Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezugnahme auf Tarifvertrag. Ergänzende Vertragsauslegung. “Einschlägiger Tarifvertrag” bei einer ungewöhnlichen Fallgestaltung. Tarifrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Für die (ergänzende) Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die “für das Unternehmen einschlägigen Tarifverträge” ist vorrangig darauf abzustellen, welcher Tarifvertrag nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG bei kongruenter Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis zwingend und unmittelbar gölte.

 

Orientierungssatz

  • Änderungen des Arbeitsvertrages können auch dadurch zustande kommen, daß der Arbeitnehmer ein schriftliches Änderungsangebot des Arbeitgebers – hier: ein Rundschreiben – annimmt, ohne die Annahme dem Arbeitgeber gegenüber zu erklären.
  • Wird im Arbeitsvertrag mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber auf die “für das Unternehmen einschlägigen Tarifverträge” verwiesen, so entsteht eine durch ergänzende Vertragsauslegung auszufüllende Lücke im Arbeitsvertrag, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an diese Tarifverträge infolge Auflösung des tariftragenden Arbeitgeberverbandes ausgeschlossen ist.
  • “Einschlägig” ist in solchen Fällen der Tarifvertrag, der nach seinem Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis erfaßt.
  • Beansprucht ein Tarifvertrag bundesweite Geltung, ein anderer dagegen Geltung nur für bestimmte Bundesländer, in denen das Unternehmen keinen Betrieb unterhält, so ist der bundesweit geltende Tarifvertrag einschlägig, weil nur er normativ gelten könnte.
 

Normenkette

BGB §§ 151, 157

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 05.04.2001; Aktenzeichen 7 Sa 751/00)

ArbG Magdeburg (Urteil vom 31.08.2000; Aktenzeichen 8 Ca 5692/99)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. April 2001 – 7 Sa 751/00 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung der Gehaltserhöhung aus dem ab 1. August 1999 geltenden Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen vom 17. August 1999 (GTV 1999) für die Monate August und September 1999 in Anspruch. Dabei streiten die Parteien insbesondere darüber, ob der GTV 1999 auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

Die am 2. Oktober 1961 geborene Klägerin, die Mitglied der IG Medien ist, trat am 17. Juni 1991 als Redakteurin in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der M… Verlags- und Druckhaus GmbH & Co. KG. Diese war Mitglied im Verband der Zeitungsverleger Sachsen-Anhalt. Der bis zum 17. Juni 1992 befristete Arbeitsvertrag der damaligen Arbeitsvertragsparteien enthält in § 16 folgende Bestimmung:

“Tarifbindung

Im übrigen werden die für das Unternehmen einschlägigen bestehenden oder künftigen Tarifverträge für Redakteure an Tageszeitungen in ihrer jeweils gültigen Fassung ausdrücklich zum Inhalt dieses Vertrages gemacht. …”

Die Beklagte, die vorgenanntem Verband nicht beigetreten ist, führt seit Anfang 1992 als Rechtsnachfolgerin der vormaligen Arbeitgeberin das Verlags- und Druckhaus fort. Durch Änderungsvertrag vom 13. Mai 1992 vereinbarten die Parteien die unbefristete Fortdauer des Redakteurvertrages.

Im ersten Quartal 1992 informierte die Beklagte in einem Rundschreiben ihre Mitarbeiter über ihren Entschluß, “unabhängig von der Tarifzugehörigkeit” die Löhne und Gehälter für alle Mitarbeiter auf 70 % der jeweils gültigen Westtarife anzuheben. Es heißt in dem Rundschreiben weiter:

“Mit den gesellschaftsrechtlichen Veränderungen bei der M.… ist die M… GmbH & Co. KG zum Jahreswechsel erloschen. Zugleich endete die Verbandszugehörigkeit bei den ostdeutschen Verbänden der Druckindustrie und der Zeitungsverleger. Ein neuerlicher Verbandszutritt durch die M… GmbH wird nicht in Betracht gezogen. Damit ist der Weg jetzt frei geworden für eine eigenständige und vorwärts gerichtete Einkommensentwicklung.

Selbstverständlich bleibt allen Mitarbeitern die arbeitsvertraglich zugesicherte Tarifbindung erhalten: Die Rechte und Pflichten aus den jeweiligen Ost-Verbandstarifverträgen zum Lohn, Gehalt und Mantel haben weiter uneingeschränkte Gültigkeit – auch für die Zukunft.

