Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen. Zurückweisung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde

 

Leitsatz (amtlich)

§ 174 BGB findet auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung einer tariflichen Ausschlußfrist keine entsprechende Anwendung.

 

Orientierungssatz

  • Die Auflösung einer GmbH wegen rechtskräftiger Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG führt nicht zum Verlust der Rechts- und Parteifähigkeit (ebenso BAG 22. März 1988 – 3 AZR 350/86 – AP ZPO § 50 Nr. 6 = EzA ZPO § 50 Nr. 2). Ebensowenig führt die während des Revisionsverfahrens kraft Gesetzes eingetretene Auflösung einer GmbH zur Unzulässigkeit des von ihr eingelegten Rechtsmittels. Der vom Erfolg des Rechtsmittels abhängige Kostenerstattungsanspruch reicht als Anhaltspunkt vorhandenen Vermögens aus (so auch BGH 6. Februar 1991 – VIII ZR 26/90 – DB 1991, 1319).
  • Eine analoge Anwendung von § 174 BGB auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlußfristen ist nicht gerechtfertigt.
  • Die Geltendmachung muß durch einen bevollmächtigten Vertreter erfolgen. Entsprechend § 180 Satz 1 BGB ist ein Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht unzulässig.
 

Normenkette

BGB §§ 174, 180; GmbHG § 60 Abs. 1 Nr. 5; Rahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk in der Bundesrepublik Deutschland (RTV) § 54

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 28.03.2001; Aktenzeichen 1 Sa 1012/00)

ArbG Marburg (Urteil vom 10.05.2000; Aktenzeichen 1 Ca 87/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger war beim beklagten Dachdeckerunternehmen als Arbeiter zu einem Stundenlohn von 23,50 DM brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk in der Bundesrepublik Deutschland (RTV) Anwendung.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. Oktober 1999 zum 25. Oktober 1999. Dem Kläger wurde das Kündigungsschreiben am 12. Oktober 1999 übergeben. Ab dem folgenden Tag, dem 13. Oktober 1999, war der Kläger bis zum 22. Oktober 1999 krank. Die Beklagte leistete keine Entgeltfortzahlung.

Mit Schreiben seiner bevollmächtigten Anwälte vom 10. Dezember 1999, das der Beklagten am 14. Dezember 1999 zuging, forderte der Kläger Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 13. bis zum 22. Oktober 1999 in Höhe von 1.504,00 DM brutto. Diesem Schreiben war eine Vollmachtsurkunde nicht beigefügt. Die Beklagte wies die Geltendmachung mit einem den Rechtsanwälten des Klägers am 22. Dezember 1999 zugegangenen Schreiben “mangels Vorlage einer Bevollmächtigung” zurück. Zugleich lehnte sie die Zahlung ab, weil die Ansprüche nicht bestünden.

Mit seiner beim Arbeitsgericht am 21. Februar 2000 eingegangen Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 13. bis zum 22. Oktober 1999.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.504,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Januar 2000 aus dem entsprechenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe die tarifliche Ausschlußfrist nicht gewahrt.

Die Vorinstanzen haben der Klage nach Beweisaufnahme über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Während des Revisionsverfahrens hat das Amtsgericht Marburg die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten mangels Masse abgelehnt. Die Auflösung der Gesellschaft ist in das Handelsregister eingetragen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

  • Die Klage ist nach wie vor zulässig. Die Auflösung der beklagten GmbH wegen rechtskräftiger Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG führt nicht zum Verlust der Rechts- und Parteifähigkeit (ebenso BAG 22. März 1988 – 3 AZR 350/86 – AP ZPO § 50 Nr. 6 = EzA ZPO § 50 Nr. 2). Folge der ins Handelsregister eingetragenen Auflösung der Gesellschaft ist, daß die Gesellschaft nicht mehr als werbende existiert, sondern nach Maßgabe der §§ 66 ff. GmbHG zu liquidieren ist. Bis zur Löschung der Gesellschaft nach § 74 Abs. 1 GmbHG bleibt sie parteifähig (BAG 22. März 1988 aaO; Luther/Hommelhoff GmbHG 15. Aufl. § 74 Rn. 17). Ebensowenig führt die kraft Gesetzes eingetretene Auflösung der Beklagten zur Unzulässigkeit ihrer Revision, denn der vom Erfolg des Rechtsmittels abhängige Kostenerstattungsanspruch reicht als Anhaltspunkt vorhandenen Vermögens aus (so auch BGH 6. Februar 1991 – VIII ZR 26/90 – DB 1991, 1319).
  • Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, an den Kläger 1.504,00 DM brutto zu zahlen.

    • Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG für die Zeit vom 13. bis zum 22. Oktober 1999 Entgeltfortzahlung in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.504,00 DM brutto verlangen. Der Kläger war in dem genannten Zeitraum arbeitsunfähig krank. Dies hat das Landesarbeitsgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen ist, festgestellt.
    • Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist nicht nach § 54 Abs. 1 RTV verfallen. Nach dieser Bestimmung verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden. Lehnt die Gegenpartei den schriftlich geltend gemachten Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

      • Der Kläger hat seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht. Die Geltendmachung erfolgte mit Schreiben der vom Kläger bevollmächtigten Rechtsanwälte vom 10. Dezember 1999, das der Beklagten am 14. Dezember 1999 zuging.
      • Die Geltendmachung ist nicht nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Diese Vorschrift findet auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlußfristen keine entsprechende Anwendung.

