Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS - Lehrerin

 

Leitsatz (redaktionell)

Die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung als "Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration" (IMK) ist ohne die tatsächliche Bereitstellung der Wohnung zu Zwecken des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) keine Tätigkeit im Sinne von Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr 1 Abs 5 Ziffer 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (Fortführung von BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - AP Nr 8 zu Art 20 Einigungsvertrag).

 

Normenkette

BGB § 626; BPersVG § 108; StUG § 6 Abs. 4; EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 A

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 22.02.1994; Aktenzeichen 12 Sa 155/93)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.10.1993; Aktenzeichen 86 Ca 17641/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen sowie einer vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung.

Die im Jahre 1941 geborene Klägerin war seit dem 1. August 1973 beim Stadtbezirk Köpenick als Lehrerin tätig.

Am 6. Juni 1989 unterzeichnete die Klägerin nach mehreren vorausgegangenen Kontaktgesprächen gemeinsam mit ihrem Ehemann folgende schriftliche Erklärung:

"Berlin, d. 6.6.1989

Verpflichtung

Wir, Ernst u. Ingrid P , verpflichten uns, auf

freiwilliger Basis mit dem MfS zusammenzuarbei-

ten.

Im Rahmen dieser Zusammenarbeit stellen wir für

eine spezifische Aufgabe ein Zimmer unserer Woh-

nung zur Verfügung.

Wir sind der Auffassung, mit dieser Bereitschaft

einen konkreten Beitrag zur Sicherung unseres

Staates zu leisten.

Über die Zusammenarbeit mit dem MfS und den uns

dabei bekannt gewordenen Mitteln und Methoden

werden wir gegenüber jedermann Schweigen bewah-

ren.

Für die Zusammenarbeit wählen wir den Decknamen

"Monika".

Ernst P

Ingrid P ".

Am 9. November 1990 versicherte die Klägerin in einem Personalfragebogen, weder für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (fortan: MfS) bzw. für das Amt für nationale Sicherheit noch für eine der Untergliederungen dieser Ämter oder vergleichbarer Institutionen tätig gewesen zu sein. Die weitere Frage "Haben Sie eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit einer der genannten Stellen unterschrieben?" wurde von ihr mit "nein" beantwortet.

In einem die Klägerin betreffenden Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit vom 3. Juni 1993 wurde der Beklagte auf die Registrierung der Klägerin als IMK/KW (Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration/Konspirativer Wohnung) und die von ihr unterzeichnete Verpflichtungserklärung hingewiesen.

In diesem Einzelbericht des Bundesbeauftragten heißt es weiter:

"Aus den vorhandenen Unterlagen (Teil I/Personal-

akte/1 Band, 166 Seiten) ist ersichtlich, daß die

Werbung "zur Gewährleistung der Konspiration und

Geheimhaltung der Treffs mit inoffiziellen Ver-

bindungen aus dem VEB FWB" erfolgte (S. 117/-

FWB=Funkwerk Berlin/Köpenick).

Art, Umfang und Intensität der Zusammenarbeit mit

dem MfS sind aus den Unterlagen nicht ersicht-

lich, da lediglich aus einem Treffbericht des

Führungsoffiziers, F , Frank, vom

23.11.1989 auf zurückliegende Aktivitäten ge-

schlossen werden kann.

Der zu beauskunftenden Person und deren mitver-

pflichtetem Ehepartner wurde zu diesem Treffen

von ihrem Führungsoffizier "mitgeteilt, daß alle

Unterlagen zu ihnen .... vernichtet wurden und

daß es ausgeschlossen ist, daß eine Verbindung,

im Falle einer antisoz. Entwicklung, mit ihnen

und dem MfS herzustellen ist."

Aus dem Bericht des Führungsoffiziers F wurde zitiert:

"... - Weiterhin wurde Ihnen mitgeteilt, daß noch

keine genauere Konzeption zur Arbeit des neuen

Amtes existiert und ich noch nicht einschätzen

kann ob wir weiter zusammenarbeiten werden. Wir

werden in der jetzigen Zeit auch noch keine

Treffs in der Wohnung durchführen, es kann pas-

sieren das wir kurzfristig die Zusammenarbeit

einstellen. In diesem Zusammenhang wurde gefragt,

ob Sie auch bereit wären mit einem anderen Mit-

arbeiter diese Tätigkeit weiterzuführen. Dies be-

jahten beide Ehepartner ..."

