Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungswidrigkeit von Ehefrauenzulage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Gewährung einer Ehefrauenzulage ist wegen Verstoß gegen Art 3 Abs 2, 3 GG verfassungswidrig und als Tarifnorm nichtig.

2. Für die Zukunft können aus dieser nichtigen Bestimmung weder männliche noch weibliche Arbeitnehmer Rechte herleiten. Den Gerichten ist es verwehrt, diese nichtige Norm durch eine andere zu ersetzen, da dies ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie des Art 9 Abs 3 GG wäre.

3. Für die Vergangenheit ist dagegen die Lohngleichheit nur durch Gewährung einer Verheiratetenzulage auch an Arbeitnehmerinnen zu verwirklichen. Da insoweit praktisch nur eine Regelungsmöglichkeit besteht, kann die Tarifnorm für die Vergangenheit auch durch die Gerichte ergänzt werden.

 

Orientierungssatz

Auslegung des § 2 (Ehefrauenzulage) des Gehaltstarifvertrages für die Berliner Metallindustrie.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 2-3, Art. 9 Abs. 3; TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 21.02.1984; Aktenzeichen 3 Sa 121/83)

ArbG Berlin (Urteil vom 14.09.1983; Aktenzeichen 18 Ca 275/83)

 

Tatbestand

Die verheirateten Klägerinnen, die der Industriegewerkschaft Metall als Mitglied angehören, sind – mit Ausnahme der bereits zum 30. Juni 1983 ausgeschiedenen Klägerin zu 4) – bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbands der Berliner Metallindustrie e. V. und wendet die Bestimmungen des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten in der Berliner Metallindustrie (GTV) in der jeweils geltenden Fassung kraft Tarifbindung oder kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf die Arbeitsverhältnisse aller bei ihr beschäftigten Angestellten an.

Gemäß § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV zahlt die Beklagte an die verheirateten männlichen Arbeitnehmer eine Ehefrauenzulage in Höhe von monatlich 10,– DM. Die verheirateten weiblichen Arbeitnehmer erhalten von der Beklagten keine entsprechende Zulage.

Mit der Klage haben die Klägerinnen geltend gemacht, auch ihnen stehe als verheirateten Arbeitnehmern für die Zeit vom 1. März bis 31. Juli 1983 bzw. – hinsichtlich der Klägerin zu 4) – für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni 1983 eine tarifliche Zulage für ihre Ehemänner in Höhe von 10,– DM monatlich zu. Hierzu haben sie vorgetragen, die Regelung des § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV sei ein Verheiratetenzuschlag, für den es nicht darauf ankomme, ob und inwieweit die Ehefrau mitverdiene. Dieser Zuschlag stehe nach der Tarifnorm lediglich verheirateten Männern, nicht jedoch auch verheirateten Frauen zu, so daß für den Anspruch maßgeblich sei, welchem Geschlecht man angehöre. Damit werde für den Verheiratetenzuschlag geschlechtsspezifisch differenziert, die Frauen würden diskriminiert. Das gelte auch dann, wenn die Tarifnorm als Alleinverdienerzuschlag anzusehen sei, da ein Anspruch hierauf nur Männern zustehe. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Der Kern der gegen Art. 3 GG verstoßenden Tarifnorm bleibe jedoch unberührt, wonach dem verheirateten Arbeitnehmer für seinen Ehegatten eine Zulage von 10,– DM monatlich zustehen soll. Daher müsse die Beklagte diese Zulage auch an die Klägerinnen zahlen. Diese Rechtsfolge ergebe sich auch aus den Vorschriften des Art. 119 EWGV und der §§ 611 a, 612 Abs. 3 Satz 1 BGB, die auch dann anzuwenden seien, wenn sich das Arbeitsverhältnis nach tariflichen Bestimmungen richte. Danach dürften die weiblichen Arbeitnehmer nicht gegenüber den männlichen Arbeitnehmern wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden.

