Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsstrafe bei Nichtantritt der Arbeit

 

Orientierungssatz

1. Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG bestehen gegen einzelvertragliche Strafabreden zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages keine rechtlichen Bedenken, wenn der Arbeitgeber mit ihnen die Einhaltung einer bestimmten vertraglichen Vereinbarung durch den Arbeitnehmer absichern will (Vergleiche BAG Urteil vom 23.5.1984, 4 AZR 129/82 = BAGE 46, 50, 53 f = AP Nr 9 zu § 339 BGB; BAG Urteil vom 5.2.1986, 5 AZR 564/84 = AP Nr 12 zu § 339 BGB).

2. Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist oder auch aus wichtigem Grund vor dem vereinbarten Dienstantritt gekündigt werden, wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluß der Kündigung aus dem Umständen zweifelsfrei ergibt (Vergleiche BAG Urteil vom 19.12.1974, 2 AZR 565/73 = BAGE 31, 121 = AP Nr 3 zu § 620 BGB; BAG Urteil vom 09.05.1985, 2 AZR 372/84 = AP Nr 4 zu § 620 BGB). Daß die Vertragsstrafe ein starkes Indiz für den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit ist, hat der Senat bereits in seiner nicht veröffentlichen Entscheidung vom 21.07.1982, 5 AZR 549/80 ausgeführt.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 343, 615, 339 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 28.10.1987; Aktenzeichen 8 Sa 794/87)

ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 12.03.1987; Aktenzeichen 4 Ca 1407/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit zu zahlen.

Die Parteien unterzeichneten am 3. April 1986 ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:

"E I N S T E L L U N G

Sehr geehrter Herr B ,

wir bestätigen unsere Einstellungszusage und dürfen

bis zur Ausfertigung eines endgültigen Arbeitsver-

trages vorläufig die zwischen Ihnen und uns ge-

troffenen Vereinbarungen wie folgt zusammenfassen:

Tätigkeit Projektierung / TB 1

Einsatzort Firmensitz R /

Montageort

Einstellungstermin 01.10.86 / 9.00 Uhr

Arbeitszeit wöchentlich normaler-

weise 40 Stunden; Be-

reitschaft zu Überstun-

den und Auswärtstätig-

keit vorhanden;

Vergütung während der Einarbeitung

DM 4.800,-- brutto / Monat;

danach Erhöhung auf DM 5.500,--

brutto / Monat

Probezeit 3 Monate

Einarbeitungszeit 6 - 8 Monate

Kündigungsfrist 90 Tage zum Quartalsende;

während der Probezeit 4 Wo-

chen zum Monatsende;

Besondere Vereinbarung Der Arbeitnehmer verpflichtet

sich, im Falle des Nichtan-

tritts eine Ausgleichszahlung

in Höhe eines vereinbarten

Monatsgehaltes an den Arbeit-

geber zu entrichten.

Sonstige Leistungen Nach Haustarif

Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit.

Mit freundlichen Grüßen

Einstellung angenommen:

W GmbH

Geschäftsleitung P B 3.4.86

We "

Mit Schreiben vom 3. Juli 1986 kündigte der Beklagte den zwischen der Klägerin und ihm abgeschlossenen "Arbeitsvorvertrag" und trat die Arbeit zum vereinbarten Zeitpunkt nicht an. Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehalts von 4.800,-- DM in Anspruch, nachdem sie ihn mit Schreiben vom 24. Juli 1986 vergeblich dazu aufgefordert hatte.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte habe die Vertragsstrafe verwirkt, weil er entgegen seiner eingegangenen Verpflichtung die Arbeit nicht aufgenommen habe. Die von ihm erklärte Kündigung habe keine rechtliche Wirkung, weil eine Kündigung vor Arbeitsbeginn ausgeschlossen gewesen sei. Das ergebe sich aus den gesamten Umständen, insbesondere aber daraus, daß der Beklagte für den Fall der Nichtaufnahme der Arbeit eine Vertragsstrafe habe zahlen sollen. Sie, die Klägerin, habe durch diese Vereinbarung erreichen wollen, daß der Beklagte seine Arbeit zum vereinbarten Zeitpunkt auch tatsächlich antrete. Sie erstelle Computer-Software für elektronische Steuerungseinrichtungen. Auf diesem Gebiet würden die Aufträge fast ausschließlich als Terminarbeiten vergeben. Die Einhaltung der Termine werde durch hohe Vertragsstrafen gesichert. Aus diesem Grunde sei sie besonders darauf angewiesen, daß die von ihr eingestellten Arbeitnehmer ihre Tätigkeit zum vereinbarten Zeitpunkt auch aufnähmen. Zudem habe sie ein Interesse daran, die Zahl der Neueinstellungen so gering wie möglich zu halten, da jede Neueinstellung erhebliche finanzielle und personelle Aufwendungen verursache, deren Kosten nur zum Teil genau beziffert werden könnten.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.800,-- DM

nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, er habe den Vorvertrag vom 3. April 1986 fristgerecht gekündigt. Die Kündigung vor Arbeitsantritt sei zulässig. Das gelte auch für den Streitfall. Aus dem Vertrag ergebe sich, daß das Kündigungsrecht vor Vertragsbeginn nicht habe ausgeschlossen werden sollen. Dafür sprächen vor allem die Vereinbarung einer Probezeit und die kurze Kündigungsfrist während der Probezeit. Auch sei in der Vereinbarung vom 3. April 1986 von einer Einarbeitungszeit von sechs bis acht Monaten die Rede, während der er, der Beklagte, eine geringere Vergütung habe erhalten sollen. Die Klägerin habe daher in dieser Zeit nicht mit seiner vollen Arbeitskraft gerechnet, so daß sie auch kein Interesse an einer Arbeitsleistung von ein oder zwei Monaten gehabt habe.

Der Beklagte hat beantragt, die Vertragsstrafe herabzusetzen. Da seine Arbeitsleistung während der Einarbeitungszeit ohnehin keinen vollen Wert für die Klägerin gehabt hätte, sei es unbillig, ein volles Monatsgehalt als Vertragsstrafe für den Nichtantritt der Arbeit anzusetzen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Beklagte hat die Vertragsstrafe verwirkt. Der Senat kann jedoch nicht über den Antrag des Beklagten auf Herabsetzung der Vertragsstrafe entscheiden. Dazu ist die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht erforderlich.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, zwischen den Parteien sei durch die beiderseitige Unterzeichnung des Schreibens vom 3. April 1986 ein Arbeitsvertrag und nicht nur ein Vorvertrag zustandegekommen. Weiter hat es angenommen, der Beklagte habe die vereinbarte Vertragsstrafe nicht verwirkt, weil er am 3. Juli 1986 wirksam gekündigt habe und das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung bereits vor dem 1. Oktober 1986 beendet gewesen sei. Der Beklagte habe auch eine Kündigung vor Arbeitsantritt aussprechen können, weil die Parteien das Recht zur ordentlichen Kündigung vor dem vereinbarten Vertragsbeginn nicht abbedungen hätten. Die Frist für die vor Vertragsbeginn ausgesprochene Kündigung habe außerdem nicht erst im Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme zu laufen begonnen, sondern bereits mit dem Zugang der Kündigungserklärung. Insbesondere aus der Vereinbarung der Vertragsstrafe lasse sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen, daß nach dem Willen der Parteien die Kündigung vor dem vereinbarten Arbeitsbeginn nicht habe zulässig sein sollen. Die Vertragsstrafe habe den Zweck, dem Gläubiger bei schuldhafter Nichterfüllung oder schuldhafter nicht gehöriger Erfüllung der Hauptverbindlichkeit durch den Schuldner einen Schadensnachweis zu ersparen. Aus der Vertragsstrafenabrede sei daher zu entnehmen, daß die Vertragsstrafe dann verwirkt sei, wenn der Arbeitnehmer ohne Kündigung oder unter Einhaltung einer zu kurzen Kündigungsfrist die vereinbarte Tätigkeit nicht antrete. Aus der Abrede lasse sich jedoch nicht entnehmen, daß sie auch dann verwirkt sei, wenn rechtzeitig vor Dienstantritt fristgemäß gekündigt werde. Aus der Vereinbarung einer Vertragsstrafe könne daher nicht geschlossen werden, daß das Recht zur Kündigung vor Vertragsbeginn ausgeschlossen sein solle.

Diese Begründung wird von der Revision zu Recht angegriffen. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung der Vereinbarung der Parteien vom 3. April 1986 das Wesen der Vertragsstrafe verkannt und den Wortlaut der Vertragsstrafenabrede nicht ausreichend beachtet. Dadurch hat es wichtigen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelassen und ist unter Verletzung der gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt.

II.1. Nach § 339 BGB können die Parteien eine Vertragsstrafe für den Fall vereinbaren, daß der Schuldner eine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt. Die Vertragsstrafe ist ein vom Gesetzgeber geschaffenes besonderes Rechtsinstitut für Schuldverhältnisse; sie kann folglich auch für Arbeitsverhältnisse als privatrechtliche Schuldverhältnisse vereinbart werden. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestehen gegen einzelvertragliche Strafabreden zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages keine rechtlichen Bedenken, wenn der Arbeitgeber mit ihnen die Einhaltung einer bestimmten vertraglichen Vereinbarung durch den Arbeitnehmer absichern will (vgl. BAGE 46, 50, 53 f. = AP Nr. 9 zu § 339 BGB; Senatsurteil vom 5. Februar 1986 - 5 AZR 564/84 - AP Nr. 12 zu § 339 BGB, zu A I 3 und A II 1 der Gründe; jeweils m. w. N.).