…”

Am 30. April 1992 schlossen die Verbände der Zeitungsverleger aller fünf neuen Bundesländer einschließlich des Tarifgebiets Ost-Berlin mit dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der IG Medien und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) rückwirkend zum 1. Januar 1992 einen Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen. Dieser sah in § 2 Abschnitt VII die stufenweise Anhebung der Tarifgehälter an die jeweils in den alten Bundesländern geltenden Gehaltstarife für Redakteure/Redakteurinnen an Tageszeitungen von 70 % ab dem 1. Mai 1992 in vier Schritten bis 100 % ab dem 1. Oktober 1995 vor. Diese Gehaltserhöhungen vollzog die Beklagte in ihrer Redaktion jeweils nach.

Mit Schreiben vom 14. Januar 1994, welches als Anlage zu dem Redakteursvertrag gelten sollte, teilte die Beklagte der Klägerin mit, es gebe “ab 1. Januar 1994 … einige Veränderungen im Manteltarifvertrag der Redaktion betreffs der Kündigungsfristen und der Urlaubsregelung”. Unter dem 10. August 1994 informierte die Beklagte die Klägerin schriftlich über ihre Höhergruppierung. Darin heißt es:

“Sie haben acht Berufsjahre abgeschlossen und zwei Jahre werden für Ihr abgeschlossenes Hochschulstudium angerechnet, dadurch erhalten Sie die Tarifgruppe IIIb.”

In einem Schreiben vom 16. Januar 1995 teilte die Beklagte der Klägerin mit, laut Manteltarifvertrag habe sich ihr Urlaubsanspruch ab 1. Januar 1995 auf 33 Arbeitstage erhöht. Im Herbst 1995 bat die Beklagte ihre Mitarbeiter um die Abgabe einer Erklärung, wonach bis zum 31. Dezember 1998 “auf bereits geregelte bzw. künftige tarifliche Arbeitszeitverkürzungen verzichtet wird”. In diesem Schreiben heißt es eingangs:

seit dem 01. Oktober 1995 gelten in der M… Verlags- und Druckhaus GmbH in den Tarifbereichen Druck, Verlag und Redaktion die vollen Westtarife. Ungeachtet der angespannten wirtschaftlichen Situation bei der M… Verlags- und Druckhaus GmbH und obwohl wir nicht den Arbeitgeberverbänden angehören, haben wir mit Rücksicht auf die Einkommenserwartungen unsere Zusagen auf Einhaltung der Tarifverträge umfassend erfüllt.

Die Klägerin gab die Verzichtserklärung nicht ab.

Seit 1996 wurden jeweils räumlich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bezogene Gehaltstarifverträge zwischen dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV) mit dem DJV und der IG Medien abgeschlossen. Der BDZV ist ausweislich seiner Satzung idF vom 5. Oktober 1992 der Zusammenschluß der Landesverbände der deutschen Zeitungsverleger. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört nach § 2 Abs. 2 Buchst. g ua.:

“… der Abschluss von Tarifverträgen im Namen und mit Zustimmung der Mitgliedsverbände gem. § 2 Abs. 2 TVG. Dies kann erfolgen getrennt für das Verbandsgebiet, in dem das Grundgesetz bis zum 2. Oktober 1990 galt und den Teil des Verbandsgebietes, in dem das Grundgesetz bis zum 2. Oktober 1990 nicht galt.”

Die Mitgliedschaft im BDZV ist nach § 3 der Satzung auf die Landesverbände des Zeitungsverlagsgewerbes beschränkt. Seit der Auflösung des Landesverbandes der Zeitungsverleger Sachsen-Anhalt im Jahre 1996 gibt es für das genannte Land keinen Landesverband mehr.

Die Beklagte hob in den Jahren 1996 bis 1998 die Gehälter der Klägerin insgesamt drei Mal entsprechend den auf das Bundesgebiet bezogenen Tarifabschlüssen an. Mit Schreiben vom 22. Januar 1998 teilte sie der Klägerin mit:

“… am 15. 12.1997 wurde zwischen dem BDZV, dem DJV und der IG Medien eine Tarifvereinbarung abgeschlossen.