Die Klägerinnen haben demgemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen zu 1) bis 3) und 5) bis 9) je 50,– DM brutto und an die Klägerin zu 4) 40,– DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, entgegen der Auffassung der Klägerinnen sehe die tarifliche Regelung des § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV keine Verheiratetenzulage vor, sondern danach habe nur der männliche verheiratete Angestellte einen Anspruch auf eine Ehefrauenzulage. Die Ehefrauenzulage sei 1928 eingeführt worden und danach unverändert in die jeweils geltenden Tarifverträge übernommen worden. Damit habe man seinerzeit die materielle Mehrbelastung durch die im allgemeinen nicht mitverdienende Ehefrau mildern wollen. Die Ehefrauenzulage sei als Alleinverdienerzulage gedacht gewesen. Eine Regelung für die berufstätige Ehefrau mit nicht verdienendem Ehemann sei nach den damals bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen nicht erforderlich gewesen, da es 1928 – anders als heute – alleinverdienende angestellte Ehefrauen praktisch nicht gegeben habe. Daher sei auch früher kein allgemeiner Alleinverdienerzuschlag vereinbart worden. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung enthalte die die Ehefrauenzulage enthaltende Tarifnorm zwar nunmehr soziale Ungereimtheiten, stelle aber keine geschlechtsspezifische Diskriminierung dar. Wenn die Tarifnorm dennoch möglicherweise wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nichtig sei, weil der Zuschlag alleinverdienenden Ehefrauen nicht zustehe, könnten die Klägerinnen gleichwohl keinen Verheiratetenzuschlag beanspruchen. Insofern fehle es nämlich an einer Anspruchsgrundlage für die Klägerinnen. Es sei insoweit Sache der Tarifvertragsparteien, eine Änderung herbeizuführen. Hierbei gebe es eine Vielzahl von Regelungsmöglichkeiten. Es stelle daher einen Eingriff in die Tarifautonomie dar, wenn den Klägerinnen ohne eine entsprechende Tarifnorm der Zuschlag zugesprochen werde. Auf §§ 611 a, 612 BGB könnten sich die Klägerinnen nicht berufen, da diese Vorschriften sich unmittelbar gegen den Arbeitgeber richteten, während es vorliegend um eine Tarifnorm gehe. An bestehende Tarifvorschriften seien die Arbeitsvertragsparteien aber gebunden. Der Arbeitgeber müsse auch auf die Geltung bestehender tariflicher Normen vertrauen können, so daß es gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoße, wenn er nunmehr auch den weiblichen Arbeitnehmern eine Ehegattenzulage zahlen müßte.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerinnen beantragen Zurückweisung der Revision, hilfsweise Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage im Ergebnis mit Recht stattgegeben. Die Klägerinnen können von der Beklagten für den Klagezeitraum eine monatliche Ehegattenzulage in Höhe von 10,– DM brutto verlangen. Dieser Anspruch beruht auf § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV in Verbindung mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Vorschriften des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten in der Berliner Metallindustrie (GTV) in der jeweils geltenden Fassung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für die Klageforderung folgende Bestimmungen des § 2 Teil II GTV heranzuziehen:

  1. Als monatliche tarifliche Bezüge kommen in Betracht:

    1. Gehalt gemäß Teil I,
    2. Ehefrauenzulage in Höhe von 10,– DM, die dem verheirateten Angestellten für seine Ehefrau zusteht,
    3. Gruppenleiterzulage