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Vertragsstrafe habe den Zweck, dem Gläubiger bei schuldhafter Nichterfüllung oder schuldhafter nicht gehöriger Erfüllung der Hauptverbindlichkeit durch den Schuldner einen Schadensnachweis zu ersparen. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt nur eine Aufgabe, die die Vertragsstrafe erfüllen soll. Der Gesetzgeber hat die Vertragsstrafe jedoch mit einer doppelten Funktion ausgestattet. Sie soll auf der einen Seite als privatrechtliches Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung anhalten, auf der anderen Seite soll sie dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnen (BGHZ 85, 305, 312 f.; BAGE 46, 50, 54, 56 = AP Nr. 9 zu § 339 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat die Funktion der Vertragsstrafe als privatrechtliches Druckmittel zur rechtzeitigen Erbringung der versprochenen Leistung außer acht gelassen und einseitig auf die weitere Funktion der Erleichterung des Schadensnachweises abgestellt. Bei richtigem Verständnis der Vertragsstrafe ergibt sich aus der Auslegung der Abrede der Parteien vom 3. April 1986, daß der pünktliche Arbeitsantritt des Klägers am 1. Oktober 1986 durch eine Vertragsstrafe abgesichert werden sollte.

2. Die von dem Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 3. Juli 1986 hat die Rechtsbeziehungen der Parteien nicht zum 30. September 1986 aufgelöst. Ein ordentliches Kündigungsrecht war für beide Seiten ausgeschlossen. Das ergibt sich aus der Vereinbarung der Parteien vom 3. April 1986. Der Senat kann diese Vereinbarung selbst auslegen, weil alle erforderlichen tatsächlichen Umstände festgestellt sind.

Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist oder auch aus wichtigem Grund vor dem vereinbarten Dienstantritt gekündigt werden, wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluß der Kündigung aus den Umständen zweifelsfrei ergibt (vgl. BAGE 31, 121 = AP Nr. 3 zu § 620 BGB; BAG Urteil vom 9. Mai 1985 - 2 AZR 372/84 - AP Nr. 4 zu § 620 BGB). Besondere Umstände, die den Ausschluß des Kündigungsrechts nahelegen, sind etwa die Zusage einer Lebens- oder Dauerstellung, die Abwerbung aus einer sicheren Arbeitsstelle oder die Vereinbarung einer Vertragsstrafe (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 123 VI 2). Daß die Vertragsstrafe ein starkes Indiz für den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit ist, hat der Senat bereits in seiner nicht veröffentlichten Entscheidung vom 21. Juli 1982 - 5 AZR 549/80 - ausgeführt.

Wird der Arbeitsbeginn des Arbeitnehmers ausdrücklich durch eine Vertragsstrafe abgesichert, legt der Arbeitgeber erkennbar Wert darauf, daß der Arbeitnehmer die versprochene Tätigkeit pünktlich antritt. In einem solchen Fall würde die Vertragsstrafenabrede ihren Sinn vollständig verlieren, wenn das Arbeitsverhältnis vor Arbeitsantritt gekündigt werden könnte. Bereits diese Überlegung spricht im Streitfall für den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit vor Arbeitsantritt. Dabei betrifft dieser Ausschluß nicht nur den Beklagten als Arbeitnehmer, sondern in gleicher Weise auch die Klägerin, wie sich schon aus deren starkem Interesse an der Sicherung des pünktlichen Arbeitsantritts des Beklagten ergibt (vgl. die ähnliche Fallgestaltung in BAGE 15, 11, 14 f. = AP Nr. 2 zu § 67 HGB, zu 3 b der Gründe). Die Absicherung des Arbeitsantritts des Beklagten war auch nicht deswegen unwirksam, weil keine entsprechende Regelung für die Klägerin vorgesehen war. Das Interesse des Arbeitnehmers ist in derartigen Fällen durch die Bestimmungen über den Annahmeverzug (§ 615 BGB) hinreichend geschützt.

3. Erweist sich die Auslegung des Landesarbeitsgerichts daher als rechtsfehlerhaft und ergibt sich bei richtiger Auslegung, daß der Beklagte eine Vertragsstrafe verwirkt hat, so kann der Senat dennoch nicht abschließend entscheiden. Der Beklagte hat beantragt, die Vertragsstrafe gemäß § 343 BGB herabzusetzen. Das Landesarbeitsgericht ist auf diesen Antrag nicht eingegangen, was von seinem Standpunkt aus folgerichtig war. Der Senat kann die Frage der Herabsetzung der Strafe nicht beantworten, weil es sich hierbei um die Feststellung und Bewertung tatsächlicher Umstände handelt. Diese Aufgabe ist der Tatsacheninstanz vorbehalten. Daher mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Polcyn Liebsch

 

Fundstellen

Gewerkschafter 1989, Nr 3, 38-38 (ST1)

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