        • Die Geltendmachung eines Anspruchs zur Wahrung tariflicher Ausschlußfristen ist keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Rechtsgeschäfte entsprechend ihrer Eigenart analoge Anwendung finden. Während ein Rechtsgeschäft aus einer oder mehreren Willenserklärungen besteht, die allein oder in Verbindung mit anderen Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführen, weil diese gewollt ist, sind geschäftsähnliche Handlungen auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärungen, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten. Die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlußfristen ist nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge kraft rechtsgeschäftlichen Willens, sondern auf die durch den Tarifvertrag angeordnete Rechtsfolge gerichtet (vgl. Senat 11. Oktober 2000 – 5 AZR 313/99 – BAGE 96, 28).
        • Eine analoge Anwendung des § 174 BGB auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlußfristen ist nicht gerechtfertigt (ebenso Menssen Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz 1999, S 205 ff.). Ausschlußfristen dienen dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, daß nach Ablauf der Ausschlußfrist gegen ihn keine Ansprüche mehr erhoben werden (ErfK/Preis 2. Aufl. BGB §§ 194 bis 225 Rn. 28; Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 721). Bei einer schriftlichen Geltendmachung durch einen bevollmächtigten Vertreter, der keine Vollmachtsurkunde vorlegt, wird dieser Zweck der Ausschlußfristen gewahrt. Der Schuldner kann sich auch in diesem Fall nicht mehr darauf verlassen, daß nach Ablauf der Ausschlußfrist gegen ihn keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden. Anders als bei einem einseitigen Rechtsgeschäft, das wie beispielsweise eine Kündigung rechtsgestaltend auf das Arbeitsverhältnis einwirkt und dieses verändert, hat der Empfänger einer schriftlichen Geltendmachung kein durch § 174 BGB zu schützendes Interesse, unverzüglich klare Verhältnisse zu schaffen (vgl. zu diesem Grundgedanken des § 174 BGB Soergel/Leptien BGB 13. Aufl. § 174 Rn. 1). Die mit § 174 BGB bezweckte Wahrung der Gewißheitsinteressen des Dritten (MünchKommBGB/Schramm 4. Aufl. § 174 Rn. 1) erfordert keine analoge Anwendung auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung von Ausschlußfristen, denn hierdurch wird der Schuldner lediglich zur Erfüllung eines Anspruchs aufgefordert und keine weitere gestaltende Wirkung ausgelöst.
      • Die Geltendmachung des Anspruchs muß allerdings durch einen bevollmächtigten Vertreter erfolgen. Entsprechend § 180 Satz 1 BGB ist ein Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht unzulässig. Eine Genehmigung nach § 180 Satz 2 BGB kommt nicht in Betracht, weil dies der mit den Ausschlußfristen bezweckten Rechtssicherheit entgegenstünde (ebenso Rieble Anm. zu Senat 5. April 1995 – 5 AZR 961/93 – EzA TVG § 4 Ausschlußfrist Nr. 111). In Zweifelsfällen hat der Gläubiger die Bevollmächtigung des Vertreters zur Zeit der Geltendmachung des Anspruchs darzulegen und ggf. zu beweisen.
      • Scheidet nach alledem eine analoge Anwendung des § 174 BGB auf die Geltendmachung der Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers zur Wahrung der Ausschlußfrist des § 54 Nr. 1 RTV aus, ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.504,00 DM nicht erloschen. Dabei kann offenbleiben, ob die Frist zur Geltendmachung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 26. Oktober 1999 oder mit der Übergabe der Abrechnung am 11. oder 12. November 1999 zu laufen begann. Selbst wenn auf den 26. Oktober 1999 abgestellt würde, war die am 14. Dezember 1999 bei der Beklagten eingegangene Geltendmachung fristgerecht.

        Nachdem die Beklagte mit einem den Rechtsanwälten des Klägers am 22. Dezember 1999 zugegangenen Schreiben vom 18. Dezember 1999 die erhobenen Vergütungsansprüche zurückgewiesen hatte, wahrte die am 21. Februar 2000 beim Arbeitsgericht eingegangene Zahlungsklage auch die zweite Stufe der Ausschlußfrist, nämlich die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung. Die Fristwahrung bestimmt sich nach den § 253 Abs. 1 und 5, § 270 Abs. 3 ZPO (BAG 16. März 1995 – 8 AZR 58/92 – BAGE 79, 285, 294).

  • Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Hann, R. Rehwald

 

Fundstellen

Haufe-Index 846019

BAGE 2004, 161

BB 2003, 51

DB 2002, 2652

NJW 2003, 236

NWB 2002, 2777

NWB 2002, 4312

EBE/BAG 2002, 170

ARST 2003, 137

ARST 2003, 24

ARST 2004, 23

EWiR 2003, 145

FA 2002, 328

FA 2003, 52

FA 2003, 60

JurBüro 2003, 52

NZA 2002, 1344

SAE 2003, 231

ZAP 2002, 1404

ZTR 2002, 472

ZTR 2003, 88

AP, 0

AuA 2002, 468

EzA-SD 2002, 14

EzA-SD 2002, 4

EzA

JuS 2003, 195

MDR 2003, 157

PERSONAL 2003, 58

AUR 2002, 350

AUR 2002, 478

ArbRB 2002, 353

GV/RP 2003, 756

BAGReport 2003, 63

FSt 2003, 530

FuBW 2003, 689

FuHe 2003, 634

FuNds 2003, 709

JURAtelegramm 2003, 135

SPA 2002, 6

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