Aus dieser Vorschrift allein läßt sich ein Anspruch der weiblichen Arbeitnehmer auf eine Verheiratetenzulage oder Alleinverdienerzulage nicht herleiten. Nach dem für die Tarifauslegung maßgeblichen Wortlaut und Gesamtzusammenhang des Tarifvertrags (BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) steht die Zulage ausschließlich männlichen Arbeitnehmern zu und setzt lediglich voraus, daß sie verheiratet sind. Wenn die Zulage ausdrücklich als „Ehefrauenzulage” bezeichnet und dem verheirateten Angestellten für seine „Ehefrau” gewährt wird, sind damit nur die männlichen Arbeitnehmer angesprochen. Eine Ausdehnung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf die weiblichen Arbeitnehmer bedeutete, daß diesen eine „Ehemännerzulage” für ihre „Ehemänner” zustände. Für einen solchen dem Tarifwortlaut widerstreitenden Willen der Tarifvertragsparteien enthält der Tarifvertrag nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Die Zulage stellt auch keine Alleinverdienerzulage für die männlichen Arbeitnehmer dar, deren Ehefrauen kein eigenes Arbeitseinkommen beziehen. Nach dem auch insoweit eindeutigen Tarifwortlaut ist Anspruchsvoraussetzung lediglich, daß der männliche Arbeitnehmer verheiratet ist. Demgemäß steht nach der Tarifnorm auch denjenigen männlichen Arbeitnehmern die Verheiratetenzulage zu, deren Ehefrauen selbst eigenes Arbeitseinkommen erzielen. Dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung läßt sich nichts anderes entnehmen. Damit kommt es insoweit auch nicht auf die Tarifgeschichte an, die nur dann zur Tarifauslegung herangezogen werden kann, wenn Tarifwortlaut und tariflicher Gesamtzusammenhang zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis führen (BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Deshalb ist es unerheblich, ob die Verheiratetenzulage ursprünglich als Alleinverdienerzulage gedacht war. Tatsächlich wurde sie auch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ohne Rücksicht darauf gezahlt, ob die Ehefrau mitverdiente.

§ 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV, der damit eine Verheiratetenzulage ausschließlich für männliche Arbeitnehmer gewährt, ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nichtig (§ 134 BGB). Auch die Tarifvertragsparteien sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an die Grundrechte gebunden (BAG Urteil vom 6. Februar 1985 - 4 AZR 370/83 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Tarifnormen, die gegen das Grundgesetz verstoßen, sind nichtig. Nach Art. 3 Abs. 2 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Art. 3 Abs. 3 GG bestimmt, daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Dieses verfassungsrechtliche Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen konkretisiert den allgemeinen Gleichheitssatz und verbietet, daß der Geschlechtsunterschied einen beachtlichen Grund für Differenzierungen im Recht abgeben kann (BVerfGE 68, 384, 390; 57, 335, 342; 52, 369, 374). Die vorliegend zu beurteilende Tarifnorm differenziert allein nach dem Geschlecht, weil sie männlichen Arbeitnehmern eine Zulage gewährt, die weiblichen Arbeitnehmern unter sonst gleichen Voraussetzungen nicht zusteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt der Gleichberechtigungsgrundsatz zwar Regelungen nicht aus, die im Hinblick auf objektive biologische oder funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses zwischen Männern und Frauen differenzieren (BVerfGE 57, 335, 342 f.; 52, 369, 374 mit weiteren Nachweisen). Solche biologischen oder funktionalen Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind jedoch für die Ehefrauenzulage des GTV unerheblich. Die Ehefrauenzulage knüpft allein an die Heirat des männlichen Arbeitnehmers an und will damit ersichtlich die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die das Zusammenleben in einer Ehe erfahrungsgemäß mit sich bringt, mildern. Diese Belastungen bestehen aber gleichermaßen bei einem männlichen Arbeitnehmer und einer weiblichen Arbeitnehmerin. Insoweit kommt es nach der Tarifnorm auch nicht darauf an, ob der anspruchsberechtigte Arbeitnehmer Alleinverdiener in der Ehe ist. Damit gibt es keinen sachlichen Grund, der bei der Verheiratetenzulage eine unterschiedliche Behandlung der Männer und Frauen rechtfertigen könnte.