Diese Tarifvereinbarung wird auch entsprechend der individualrechtlichen Zusage von der M… Verlags- und Druckhaus GmbH übernommen. Es handelt sich dabei um folgende Veränderungen:

1. Erhöhung der Gehaltssätze ab 01.01.1998 linear um 1,5 %.

2. …”

Unter dem 9. September 1998 informierte die Beklagte die Klägerin schriftlich darüber, daß sie auf Grund ihrer Berufsjahre mit Wirkung ab 1. September 1998 in “Tarifgruppe IIIc mit einem Betrag von 7.479,- DM” eingruppiert sei.

Am 17. August 1999 schlossen der BDZV, der DJV und die IG Medien den gem. § 1 “räumlich: für das Gebiet der BRD nach dem Gebietsstand vom 3. Oktober 1990” geltenden GTV 1999, der eine Erhöhung der Tarifsätze um 3,3 % ab 1. August 1999 vorsah. Der Aufzählung der Tarifvertragsparteien ist folgende Anmerkung angefügt:

Die Vollmacht des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger e.V. als Vertreter des Vereins der Zeitungsverleger in Berlin und Brandenburg e.V. und des Verbandes der Zeitungsverlage Norddeutschland e.V. erstreckt sich nicht auf die Bundesländer Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Der Gehaltstarifvertrag für die in der Anmerkung genannten Bundesländer – nachfolgend GTV 1999 Br/MV – sieht die Tariferhöhung erst für die Zeit ab 1. Oktober 1999 vor.

Mit Schreiben vom 28. September 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde die Tarifgehälter der Redakteure in Anlehnung an den GTV 1999 Br/MV mit Wirkung zum 1. Oktober 1999 anheben. Die Klägerin forderte erfolglos mit Schreiben vom 25. Oktober und 9. November 1999 die Nachzahlung der Gehaltserhöhung für die Monate August und September. Das sind insgesamt 504,00 DM (entspricht 257,69 Euro). Mit ihrer Klage verfolgt sie diesen Anspruch weiter.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der GTV 1999 sei auf Grund seines räumlichen Geltungsbereiches der “einschlägige” Tarifvertrag, der nach der Vereinbarung in § 16 des Arbeitsvertrages auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sei. Dies habe die Beklagte auch durch das Rundschreiben im Frühjahr 1992 und die jahrelange Anwendung der Vorgänger dieses Tarifvertrages hinreichend deutlich gemacht. Sie könne sich nicht darauf berufen, daß der GTV 1999 Br/MV auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei, zumal Sachsen-Anhalt nicht in dessen räumlichen Geltungsbereich falle, wohl aber in den des GTV 1999. Die vorbehaltlose Anwendung der auf das Bundesgebiet bezogenen Gehaltstarifverträge der Jahre 1996 bis 1998 stelle zudem eine betriebliche Übung dar, der sich die Beklagte nicht mit dem Argument entziehen könne, sie habe sich geirrt. Die Beklagte habe darüber hinaus auch alle ihre – der Klägerin – anderen tarifvertraglichen Ansprüche nach den Bundestarifverträgen abgewickelt. Schließlich ergebe sich ihr Anspruch auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, weil die Beklagte – was unstreitig ist – den Redakteuren R… und F… bereits ab dem 1. August 1999 das erhöhte Gehalt gezahlt habe. Das Argument der Beklagten, diese Redakteure seien aus dem Westen gekommen und hätten auf der Vereinbarung der Westtarifverträge bestanden, habe seit der Tarifangleichung 1995 keine Bedeutung mehr.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 504,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 23. Dezember 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der GTV 1999 sei nicht für ihren Betrieb “einschlägig” im Sinne von § 16 des Arbeitsvertrages, da für die Region Sachsen-Anhalt kein Landesverband existiere, der den BDZV hätte bevollmächtigen können. Daß der GTV 1999 als räumlichen Geltungsbereich das Gebiet der Bundesrepublik angebe, könne sinnvollerweise nur als Ausdruck des Territorialprinzips verstanden werden. Mit dem Rundschreiben im Frühjahr 1992 habe sie ihren Arbeitnehmern nur mitteilen wollen, daß sie sich in Zukunft grundsätzlich weiter so verhalten wolle, als sei die Verbandsmitgliedschaft nicht erloschen. Fehle es jedoch für die Verbandsregion an einem räumlich “einschlägigen” Tarifvertrag, so gehe die arbeitsvertragliche Regelung trotz dieser Zusage ins Leere. Sie sei nun in ihrer Entscheidung frei, ob und – wenn ja – welchen Gehaltstarifvertrag sie auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwende. Die Ansprüche der Klägerin ließen sich auch nicht mit betrieblicher Übung begründen. Sie – die Beklagte – habe erst beim Ausscheren der Regionalverbände Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aus dem GTV 1999 erkannt, daß der BDZV in Ermangelung eines entsprechenden Verbandes gar nicht legitimiert gewesen sei, für Sachsen-Anhalt einen Gehaltstarifvertrag abzuschließen. Sie habe stets und nur zum Ausdruck gebracht, daß sie sich vertragsgerecht verhalten und den BDZV-Abschluß lediglich auf Grund der Zusage in § 16 des Arbeitsvertrages umsetzen wollte. Einen darüber hinausgehenden Vertrauenstatbestand habe sie nicht geschaffen. Unter diesen Voraussetzungen habe sie, nachdem ihr die tatsächliche tarifrechtliche Lage bewußt geworden sei, von ihrem Verhalten wieder abrücken dürfen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiter die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision ist nicht begründet. Im Ergebnis mit Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

