Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändbarkeit einer Kündigungsabfindung

 

Orientierungssatz

1. Von einem formularmäßig erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß wird auch die Abfindung des Arbeitnehmers nach §§ 9, 10 KSchG erfaßt. Sie ist "Arbeitseinkommen" im Sinne des § 850 ZPO.

2. Für derartige Abfindungen gelten nicht die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine "nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung" im Sinne von § 850i ZPO.

3. Wird die Zwangsvollstreckung aus einem Prozeßvergleich betrieben, so kommt § 767 Abs 2 ZPO bei der Vollstreckungsgegenklage nicht zur Anwendung.

4. Hinweise des Senats: "Bestätigung von BAG-Urteil vom 12.9.1979 - 4 AZR 420/77 = BAGE 32, 96 = AP Nr 10 zu § 850 ZPO."

 

Normenkette

KSchG §§ 9-10; ZPO §§ 850i, 850 c

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 09.03.1990; Aktenzeichen 12 Sa 1906/89)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 11.10.1989; Aktenzeichen 1 Ca 1280/89)

 

Tatbestand

Der Beklagte war bei der Klägerin zuletzt als Versandarbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nach einer Kündigung der Klägerin durch gerichtlichen Vergleich vom 29. Dezember 1988, in dem sich die Klägerin verpflichtete, an den Beklagten "als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Kündigungsschutzabfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 6.500,-- DM netto" zu zahlen.

Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die der Klägerin am 30. März 1987 und 4. Mai 1987 zugestellt wurden, wurde die angebliche Forderung des Beklagten gegen die Klägerin auf "Zahlung des gesamten Arbeitseinkommens" (§ 850 ZPO) in Höhe von insgesamt 6.969,69 DM gepfändet. Ferner wurden durch der Klägerin zugestellte Pfändungsverfügungen vom 30. März 1987 und 8. April 1987 die angeblichen Forderungen des Beklagten gegen die Klägerin "aus Arbeits- oder Dienstleistungen" in Höhe von weiteren 1.091,25 DM gepfändet und den Gläubigern zur Einziehung überwiesen.

Die Klägerin zahlte am 20. Januar 1989 entsprechend den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen sowie den Pfändungsverfügungen die Kündigungsschutzabfindung an die Pfändungsgläubiger aus.

Der Beklagte betreibt gegen die Klägerin wegen seiner Forderung auf Zahlung der Kündigungsschutzabfindung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 29. Dezember 1988 die Zwangsvollstreckung.

Die Klägerin meint, die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich sei unzulässig. Sie sei durch die Zahlung an die Pfändungsgläubiger des Beklagten von ihrer Leistungspflicht befreit, da die Kündigungsabfindung durch die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse wirksam gepfändet sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen

Vergleich des Arbeitsgerichts Dortmund vom

29. Dezember 1988 - 1 Ca 4231/88 - für unzulässig

zu erklären.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er meint, die Pfändung seiner Ansprüche gegen die Klägerin auf Zahlung von Arbeitseinkommen erfasse nicht die Kündigungsabfindung aus dem gerichtlichen Vergleich. Die Kündigungsabfindung sei kein Arbeitsentgelt im Sinne von § 850 ZPO, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Die vom Beklagten betriebene Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 29. Dezember 1988 ist unzulässig. Denn dem Beklagten stehen aus dem gerichtlichen Vergleich vom 29. Dezember 1988 keine Ansprüche mehr zu.

Es handelt sich vorliegend um eine Vollstreckungsgegenklage im Sinne von § 767 ZPO, die sich gemäß § 795 Satz 1 in Verbindung mit § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch gegen die Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich richten kann (vgl. BAGE 32, 96, 97 ff. = AP Nr. 10 zu § 850 ZPO).

