Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliches Weihnachtsgeld bei Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

Begriff des „Tätigseins” in einem Unternehmen am 1. Juli eines Kalenderjahres.

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 24.11.1993; Aktenzeichen 5 Sa 44/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 02.03.1993; Aktenzeichen 1 Ca 438/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 24. November 1993 – 5 Sa 44/93 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über ein tarifliches Weihnachtsgeld für das Jahr 1992.

Die Klägerin ist seit dem Jahre 1982 bei der Beklagten als Fachverkäuferin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Mitarbeiter der co op Unternehmen (Einzelhandelsbereich) (MTV) Anwendung. Die Klägerin befand sich während des gesamten Jahres 1992 in Erziehungsurlaub.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie habe Anspruch auf die zum 30. November 1992 fällige Hälfte eines 13. Monatsgehalts (Weihnachtsgeld) nach § 21 Abs. 5 MTV. Die tarifliche Bestimmung des § 21 MTV hat, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:

㤠21

(1) Die Mitarbeiter erhalten ein 13. Monatsgehalt bzw. einen 13. Monatslohn nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6.

(3) Die Leistung gelangt in zwei gleichen Raten zur Auszahlung, und zwar am 31. Mai (Urlaubsgeld) und am 30. November (Weihnachtsgeld).

(4) Anspruch auf die Ende Mai fällige Leistung (Urlaubsgeld) haben Mitarbeiter, die am 1. Januar im Unternehmen tätig waren und am 31. Mai des jeweiligen Kalenderjahres in ungekündigtem Arbeitsverhältnis stehen und Anspruch auf Urlaub geltend machen können. Steht am 31. Mai noch nicht fest, ob Anspruch auf Urlaub geltend gemacht werden kann, so ist die Leistung erst bei Antritt des Urlaubs, im Falle der Übertragung des Urlaubs auf das nächste Urlaubsjahr spätestens am 31. Dezember, zu erbringen. – Scheidet ein Mitarbeiter, der die Leistung erhalten hat, im Laufe des Kalenderjahres aus dem Unternehmen aus, so steht ihm für jeden vollen Monat der Betriebszugehörigkeit ein Zwölftel der Leistung zu. Darüber hinausgehende Leistungen sind von ihm zurückzuzahlen. Der Betrag ist mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig.

(5) Anspruch auf die Ende November fällige Leistung (Weihnachtsgeld) haben Mitarbeiter, die am 1. Juli im Unternehmen tätig waren und sich am 30. November des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden. Scheidet ein Mitarbeiter, der diese Leistung erhalten hat, bis zum 31. März (einschließlich) des folgenden Jahres aus dem Unternehmen aus, so hat er den Betrag zurückzuzahlen. Der Betrag ist mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig.

In den Fällen der Sätze 1 und 2 bleibt der Anspruch bestehen, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen erfolgt, die das Unternehmen zu vertreten hat.

…”

Die Klägerin meint, sie erfülle die tariflichen Voraussetzungen für das Weihnachtsgeld. Sie habe am 1. Juli 1992 in einem Arbeitsverhältnis gestanden, das über den 31. März 1993 ungekündigt fortbestanden habe. Eine tatsächliche Arbeitsleistung am 1. Juli 1992 werde tariflich nicht gefordert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.430,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 2. November 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, die Klägerin erfülle nicht die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf das Weihnachtsgeld. Nach § 21 Abs. 5 MTV müsse der Mitarbeiter am 1. Juli im Unternehmen tätig sein und sein Arbeitsverhältnis am 30. November ungekündigt bestanden haben. Damit werde nicht nur der Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Juli, sondern eine tatsächliche Tätigkeit bzw. das Bestehen eines Anspruchs auf eine Lohnersatzleistung zu diesem Zeitpunkt gefordert. Diese Voraussetzung sei bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs am 1. Juli nicht erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf das tarifliche Weihnachtsgeld für das Jahr 1992 zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin erfülle die tariflichen Voraussetzungen für das Weihnachtsgeld nach § 21 Abs. 5 MTV. Ihr Arbeitsverhältnis habe am 30. November 1992 ungekündigt bestanden und sei nicht vor dem 31. März 1993 beendet worden. Die Klägerin sei auch am 1. Juli 1992 im Unternehmen „tätig” gewesen. Mit dieser tariflichen Voraussetzung forderten die Tarifvertragsparteien nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Juli des Kalenderjahres, nicht jedoch eine tatsächliche Arbeitsleistung zu diesem Zeitpunkt oder das Bestehen eines Lohnersatzanspruchs. Dies folge aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, da die Tarifvertragsparteien die Begriffe „Tätigkeit”, „Beschäftigung und Beschäftigungsdauer” sowie „Unternehmenszugehörigkeit” sinngemäß in gleicher Weise verwenden. In den tariflichen Bestimmungen komme nicht zum Ausdruck, daß der Anspruch auf das Weihnachtsgeld bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs am 1. Juli des Kalenderjahres ausgeschlossen sein solle.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Die Klägerin erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für das Weihnachtsgeld im Jahre 1992.