    1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung Anspruch auf die Tarifgehaltserhöhung nach dem GTV 1999. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel der Parteien bezieht sich entgegen der Auffassung der Beklagten im Ergebnis auch auf den GTV 1999, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht angenommen hat. Dies ergibt zumindest die ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrages der Parteien.

    a) Die Verpflichtung der Beklagten, “die für das Unternehmen einschlägigen bestehenden oder künftigen Tarifverträge für Redakteure an Tageszeitungen in ihrer jeweils gültigen Fassung” iSv. § 16 des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden, folgt aus der genannten Vertragsvorschrift in Verb. mit den Erklärungen der Beklagten in ihrem Rundschreiben aus dem ersten Quartal 1992. In dem genannten Rundschreiben hat die Beklagte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und damit auch der Klägerin – mitgeteilt, mit dem Erlöschen ihrer Rechtsvorgängerin zum Jahreswechsel habe die Verbandszugehörigkeit bei den ostdeutschen Verbänden der Druckindustrie und der Zeitungsverleger geendet, ein neuerlicher Verbandszutritt durch sie werde nicht in Betracht gezogen. Dieser Mitteilung fügte sie die Zusage an, sich trotz fehlender Verbandszugehörigkeit ihren Arbeitnehmern gegenüber auch künftig weiter tarifkonform zu verhalten – und zwar ohne Rücksicht auf deren Tarifgebundenheit oder das Nichtbestehen derselben. Diese Zusage folgt aus der Erklärung der Beklagten in dem Rundschreiben: “Selbstverständlich bleibt allen Mitarbeitern die arbeitsvertraglich zugesicherte Tarifbindung erhalten: Die Rechte und Pflichten aus den jeweiligen Ost-Verbandstarifverträgen zum Lohn, Gehalt und Mantel haben weiter uneingeschränkte Gültigkeit – auch für die Zukunft.” Darin ist dem Landesarbeitsgericht zu folgen, dessen diesbezügliche Ausführungen von der Revision auch nicht angegriffen werden.

    b) Das in dem behandelten Rundschreiben der Beklagten enthaltene Angebot hat die Klägerin angenommen, ohne daß diese Annahme gegenüber der Beklagten erklärt zu werden brauchte (§ 151 BGB). Die Annahme des Angebotes durch die Klägerin folgt aus den Gesamtumständen des Falles. Dementsprechend ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nach seinem Übergang auf die Beklagte tarifgerecht abgewickelt worden, insbesondere was zB die Gehaltszahlungen an die Klägerin von 1992 bis 1995 betraf.