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der Abfindungsbetrag von den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen, durch die das "Arbeitseinkommen" des Beklagten gepfändet und seinen Gläubigern zur Einziehung überwiesen worden ist, erfaßt wird und dem Beklagten hinsichtlich der Abfindung kein unpfändbarer Betrag zusteht. Der den Pfändungsgläubigern aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zustehende Betrag überstieg die Höhe der Kündigungsschutzabfindung. Durch die Zahlung an die Pfändungsgläubiger ist der Abfindungsanspruch des Beklagten erloschen (vgl. § 835 ZPO).

Die Kündigungsschutzabfindung gehört zum "Arbeitseinkommen" im Sinne der Pfändungsvorschriften der §§ 850 ff. ZPO. Was unter "Arbeitseinkommen" in diesem Sinne zu verstehen ist, ist in § 850 ZPO geregelt. Nach § 850 Abs. 2 ZPO sind Arbeitseinkommen im Sinne der §§ 850 bis 850 i ZPO "die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge sowie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen". Hierbei erfaßt die Pfändung des Arbeitseinkommens "alle Vergütungen, die dem Schuldner aus der Arbeits- oder Dienstleistung zustehen, ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart" (§ 850 Abs. 4 ZPO). Hiervon werden auch Kündigungsschutzabfindungen erfaßt.

Die Vorschriften über den Lohnpfändungsschutz (§§ 850 a bis 850 i ZPO) wollen den Lebensunterhalt, die Existenz des Schuldners sichern, indem sie bestimmen, daß dem Schuldner ein Teil der gepfändeten Forderungen verbleiben soll. Dem Lebensunterhalt des Arbeitnehmers dienen in der Regel alle Bezüge, die er vom Arbeitgeber erhält. Deshalb ist es gerechtfertigt, als "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO nicht nur den eigentlichen Arbeitslohn, sondern auch alle sonstigen sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Entgeltansprüche des Arbeitnehmers anzusehen. Wenn das Gesetz durch Pfändbarkeits- und Unpfändbarkeitsregelungen zum Arbeitseinkommen ausdrücklich auch Bezüge zählt, die nicht als unmittelbares Arbeitsentgelt für eine bestimmte Arbeit anzusehen sind, zum Beispiel Treueprämien, Weihnachtsgratifikationen (vgl. § 850 a ZPO) oder Karenzentschädigungen für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 850 Abs. 3 ZPO), so läßt sich auch die Kündigungsschutzabfindung unter den Begriff "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO einordnen. Dies wird auch dem Zweck der Vorschrift des § 832 ZPO gerecht. Danach erstreckt sich bei der Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung das Pfandrecht "auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge". Aus dieser Regelung läßt sich das Bestreben des Gesetzgebers entnehmen, mit einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der sich auf Arbeitseinkommen bezieht, möglichst umfassend alle in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erfassen.

Die Kündigungsabfindung nach §§ 9, 10 KSchG gehört zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, weil sie gerade wegen seiner Beendigung vom Arbeitgeber gezahlt wird. Es ist deshalb unerheblich, daß sie kein unmittelbares Arbeitsentgelt, keinen Ersatz für ein Arbeitsentgelt und auch keinen sonstigen Schadenersatz darstellt. Entscheidend ist vielmehr, daß sie - wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis - der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie dient. Dies rechtfertigt es, die Abfindung den Pfändungs vorschriften der §§ 850 a ff. ZPO zu unterwerfen und dem Arbeitnehmer gegebenenfalls den Pfändungsschutz des § 850 i ZPO zu gewähren, während ein Pfändungsschutz nach § 850 c ZPO nicht in Betracht kommt, weil die Abfindung nicht zum laufenden Arbeitsentgelt gehört, das für einen bestimmten Zeitraum gezahlt wird. Voraussetzung für den Pfändungsschutz ist aber, daß die Abfindung zum Arbeitseinkommen gehört und damit grundsätzlich von entsprechenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen erfaßt wird. Diese Grundsätze hat der Senat bereits im Urteil vom 12. September 1979 (BAGE 32, 96 = AP Nr. 10 zu § 850 ZPO) aufgestellt. Daran ist festzuhalten. Das Schrifttum stimmt der Senatsrechtsprechung zu (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 49. Aufl., § 850 i Rz 2; KR-Becker, 3. Aufl., § 10 KSchG Rz 17; Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis, 1987, S. 164 Rz 401; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., Bd. 2, § 112 Rz 134; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 113 Rz 26; Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., Bd. 2, §§ 112, 112 a BetrVG Rz 224; Herschel, SAE 1980, 168; Hess/Knörig, Das Arbeitsrecht bei Sanierung und Konkurs, 1991, A, S. 73 Rz 188; Knorr/ Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 3. Aufl. 1991, S. 496 Rz 112; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 92 II 2, S. 593; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl. 1991, S. 438 Rz 1220; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 850 Rz 52; Stöber, Forderungspfändung, 9. Aufl., S. 614 f. Rz 1234; Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., § 850 Rz 2; Walchshöfer, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 850 ZPO; Weller, Arbeitsrechts-Blattei, D-Blatt, Sozialplan I, G I; Zöller, ZPO, 16. Aufl., § 850 Rz 15).

