Berufspraxis auf dem Gebiet eines Maschinenmeisters. Die Berufspraxis muß nachgewiesen werden durch langjährigen Einsatz auf Großbaustellen. Bewerber muß qualifiziert sein auch in der Führung und Anleitung von Mitarbeitern sowie die Ausbilderprüfung vor der Industrie- und Handelskammer abgelegt haben oder aber bereit sein, diese Prüfung nachträglich abzulegen.”

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 29. Mai 1985 um diese Stelle. Am 5. Juli 1985 rief der Niederlassungsleiter, Herr B…, den Kläger während einer Betriebsratssitzung an, wies ihn darauf hin, daß Herr M… von der Personalabteilung das Telefongespräch mithöre, und fragte, ob der Kläger im Hinblick auf die Besetzung der Position auf dem Lagerplatz Billbrook von seinem Betriebsratsamt zurücktreten wolle. Der Kläger antwortete, daß er, solange er gewählt sei, sein Betriebsratsamt wahrnehmen werde, er aber im Falle der Nichtwiederwahl auf dem Meisterposten tätig sein könne. Herr B… wandte ein, daß der Kläger sich dann erst einarbeiten müsse und auf Baustellen geschickt werde. Der Kläger entgegnete, daß Baustellenerfahrung für die Aufgabenstellung als Meister auf dem Lagerplatz nicht erforderlich sei, sondern eine Einarbeitung auf dem Lagerplatz Billbrook ausreichen würde, zumal der frühere Meister weder Baustellenerfahrung noch eine Meisterprüfung gehabt habe. Herr B… erwiderte darauf, damit wisse er Bescheid.

Die ausgeschriebene Stelle erhielt nicht der Kläger, sondern Herr Ha…, der bereits seit 1. März 1969 Baumaschinenmeister war und im Baustellenbereich tätig gewesen war.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß er ohne seine Betriebsratstätigkeit spätestens 1985 zum Baumaschinenmeister befördert worden wäre. Dies ergebe sich auch aus dem Gespräch, das der Niederlassungsleiter am 5. Juli 1985 mit ihm geführt habe. Es sei unerheblich, daß der Kläger keine langjährige Erfahrung auf Großbaustellen vorweisen könne. Eine derartige Berufspraxis benötige der Meister im Werkstattbereich ohnehin nicht. Die Beklagte habe diese Voraussetzung nur aufgestellt, um den Kläger von der Bewerbung auszuschließen. Die Beförderung zum Baumaschinenmeister sei auch betriebsüblich. Der Kläger hat behauptet, daß die Hilfsbaumaschinenmeister J…, Se… und R… das Angebot einer Beförderung zum Baumaschinenmeister aus persönlichen Gründen abgelehnt hätten.

Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,

  • die Beklagte zu verpflichten, bei der Bemessung des Arbeitsentgelts des Klägers für die Dauer seiner Betriebsratstätigkeit einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers Joachim S… zugrunde zu legen,
  • die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Summe der monatlichen Differenzbeträge seit Klagezustellung nebst 4 % Zinsen nachzuzahlen.