Am 15. Juni 1993 wurde mit der Klägerin ein Einzelgespräch geführt, bei dem auch der Ehemann der Klägerin zugegen war. Auf seiten des Beklagten nahmen der Bezirksstadtrat für Bildung und Jugend, die Vorsitzende des Personalrats der Lehrer und Erzieher, ein Mitglied des Personalausschusses der Bezirksverordnetenversammlung Köpenick sowie die Büroleiterin des Schulamtes teil. Der Einzelbericht des Bundesbeauftragten wurde verlesen und der Klägerin die handschriftliche Verpflichtungserklärung vorgelegt. Die Klägerin räumte ein, die Verpflichtungserklärung eigenhändig unterschrieben zu haben. Sie gab an, sie habe im Personalfragebogen die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS bzw. das Vorliegen einer Verpflichtungserklärung auf Anraten ihres Mannes verneint.

Mit zwei Schreiben vom 16. Juni 1993 teilte der Beklagte dem Personalrat der Lehrer und Erzieher des Bezirkes Köpenick mit, er beabsichtige, der Klägerin wegen Tätigkeit für das MfS und wegen falscher Angaben im Personalfragebogen außerordentlich bzw. ordentlich zu kündigen. Jedem Schreiben lag jeweils der Entwurf eines Kündigungsschreibens vom 18. Juni 1993 bei. Die Mitteilungsschreiben gingen beim Personalrat am 17. Juni 1993 ein. Der Personalrat stimmte am gleichen Tag beiden Kündigungen zu.

Mit zwei Schreiben, jeweils vom 18. Juni 1993, kündigte der Beklagte der Klägerin außerordentlich und vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 1993. Beide Kündigungen gingen der Klägerin am 18. Juni 1993 zu.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei nie für das MfS tätig geworden. Ihre Wohnung sei weder vor noch nach der Unterzeichnung der Verpflichtung durch das MfS genutzt worden. Von ihr und ihrem Ehemann sei auch zu keinem Zeitpunkt ein Wohnungsschlüssel an das MfS übergeben worden. Abweichendes ergebe sich weder aus dem Bericht der Gauck-Behörde noch aus dem Treffbericht des Führungsoffiziers. Die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung stelle noch keine Tätigkeit für das MfS dar. Vielmehr bedürfe es der konkreten Umsetzung des zugesagten Verhaltens. Die einschlägigen Akten des MfS seien auch nicht vernichtet worden.

Den Personalfragebogen habe sie wahrheitsgemäß ausgefüllt. Sie habe keine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit, sondern lediglich zur Verschwiegenheit unterzeichnet. Im Zeitpunkt des Ausfüllens des Personalfragebogens sei ihr nicht erinnerlich gewesen, eine schriftliche Erklärung abgegeben gehabt zu haben. Außerdem habe sie die Erklärung nicht aufgrund einer grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber dem MfS unterzeichnet. Ihr Ehemann habe in den 80er Jahren berufliche Probleme gehabt, weil er die Wirtschaftsentwicklung in der DDR kritisch betrachtete. Er sei deshalb als Leiter seines Betriebes zurückgetreten. Um seine berufliche Entwicklung nicht gänzlich zu gefährden, hätten sie sich gegenüber dem MfS zur Bereitstellung der Wohnung verpflichtet. Unter diesen Umständen stehe einer Weiterbeschäftigung der Klägerin nichts im Wege.

Die Kündigung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Der Bezirksstadtrat für Bildung und Jugend habe schriftlich bestätigt, daß es auch Fälle gegeben habe, in denen Lehrer ihre Tätigkeit für das MfS im Personalfragebogen angegeben hätten und weiterbeschäftigt worden seien.

Die Klägerin hat die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt. Die Mitglieder des Personalrats seien nicht rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung geladen worden. Dies sei für den Beklagten auch erkennbar gewesen, weil der Personalrat noch am Tage der Information die Zustimmung erteilt habe.

Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis weder

durch die außerordentliche noch durch die or-

dentliche Kündigung vom 18. Juni 1993 beendet

wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen

fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. Ein bewußtes Tätigwerden der Klägerin für das MfS sei schon darin zu sehen, daß die Klägerin und ihr Ehemann das Zimmer für das MfS bereithielten. Ob die Klägerin als informelle Mitarbeiterin i.S. von § 6 StUG anzusehen sei, spiele keine Rolle. Abs. 5 Ziff. 2 EV verwende den Begriff des inoffiziellen Mitarbeiters nicht. Es werde jede bewußte finale Tätigkeit für das MfS erfaßt. Dazu gehöre auch die Bereitstellung eines konspirativen Zimmers in einer Wohnung. Zudem habe die Klägerin im Personalfragebogen die abgegebene Verpflichtungserklärung wahrheitswidrig geleugnet.

Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Der Personalrat sei über den Kündigungssachverhalt umfassend unterrichtet worden. Die Personalratsvorsitzende habe an dem Anhörungsgespräch vom 15. Juni 1993 teilgenommen. Es bestehe kein Grund zu der Annahme, der Personalrat habe Einberufungsvorschriften nicht ordnungsgemäß beachtet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Kündigungsschutzklage nicht abgewiesen werden. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit der angefochtenen Kündigungen ist dem Senat nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht möglich. Die Sache ist deshalb zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die vom Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei gem. Abs. 5 Ziff. 2 EV wirksam. Die Klägerin sei für das MfS tätig gewesen. Ausweislich der von ihr unterzeichneten Verpflichtungserklärung habe sie dem MfS ein Zimmer ihrer Wohnung zur Verfügung gestellt. Es komme nicht darauf an, ob die Wohnung bzw. das Zimmer tatsächlich für konspirative Treffs benutzt worden sei. Die generelle Bereitschaft der Klägerin, dem MfS die Wohnung bzw. ein Zimmer derselben für konspirative Treffen zur Verfügung zu stellen, müsse als "Tätigkeit für das MfS" angesehen werden. Das Verhalten der Klägerin sei damit über die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung hinausgegangen.

Aufgrund der Tätigkeit der Klägerin für das MfS erscheine ein Festhalten am Arbeitsplatz unzumutbar. Mit dem Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes sei es nicht vereinbar, wenn Schüler von einer Lehrerin unterrichtet würden, die für das MfS tätig gewesen sei.

Auch aufgrund einer Einzelfallprüfung könne nicht davon ausgegangen werden, daß dem Beklagten die Weiterbeschäftigung zumutbar sei. Da der Klägerin über das generelle Bereitstellen der Wohnung hinaus keinerlei weitere Aktivitäten für das MfS vorzuwerfen seien, müsse ihr Beitrag für das Funktionieren des vom MfS verkörperten Repressionssystems zwar als unbedeutend angesehen werden. Es sei aber zu bedenken, daß die Klägerin noch Mitte 1989 bereit gewesen sei, einen Beitrag zur Unterstützung des MfS zu leisten. Der unbedeutende Beitrag der Klägerin relativiere sich auch dadurch, daß die Klägerin angesichts der rasanten Veränderung der politischen Verhältnisse dann nicht mehr in die Gefahr geraten sei, weiterhin konkrete Aktivitäten zugunsten des MfS zu ergreifen. Auch das Leugnen der Klägerin, eine Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben, gehe zu ihren Lasten.

Die Personalratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Vorsitzende des Personalrats, deren Kenntnis sich der Personalrat zurechnen lassen müsse, habe am Einzelgespräch mit der Klägerin teilgenommen. Es komme nicht darauf an, ob der von der Vorsitzenden des Personalrats unterzeichneten Zustimmung ein wirksamer Personalratsbeschluß zugrunde gelegen habe. Den Beklagten treffe keine Obliegenheit, das wirksame Zustandekommen einer von der Personalratsvorsitzenden erklärten Zustimmung zu überprüfen.

B. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

I. Die Beteiligung des Personalrats ist ordnungsgemäß erfolgt.

1. Mit Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung hinreichend informiert wurde.

Dem Personalrat wurden beide Kündigungsschreiben im Entwurf übersandt. In den Entwürfen ist der genaue Wortlaut der Fragen enthalten, die die Klägerin mit "nein" beantwortet hatte. Es wurde dem Personalrat mitgeteilt, daß die Klägerin eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatte, in der sie sich bereit erklärte, dem MfS für konspirative Zwecke ein Zimmer ihrer Wohnung zur Verfügung zu stellen. Ferner wurde der Personalrat davon unterrichtet, daß am 15. Juni 1993 ein Einzelfallgespräch mit der Klägerin durchgeführt wurde. Da die Vorsitzende des Personalrats an diesem Einzelfallgespräch teilgenommen hatte, war der Personalrat darüber informiert, wie sich die Klägerin zu den Vorwürfen geäußert hatte. Der Personalrat muß sich insofern die Kenntnis seiner Vorsitzenden zurechnen lassen.

2. Die Rüge der Klägerin, die Zustimmung des Personalrats sei ohne wirksamen Personalratsbeschluß erklärt worden, hat keinen Erfolg.

Wenn im Beteiligungsverfahren Fehler eintreten, kommt es darauf an, ob dieser Mangel in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Dienststellenleiters oder des Personalrats fällt (vgl. BAG Urteil vom 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 2. April 1976 - 2 AZR 513/75 - AP Nr. 9 zu § 102 BetrVG 1972; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz 595; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 291 ff.; KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 72, 79, 108 BPersVG Rz 50). Aufgabe des Dienststellenleiters ist allein, das Beteiligungsverfahren ordnungsgemäß einzuleiten. Leidet das Verfahren an Mängeln, die in der Sphäre des Personalrats liegen, berühren sie das Beteiligungsverfahren nicht. Das gilt selbst dann, wenn der Dienststellenleiter wußte oder vermuten konnte, daß die Behandlung der Angelegenheit durch den Personalrat nicht fehlerfrei war (BAG Urteil vom 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 2. April 1976 - 2 AZR 513/75 - AP Nr. 9 zu § 102 BetrVG 1972; Ascheid, aaO, Rz 595). Ausnahmen bestehen nur dann, wenn der Dienststellenleiter den Fehler selbst veranlaßt hatte (GK/Kraft, BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz 56), oder positiv wußte, daß der Personalrat sich mit der Kündigung nicht befaßt hatte (BAG Urteil vom 28. März 1974 - 2 AZR 472/73 - AP Nr. 3 zu § 102 BetrVG 1972).

Der Personalrat hat seine gesetzlichen Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Der Dienststellenleiter kann und darf sich nicht in die Amtsführung des Personalrats einmischen. Er ist insbesondere nicht befugt, den Personalrat dazu anzuhalten, seine Stellungnahme zu einer beabsichtigten Kündigung aufgrund einer ordnungsgemäßen Beschlußfassung abzugeben. Den Dienststellenleiter trifft auch keine Erkundigungspflicht.

Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, daß der Bezirksstadtrat etwaige Mängel in der Beschlußfassung des Personalrats veranlaßt hätte oder positiv gewußt hätte, daß es an einer ordnungsgemäßen Beschlußfassung des Personalrats fehlte.

II. Die außerordentliche und die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung können nicht mit einer "Tätigkeit" der Klägerin für das MfS begründet werden.

1. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 - 8 AZR 484/92 - BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX). Dies folgt aus der Verwendung der Präposition "für" anstelle der näherliegenden "beim" in Ziff. 2 des Abs. 5 EV.

2. Das Bereitstellen einer Wohnung bzw. eines Zimmers für konspirative Zwecke stellt grundsätzlich eine Tätigkeit für das MfS dar. Der Begriff "Tätigkeit" in Abs. 5 Ziff. 2 EV ist weit zu fassen. Es ist nicht nach dem Tätigkeitsbereich zu differenzieren. Ein IMK liefert zwar nicht selbst Informationen über andere Personen, doch konnte das Spitzelsystem des Staatssicherheitsdienstes ohne Einhaltung der Konspiration nicht funktionieren. Der IMK war ein Glied im Informationsfluß des Staatssicherheitsdienstes. Auch wenn ein IMK im Repressionssystem des MfS nur eine untergeordnete Stelle einnahm, liegt gleichwohl eine Tätigkeit für das MfS/AfNS vor.