1. Die Klägerin befand sich am 30. November 1992 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis, das über den 31. März 1993 hinaus fortbestand. Sie war auch am 1. Juli 1992 im Unternehmen „tätig”.

2. Das Landesarbeitsgericht geht in Übereinstimmung mit der ständigen Senatsrechtsprechung davon aus, daß die Tarifvertrags-Parteien in einer tariflichen Regelung über eine Sonderzahlung im einzelnen bestimmen können, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Dies gilt insbesondere auch bei Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub (BAG Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteile vom 24. März 1993 – 10 AZR 160/92 – und 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 152 und 162 zu § 611 BGB Gratifikation).

3. Eine solche Regelung haben die Tarifvertragsparteien vorliegend nicht getroffen. Sie haben weder ausdrücklich geregelt, welchen Einfluß Erziehungsurlaub auf das 13. Monatsgehalt haben soll noch haben sie eine anspruchsmindernde oder anspruchsausschließende allgemeine Regelung für die Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorgesehen.

4. Eine solche Regelung läßt sich – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nicht daraus herleiten, daß der Mitarbeiter am 1. Juli eines Kalenderjahres im Unternehmen „tätig” gewesen sein muß. Die Tarifvertragsparteien fordern damit nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Juli, nicht aber eine tatsächliche Arbeitsleistung an diesem Tag oder das Bestehen eines Lohnersatzanspruchs.

Dies folgt aus dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

a) Schon der Wortlaut der tariflichen Bestimmung läßt nicht allein den Schluß zu, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung am 1. Juli eines Kalenderjahres gefordert wird. Mit dem Begriff des „Tätigseins” in einem Unternehmen wird nach allgemeinem Sprachgebrauch nämlich nicht nur eine tatsächliche Arbeitsleistung, sondern auch generell der Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu einem Unternehmen bezeichnet. Dies räumt auch die Beklagte ein, wenn sie den Fällen tatsächlicher Arbeitsleistung diejenigen Fälle gleichsetzt, in denen ohne tatsächliche Arbeitsleistung ein Lohnersatzanspruch besteht, obwohl sich für diese erweiternde Auslegung kein Anhaltspunkt aus den tariflichen Bestimmungen ergibt.

b) Aus dem tariflichen Gesamt Zusammenhang folgt vielmehr, daß die Tarifvertragsparteien mit dem Tätigsein in einem Unternehmen am 1. Juli eines Kalenderjahres lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt fordern.

Die Tarifvertragsparteien verlangen sowohl für den Anspruch auf das Urlaubsgeld als auch für den Anspruch auf das Weihnachtsgeld jeweils eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses vor und nach dem Fälligkeitstag. Sie knüpfen damit an die erbrachte und zukünftige Betriebstreue an. Schon mit diesem Gesichtspunkt steht nicht in Einklang, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht ausführt, auf das Bestehen eines Lohnanspruchs gerade für den jeweiligen Stichtag 1. Januar und 1. Juli abzustellen.

Eine solche Regelung führte auch nicht zu sachgerechten und praktisch brauchbaren Ergebnissen. Das wird schon dadurch deutlich, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung am Neujahrstag im Einzelhandel grundsätzlich nicht in Betracht kommt und bei Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Januar stets eine Feiertagsbezahlung zu leisten ist, wenn an diesem Tag die Arbeit wegen des Feiertages ausfällt. Damit kommt es für den Anspruch auf die erste Hälfte des 13. Monatsgehalts nur auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Januar an. Nichts anderes kann dann aber auch im Hinblick auf die wortgleiche Formulierung für den 1. Juli und damit für die zweite Hälfte des 13. Monatsgehalts gelten.