Pfändungsschutz nach § 850 i ZPO steht dem Beklagten im vorliegenden Fall jedoch nicht zu. Denn dies erfordert einen Antrag beim Vollstreckungsgericht, den der Beklagte nicht gestellt hat.

Der Abfindungsanspruch des Beklagten ist nicht nach § 851 ZPO unpfändbar. Selbst wenn es sich bei der Abfindung um eine nach § 399 BGB nicht übertragbare Forderung handeln würde, was sehr zweifelhaft erscheint, ist sie nach § 851 Abs. 2 ZPO pfändbar. Denn der geschuldete Gegenstand, die Geldforderung in Höhe der festgesetzten Abfindung, ist der Pfändung unterworfen.

Entgegen der Auffassung der Revision ist es mit der Pfändbarkeit der Abfindung durchaus vereinbar, daß sie nach der Senatsrechtsprechung und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegt (vgl. BAGE 60, 127 = AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969; BSG Urteil vom 21. Februar 1990 - 12 RK 20/88 - NZA 1990, 751). Die Beitragspflicht zur Sozialversicherung ist zu verneinen, weil sich die Abfindung nicht einem bestimmten Zeitraum während des Arbeitsverhältnisses zuordnen läßt. Für die Pfändbarkeit der Abfindung ist dies aber ohne Bedeutung. Insoweit ist gerade entscheidend, daß sie dem Lebensunterhalt des Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dient. Aus dem gleichen Grund ist unerheblich, daß die Abfindung keine bevorrechtigte Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO darstellt. Denn sie läßt sich nicht einem bestimmten Zeitraum während des Arbeitsverhältnisses ("für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens") zuordnen.

Eine Verpflichtung der Klägerin, den Beklagten über die vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe aufzuklären, besteht nicht. Der Beklagte als Schuldner wird gemäß § 829 Abs. 2 ZPO über die Zustellung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen an den Drittschuldner (Arbeitgeber) unterrichtet. Es ist dann seine Sache, hiergegen in Betracht kommende Rechtsbehelfe zu ergreifen. Der Rechtsbehelf (hier: Vollstreckungsschutz nach § 850 i ZPO) betrifft nicht unmittelbar das Rechtsverhältnis der Parteien, sondern nur das Rechtsverhältnis des Beklagten als Arbeitnehmer zu seinem Gläubiger (Pfändungsgläubiger). Für dieses Rechtsverhältnis trifft den Arbeitgeber keine Fürsorgepflicht. Im übrigen ist es zweifelhaft, ob dem Beklagten durch die Zahlung der Klägerin an Pfändungsgläubiger überhaupt ein Schaden entstanden ist, da in Höhe der von der Klägerin geleisteten Zahlungen die Schuld des Beklagten getilgt wurde.

Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Schaub Schneider Dr. Etzel

Koerner Müller-Tessmann

 

Fundstellen

RzK, I 11c Nr 8 (ST1)

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