Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsauslegung. Höhe der Ausbildungsvergütung

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; BBiG § 4 Abs. 1 Nr. 6, § 10 Abs. 1; AGBG § 5

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 29.04.1999; Aktenzeichen 16a Sa 1790/98)

ArbG Nienburg (Urteil vom 14.07.1998; Aktenzeichen 2 Ca 729/98)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Ausbildungsvergütung des Klägers.

Die Parteien schlossen auf einem von der Handwerkskammer Hannover herausgegebenen Formular einen Ausbildungsvertrag. Danach sollte die Beklagte den Kläger zum Maurer ausbilden. Die Ausbildungszeit betrug drei Jahre. Das vom Kläger absolvierte Berufsgrundbildungsjahr wurde auf sie angerechnet. Das zweijährige Ausbildungsverhältnis begann am 1. August 1996 und sollte am 31. Juli 1998 enden. § 5 des Ausbildungsvertrages lautete:

“1. Der Ausbildende zahlt dem Lehrling eine angemessene monatliche Vergütung spätestens am letzen Arbeitstag des Monats. Die Vergütung ist nach dem Lebensalter des Lehrlings so zu bemessen, daß sie mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich, ansteigt. Soweit Vergütungen tariflich geregelt sind, gelten mindestens die tariflichen Sätze.

a) Die zu zahlende monatliche Vergütung beträgt z.Z.

im 1. Jahr

1.044,50 DM brutto

im 3. Jahr

2.050,30 DM brutto

im 2. Jahr

1.624,70 DM brutto

im 4. Jahr

2.321,00 DM brutto.

Das Ausbildungsverhältnis der Parteien unterfiel aufgrund beiderseitiger Tarifbindung den Tarifverträgen für das Bauhauptgewerbe. Die in die Vertragsurkunde maschinenschriftlich eingefügten Vergütungsbeträge waren mit den bei Vertragsschluß geltenden tariflichen Sätzen identisch.

Durch Tarifvertrag vom 28. Februar 1997 wurden die tariflichen Ausbildungsvergütungen gewerblicher Auszubildender zum 1. April 1997 um etwa 10 % abgesenkt. Die Vergütung betrug von da an im ersten Ausbildungsjahr 947,80 DM, im zweiten Jahr 1.470,00 DM, im dritten Jahr 1.856,80 DM und in einem vierten Ausbildungsjahr 2.088,90 DM. Vom 1. April 1997 an zahlte die Beklagte an den Kläger Ausbildungsvergütung in Höhe der neuen Tarifsätze. Mit seiner am 3. Juli 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger für die Zeit vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 1998 die Differenz zu den im Vertrag bezifferten Beträgen in rechnerisch unstreitiger Höhe geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, er habe vertraglich einen Anspruch auf die in der Vertragsurkunde genannte Ausbildungsvergütung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.553,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 6. Juli 1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, auch vertraglich schulde sie Ausbildungsvergütung nur in Höhe der jeweils geltenden Tarifsätze. Dies ergebe die Auslegung von § 5 des Ausbildungsvertrages.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat einen Vergütungsanspruch nur in Höhe der ab dem 1. April 1997 geltenden tariflichen Sätze.

  • Die Klage ist zulässig. Selbst wenn bei Klageerhebung das Ausbildungsverhältnis noch bestanden haben sollte, steht § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Ein für das Ausbildungsverhältnis der Parteien zuständiger Schlichtungsausschuß ist nicht gebildet worden.
  • Die Klage ist nicht begründet.

    • Tarifvertraglich hatte der Kläger für den Zeitraum vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 1998 keinen Anspruch auf eine höhere Ausbildungsvergütung als er tatsächlich erhalten hat. Durch den Tarifvertrag vom 28. Februar 1997 wurden die bis dahin geltenden tariflichen Ausbildungsvergütungen mit Wirkung zum 1. April 1997 um etwa 10 % gesenkt. Seit dem 1. April 1997 belief sich deshalb der tarifliche Anspruch des Klägers auf Ausbildungsvergütung nur noch auf 1.470,00 DM brutto monatlich im zweiten Ausbildungsjahr und 1.856,80 DM brutto im dritten Ausbildungsjahr.

      Die Verschlechterung der tariflichen Ausbildungssätze ist wirksam. Löst ein Tarifvertrag einen anderen ab, gelten von diesem Zeitpunkt an die Regelungen des jüngeren Tarifvertrags. Im Verhältnis zweier gleichrangiger Normen gilt die Zeitkollisionsregel. Darauf, ob die jüngeren Regelungen für die Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger sind, kommt es grundsätzlich nicht an, es sei denn, es würde in unverhältnismäßiger Weise in geschützte Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 310/99 – zur Veröffentlichung vorgesehen; 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 12). Dies ist bezüglich künftiger Vergütungsansprüche grundsätzlich nicht der Fall.

    • Der Anspruch des Klägers auf eine höhere Ausbildungsvergütung folgt auch nicht aus dem Ausbildungsvertrag der Parteien. Dem Kläger stehen die dort genannten höheren Beträge nicht zu. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

      • Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, in § 5 Nr. 1 des Vertrages hätten die Parteien hätten keine eigenständige Vergütungsregelung getroffen, die Beklagte habe vielmehr nur die jeweils maßgebliche tarifliche Vergütung schulden sollen. Da im Bauhauptgewerbe die Ausbildungsvergütung tariflich geregelt sei, bedeute dies zunächst, daß dem Kläger als Ausbildungsvergütung mindestens die tariflichen Sätze zustünden. Im folgenden Buchst. a) seien sodann die bei Vertragsschluß geltenden Sätze exakt übernommen worden. Dies sowie die Formulierung, die zu zahlende monatliche Vergütung betrage “z.Z.” die genannten Beträge, spreche gegen eine eigenständige Vergütungsregelung. Dagegen spreche ferner, daß im Vertrag auch die Vergütungen für das erste und vierte Ausbildungsjahr aufgeführt worden seien, obwohl die Parteien ein Ausbildungsverhältnis nur für das zweite und dritte Ausbildungsjahr begründet hätten. Mit der Bezifferung der Vergütungssätze habe die Beklagte deshalb nur ihrer Verpflichtung zur Aufnahme in die Vertragsniederschrift gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 6 BBiG nachkommen wollen.
      • Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich uneingeschränkt überprüfbar. Bei § 5 Nr. 1 des Ausbildungsvertrags handelt es sich um eine vorformulierte Vertragserklärung in dem von der zuständigen Handwerkskammer herausgegebenen Formular für den Abschluß eines Berufsausbildungsvertrags. Es ist davon auszugehen, daß dieses Formular nicht nur durchgängig von der Beklagten, sondern auch von anderen Ausbildenden benutzt wird. § 5 Nr. 1 des Vertrags stellt damit eine typische, weit verbreitete Vertragserklärung dar. Das Revisionsgericht ist an der vollen Überprüfung der Auslegung durch das Berufungsgericht unter dieser Voraussetzung nicht gehindert (st. Rspr., vgl. nur BAG 3. Juni 1998 – 5 AZR 656/97 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 97 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 70).
      • Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

        • Allein aus dem Wortlaut der Vergütungsabrede ergibt sie sich allerdings nicht. Danach ist die Höhe der vertraglichen Ausbildungsvergütung nicht fest an die tariflichen Ausbildungssätze geknüpft worden. Es heißt nur, es gälten “mindestens” diese. Der Zusatz “z.Z.” weist zwar auf die Möglichkeit hin, daß sich die Höhe der Ausbildungsvergütung zukünftig ändert. Eine automatische Angleichung an sinkende Tarifsätze läßt sich aus dem Wortlaut von § 5 Nr. 1 des Ausbildungsvertrags aber nicht hinreichend sicher herleiten.
        • Auch wenn es zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, daß die Vertragsauslegung in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen hat (BGH 11. September 2000 – II ZR 34/99 – NJW 2001, 144 mwN), erweist sich die Auslegung des Landesarbeitsgerichts als richtig. Nach § 133 BGB hat die Auslegung von Willenserklärungen nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. Nach § 157 BGB sind Verträge zudem so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