In der zweiten Instanz hat er beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 27.181,31 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettodifferenzbetrag ab 17. September 1985 zu zahlen,
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, seit Oktober 1985 den Kläger für die Dauer seiner Betriebsratstätigkeit einschließlich eines Zeitraums von zwei Jahren nach Beendigung der Amtszeit wie einen Meister/Polier zu entlohnen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß die Hilfsbaumaschinenmeister im Werkstattbereich und im Baustellenbereich im Sinne des § 37 Abs. 4 BetrVG nicht miteinander vergleichbar seien. Die in der Stellenausschreibung enthaltenen Anforderungen seien rechtlich nicht zu beanstanden. Abgesehen davon, daß es sich beim Anforderungsprofil um eine unternehmerische Entscheidung handele, sei es wegen der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung und der Führungsaufgaben eines Baumaschinenmeisters geboten, daß auch der Baumaschinenmeister im Werkstattbereich über eine im langjährigen Einsatz auf Großbaustellen gewonnene Berufspraxis verfüge. Zudem sei der Aufstieg eines Hilfsbaumaschinenmeisters zum Baumaschinenmeister jedenfalls seit 1969 keine betriebsübliche berufliche Entwicklung. Eine Betriebsüblichkeit liege nur dann vor, wenn der überwiegende Teil der vergleichbaren Arbeitnehmer befördert werde. Im übrigen habe für eine Beförderung des Klägers schon deshalb kein Anlaß bestanden, weil die ausgeschriebene Stelle ohne Beförderung mit einem Baumaschinenmeister habe besetzt werden können. Die Beklagte bestreitet, daß den Hilfsbaumaschinenmeistern J…, Se… und R… eine Beförderung zum Baumaschinenmeister angeboten worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Feststellungsantrag durch Teilurteil stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Feststellungsklage abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, wie ein Baumaschinenmeister entlohnt zu werden.

I. Der in der Berufungsinstanz zuletzt gestellte Feststellungsantrag ist zulässig.

1. Das Berufungsgericht hat die Klageänderung nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 523, 263 ZPO zu Recht zugelassen. Nach § 263 ZPO ist nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit eine Klageänderung zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet. Hat das Berufungsgericht die Prüfung der Sachdienlichkeit unterlassen, so holt das Revisionsgericht diese Prüfung selbständig nach (vgl. BGH Urteil vom 14. März 1979 – IV ZR 80/78 – MDR 1979, 829). Die nicht kleinlich zu beurteilende Sachdienlichkeit ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Parteien streiten nach wie vor darüber, ob der Kläger als Hilfsbaumaschinenmeister oder wie ein Baumaschinenmeister zu vergüten ist. Auch nach der Klageänderung bildet der bisherige Prozeßstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage. Die Zulassung der neuen Klageanträge fördert die endgültige Beilegung des Streits und kann einen neuen Prozeß vermeiden.

2. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt für den in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Feststellungsantrag nicht das Feststellungsinteresse. Es handelt sich um eine unter erleichterten Voraussetzungen zulässige Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO. Für sie genügt in der Regel die Vorgreiflichkeit, ohne daß daneben ein weiteres rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses erforderlich ist. Die Zwischenfeststellungsklage ist nur dann unzulässig, wenn die Entscheidung über die gleichzeitig erhobene Leistungsklage die Rechtsbeziehungen der Parteien mit Rechtskraftwirkung erschöpfend klärt (vgl. BAGE 18, 29, 36 f. = AP Nr. 11 zu § 565 ZPO; Urteil vom 5. Juni 1985 – 5 AZR 459/83 – AP Nr. 39 zu § 63 HGB, zu II der Gründe; RGZ 144, 54, 59; RGZ 170, 328, 330; BGHZ 69, 37, 43). Mit der Leistungsklage hat der Kläger die Lohndifferenz für die zurückliegende Zeit geltend gemacht. Die Feststellungsklage bereinigt den Streit der Parteien über die Berechnung der Arbeitsvergütung des Klägers auch für die Zukunft. Die Möglichkeit, eine Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO zu erheben, läßt nicht einmal das Feststellungsinteresse für eine selbständige Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO entfallen (BAGE 12, 294, 296 = AP Nr. 31 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II der Gründe; Urteil vom 13. November 1987 – 7 AZR 550/86 – AP Nr. 61 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe; RGZ 113, 410, 412; BGH Urteil vom 7. Februar 1986 – V ZR 201/84 – NJW 1986, 2507). Noch weniger steht sie einer Zwischenfeststellungsklage entgegen.

II. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger wie einen Meister/Polier zu entlohnen.

1. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf § 37 Abs. 4 Satz 1, § 38 Abs. 3 BetrVG stützen. Nach diesen Vorschriften darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, einschließlich eines Zeitraums von zwei Jahren nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

a) Vergleichbar sind die Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes eine im wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeit wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben (vgl. BAG Urteil vom 21. April 1983 – 6 AZR 407/80 – AP Nr. 43 zu § 37 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 37 Rz 66; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 54; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 57; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 37 Rz 67; Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 83 und 86; Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 27 a). Soweit das Bundesarbeitsgericht in den Urteilen vom 17. Mai 1977 (– 1 AZR 458/74 – AP Nr. 28 zu § 37 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe) und vom 21. April 1983 (aaO) auf den Zeitpunkt der Wahl abgestellt hat, gilt dies nicht für Ersatzmitglieder. Bei ihnen kommt es auf den Zeitpunkt des Nachrückens in den Betriebsrat an.

Der zum Ersatzmitglied gewählte Kläger rückte am 19. Dezember 1969 in den Betriebsrat nach. Zu diesem Zeitpunkt wurde er als Hilfshaumaschinenmeister beschäftigt. Damals waren außer dem Kläger noch sechs weitere Hilfsbaumaschinenmeister tätig. Die drei Hilfsbaumaschinenmeister, die später zu Baumaschinenmeistern befördert wurden, waren vor ihrer Beförderung im Gegensatz zum Kläger nicht im Werkstattbereich, sondern im Baustellenbereich eingesetzt worden. Die drei beförderten Hilfsbaumaschinenmeister waren nur dann nicht mit dem Kläger vergleichbar, wenn sich die Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen im Werkstatt- und Baustellenbereich derart unterschieden, daß es wenigstens vertretbar war, die Beförderung zum Baumaschinenmeister von einer längeren vorherigen Tätigkeit als Hilfsbaumaschinenmeister im Baustellenbereich abhängig zu machen, und wenn außerdem der Kläger auch ohne seine Betriebsratstätigkeit im Werkstattbereich geblieben wäre. Da § 37 Abs. 4 BetrVG eine Ausprägung des Benachteiligungsverbotes des § 78 Satz 2 BetrVG ist, dürfen Tätigkeits- und Qualifikationsunterschiede, die ohne die Ausübung des Betriebsratsamtes oder ohne die Freistellung nicht vorlägen, bei der Prüfung der Tätigkeit nicht zuungunsten des Betriebsratsmitglieds berücksichtigt werden (vgl. Urteil vom 21. April 1983 – 6 AZR 407/80 – AP Nr. 43 zu § 37 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe). Im vorliegenden Fall kann es jedoch dahingestellt bleiben, ob die Tätigkeit der Hilfsbaumaschinenmeister im Baustellen- und Werkstattbereich rechtserhebliche Unterschiede aufwies und wie der Kläger ohne sein Betriebsratsamt und ohne seine Freistellung voraussichtlich eingesetzt worden wäre. Selbst wenn der fast ausschließlich im Werkstattbereich eingesetzte Kläger und die im Baustellenbereich tätigen Hilfsbaumaschinenmeister im Sinne des § 37 Abs. 4 BetrVG miteinander vergleichbar sind, läßt sich der Klageanspruch nicht aus § 37 Abs. 4 BetrVG herleiten.

b) Die Beförderung zum Baumaschinenmeister gehört nicht zu der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung der Hilfsbaumaschinenmeister.

aa) Das Landesarbeitsgericht meint, für die Betriebsüblichkeit der Beförderung der Hilfsbaumaschinenmeister zu Baumaschinenmeistern sei es unerheblich, daß Herr H… nach 13 Jahren aus betrieblichen Gründen wieder zum Hilfsbaumaschinenmeister zurückgestuft worden sei. Ebenso sei es unerheblich, daß es sich bei den Beförderten nicht um die Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer gehandelt habe. Die berufliche Entwicklung sei auch dann noch betriebsüblich, wenn in der Hierarchie die Zahl der Beförderungsplätze unter 50 % der Anwärterposten liege. Wenn beispielsweise die Hauptabteilungsleiter eines Unternehmens sich generell aus den unterstellten Abteilungsleitern rekrutierten, sei es im Hinblick auf § 37 Abs. 4 BetrVG prinzipiell unschädlich, wenn auf drei Hauptabteilungsleiter neun Abteilungsleiter kämen. Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.