Ob ein IMK ein informeller Mitarbeiter i.S. von § 6 Abs. 4 StUG ist, kann dahinstehen. Die dort normierten Legaldefinitionen für "hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter" sind für die kündigungsrechtliche Sonderregelung in Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht verbindlich, denn § 6 Abs. 4 StUG knüpft an die Person an, während Abs. 5 Ziff. 2 EV auf die Tätigkeit abstellt.

3. Die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung stellt noch keine Tätigkeit für das MfS dar (BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 124 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 3 der Gründe; ebenso: MünchKomm/Oetker, Erg.Bd., 3. Aufl., Art. 232 § 5 EGBGB Rz 88; Scholz, BB 1991, 2515, 2520; vgl. auch Weiß, PersV 1991, 97, 119 f.). Eine "Tätigkeit" für das MfS/AfNS setzt vielmehr voraus, daß der Arbeitnehmer entsprechend seiner Verpflichtungserklärung tatsächlich tätig wurde.

a) Soweit das Landesarbeitsgericht davon ausgeht, daß ein Bereitstellen von Wohnraum bereits in der Erklärung gelegen habe, kann sich der Senat dieser Auffassung nicht anschließen. Die Erklärungen, sich zur Beschaffung von Informationen oder zur Bereitstellung einer konspirativen Wohnung zu verpflichten, sind rechtlich gleichwertig und kündigen lediglich eine Tätigkeit an.

Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ging das Verhalten der Klägerin über die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung nicht hinaus. In der Erklärung vom 6. Juni 1989 wurde nur die Art der Zusammenarbeit konkretisiert. Ein Tätigwerden setzte hingegen voraus, daß dem MfS die Wohnung für konspirative Zwecke tatsächlich überlassen worden wäre. Zumindest wäre erforderlich, daß dem MfS die Wohnungsschlüssel ausgehändigt wurden, so daß das MfS in die Lage versetzt worden wäre, jederzeit auf die Wohnung zuzugreifen. Das generelle Einverständnis der Klägerin mit der Überlassung der Wohnung genügt für eine Tätigkeit nach Abs. 5 Ziff. 2 EV noch nicht.

Dem Kündigenden obliegt die Beweislast dafür, daß der Arbeitnehmer für das MfS arbeitete. Er kann sich nicht auf die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises berufen. Der Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein. Aus der Abgabe einer Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS kann aber nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht auf ein entsprechendes späteres Tätigwerden des Erklärenden geschlossen werden (BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 124 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 3 der Gründe).

b) Aus dem Einzelbericht der Gauck-Behörde ergibt sich, daß der Führungsoffizier den Eheleuten mitgeteilt haben soll, alle über sie geführten Unterlagen seien vernichtet worden. Die Vernichtung der MfS-Unterlagen könnte als ein Indiz für eine Tätigkeit der Klägerin für das MfS gewertet werde. Dieses Indiz reichte aber für sich noch nicht aus, um eine Tätigkeit der Klägerin für das MfS nachzuweisen. Der Kündigende müßte weitere Hilfstatsachen vortragen, aus denen der Schluß auf eine Tätigkeit für das MfS gezogen werden könnte. Entsprechendes ist dem Beklagten nicht gelungen. Mangels substantiierten Sachvortrags ist demnach die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV unwirksam.

III. Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine der Kündigungen wegen falscher Angaben im Personalfragebogen wirksam erklärt worden ist. Aus diesem Grunde ist das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Die im Personalfragebogen gestellten Fragen nach der MfS-Tätigkeit und der Abgabe einer Verpflichtungserklärung sind zulässig und vom Arbeitnehmer wahrheitsgemäß zu beantworten (BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 126 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 5 der Gründe; Urteil vom 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - zur Veröffentlichung bestimmt). Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Das MfS bildete den eigentlichen Repressionsapparat des SED-Staates. Wer aufgrund eigenen Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründet bereits hierdurch erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit innerhalb des öffentlichen Dienstes.