          Ungeachtet des Wortlauts ihrer Abrede ging der Wille der Parteien in Wirklichkeit dahin, die Ausbildungsvergütung des Klägers solle in jedem Falle – nur – den tariflichen Sätzen entsprechen. Dafür spricht, daß die beiderseits tarifgebundenen Parteien als die zu zahlende monatliche Vergütung exakt die bei Vertragsschluß geltenden Tarifsätze vereinbart haben und in die Vertragsurkunde auch die Vergütungen für das erste und das vierte Ausbildungsjahr aufgenommen wurden. Für sich betrachtet besagt der Umstand, daß die Parteien tarifgebunden sind, noch nichts über ihren Willen, die Beklagte solle in keinem Fall höhere als die tariflichen Vergütungssätze schulden. In den beiden hinzutretenden Umständen kommt dies jedoch deutlich zum Ausdruck. Aus der pfenniggenauen Übernahme der bei Vertragsschluß geltenden tariflichen Ausbildungsvergütungen wird der Wille der Parteien erkennbar, sich für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung, wie sie von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG und von § 5 Nr. 1 Satz 1 des Ausbildungsvertrags gefordert wird, der Beurteilung der Tarifparteien anzuschließen. Aus der – für das eigene Ausbildungsverhältnis unnötigen – Wiedergabe der Tarifsätze auch für das erste und vierte Ausbildungsjahr wird ersichtlich, daß die Übernahme der Tarifsätze in die Vertragsurkunde nur deklaratorische Wirkung haben sollte. Eine eigenständige, von der Beurteilung der Tarifvertragsparteien unabhängige Bewertung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung haben die Parteien dagegen erkennbar nicht vorgenommen. Die Wiedergabe der Tarifsätze diente der Vervollständigung des Vertragsformulars und der Erfüllung der gesetzlichen Dokumentationspflicht aus § 4 Abs. 1 Nr. 6 BBiG. Der rechtsgeschäflich bedeutsame, wirkliche Wille der Parteien ging dahin, die Beklagte solle an Ausbildungsvergütung vertraglich stets das schulden, was sie auch tariflich schulden würde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Parteien angesichts des Umstandes, daß tarifliche Vergütungssenkungen eher die Ausnahme darstellen, die Möglichkeit einer Absenkung tatsächlich bedacht haben. Ihr rechtsgeschäftlicher Wille ging allgemein dahin, die Beklagte solle individualvertraglich zu keiner höheren als der tariflichen Ausbildungsvergütung verpflichtet sein. Daß die Parteien bei Vertragsschluß überhaupt an die Möglichkeit einer Änderung der bezifferten Vergütungssätze gedacht haben, geht aus dem sprachlichen Zusatz “z.Z.” hervor.

          Für die Zeit vom 1. April bis 31. Juli 1997 schuldete die Beklagte deshalb auch vertraglich eine Ausbildungsvergütung in Höhe von nur noch 1.470,00 DM, für die Zeit vom 1. August 1997 bis zum 31. Mai 1998 von nur noch 1.856,80 DM brutto monatlich.

        • Dem stehen § 5 Nr. 1 Satz 1 des Ausbildungsvertrags und § 10 Abs. 1 Satz 2 BBiG auch für die Zeit bis zum 31. Juli 1997 nicht entgegen. Zwar ist danach die Vergütung nach dem Lebensalter des Auszubildenden so zu bemessen, daß sie mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich, ansteigt. Im Falle einer tariflichen Neubewertung der Angemessenheit und anschließenden Absenkung der Ausbildungsvergütungen für sämtliche Ausbildungsjahre wird das gesetzliche Gebot einer Berücksichtigung des zunehmenden Lebensalters des Auszubildenden aber nicht verletzt, solange weiterhin angemessene Steigerungen für jedes Ausbildungsjahr vorgesehen sind. Da im maßgeblichen Tarifvertrag vom 28. Februar 1997 eine Besitzstandsklausel nicht vorgesehen ist, hat der Kläger die viermonatige effektive Absenkung seiner Ausbildungsvergütung hinzunehmen.
        • Die Unklarheitenregelung des § 5 AGBG kommt nicht zur Anwendung. Am Inhalt der von den Parteien in § 5 Nr. 1 des Ausbildungsvertrags getroffenen Vergütungsregelungen bleiben nach der Auslegung keine Zweifel.
 

Unterschriften

Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Reinders, Dombrowsky

 

Fundstellen

Haufe-Index 892456

ARST 2001, 220

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