bb) "Betriebsüblich” ist die Entwicklung, die bei objektiv vergleichbarer Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher und persönlicher Qualifikation bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben (BAG Urteil vom 13. November 1987 – 7 AZR 550/86 – AP Nr. 61 zu § 37 BetrVG 1972, zu III 3a der Gründe). Eine im Ergebnis übereinstimmende Definition wird auch in der Literatur verwandt. Wiese (GK-BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 85), Hess/Schlochauer/Glaubitz (BetrVG, 3. Aufl., § 37 Rz 69), Stege/Weinspach (BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 27b) und Hennecke (RdA 1986, 241, 243) bezeichnen die berufliche Entwicklung als betriebsüblich, die vergleichbare Arbeitnehmer aufgrund der betrieblichen Gegebenheiten im Regelfall genommen haben.

Eine “Üblichkeit” entsteht aus einem gleichförmigen Verhalten des Arbeitgebers und einer bestimmten Regel. Der Geschehensablauf muß so typisch sein, daß aufgrund der betrieblichen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich, d.h. wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl der vergleichbaren Fälle damit gerechnet werden kann. Der Begriff “üblich” erfaßt sprachlich nur den Normalfall, nicht aber Ausnahmefälle. Beförderungen sind demnach nur dann betriebsüblich, wenn nach den betrieblichen Gepflogenheiten das Betriebsratsmitglied zur Beförderung angestanden hätte oder wenn wenigstens die überwiegende Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs einen derartigen Aufstieg erreichte. Die wortgetreue Auslegung des § 37 Abs. 4 BetrVG entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Sie ist eine Ausprägung des Benachteiligungsverbotes des § 78 Satz 2 BetrVG und soll dem Betriebsratsmitglied Beweisschwierigkeiten ersparen, ihn aber nicht gegenüber anderen Arbeitnehmern begünstigen. Steht nur eine Beförderungsstelle zur Verfügung, so wird ein Anspruch nach § 37 Abs. 4 BetrVG nur dann ausgelöst, wenn gerade das Betriebsratsmitglied nach den betriebsüblichen Auswahlkriterien auf die höher dotierte Stelle hätte befördert werden müssen (BAG Urteil vom 13. November 1987 – 7 AZR 550/86 – AP Nr. 61 zu § 37 BetrVG 1972, zu IV der Gründe).

cc) Der für die Anspruchsvoraussetzungen des § 37 Abs. 4 BetrVG darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat nicht schlüssig vorgetragen, daß eine Beförderung zum Baumaschinenmeister spätestens zum Oktober 1985 der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung der Hilfsbaumaschinenmeister entsprochen habe. Im vorliegenden Fall sind von sechs Hilfsbaumaschinenmeistern drei zu Baumaschinenmeistern befördert worden, wobei einer von ihnen (Herr H…) aus betrieblichen Gründen wieder zum Hilfsbaumaschinenmeister zurückgestuft wurde. Der Kläger behauptet zwar, den nicht beförderten Hilfsbaumaschinenmeistern J…, Se… und R… sei die Ernennung zum Baumaschinenmeister angeboten worden, sie hätten aber diese Angebote abgelehnt. Selbst wenn dieser von der Beklagten bestrittene Sachvortrag zutrifft kann allein daraus noch nicht geschlossen werden, daß die Ernennung der Hilfsbaumaschinenmeister zu Baumaschinenmeistern auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt üblich war.