2. Die Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit und einer Verpflichtungserklärung offenbart darüber hinaus regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst (BAG Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Die Beantwortung dieser Fragen ist für den öffentlichen Arbeitgeber von besonderer Bedeutung. Wer zu diesen Fragen falsche Angaben macht, mißbraucht das Vertrauen seines Dienstherrn gröblich. Die Falschbeantwortung belegt aber nicht zwangsläufig die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers i.S. des Einigungsvertrages. Neben dem Maß individueller Schuld des Arbeitnehmers sind vielmehr alle sonstigen Umstände des Einzelfalls, die für oder gegen die persönliche Eignung des Arbeitnehmers sprechen, in die Beurteilung einzubeziehen. Hat z.B. der Arbeitnehmer später, als er noch nicht mit der Aufdeckung seiner früheren Tätigkeit für das MfS rechnen mußte, diese offenbart und so dem Arbeitgeber die sachgerechte Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung ermöglicht, kann dies eine positive Prognose hinsichtlich der künftigen Loyalität des Arbeitnehmers zulassen (vgl. BAG Urteil vom 13. September 1995 - 2 AZR 862/94 - zur Veröffentlichung bestimmt).

a) Soweit die Klägerin im Personalfragebogen die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS verneint hat, kann dies nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden, denn das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß die Klägerin dem MfS ein Zimmer für konspirative Zwecke zur Verfügung stellte. Zugunsten der Klägerin ist deshalb davon auszugehen, daß sie diese Frage wahrheitsgemäß beantwortet hat.

b) Die Klägerin hat die weitere Frage, ob sie eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieben habe, objektiv wahrheitswidrig beantwortet.

Die Klägerin hat eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS unterzeichnet. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Erklärung vom 6. Juni 1989. In der Erklärung heißt es: "Wir, Ernst u. Ingrid P , verpflichten uns, auf freiwilliger Basis mit dem MfS zusammenzuarbeiten". Im folgenden Satz wird die Zusammenarbeit näher konkretisiert: "Im Rahmen dieser Zusammenarbeit stellen wir für eine spezifische Aufgabe ein Zimmer unserer Wohnung zur Verfügung". Damit verpflichtete sich die Klägerin nicht nur zur Verschwiegenheit, sondern zu einem aktiven Tun, nämlich der Bereitstellung eines Zimmers ihrer Wohnung für konspirative Zwecke. Da die Klägerin diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem MfS nicht offenbart hat, hat sie den Personalfragebogen objektiv falsch beantwortet.

3. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Es fehlt die Beurteilung einer Tatsacheninstanz, ob die Falschbeantwortung im Zusammenhang mit der Verpflichtungserklärung als solcher und ggf. weiterer belastender Umstände einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB darstellt oder eine ordentliche Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV rechtfertigt.

4. Jedenfalls steht der Wirksamkeit der Kündigung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegen.

a) Soweit sich die Klägerin auf das Schreiben des Bezirksstadtrats vom 19. November 1993 beruft, ist eine Ungleichbehandlung nicht zu erkennen. Die Klägerin ist nicht mit der Gruppe von Lehrern vergleichbar, die für das MfS tätig waren und diese Tätigkeit im Personalfragebogen offenbarten. Gerade das Leugnen der Beziehungen zum MfS stellt einen selbständigen Kündigungsgrund dar. Gibt ein Arbeitnehmer seine frühere Tätigkeit für das MfS im Personalfragebogen an, kann dies hinsichtlich der künftigen Loyalität des Arbeitnehmers eine positive Prognose zulassen. Eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmern, die ihre früheren Beziehungen zum MfS offenbaren und solchen Arbeitnehmern, die diese verschweigen, ist sachgerecht.

b) Die von der Klägerin in der Revisionsinstanz neu vorgetragenen Tatsachen sind unberücksichtigt zu lassen, denn sie sind weder unstreitig noch offenkundig richtig.

Dr. Wittek Müller-Glöge Mikosch

Dr. Haible Mache

 

Fundstellen

Haufe-Index 441596

BB 1996, 540

DB 1996, 1090-1091 (T)

BuW 1996, 302 (K)

ASP 1996, Nr 7/8, 61 (K)

NZA 1996, 1211

NZA 1996, 1211 (L1)

ZAP-Ost, EN-Nr 101/96 (S)

AP § 108 BPersVG (L1), Nr 5

AP, Nr 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap XIX (LT1)

AR-Blattei, ES 1010.13 Nr 46 (LT1)

ArbuR 1996, 146-147 (T)

EzA, (LT1)

NJ 1996, 224 (L)

NZA-RR 1996, 207-210 (LT1)

RAnB 1997, 27 (L)

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