Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung. Steuerschaden

 

Normenkette

BGB § 286 Abs. 1, §§ 284-285; TVAL II § 49

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 06.05.1996; Aktenzeichen 10 Sa 58/95)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 09.11.1994; Aktenzeichen 3 Ca 2016/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 6. Mai 1996 – 10 Sa 58/95 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung zum Ausgleich von Steuerschäden.

Der Kläger war seit 1953 bei den amerikanischen Streitkräften in Wiesbaden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) Anwendung.

Am 14. Februar 1990 kündigten die amerikanischen Streitkräfte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht festgestellt, daß die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst habe. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 27. Oktober 1992 (– 7 Sa 188/91 –) die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten nach Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsurteil wurde der Beklagten am 3. Februar 1993 zugestellt.

Bereits am 28. Oktober 1992 sprach der Kläger bei seiner Beschäftigungsdienststelle wegen Wiederaufnahme der Arbeit vor. Er erhielt jedoch zunächst keine Arbeit zugewiesen. Am 23. November 1992 lag der Beklagten ein Schreiben des zuständigen Arbeitsamtes über den Umfang der Forderungsübergänge vor. Mit „Notification” vom 9. Dezember 1992 bestätigten die Streitkräfte den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die „Aufhebung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit außerordentlicher Kündigung”. Daraufhin wurde der Kläger ab 10. Dezember 1992 weiterbeschäftigt. Für den Monat November 1992 erhielt der Kläger eine Abschlagszahlung. Die Vergütung für Dezember 1992 wurde ebenfalls noch im Jahre 1992 ausgezahlt. Erst Anfang 1993 erhielt der Kläger die Nachzahlung seines entgangenen Verdienstes für die Jahre 1990 bis 1992 in Höhe von 164.606,00 DM. Dieser Betrag wurde mit dem regulären Arbeitseinkommen des Klägers im Jahre 1993 versteuert.

Der Kläger hat vorgetragen: Während durch die Nachzahlung erst in 1993 auf den nachgezahlten Betrag Lohnsteuer in Höhe von 47.910,00 DM und Kirchensteuer in Höhe von 4.311,90 DM, insgesamt also 52.221,90 DM entfallen seien, hätte bei Nachzahlung noch in 1992 nur ein Betrag von insgesamt 29.894,53 DM an Steuern gezahlt werden müssen. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm die entstandene Mehrbelastung zu erstatten, da sie es pflichtwidrig versäumt habe, noch in 1992 nachzuberechnen und auszuzahlen. Denn bereits ab Verkündung des Berufungsurteils sei sie verpflichtet gewesen, tätig zu werden, um steuerliche Nachteile vom Kläger abzuwenden. Selbst ab 10. Dezember 1992, dem Tag der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers, habe noch ausreichend Zeit hierfür bis zum Jahresende zur Verfügung gestanden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.327,37 DM nebst 4 % Zinsen seit 28. Mai 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, vor Zugang der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils sei sie nicht zur Nachzahlung der Vergütungen für die Jahre 1990 bis 1992 verpflichtet gewesen. Es müsse ihr unbenommen bleiben, die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu erwägen, ehe sie sich mit einem Berufungsurteil endgültig abfinde. Dies sei erst nach Zugang des vollständigen Urteils möglich gewesen.

Im übrigen habe sie die entstandene Steuermehrbelastung auch deshalb nicht zu vertreten, weil eine Zahlung noch im Jahre 1992 bereits aus organisatorischen Gründen unmöglich gewesen sei. Da die allgemeine Lohn- und Gehaltsabrechnung über ein EDV-Abrechnungssystem mit monatlich festen Terminen erledigt worden sei, hätten ab 10. Dezember 1992 nur vier volle Arbeitstage zur Verfügung gestanden. Dateneingabeschluß für Dezember 1992 sei nämlich der 16. Dezember 1992 um 17.00 Uhr gewesen. Es wären nicht nur fast drei Jahre abzurechnen, sondern auch die Leistungen des Arbeitsamtes zu berücksichtigen gewesen.