    c) Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, daß der GTV 1999 nicht Gegenstand der Bezugnahmeklausel der Parteien ist und die arbeitsvertragliche Bezugnahme hinsichtlich des Gehalts der Klägerin seit dem Abschluß räumlich auf das Bundesgebiet bezogener Gehaltstarifverträge für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen ohne Beteiligung eines Landesverbandes der Zeitungsverleger Sachsen-Anhalt “ins Leere geht”, wie die Beklagte geltend macht. Dies wäre dann der Fall, wenn nach dem Willen der Parteien Gegenstand der Bezugnahmeklausel ausschließlich solche Tarifverträge sein sollten, an die die Beklagte kraft Verbandsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden sein könnte, wofür das Rundschreiben aus dem ersten Quartal 1992 spricht, und diese Tarifgebundenheit der Beklagten an den GTV 1999 nicht möglich wäre. Letzteres folgt nicht bereits daraus, daß seit dem Jahre 1996 ein Landesverband der Zeitungsverleger Sachsen-Anhalt nicht mehr existierte, in dessen Namen und mit dessen Zustimmung der BDZV nach § 2 Abs. 2 Buchst. g seiner Satzung Tarifverträge hätte abschließen können. Denn denkbar ist bei dieser Sachlage eine Mitgliedschaft der Beklagten in einem anderen, am Abschluß des GTV 1999 beteiligten Landesverband des Zeitungsverlegergewerbes, sofern für eine solche Mitgliedschaft die satzungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen. Feststellungen dazu, daß diese Möglichkeit nicht bestand, sind im vorliegenden Fall nicht getroffen.

    d) Auch wenn der Arbeitsvertrag gemäß den vorbehandelten Erwägungen hinsichtlich der Gehaltsregelung lückenhaft (geworden) wäre, ist die Klage begründet. Denn die ergänzende Auslegung des Vertrages der Parteien – § 16 des Arbeitsvertrages in Verb. mit dem Rundschreiben aus dem ersten Quartal 1992 – führt zur Anwendung des GTV 1999 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien. Die Auffassung der Beklagten, die Vertragslücke sei durch die Anwendung des GTV 1999 Br/MV zu schließen, wird § 157 BGB nicht gerecht.

    aa) Das Landesarbeitsgericht hat – zusammengefaßt – angenommen, weder der GTV 1999 noch der GTV 1999 Br/MV seien für das Arbeitsverhältnis räumlich “einschlägig”. Nach seiner Auffassung komme es, solange in Sachsen-Anhalt kein Arbeitgeberverband bestehe und nicht alle östlichen Bundesländer einen von den westlichen Bundesländern abgekoppelten Tarifvertrag abschlössen, auf den Tarifvertrag an, dessen räumlicher Geltungsbereich nicht regional beschränkt sei. Dies sei der GTV 1999.

    bb) Der Sache nach hat das Landesarbeitsgericht mit diesen Ausführungen eine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen, der der Senat im Ergebnis folgt.

    (1) Vertragsauslegung bedeutet nicht nur Ermittlung des Sinngehalts der im Vertragstext selbst niedergelegten Parteierklärungen. Sie bezweckt vielmehr die Feststellung des Vertragsinhalts auch in solchen Punkten, zu denen die Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen haben, deren Regelung aber gleichwohl zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist. Die Unvollständigkeit der vertraglichen Regelung darf allerdings nicht gewollt gewesen, der Parteiwille nicht gerade in der Unvollständigkeit zum Ausdruck gekommen sein. Die ergänzende Vertragsauslegung gehört zwar wie die einfache Vertragsauslegung in den Bereich der tatrichterlichen Feststellung. Sie ist aber nicht dem Tatrichter vorbehalten. Die Entscheidung, ob eine Regelungslücke besteht und wie Vertragspartner sie bei deren Kenntnis geschlossen hätten, kann auf Grund ausreichender tatrichterlicher Feststellungen durch das Revisionsgericht getroffen werden. Es geht nicht um die Aufklärung eines – nicht festgestellten – tatsächlichen Parteiwillens. Es geht vielmehr um eine an objektiven Maßstäben orientierte Bewertung des Inhalts der getroffenen Vereinbarungen und der aus ihnen abgeleiteten Rechtsfolgen mit dem Ziel zu ermitteln, was die Parteien im Falle des Erkennens der Regelungslücke bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten (BAG 3. Juni 1998 – 5 AZR 552/97 – AP BGB § 612 Nr. 57 mwN).