Nach dem Vortrag des Klägers läßt sich nicht ausschließen, daß den Herren J…, Se… und R… die Beförderung angeboten wurde, bevor der Kläger in den Betriebsrat nachrückte. Selbst wenn der Beklagten zunächst so viele Baumaschinenmeisterstellen zur Verfügung standen, daß sie jeden beförderungswilligen Hilfsbaumaschinenmeister nach wenigen Jahren zum Baumaschinenmeister beförderte, konnte sich dies, etwa wegen Auftragsrückgangs oder wegen Rationalisierungsmaßnahmen im Laufe der Zeit ändern. Seit- dem der Kläger das Betriebsratsamt übernommen hatte (1969), vergrößerte sich zunächst der Zeitabstand zwischen den Beförderungen. Die erste Beförderung eines Hilfsbaumaschinenmeisters zum Baumaschinenmeister erfolgte am 1. Juli 1970, die zweite knapp vier Jahre später am 1. Mai 1974 und die dritte nach weiteren fünfeinhalb Jahren am 2. Januar 1980. Anschließend wurde kein Hilfsbaumaschinenmeister mehr zum Baumaschinenmeister befördert. Im Gegenteil: Mit Wirkung zum 1. Oktober 1983 wurde der Baumaschinenmeister H… aus betrieblichen Gründen wieder zum Hilfsbaumaschinenmeister zurückgestuft. Die am 1. Februar 1985 frei gewordene Baumaschinenmeisterstelle erhielt Herr Ha…, der bereits Baumaschinenmeister war, bevor der Kläger in den Betriebsrat nachgerückt war. Der Kläger hat selbst nicht behauptet, daß die bisherige Baumaschinenmeisterstelle des Herrn Ha… neu besetzt und ein Hilfsbaumaschinenmeister zum Baumaschinenmeister befördert wurde.

dd) Die Meisterprüfung des Klägers ändert an diesem Ergebnis nichts. Der Kläger hat nicht behauptet, daß es im Betrieb der Beklagten üblich gewesen sei, Arbeitnehmern mit Meisterprüfung bevorzugt eine Baumaschinenmeisterstelle zu übertragen. Andere Hilfsbaumaschinenmeister mit einer Meisterprüfung gab es nicht. Dem Arbeitgeber bleibt es überlassen, welche Bedeutung er dem erfolgreichen Abschluß einer Meisterprüfung innerhalb der Beförderungskriterien beimißt. Mit dem Baumaschinenmeister Ha…, der die ausgeschriebene Stelle ohne Beförderung erhielt, war der als Hilfsbaumaschinenmeister beschäftigte Kläger nicht vergleichbar.

2. Der Klageanspruch läßt sich auch nicht aus dem Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG herleiten.

a) Bei dem Benachteilungsverbot des § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG handelt es sich nicht lediglich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, sondern um eine unmittelbar anspruchsbegründende Norm (BAGE 66, 85, 93 unter teilweiser Aufgabe der im Urteil vom 31. Oktober 1985 – 6 AZR 129/83 – AP Nr. 5 zu § 46 BPersVG vertretenen Auffassung). § 78 Satz 2 BetrVG enthält ebenso wie § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG außer einem Benachteiligungsverbot auch ein an den Arbeitgeber gerichtetes Gebot, dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung angedeihen zu lassen, wie es sie ohne das Betriebsratsamt genommen hätte. Das Betriebsratsmitglied hat nach § 78 Satz 2 BetrVG einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung dieses Gebots. Der Wortlaut des § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG und des § 78 Satz 2 BetrVG rechtfertigt keine unterschiedliche Beurteilung der Rechtsfolgen. Nach § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG darf die Freistellung eines Personalratsmitglieds nicht zur Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen. Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Beide Vorschriften sind zwar als Verbotsnormen formuliert, haben aber entsprechend ihrem übereinstimmenden Sinn und Zweck einen darüber hinausgehenden Regelungsinhalt.

b) § 37 Abs. 4 BetrVG enthält keine abschließende Sonderregelung. Vielmehr ist § 78 Satz 2 BetrVG neben § 37 Abs. 4 BetrVG anwendbar. § 37 Abs. 4 BetrVG soll die Durchsetzung des Benachteiligungsverbotes durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen erleichtern, die Rechte des Betriebsratsmitglieds aber nicht einschränken.

c) Der Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, daß die Beklagte ihn wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht beförderte und dadurch gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG verstieß. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich aus dem zwischen dem Kläger und Herrn B… am 5. Juli 1985 geführten Gespräch nicht ableiten, daß der Kläger ohne sein Betriebsratsamt die frei gewordene Maschinenmeisterstelle erhalten hätte. Die Schlußfolgerungen des Berufungsgerichts verstoßen gegen Denkgesetze und berücksichtigen nicht den gesamten Sachvortrag.