Da § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV nichtig ist, können für die Zukunft weder männliche noch weibliche Arbeitnehmer aus dieser Tarifnorm Rechte herleiten. Denn für den Anspruch auf eine Verheiratetenzulage sowohl der männlichen als auch der weiblichen Arbeitnehmer fehlt es an einer wirksamen tariflichen Anspruchsgrundlage. Den Gerichten ist es insoweit verwehrt, eine nichtige Tarifnorm durch eine andere Norm zu ersetzen oder – etwa durch die Gewährung einer Verheiratetenzulage an die Ehefrauen – zu ergänzen. Dies wäre keine verfassungskonforme Tarifauslegung, weil sie sich nicht an dem in der Tarifnorm zum Ausdruck gekommenen Willen der Tarifvertragsparteien orientierte, sondern ein unzulässiger Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie. Es muß vielmehr den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, ob und auf welche Weise sie eine nichtige Tarifnorm durch eine andere (verfassungsmäßige) Regelung ersetzen oder ergänzen, zumal keine Anhaltspunkte dafür bestehen, welche Regelung sie getroffen hätten, wenn sie die Nichtigkeit des § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV erkannt hätten. Solange die Tarifvertragsparteien keine Neuregelung treffen, steht weder den männlichen noch den weiblichen Arbeitnehmern eine tarifliche Verheiratetenzulage zu. Damit ist insoweit der Grundsatz der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen gewahrt, so daß auch keine Tariflücke, d. h. die Notwendigkeit einer tariflichen Neuregelung, besteht.

Die Ehefrauenzulage kann auch nicht in entsprechender Anwendung von § 139 BGB oder § 140 BGB in eine Verheiratetenzulage auch für weibliche Arbeitnehmer umgedeutet werden. § 139 BGB setzt voraus, daß neben einem nichtigen Teil eines Rechtsgeschäfts ein anderer nicht von vornherein nichtiger Teil besteht. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Beklagten läßt sich aus der vorliegenden Tarifnorm über die Ehefrauenzulage kein wirksamer Bestandteil abtrennen. Die Norm betrifft ausschließlich die Ehefrauenzulage und ist damit insgesamt nichtig. Anders als bei tariflichen Abschlagsklauseln zuungunsten der weiblichen Arbeitnehmer (vgl. BAG 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG) und besonderen Antragserfordernissen für Ansprüche allein der weiblichen Arbeitnehmer (vgl. BAG 29, 122 = AP Nr. 111 zu Art. 3 GG; BAG 15, 228 = AP Nr. 87 zu Art. 3 GG) besteht nach Wegfall des nichtigen Teils der Tarifnorm überhaupt kein Anspruch der weiblichen Arbeitnehmer. Ein solcher Anspruch ist – anders als in den angeführten Vergleichsfällen – von den Tarifvertragsparteien von vornherein nicht vorgesehen, so daß er auch nicht über § 139 BGB „aufrechterhalten” werden kann.

Auch eine Umdeutung der nichtigen Norm über die Ehefrauenzulage in eine wirksame Norm über eine Verheiratetenzulage für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemäß § 140 BGB ist nicht möglich. Dies würde voraussetzen, daß die unwirksame Norm über die Ehefrauenzulage bereits eine Verheiratetenzulage auch für weibliche Arbeitnehmer enthielte. Gerade das trifft nicht zu.

Ebensowenig kann aus Art. 119 EWGV und den §§ 611 a, 612 Abs. 3 Satz 1 BGB ein Anspruch der weiblichen verheirateten Arbeitnehmer auf künftige Zahlung einer Verheiratetenzulage hergeleitet werden. Da wegen der Nichtigkeit der Tarifnorm über die Ehefrauenzulage den männlichen Arbeitnehmern kein Anspruch auf die Ehefrauenzulage zusteht, stellt es keine Benachteiligung der weiblichen Arbeitnehmer wegen ihres Geschlechts dar, daß auch ihnen künftig kein Anspruch auf eine Verheiratetenzulage aus der nichtigen Tarifnorm erwächst. Der Europäische Gerichtshof hat zwar zu Art. 119 EWGV entschieden, bei einer Verletzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts sei der Einwand zurückzuweisen, daß Art. 119 EWGV auf andere Weise als durch eine Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter befolgt werden könne (EuGH vom 8. April 1976 - Rs 43/75 -, EuGHE 1976 S. 455 = NJW 1976, 2068). Damit ist aber ersichtlich nur der Fall angesprochen, daß eine bevorzugte Gruppe ein höheres Entgelt erhält und ein Mitgliedsstaat diese Bevorzugung nicht durch eine Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter für gleiche Arbeit, sondern mit Regelungen anderer Art ausgleichen will. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Da den männlichen Arbeitnehmern wegen der Nichtigkeit der Tarifnorm keine Ehefrauenzulage zusteht, bedarf es auch keiner entsprechenden Zahlung an die weiblichen Arbeitnehmer.

Auch aus der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts läßt sich ein Anspruch der weiblichen Arbeitnehmer auf künftige Zahlung eines Verheiratetenzuschlags nicht herleiten. Der Fünfte Senat hat zwar für vom Arbeitgeber einheitlich festgelegte Arbeitsbedingungen entschieden, ein auf einer verfassungswidrigen Unterscheidung beruhender Ausschluß bestimmter Arbeitnehmergruppen von begünstigenden allgemeinen Regelungen löse Ansprüche auf Gleichbehandlung aus. Der übergangene Arbeitnehmer könne, wenn die vom Arbeitgeber aufgestellte Regel gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verstoße, Ansprüche aus Gleichbehandlung geltend machen. Er hat aber solche Ansprüche auf die Fälle beschränkt, „solange die Regel im Betrieb angewandt wird” (BAG Urteil vom 11. September 1974 - 5 AZR 567/73 -, AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Darum geht es aber vorliegend nicht. Die Tarifnorm über die Ehefrauenzulage ist nichtig. Infolgedessen hat kein männlicher Arbeitnehmer Anspruch auf diese Zulage. Dann aber besteht kein Sachgrund, den weiblichen Arbeitnehmern die Zulage zuzubilligen.

Sollten allerdings künftig im Geltungsbereich des GTV Arbeitgeber in Kenntnis der Nichtigkeit der Tarifnorm an ihre männlichen Arbeitnehmer weiterhin die Ehefrauenzulage zahlen, handelt es sich dann um eine freiwillige Leistung, zu der der Arbeitgeber aufgrund des GTV nicht verpflichtet ist. Bei freiwilligen Leistungen ist der dem Arbeitsvertragsrecht zugehörende Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn der Arbeitgeber eine Verheiratetenzulage nur an die männlichen Arbeitnehmer zahlt, weil die Differenzierung insoweit allein wegen des Geschlechts erfolgt und deshalb im Lichte des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als willkürlich anzusehen ist. Die unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz übergangenen weiblichen Arbeitnehmer könnten dann wegen willkürlicher Benachteiligung einen Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung auf die ihnen versagte Verheiratetenzulage des Arbeitgebers verlangen. Dabei spielt es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Rolle, ob die Zahl der begünstigten männlichen Arbeitnehmer kleiner ist als die Zahl der übergangenen weiblichen Arbeitnehmer (BAG 45, 76, 81).

Für die Vergangenheit ab Beginn des Klagezeitraums steht hingegen den Klägerinnen die Verheiratetenzulage nach § 2 Teil II Nr. 1 Buchst. b) GTV in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu. Denn für den Klagezeitraum läßt sich die verfassungsrechtlich gebotene Lohngleichheit nur dadurch verwirklichen, daß auch den weiblichen Arbeitnehmern eine Verheiratetenzulage in Höhe der von der Beklagten den männlichen Arbeitnehmern gezahlten Ehefrauenzulage gewährt wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird dadurch nicht unzulässigerweise in die Tarifautonomie eingegriffen. Die Tarifvertragsparteien als von der Verfassung legitimierter Normgeber sind nämlich in gleicher Weise wie der staatliche Gesetzgeber von Verfassungs wegen – auch wenn dies nicht einklagbar ist – bei einem festgestellten Verfassungsverstoß ihrerseits verpflichtet, auch rückwirkend ab Beginn des Klagezeitraums einer eingeklagten Forderung eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen, sofern und soweit nicht infolge der Nichtigkeit der Tarifnorm – wie hier hinsichtlich eines künftigen Anspruchs auf Verheiratetenzulage oder z. B. bei Wegfall eines verfassungswidrigen Antragserfordernisses – bereits ein verfassungsmäßiger Zustand besteht. Es kann nicht hingenommen werden, daß für die Vergangenheit ein verfassungswidriger Zustand aufrechterhalten wird. Demgemäß hält auch das Bundesverfassungsgericht im Gesetzesrecht in den Fällen, in denen eine gesetzliche Regelung für unvereinbar mit der Verfassung erklärt wird, den Gesetzgeber für verpflichtet, auch für die Vergangenheit eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 55, 100, 113). Auch der Europäische Gerichtshof billigt jedenfalls denjenigen Arbeitnehmern, die eine Klage auf Lohngleichheit nach Art. 119 EWGV erhoben haben, einen Lohnanspruch für zurückliegende Zeiten zu (vgl. EuGH Urteil vom 8. April 1976 - Rs 43/75 -, EuGHE 1976 S. 455 = NJW 1976, 2068).

Danach könnte es der Senat den Tarifvertragsparteien überlassen, für die Vergangenheit eine verfassungsmäßige Regelung hinsichtlich der Verheiratetenzulage herbeizuführen. Ebenso verfährt das Bundesverfassungsgericht im Gesetzesrecht, wenn es eine gesetzliche Regelung für unvereinbar mit der Verfassung erklärt und es dann dem Gesetzgeber überläßt, eine verfassungsmäßige Regelung – auch für die Vergangenheit – zu treffen. Dies beruht darauf, daß dem Gesetzgeber in der Regel mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit bleiben und das Bundesverfassungsgericht in diese gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit nicht eingreifen will. Entsprechendes gilt im Tarifrecht im Hinblick auf die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien. Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats, nach der es den Gerichten für Arbeitssachen verwehrt ist, nach eigenem billigen Ermessen Tariflücken zu schließen, die auch durch andere billigem Ermessen entsprechende Regelungen geschlossen werden könnten (BAG 36, 218 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Damit folgt der erkennende Senat nicht der Rechtsprechung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts, der eine weitergehende gerichtliche Gestaltungsmöglichkeit für eine besondere ruhegehaltsrechtliche Fallgestaltung bejaht (BAG 41, 161 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand). Eine Vorlage an den Großen Senat gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG ist aber entbehrlich, da es auf diese Rechtsfrage aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht ankommt; außerdem schließt sich auch der Dritte Senat ausdrücklich der Auffassung des erkennenden Senats an, daß die Gerichte für Arbeitssachen nicht unter Eingriff in die Tarifautonomie Tariflücken schließen dürfen.

Wenn die Entscheidungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen so gering sind, daß ihnen praktisch nur e i n e Möglichkeit zur Beseitigung der verfassungswidrigen Regelung bleibt, können auch die Gerichte für die Vergangenheit eine Tarifnorm ergänzen, um eine verfassungsmäßige Regelung herbeizuführen. Es wäre sinnlos, wenn die Gerichte es in diesen Fällen den Tarifvertragsparteien überließen, eine verfassungsmäßige Regelung nach entsprechenden Tarifvertragsverhandlungen zu vereinbaren, obwohl deren Ergebnis bei Beachtung des Grundgesetzes praktisch feststeht. Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend gegeben. Den Tarifvertragsparteien bliebe zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit der Ehefrauenzulage für die Vergangenheit praktisch nur die Möglichkeit, auch den weiblichen Arbeitnehmern eine entsprechende Zulage zu gewähren. Würden die Tarifvertragsparteien den männlichen Arbeitnehmern für die Vergangenheit die Ehefrauenzulage entziehen oder kürzen, um dem Grundgesetz Genüge zu tun, bliebe dies ohne praktische Auswirkung. Insoweit könnten zwar Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers gegen die männlichen Arbeitnehmer aus ungerechtfertigter Bereicherung entstehen, im Hinblick auf § 818 Abs. 3 BGB (Wegfall der Bereicherung), tarifliche Ausschlußfristen und gegebenenfalls auch Verjährungsfristen wären die Rückzahlungsansprüche aber praktisch nicht zu realisieren. Damit bliebe der verfassungswidrige Zustand für die Vergangenheit aufrechterhalten. Somit könnten auch die Tarifvertragsparteien, wenn sie für die Vergangenheit eine verfassungsmäßige Regelung treffen wollten, dies nur dadurch erreichen, daß sie den Ehefrauen eine Verheiratetenzulage in Höhe der den Männern gewährten Ehefrauenzulage zubilligten. Unter diesen Voraussetzungen können auch die Gerichte den Klägerinnen die Zulage zusprechen. Damit folgt der Senat auch insoweit für das Tarifrecht den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht für das Gesetzesrecht aufgestellt hat. Danach macht das Bundesverfassungsgericht von der Möglichkeit, eine Gesetzesvorschrift nur für unvereinbar mit der Verfassung zu erklären, um dem Gesetzgeber selbst die Schaffung einer verfassungsmäßigen Regelung zu überlassen, dann keinen Gebrauch, wenn die Entscheidungsmöglichkeiten des Gesetzgebers aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen so gering sind, daß ihm praktisch nur e i n e Möglichkeit zur Beseitigung der verfassungswidrigen Regelung bleibt (BVerfGE 55, 100, 113 f.).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihr Vertrauen auf die Wirksamkeit der Tarifnorm über die Ehefrauenzulage in der Vergangenheit nicht schutzwürdig. Ein Vertrauensschutz ist den Arbeitgebern insoweit nicht zuzubilligen. Der Vertrauensschutzgedanke hat zwar in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine erhebliche Bedeutung. So hat das Bundesarbeitsgericht anläßlich seiner Änderung der Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten bei Weihnachtsgratifikationen entschieden, daß dem Arbeitgeber, der z. B. im Jahre 1980 im Vertrauen auf die bis dahin für rechtens anerkannte Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten bei der Zahlung von Weihnachtsgratifikationen entsprechende Differenzierungen vorgenommen hat, eine Übergangsfrist zur Anpassung seiner Leistungsrichtlinien an den Gleichbehandlungsgrundsatz zuzubilligen ist (BAG 45, 66 f.). Ein solcher Vertrauenstatbestand ist aber vorliegend zu verneinen. Die Beklagte mußte von Anfang an damit rechnen, daß die umstrittene Tarifnorm verfassungswidrig ist. Der Verfassungsverstoß ist nämlich evident. Selbst wenn man ihn nicht für evident halten wollte, lag es jedoch auf der Hand, daß von Anfang an erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit einer sogenannten Ehefrauenzulage bestanden. Die Beklagte konnte also niemals auf die Wirksamkeit der Ehefrauenklausel – jedenfalls für den Klagezeitraum (1983) – vertrauen. Sie mußte insoweit auch damit rechnen, daß die Tarifvertragsparteien in der Einsicht, eine verfassungswidrige Norm zu beseitigen, mit Rückwirkung die Zulage auch den verheirateten Ehefrauen zubilligten. Wenn dies nun durch die Gerichte in Anwendung von Verfassungsrecht geschieht, wird dadurch nicht in einen geschützten Besitzstand eingegriffen.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Neumann, Dr. Feller, Dr. Etzel, Gossen, Peter Jansen

 

Fundstellen

Haufe-Index 60095

BAGE 50, 137-147 (LT1-3)

BAGE, 137

BB 1986, 1085-1087 (LT1-3)

DB 1986, 542-544 (LT1-3)

NJW 1986, 1006

NJW 1986, 1006-1008 (LT1-3)

FamRZ 1986, 350-352 (LT1-3)

ARST 1986, 185-186 (LT1-3)

NZA 1985, 806

NZA 1986, 321-323 (LT1-3)

SAE 1986, 161-164 (LT1-3)

AP, (LT1-3)

AR-Blattei, ES 800 Nr 82 (LT1-3)

AR-Blattei, Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis Entsch 82 (LT1-3)

EzA, (LT1-3)

MDR 1986, 432-433 (LT1-3)

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