    (2) Die Parteien stimmen darin überein, daß die Unvollständigkeit der vertraglichen Regelung hinsichtlich des Gehalts der Klägerin nicht gewollt war. Sie gehen übereinstimmend davon aus, zur Schließung der entstandenen Vertragslücke seien tarifliche Regelungen des Gehalts für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen heranzuziehen, und streiten nur darüber, welche tariflichen Regelungen das sind.

    (3) Damit ist zu fragen, wie die Parteien vom Stand ihrer entgegengesetzten Interessen aus den offen gebliebenen Punkt billigerweise geregelt hätten, hätten sie an seine Regelungsbedürftigkeit gedacht. Die Antwort muß innerhalb des durch den Vertrag selbst gezogenen Rahmens gesucht werden. Das Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung darf nicht im Widerspruch zu dem im Vertrag ausgedrückten Parteiwillen stehen (BAG 3. Juni 1998 – 5 AZR 552/97 – aaO).

    (4) Für die (ergänzende) Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die “einschlägigen Tarifverträge” ist vorrangig darauf abzustellen, welcher Tarifvertrag nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG bei kongruenter Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis zwingend und unmittelbar gölte. Steht – wie hier – fest, daß der Arbeitgeber unter den fachlichen/betrieblichen Geltungsbereich und der Arbeitnehmer unter den persönlichen Geltungsbereich beider hier in Rede stehenden Tarifverträgen fallen, so ist für die Einschlägigkeit nur noch auf den räumlichen Geltungsbereich abzustellen. Danach ist der GTV 1999 einschlägig, nicht aber der GTV 1999 Br/MV. Der GTV 1999 Br/MV kann für das Arbeitsverhältnis der Parteien schon deshalb nicht normativ gelten, weil sein räumlicher Geltungsbereich auf die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beschränkt ist. Wohl gölte der GTV 1999 bei kongruenter Tarifgebundenheit normativ. Der räumliche Geltungsbereich des GTV 1999 ist “die Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand vom 3. Oktober 1990” und erfaßt daher auch das Land Sachsen-Anhalt. Dies macht auch Sinn, obgleich für dieses nicht ein Landesverband am Tarifabschluß beteiligt war: Überregional tätige Verlage, die Tageszeitungen herausgeben – vgl. § 1 GTV 1999 –, die Mitglied in einem am Abschluß des GTV 1999 vom BDZV vertretenen Landesverband sind, können Betriebe oder Tochterunternehmen mit Betrieben in Sachsen-Anhalt haben. Bei dieser Sachlage besteht ein Bedürfnis, zumindest aber ein Interesse der Tarifvertragsparteien, den räumlichen Geltungsbereich des GTV 1999 auch auf ein Tarifgebiet zu erstrecken, das in der Laufzeit des Tarifvertrages keinen Landesverband hat.

    (5) Dieser Vertragsauslegung steht auch nicht der Umstand entgegen, daß die Beklagte als für sie “einschlägige Tarifverträge” ausweislich ihres Rundschreibens aus dem ersten Quartal 1992 die “jeweiligen Ost-Verbandstarifverträge” versteht. Denn “Ost-Verbandstarifverträge” sind nicht nur solche Tarifverträge, deren räumlicher Geltungsbereich auf das Gebiet der neuen Bundesländer oder einen Teil derselben begrenzt ist, sondern auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 3. Oktober 1990 geltende Tarifverträge, sofern es keinen denselben Gegenstand betreffenden speziellen Tarifvertrag für das Gebiet der neuen Bundesländer oder eines Teils derselben gibt. In diesem Sinn hat auch die Beklagte die Verweisung auf die Tarifverträge für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen verstanden, wie die Anwendung des bundesweit geltenden Manteltarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen zeigt.

    2. Auf den Streit der Parteien über das Bestehen eines Anspruchs der Klägerin auf die mit der Klage geforderte Vergütung kraft betrieblicher Übung oder kraft des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kommt es daher für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.

    3. Ihre Verurteilung zur Verzinsung des Klageanspruchs hat die Beklagte nicht angegriffen.

  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Schliemann, Friedrich, Bott, E. Wehner, v. Dassel

 

Fundstellen

Haufe-Index 934570

BAGE 2004, 364

BB 2003, 1512

BB 2003, 2012

ARST 2003, 263

NZA 2003, 1039

SAE 2003, 323

AP, 0

EzA-SD 2003, 15

EzA

NJ 2003, 500

BAGReport 2003, 280

SPA 2003, 4

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