Zudem führte eine Auslegung, nach der es auf eine tatsächliche Tätigkeit am 1. Juli oder auf das Bestehen eines Lohnersatzanspruches für diesen Tag ankommt, zu rein zufälligen Ergebnissen, je nachdem, ob die genannten Voraussetzungen gerade an diesem Tage vorliegen oder nicht. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Die Tarifvertragsparteien wollten, wie in tariflichen Regelungen allgemein üblich, sowohl hinsichtlich des Urlaubsgeldes (1. Januar bis 31. Mai) als auch hinsichtlich des Weihnachtsgeldes (1. Juli bis 30. November) einen Bezugszeitraum festlegen, in dem das Arbeitsverhältnis bestanden haben muß, um den Anspruch auf den jeweiligen Anteil des 13. Monatsgehalts zu begründen. Damit kommt es auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses während des Bezugszeitraums, nicht aber auf einen Lohnanspruch für den Tag des Beginns des Bezugszeitraums an.

c) Im übrigen haben die Tarifvertragsparteien die Begriffe der „Tätigkeit” auch in anderen tariflichen Bestimmungen allein zur Umschreibung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses und nicht in dem Sinne verwendet, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung oder das Bestehen eines Lohnersatzanspruchs gefordert wird.

So ist in § 2 Abs. 2 MTV bestimmt, daß frühere Dienstjahre anzurechnen sind, wenn das Arbeitsverhältnis einer Mitarbeiterin für längstens 24 Monate nach der Niederkunft unterbrochen ist, sofern sie zwischenzeitlich keine Tätigkeit in einem anderen Unternehmen ausgeübt hat. Mit dieser Regelung ist ersichtlich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zu einem anderen Unternehmen angesprochen.

Nach § 20 Abs. 3 MTV hat der Mitarbeiter Anspruch auf Urlaubsentgelt für jeden im Urlaubsjahr angefangenen Kalendermonat seiner Tätigkeit in Höhe von 1/12 des vollen Jahresurlaubsentgelts. Auch mit dieser Regelung knüpfen die Tarifvertragsparteien an den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Urlaubsjahr an.

Der Begriff der Tätigkeit i.S.d. Bestehens eines Arbeitsverhältnisses verwenden die Tarifvertragsparteien auch bei der Regelung über verlängerte Kündigungsfristen in § 29 Abs. 4 MTV, die beim Übertritt von einem anderen Unternehmen „nach sechsmonatiger Tätigkeit” beim neuen Unternehmen Anwendung finden sollen. Besonders deutlich wird dies auch, wenn die Tarifvertragsparteien in § 29 Abs. 6 MTV die eingeschränkte Kündigungsmöglichkeit bei Mitarbeitern vorsehen, die länger als 15 Jahre im Unternehmen „tätig” sind.

Daraus folgt insgesamt, daß mit der Verwendung des Begriffes des Tätigseins bzw. der Tätigkeit nur der Bestand eines Arbeitsverhältnisses, nicht aber eine tatsächliche Arbeitsleistung oder das Bestehen eines Lohnersatzanspruches verlangt wird.

d) Zu Recht verweist das Landesarbeitsgericht ferner darauf, daß die Tarifvertragsparteien für den Elternurlaub, der nach § 9 a MTV im Anschluß an den Erziehungsurlaub genommen werden kann, zwar die Anrechnung auf Berufs- und Tätigkeitsjahre, nicht jedoch auf die Betriebszugehörigkeit vorsehen, weitergehende Ansprüche auf tarifliche Leistungen, wie z.B. das 13. Monatsgehalt aber ausschließen. Im Hinblick auf diese Regelung hätte es in den tariflichen Bestimmungen zum Ausdruck gebracht werden müssen, wenn auch Zeiten des dem Elternurlaub vorangehenden Erziehungsurlaubs für die Sonderzahlung anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend berücksichtigt werden sollen.

Die tarifliche Regelung in § 9 a MTV läßt darüber hinaus den Schluß zu, daß auch der Erziehungsurlaub auf Berufs- und Tätigkeitsjahre, die für die Vergütung maßgebend sind, anzurechnen ist. Rechnet der Erziehungsurlaub aber als Tätigkeitszeit, so kann andererseits ein „tätig sein” im Unternehmen i.S.v. § 21 Abs. 5 MTV während des Erziehungsurlaubs nicht verneint werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, J. Wingefeld, Staedtler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093177

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