Aus dem Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn B… ergibt sich lediglich, daß die Beklagte feststellen wollte, ob der Kläger die von ihr aufgestellten Voraussetzungen für die Beförderung zum Maschinenmeister erfülle, und daß die Beklagte den Kläger allenfalls dann befördern wollte, wenn er sein Betriebsratsamt niederlege und sich zur Einarbeitung auf Baustellen schicken lasse. Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen zwar dem Kläger aus der Beibehaltung des Betriebsratsamtes keine Nachteile entstehen. Im vorliegenden Fall steht jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht fest, daß der Kläger Maschinenmeister geworden wäre, wenn er zur Niederlegung seines Betriebsratsamtes bereit gewesen wäre.

aa) Der Kläger hatte auch für den Fall der Nichtwiederwahl in den Betriebsrat eine zur Einarbeitung bestimmte Baustellentätigkeit abgelehnt, obwohl der Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nach pflichtgemäßem Ermessen die Beförderungsvoraussetzungen festlegen kann. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, der Kläger hätte, wenn er ernsthaft vor die Alternative gestellt worden wäre, zum Meister befördert zu werden, nachgegeben. Dies ist eine Annahme ohne ausreichende Begründung. Ob sie zutrifft, kann aber ebenso offenbleiben wie die Frage, ob die Beklagte die Beförderung von der Bereitschaft, sich später auf Baustellen einarbeiten zu lassen, abhängig machen durfte. Selbst wenn die Klageforderung nicht an der Ablehnung einer Baustellentätigkeit scheitert, kann der Kläger nach § 78 Satz 2 BetrVG keine höhere Vergütung verlangen.

bb) Selbst der eigene Vortrag des Klägers rechtfertigt nicht die Annahme, daß er ohne seine Betriebsratstätigkeit befördert worden wäre. Das Landesarbeitsgericht meint zwar, das Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn B… lasse nur den Schluß zu, die Beklagte hätte den Kläger bei Niederlegung des Betriebsratsamtes zum Nachfolger des Maschinenmeisters Z… ernannt. Es sei nicht ersichtlich, daß es sich nur um eine nicht ernst gemeinte Anfrage gehandelt habe. Mit der Wendung “nicht ernst gemeinte Anfrage” ist aber die in Betracht kommende Alternative nicht richtig umschrieben. Vor der Entscheidung über eine Stellenbesetzung liegt es nahe, daß der Arbeitgeber prüft, ob die Bewerber die gestellten Anforderungen erfüllen, und daß er etwaige Unklarheiten durch persönliche Anfragen bereinigt. Wird ein Arbeitnehmer gefragt, ob er bereit wäre, für eine Beförderung bestimmte Bedingungen zu erfüllen, so läßt sich daraus noch nicht ohne weiteres entnehmen, daß der Arbeitgeber sich für ihn entschieden hat. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht den weiteren Verlauf der Stellenbesetzung außer acht gelassen. Die Stelle wurde nicht mit einem Hilfsmaschinenmeister besetzt, sondern ohne Beförderung mit dem Maschinenmeister Ha…. Dies war für die Beklagte die kostengünstigste Lösung. Es gibt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß sich die Beklagte bei einem anderen Verhalten des Klägers für die kostenträchtigere Lösung, ihn zu befördern, entschieden hätte.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Kremhelmer, Dr. Johannsen, Dr. Klebe

 

Fundstellen

Haufe-Index 838625

RdA 1992, 399

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