Im übrigen sei der geltend gemachte Anspruch tariflich verfristet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Der Klageanspruch sei als Verzugsanspruch nach § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285, § 286 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Das Ausbleiben der Vergütungszahlung sei von der Beklagten ab dem Zeitpunkt zu vertreten, zu dem sie sich zur Weiterbeschäftigung und der Hinnahme des noch nicht in vollständiger Form zugestellten Urteils erkennbar entschlossen habe, die ihr mögliche und zumutbare Nachberechnung und Auszahlung des Verzugslohns aber unterlassen habe. Spätestens am 9. Dezember 1992 habe festgestanden, daß die Beklagte das Arbeitsverhältnis dem Kläger gegenüber als ungekündigt fortbestehend ansehen wolle und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts habe hinnehmen wollen. Mit der Mitteilung vom 9. Dezember 1992 sei die Beklagte verpflichtet gewesen, unverzüglich die Nachberechnung durchzuführen und die Auszahlung zu veranlassen. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich nicht, daß sie alle zumutbaren Anstrengungen unternommen habe, um Abrechnung und Auszahlung noch 1992 zu ermöglichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Beklagten vier Arbeitstage bis zum 16. Dezember 1992 nicht hätten genügen sollen, um eine Nachberechnung bei verfügbarem Zahlenmaterial durchzuführen.

Der Ersatzanspruch der Klägers scheitere nicht an der Ausschlußfrist des § 49 TVAL II. Ansprüche auf Ausgleich steuerlicher Nachteile seien von dieser Frist nicht erfaßt, weil es sich hierbei nicht um „Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis” im Sinne dieser tarifvertraglichen Vorschrift handele.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht nicht geprüft, ob der Kläger seinen Schadensersatzanspruch innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend gemacht hat.

1. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges erlangt (§ 286 Abs. 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB).

a) Nach § 285 BGB setzt Schuldnerverzug die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistung aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln die §§ 276 bis 279 BGB. Danach hat der Schuldner für eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter einzustehen. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung auch dadurch in Verzug geraten, daß er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist. Anders verhält es sich, wenn der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht. Ist die Rechtslage nämlich nicht eindeutig, so handelt der kündigende Arbeitgeber so lange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen durfte. Dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung kann im Laufe eines Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zum Ergebnis geführt hat, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug. Die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzuges hindern, trägt nach § 285 BGB der Schuldner, mithin der kündigende Arbeitgeber, der keine Arbeitsvergütung mehr zahlt.

b) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagte spätestens am 9. Dezember 1992 nicht mehr auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die amerikanischen Streitkräfte in der „Notification” die „Aufhebung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit außerordentlicher Kündigung” zum 14. Februar 1990 bestätigt. Vorausgegangen waren eine umfangreiche Beweisaufnahme vor dem Landesarbeitsgericht über den Kündigungsgrund für die fristlose Kündigung und die Zurückweisung der Berufung der Beklagten durch das am 27. Oktober 1992 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts.

Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß das Urteil im Kündigungsrechtsstreit am 9. Dezember 1992 noch nicht formell rechtskräftig war. Es ist nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargelegt, mit welcher Begründung die Beklagte mit Aussicht auf Erfolg Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 27. Oktober 1992 hätte einlegen können.

Ebensowenig kann die Beklagte darauf verweisen, sie habe erst am 3. Februar 1993 das mit Gründen versehene Berufungsurteil erhalten. Zwar kann bei einer schwierigen Beweislage die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen dafür von Bedeutung sein, ob der Arbeitgeber weiterhin auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte. Im Streitfall kommt es hierauf aber nicht an. Am 9. Dezember 1992 stand nämlich fest, daß die amerikanischen Streitkräfte die Unwirksamkeit der von ihnen ausgesprochenen Kündigung endgültig hingenommen haben. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht die „Notification” vom 9. Dezember 1992 dahingehend auslegte, es habe an diesem Tage festgestanden und sei schriftlich bestätigt worden, daß die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger als ungekündigt forbestehend ansehen und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hinnehmen wollte. Für diese Auslegung der „Notification” spricht bereits die Verwendung der Worte „Cancellation of termination” mit der darunter gesetzten Übersetzung „Aufhebung der Beendigung” rückwirkend zum 14. Februar 1990.

Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Beklagte nicht dargelegt habe, sie habe alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um die Abrechnung und Auszahlung der rückständigen Arbeitsvergütungen noch im Jahre 1992 zu ermöglichen. Am 9. Dezember 1992 waren der Beklagten alle Daten bekannt, einschließlich der Zahlungen des Arbeitsamtes und der daraus folgenden Forderungsübergänge. Die nach § 285 BGB darlegungspflichtige Beklagte hat keine überzeugenden Gründe dafür vorgetragen, die einer manuellen Abrechnung und Auszahlung der Gehaltsrückstände bis zum Abrechnungsschluß des 16. Dezember 1992 entgegengestanden hätten.

2. War die Beklagte somit ab 9. Dezember 1992 mit den Gehaltszahlungen an den Kläger für die Zeit von 1990 bis Oktober 1992 in Verzug geraten, so erfaßte der nach § 286 Abs. 1 BGB zu ersetzende Verzugsschaden auch den durch die verspätete Zahlung entstandenen Steuerschaden.

Nach dem im Steuerrecht geltenden „Zuflußprinzip” sind Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr des Zuflusses zu versteuern. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvergütung für eine dem Steuerjahr vorangegangene Beschäftigungszeit an den Arbeitnehmer nachgezahlt wird. Kommt es danach, wie im Streitfall, zu Nachzahlungen aus den Vorjahren, so kann die einmalige Zahlung zusammen mit der Zahlung der laufenden Arbeitsvergütung im Steuerjahr zu einer „progressionsbedingten” erhöhten Steuerbelastung führen. Auch dieser steuerliche Nachteil kann als Verzugsschaden bei Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB geltend gemacht werden.

Zu Unrecht meint die Revision, dieser Steuerschaden könne der Beklagten nicht i.S.v. § 286 BGB normativ zugerechnet werden. Zwar beruht der finanzielle Nachteil des Klägers auf einer Anwendung zwingender Steuervorschriften. Zu dem Steuerschaden war es aber nur gekommen, weil die Beklagte aus einem von ihr zu vertretenden Umstand nicht fristgerecht leistete. Die Ursache für den Steuerschaden liegt daher in dem Verzug der Beklagten. Solche steuerrechtlichen Nachteile sind daher von der Ersatzpflicht miterfaßt. Sie sind das spiegelbildliche Gegenstück für die Anrechnung von steuerrechtlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. hierzu BGH Urteil vom 18. Dezember 1969 – VII ZR 121/67 – BGHZ 53, 132).

3. Ob der Kläger seinen Schadensersatzanspruch wegen Schuldnerverzugs rechtzeitig geltend gemacht hat oder ob dieser Anspruch tariflich verfallen ist, kann der Senat mangels ausreichender vom Landesarbeitsgericht getroffener tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Anwendung der Verfallklausel des § 49 Ziff. 2 b TVAL II auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch verneint. Der Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Lohnzahlung ist zwar kein Anspruch „aus fehlerhafter Berechnung des Arbeitsverdienstes”, jedoch ein „sonstiger Anspruch aus dem Beschäftigungsverhältnis” im Sinne dieser Tarifvorschrift. Dies hat der Senat bereits im Urteil vom 19. Februar 1998 (– 8 AZR 371/96 – n.v., zu I 1 der Gründe) entschieden.

Nach § 49 Ziff. 2 b TVAL II beginnt die dreimonatige Verfallfrist „vom Tage der Maßnahme oder Unterlassung, auf die sich der Anspruch stützt”. Bei einer solchen tariflichen Bestimmung beginnt die Verfallfrist für einen Schadensersatzanspruch mit seiner Fälligkeit, also dann, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann (vgl. BAG Urteil vom 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – AP Nr. 55 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Hierzu hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben.

Des weiteren wird das Landesarbeitsgericht festzustellen haben, wann der Kläger erstmalig seinen Schadensersatzanspruch geltend gemacht hat. Eine Formvorschrift für die Geltendmachung von Ansprüchen sieht § 49 TVAL II nicht vor. In der bloßen Kündigungsschutzklage kann allerdings nicht die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen verspäteter Lohnzahlung gesehen werden (vgl. Urteil des Senats vom 19. Februar 1998, aaO, zu I 3 a der Gründe).

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, E. Schmitzberger, Dr. Krause

 

Fundstellen

Haufe-Index 1127019

FA 1998, 348

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge