Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf von Lohnzulagen

 

Orientierungssatz

Parallelsache zu BAG Urteil vom 13.5.1987 5 AZR 125/85.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 11.02.1986; Aktenzeichen 11 Sa 81/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 31.07.1985; Aktenzeichen 8 Ca 198/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob eine Lohnzulage wirksam widerrufen wurde.

Der Kläger ist seit 6. Juli 1981 bei der Beklagten als Prüfer tätig. Die Beklagte stellt berührungslose Abtastgeräte her und beschäftigt etwa 100 Angestellte und 180 Arbeiter. Bei der Einstellung haben die Parteien vereinbart, daß der Kläger in Lohngruppe IV eingestuft wird und einen Stundenlohn von 10,-- DM brutto erhält (der Tarifstundenlohn hat derzeit 9,21 DM brutto betragen). Die Beklagte ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Berliner Metallindustrie. In einer Anlage zum Anstellungsvertrag sind alle Tarifverträge aufgezählt, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen. Diese Aufstellung schließt mit folgendem von den Parteien unterzeichneten Text:

"Ergänzend zu dem Lohntarifvertrag gilt folgender

Hinweis als vereinbart:

Bei übertariflichen Verdienstbestandteilen handelt

es sich um freiwillige, jederzeit nach freiem

Ermessen widerrufliche Leistungen, auf die auch bei

wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch für die

Zukunft besteht. Diese Leistungen können auch jederzeit

ganz oder teilweise auf tarifliche Veränderungen

und tarifliche Umgruppierungen angerechnet werden."

Die Beklagte hat dem Kläger mit Datum vom 7. August 1981 gegen Ende der Probezeit geschrieben:

"Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können,

daß wir Ihren Stundenlohn aufgrund der

gezeigten Leistungen, ab 12. August 1981

auf 10,50 DM erhöht haben. Ihr BruttoStundenlohn

setzt sich wie folgt zusammen:

LohnGr. IV Tariflohn DM 9,21

außertarifl. Zulage DM 1,29

--------

DM 10,50"

=========

Der Kläger hat bis einschließlich März 1985 eine Zulage von 1,29 DM brutto auf den jeweiligen Tarifstundenlohn (Zeitlohn) der Lohngruppe IV erhalten.

Am 1. März 1985 hat die Beklagte mit ihrem Betriebsrat eine am selben Tage in Kraft getretene "Betriebsvereinbarung über die Vergabe von tariflichen Leistungszulagen" abgeschlossen. Grundlage hierfür war folgende nachwirkende tarifliche Lohnbestimmung (früher § 19 MTV):

"Zeitlohnarbeitern werden Leistungszulagen

gewährt, die im Durchschnitt des Betriebes

13 % der tariflichen Zeitlohnsumme betragen."

Hierzu ist unter I und X der Betriebsvereinbarung vom 1. März 1985 folgendes geregelt worden:

I. Die laut Tarifvertrag zu gewährenden Leistungszulagen

sind für alle Arbeitnehmer auf der Grundlage

der Ergebnisse einer Leistungsbeurteilung

festzusetzen. Für die Beurteilung der Leistungszulage

ist ein Beurteilungsbogen entsprechend

dem beigefügten Muster zu verwenden. Die beurteilte

Leistung wird mit Punkten von 1 - 100 belegt.

Der Wert eines Punktes beträgt bei Zeitlohnarbeitern

0,13 %, bei Angestellten 0,10 % des jeweiligen

Tariflohnes/-gehaltes.

...

X. Soweit außertarifliche (übertarifliche) Zulagen

gewährt werden, werden diese auf tarifliche Leistungszulagen

angerechnet. Die Anrechnung erfolgt

solange, bis der Betrag der außertariflichen

(übertariflichen) Zulagen erreicht ist. Bis zur

Deckungsgleichheit beider Summen werden die sich

ergebenden Differenzbeträge als außertarifliche

(übertarifliche) Leistungszulagen gezahlt unter

der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nicht von

seinem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch macht.

Die so verbliebenen außertariflichen (übertariflichen)

monatlich ausbezahlten Zulagen werden jeweils

unter dem Vorbehalt der Verrechenbarkeit gewährt.

Insbesondere gilt dies für die sich aus dieser Betriebsvereinbarung

etwa ergebenden Ausgleichsberechnungen,

so daß die bis dahin gezahlten außertariflichen

(übertariflichen) Zulagen unter dem

jeweiligen Vorbehalt der nachträglichen Verrechenbarkeit

stehen.

Es besteht Klarheit darüber, daß die freiwillig

gewährten und zu gewährenden Zulagen nach Grund

und Höhe weiterhin mitbestimmungsfrei sind."

In einer schriftlichen Leistungsbeurteilung vom 1. März 1985 errechnete der Vorgesetzte des Klägers für diesen 41,75 von 100 möglichen Punkten.

Die Beklagte hat sämtlichen Arbeitnehmern Ende März mit dem in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Formularschreiben die nähere Zusammensetzung ihres Lohnes ab 1. April 1985 mitgeteilt. Das Schreiben an den Kläger vom 27. März 1985 lautet auszugsweise wie folgt:

"Das Ergebnis der Leistungsbeurteilung - unter

Berücksichtigung der ab 1. April 1985 geltenden

Lohntabelle - führte in Ihrem Falle dazu,

daß Ihr Brutto-Stundenlohn ab 1. April 1985

sich im einzelnen wie folgt zusammensetzt:

DM 10,85 Tarif-Stundenlohn, LG IV

DM -,59 Tarifl. Leistungszulagen (41,75

Punkte = 5,43 %)

DM -,70 AT-Zulage nach Verrechnung

./. DM -,70 Widerruf der AT-Zulage

-------- Brutto-Stundenlohn/Gesamt

DM 11,44

========

Der Tarifstundenlohn der Lohngruppe IV war zum 1. April 1985 von 10.24 DM auf 10,85 DM angehoben und die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden wöchentlich verringert worden. Die Beklagte zahlte an den Kläger ab 1. April 1985 einen Wochenlohn von 440,44 DM (11,44 DM x 38,5 Stunden). Demgegenüber hatte der Kläger bis zum März 1985 einen Wochenlohn von 461,20 DM (11,53 DM x 40 Stunden). Bei Weitergewährung der außertariflichen Zulage in Höhe von 1,29 DM hätte der Kläger einen Wochenlohn von 12,14 DM x 38,5 Stunden = 467,39 DM erzielt.

Der Kläger hält den Widerruf seiner außertariflichen Zulage für willkürlich. Der Widerrufsvorbehalt im Arbeitsvertrag bezieht sich nach seiner Auffassung nicht auf die außertarifliche Zulage. Aber selbst wenn man sie für widerruflich halte, fehle es an einem sachlichen Grund. Der Widerruf der "AT"-Zulage verstoße ferner gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil in seiner Abteilung bei keinem anderen Arbeitnehmer die AT-Zulage in vollem Umfang widerrufen worden sei. Die Beurteilung vom 1. März 1985 sei willkürlich zustande gekommen, seine Leistungen seien nicht schlechter geworden. Außerdem verstoße das in der Betriebsvereinbarung vereinbarte Punktsystem gegen Tarifrecht. Im Tarifvertrag sei eine durchschnittliche Zahlung von 13 % der tariflichen Zeitlohnsumme vorgesehen, während nach der Betriebsvereinbarung nur ein Arbeitnehmer hierauf Anspruch habe, der die Höchstzahl von 100 Punkten erreiche.

Der Kläger verfolgt das Ziel, einen Stundenlohn in Höhe des Tarifstundenlohns zuzüglich 1,29 DM Zulage = 12,14 DM zu erhalten; gleichzeitig verlangt er den Rückstand für April und Mai 1985 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 244,20 DM.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß der Widerruf seiner

AT-Zulage durch die Beklagte vom 27. März

1985 unwirksam ist und sein Stundenlohn

seit dem 1. April 1985 12,14 DM beträgt,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn

244,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den

sich daraus ergebenden Nettobetrag seit

Klagezustellung (19. Juni 1985) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Beim Einstellungsgespräch sei dem Kläger mitgeteilt worden, daß sich seine Vergütung aus dem Grundlohn von 9,21 DM und einer widerruflichen Zulage von 1,29 DM zusammensetze. Soweit sie, die Beklagte, über den Tariflohn hinausgehe, sei sie nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Voraussetzung für die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei nämlich eine betriebseinheitliche Regelung, von der ohne sachlichen Grund abgewichen werde. Es habe sich aber hier um eine einzelvertraglich ausgehandelte Zulage gehandelt.

Im übrigen habe sie, die Beklagte, gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht verstoßen, da der Widerruf der Zulage gegenüber dem Kläger mit seinen schlechten Leistungen zu begründen sei, die durch die Leistungsbeurteilung vom 1. März 1985 ihre Bestätigung gefunden hätten. Der Kläger habe in seinen Leistungen seit August 1981 nachgelassen. Die Beklagte verweist dabei darauf, daß der Kläger - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - am 9. Dezember 1982 und 1. November 1983 Abmahnungen wegen Schlechtleistung, am 7. Juni 1984 wegen Unpünktlichkeit und am 17. Dezember 1984 erneut wegen Schlechtleistung und Unpünktlichkeit und am 23. Januar 1985 wegen Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfalle erhalten habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger wendet sich mit seiner Feststellungsklage zu Recht dagegen, daß seine außertarifliche Zulage von 0,70 DM in vollem Umfang widerrufen worden ist. Die Beklagte ist dazu nicht berechtigt.

I. Dem Kläger steht nach seinem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 BGB für die Zeit ab 1. April 1985 ein Gesamtstundenlohn von 12,14 DM zu, der sich aus dem Tarifstundenlohn der Lohngruppe IV von 10,85 DM, der tariflichen Leistungszulage von 0,59 DM und der AT-Zulage von 0,70 DM zusammensetzt.

Die Beklagte war nicht berechtigt, den Lohn des Klägers ab 1. April 1985 durch Widerruf der nach Verrechnung mit der tariflichen Leistungszulage noch verbleibenden AT-Zulage in Höhe von 0,70 DM zu kürzen.

Bei der dem Kläger bis einschließlich März 1985 gezahlten Zulage von 1,29 DM handelt es sich nach den übereinstimmenden Erklärungen beider Parteien um eine Leistungszulage. Außerdem ergibt sich diese Zweckbestimmung auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 7. August 1981, mit dem die Beklagte "aufgrund der gezeigten Leistungen" den Stundenlohn des Klägers anhob und die AT-Zulage mit 1,29 DM besonders auswies.

Der Anspruch des Klägers auf eine ungekürzte außertarifliche Zulage ergibt sich aus der Lohnmitteilung vom 7. August 1981. Davon geht die Beklagte in ihrem Schreiben vom 27. März 1985 ebenfalls aus, jedoch hat sie die bis dahin gewährte Zulage in doppelter Weise verringert: Einmal hat sie die tarifliche Leistungszulage hierauf angerechnet. Dagegen wendet sich der Kläger nicht, denn diese Anrechnung ist in der Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 geregelt. Die Beklagte hat aber außerdem die hiernach verbleibende außertarifliche Zulage widerrufen und diesen Abzug mit der durch Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 eingeführten Leistungsbeurteilung begründet.

II. Die Beklagte war zu diesem Widerruf nicht berechtigt. Hierfür kann sie sich weder auf den in der Anlage zum Arbeitsvertrag vorbehaltenen Widerruf noch auf die Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 stützen.

1. Die Parteien haben in einer Anlage zum Arbeitsvertrag "ergänzend zu dem Lohntarifvertrag" folgendes vereinbart: "Bei diesen übertariflichen Verdienstbestandteilen handelt es sich um freiwillige, jederzeit nach freiem Ermessen widerrufliche Leistungen...." Diesen Widerrufsvorbehalt hat die Beklagte in ihrer Betriebsvereinbarung vom 1. März 1985 aufrecht erhalten. Hierzu heißt es nämlich in Ziff. X, daß die außertariflichen Zulagen auf die tariflichen Leistungszulagen angerechnet werden und der nach Anrechnung verbleibende Teil weitergezahlt werde "unter der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nicht von seinem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch macht".

2. Die Beklagte konnte hierdurch aber kein Widerrufsrecht nach freiem Ermessen begründen, sondern sie muß sich im Rahmen billigen Ermessens halten (§ 315 Abs. 1 BGB). Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts nach freiem Ermessen ist jedenfalls soweit unzulässig, wie sie sich auf Bestandteile des laufenden Verdienstes bezieht. Der Arbeitnehmer kann nicht zugleich auf den Schutz kündigungsrechtlicher Vorschriften (§ 2 KSchG) und den Schutz durch gerichtliche Ermessenskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB verzichten. Es ist anerkannt, daß die Vereinbarung von Widerrufsvorbehalten nicht unbegrenzt zulässig ist und insbesondere nicht zur Umgehung kündigungsrechtlicher Vorschriften führen darf (BAG Urteil vom 9. Juni 1965 - 1 AZR 388/64 - AP Nr. 10 zu § 315 BGB; Urteil vom 16. Oktober 1965 - 5 AZR 55/65 - AP Nr. 20 zu § 611 BGB Direktionsrecht; BAGE 40, 199 = AP Nr. 5 zu § 620 BGB Teilkündigung; BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969). Darüber hinaus hat die Rechtsprechung diesen Grundsatz aber auch auf andere - außerhalb kündigungsschutzrechtlicher Gesichtspunkte liegende - Vertragsgestaltungen angewandt (vgl. das zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Senatsurteil vom 11. Dezember 1985 - 5 AZR 135/85 - AP Nr. 65 zu § 1 LohnFG, zu I 2 a der Gründe, m.w.N. sowie unveröffentlichtes Urteil des BAG vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 393/83 -, zu II 1 a der Gründe). Ebenso wie aber der Arbeitnehmer gegen Verträge geschützt werden muß, mit denen das Kündigungsschutzgesetz umgangen wird, bedarf er des Schutzes gegen Vereinbarungen, die dem Arbeitgeber entgegen § 315 Abs. 1 BGB das Recht zum einseitigen Widerruf nach freiem Ermessen oder gar nach Belieben einräumen und damit ermöglichen, das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung unkontrolliert zu verändern (vgl. Bötticher, Anm. zum Urteil des BAG vom 9. Juni 1967, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, Bl. 5; Herschel, Anm. zum Urteil des BAG vom 30. August 1972, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, Bl. 2 R). Das muß jedenfalls dann gelten, wenn es sich - wie hier - um eine Leistungszulage handelt.

3. Aber auch in den Grenzen billigen Ermessens kann ein Widerrufsrecht nur begründet werden, wenn darin keine Umgehung kündigungsrechtlicher Vorschriften zu sehen ist. Das ist hier nicht der Fall. Die widerrufliche Zulage von 1,29 DM belief sich auf nur knapp 12 % des Tarifstundenlohns von 10,85 DM, wobei 0,70 DM (also etwa 6,5 %) widerrufen worden sind.

4. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen im Rahmen des § 315 BGB, wenn sie die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat. Hiernach können Verdienstbestandteile nur aus sachlichen Gründen widerrufen werden (BAG Urteile vom 9. Juni 1967 - 3 AZR 352/66 -, vom 30. August 1972 - 5 AZR 140/72 - AP Nr. 5, 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, jeweils zu 3 der Gründe; Urteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 769/77 - AP Nr. 11 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung).

Es unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB), ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Allerdings ist die Billigkeitskontrolle in erster Linie Aufgabe der Tatsacheninstanz, weil es bei ihr darum geht, die besonderen tatsächlichen Gegebenheiten eines Falles festzustellen und zu würdigen. Stehen die hierfür maßgeblichen Tatsachen jedoch fest, so ist das Revisionsgericht in der Lage, die Beurteilung selbst vorzunehmen (BAG Urteil vom 9. Juni 1967 - 3 AZR 352/66 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, zu 5 a der Gründe; Urteil vom 8. Juni 1982 - 3 AZR 661/79 - AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu 3 der Gründe; Urteil des Senats vom 19. Juni 1985 - 5 AZR 57/84 - AP Nr. 11 zu § 4 BAT, zu A II 2 a der Gründe). Nach allgemein anerkannter Auffassung hat die Partei, der das Recht zur Leistungsbestimmung zusteht, zu beweisen, daß ihre Bestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entspricht (BAG Urteil vom 9. Juni 1965 - 1 AZR 388/64 - AP Nr. 10 zu § 315 BGB; Urteil vom 26. November 1986 - 4 AZR 789/85 - AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk; BGH Urteil vom 30. Juni 1969 - VII ZR 170/67 - AP Nr. 11 zu § 315 BGB).

a) Das Landesarbeitsgericht ist hiervon ebenfalls ausgegangen und hat angenommen, der Widerruf der außertariflichen Zulage widerspreche billigem Ermessen. Auch bei einem Widerruf nach billigem Ermessen sei der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Diesen habe die Beklagte zumindest dadurch verletzt, daß sie bei der Gruppe der Arbeitnehmer, die weniger als 50 Bewertungspunkte erreicht haben, die verbleibende Zulage gar nicht oder nur teilweise und nur beim Kläger in vollem Umfang widerrufen habe, ohne daß dafür sachliche Gründe vorgelegen hätten. Die sachlichen Gründe müßten sich an der Zweckbestimmung der Leistungszulage orientieren. Das Erreichen einer bestimmten Mindestpunktzahl könne hierfür zwar ein Grund sein. Diesen Grundsatz habe die Beklagte jedoch in vielen Fällen durchbrochen. Die dem Kläger erteilten Abmahnungen könnten keinen sachlichen Grund für den Widerruf bilden, da er bei anderen Arbeitnehmern mit ähnlich schlechter Leistungsbeurteilung nicht erfolgt sei.

Soweit die Beklagte den Widerruf der verbliebenen AT-Zulage damit begründet, daß die Leistungen des Klägers gegenüber dem Zeitpunkt für die Gewährung der Zulage nachgelassen hätten, habe sie nicht dargelegt, welche Leistungen des Klägers ursprünglich für die Gewährung der Zulage ausschlaggebend gewesen seien und in welchem Maße die jetzigen Leistungen davon abwichen. Es fehle an einem entsprechenden Tatsachenvortrag, aus dem sich eine Veränderung der Arbeitsleistung des Klägers ergeben könnte.

b) Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg. Die Beklagte hat mit dem Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung über die Vergabe von tariflichen Leistungszulagen" abgeschlossen, wonach diese vom Ergebnis einer Leistungsbeurteilung abhängen. Die bisherige Zulage war jedoch in vielen Fällen höher als die aufgrund der Beurteilung nach der Betriebsvereinbarung zu zahlende Zulage. Die Betriebsvereinbarung erwähnt zwar die verbleibende sogenannte AT-Zulage. Sie enthält jedoch keine Regelung über deren Widerruf. Die Beklagte hat nicht dargelegt, von welchen Anforderungen die Zulage abhängig ist. Es fehlt insoweit schon an einem einer Billigkeitskontrolle zugänglichen objektiven Maßstab.

Zwar hat die Beklagte den Widerruf der außertariflichen Zulage mit dem Ergebnis der Leistungsbeurteilung begründet. Der Kläger habe schon seit August 1981 in seinen Leistungen nachgelassen. Der Kläger habe am 9. Dezember 1982 und am 1. November 1983 Abmahnungen wegen Schlechtleistungen, am 7. Juni 1984 wegen Unpünktlichkeit und am 17. Dezember 1984 erneut wegen Schlechtleistung und Unpünktlichkeit und am 23. Januar 1985 wegen Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall erhalten. Ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind, kann dahingestellt bleiben. Wenn die Beklagte hieraus das Recht herleiten will, die außertarifliche Zulage zu widerrufen, so ist es sachlich nicht gerechtfertigt, darauf erst im Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung im Jahre 1985 zurückzugreifen. Die Beklagte hat jedenfalls in der Vergangenheit keine Veranlassung gesehen, die außertarifliche Zulage des Klägers zu widerrufen oder zu kürzen, obwohl sie sich das Recht hierzu schon in der Anlage zum Arbeitsvertrag vorbehalten hatte.

c) Da die von der Beklagten für die Kürzung der außertariflichen Zulage dargelegte Begründung den Anforderungen des § 315 Abs. 1 BGB schon nicht genügt, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt hat. Es kann weiter unerörtert bleiben, ob das von der Beklagten durch Betriebsvereinbarung eingeführte Punktesystem mit der nachwirkenden tariflichen Lohnregelung vereinbar ist. Die Beklagte behält nämlich einen Teil der Leistungszulage von durchschnittlich 13 % der tariflichen Zeitlohnsumme ein und zahlt ihn erst später aus. Da nach der Betriebsvereinbarung der Wert eines Punktes bei Zeitlohnarbeitern 0,13 % beträgt, jedoch höchstens 100 Punkte erreichbar sind und im Betriebsdurchschnitt 64,1 Punkte erzielt wurden, liegt die monatlich ausgezahlte Zulage bis zu einem späteren Ausgleich erheblich unter 13 % der tariflichen Zeitlohnsumme. Ebenso kann es dahingestellt bleiben, ob die Beklagte über das Punktesystem hinaus einseitig Richtlinien oder allgemeine Gesichtspunkte für den Widerruf oder die Kürzung der Zulagen aufgestellt oder zugrunde gelegt hat, ohne insoweit den Betriebsrat - wie erforderlich - zu beteiligen (vgl. BAG Urteil vom 17. Dezember 1980 - 5 AZR 570/78 - AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Polcyn Dr. Schönherr

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439856

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