Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsanwartschaften und Sozialversicherungsrenten

 

Leitsatz (amtlich)

  • Bei der Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft eines aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung können Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen sein. Das ist u.a. dann der Fall, wenn Betriebsrente und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusammen eine Obergrenze nicht übersteigen dürfen.
  • Maßgebend für die Berechnung der Anwartschaft sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens. Das gilt auch für die Berechnung der später zu erwartenden Sozialversicherungsrente.
  • Für die Berechnung der zu erwartenden Sozialversicherungsrente kann der Arbeitgeber auf das in § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG beschriebene Näherungsverfahren zurückgreifen.
  • Der auf diese Weise ermittelte Wert der Anwartschaft ist mit dem Zeitwertfaktor im Sinne von § 2 Abs. 1 BetrAVG (Verhältnis von tatsächlicher zu möglicher Betriebszugehörigkeit) zu multiplizieren.
  • Tritt der Versorgungsfall “Alter 65” ein, wird aus der so berechneten Anwartschaft ein Anspruch. Für die Berechnung von Renten für andere Versorgungsfälle gelten diese Grundsätze entsprechend.
 

Normenkette

BetrAVG § 2 Abs. 5 S. 1, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, 4, 5 S. 2, Abs. 6; GmbHG § 35

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 21.08.1990; Aktenzeichen 4 Sa 508/90)

ArbG Köln (Urteil vom 08.03.1990; Aktenzeichen 6 Ca 7956/89)

ArbG Köln (Urteil vom 07.03.1990; Aktenzeichen 3 Ca 7737/89)

 

Tenor

  • Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. August 1990 – 4 Sa 508/90 – aufgehoben.
  • Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung von Versicherungsansprüchen der Kläger gegen den beklagten Pensions-Sicherungs-Verein (PSV).

Die Kläger waren bei der B… AG (BuM) beschäftigt. Das Unternehmen gewährte eine Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, die “Unterstützungs-Gesellschaft mbH der B… AG”. Die Bedingungen für den Bezug von Alters- und Invalidenrenten waren in Richtlinien geregelt. Sie lauten, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung:

“Nach 25-jähriger Dienstzeit wird ein Ruhegeld von 12 % des Monatsgrundverdienstes gewährt. Für jedes Jahr längerer Dienstzeit erhöht es sich, für jedes Jahr kürzerer Dienstzeit vermindert es sich um 0,48 % des Monatsgrundverdienstes. Diese Veränderung wird begrenzt durch 40 Dienstjahre nach oben (Höchstbetrag) und 15 Dienstjahre nach unten (Wartezeit) …

Sollten die Sozialrenten und die Beihilfen der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Leistung) zusammen mit dem monatlichen Ruhegeld mehr als 85 % des letzten ruhegeldfähigen Einkommens (Monatsgrundverdienst) ausmachen, so wird das Ruhegeld um den Überschußbetrag gekürzt bzw. kommt die Mindestrente in Anrechnung.

Der Satz von 85 % gilt bei 40 Dienstjahren. Bei einer geringeren Zahl von Dienstjahren ermäßigt er sich um 1 % für jedes Jahr, so daß bei 25 Dienstjahren ein Satz von 70 % und bei 15 Dienstjahren ein solcher von 60 % gilt.”

Die Geschäftsführung dieser Unterstützungskasse beschloß am 8. Juni 1973 zusätzliche Bestimmungen für den Bezug von Renten bei Ausscheiden mit 63 Jahren.

Der Kläger K…, geboren am 25. Februar 1924, war vom 1. März 1950 bis zum 31. Mai 1979 bei der BuM tätig. Der Kläger Sch… wurde am 31. März 1930 geboren. Er war vom 31. März 1947 bis zum 20. Mai 1979 für die BuM tätig. Am 1. Juni 1979 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers (Trägergesellschaft der Unterstützungskasse) das Konkursverfahren eröffnet.

Der Kläger K… vollendete am 25. Februar 1987 sein 63. Lebensjahr. Er bezieht seit dem 1. März 1987 vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte PSV zahlt ihm eine Rente von monatlich 132,60 DM. Der Kläger Sch… bezieht ab 1. September 1987 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Beklagte zahlt eine Invalidenrente von 94,10 DM. In beiden Fällen berechnet der PSV zunächst den Versorgungsanspruch der Kläger unter Berücksichtigung der Obergrenzen und ermittelt danach die zeitanteilig geschuldete Rente.

Diese Berechnung wollen die Kläger nicht hinnehmen. Sie wollen die in den Versorgungsrichtlinien festgelegten Obergrenzen erst auf die zeitanteilig ermittelte Rente angewendet wissen. Außerdem wehrt sich der Kläger K… gegen den 10 % igen Abschlag für die vorzeitige Inanspruchnahme der Betriebsrente. Beide Kläger wenden sich außerdem gegen die Berücksichtigung der ZVK-Leistung bei der Prüfung, ob die Obergrenze überschritten wird. Der Kläger K… errechnet für sich eine monatliche Betriebsrente von 176,70 DM, der Kläger Sch… von 140,50 DM. Mit den Klagen haben die Kläger Nachzahlung der Differenzen zwischen den beanspruchten und den tatsächlich gezahlten Beträgen sowie künftige Zahlung der höheren Rente gefordert.

Der Kläger K… hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn rückständige Rente für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Oktober 1989 (28 Monate) in Höhe von 1.234,80 DM (28 × 44,10 DM) nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ab November 1989 monatlich ein betriebliches Altersruhegeld in Höhe von 176,70 DM abzüglich bereits gezahlter Beträge zu zahlen;

3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die von ihm nachzuzahlenden Beträge ab Klageerhebung bzw. die nach Klageerhebung fällig werdenden Differenzbeträge ab der monatlichen Fälligkeit des Ruhegeldes mit 4 % zu verzinsen.

Der Kläger Sch… hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn rückständige Rente für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 31. Oktober 1989 (22 Monate) in Höhe von 1.020,80 DM (22 × 46,40 DM) nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ab November 1989 monatlich ein betriebliches Altersruhegeld (wegen Invalidität) in Höhe von 140,50 DM abzüglich bereits gezahlter Beträge zu zahlen;

3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die von ihm nachzuzahlenden Beträge ab Klageerhebung bzw. bei den nach Klageerhebung fällig werdenden Differenzbeträgen ab der monatlichen Fälligkeit des Ruhegeldes mit 4 % zu verzinsen.

Der PSV hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Er hält seine Berechnung für richtig.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Kläger sind ohne Erfolg geblieben. Mit den vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihre Ansprüche weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Kläger sind begründet. Zwar bestehen gegen den vom PSV eingeschlagenen Rechenweg keine Bedenken. Jedoch muß noch ermittelt werden, in welcher Höhe der PSV die fiktiven Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei Ermittlung der Obergrenzen einsetzen darf.

I. Die Kläger haben dem Grunde nach Anspruch auf Versicherungsleistungen gegen den Beklagten. Sie hatten bei Eintritt des Sicherungsfalls eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft (§ 7 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG). Nach Eintritt des Versorgungsfalls ist aus der Anwartschaft ein Anspruch geworden.

1. Die Kläger waren Begünstigte einer Unterstützungskasse. Sie sind vor Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Unternehmen ausgeschieden. Im Zeitpunkt ihres Ausscheidens hatten sie unverfallbare Anwartschaften nach § 1 Abs. 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 BetrAVG erworben. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BetrAVG waren erfüllt. Für beide Kläger bestand die Versorgungszusage mindestens zehn Jahre.

2. Die unverfallbaren Anwartschaften der Arbeitnehmer, die vor Eintritt des Sicherungsfalls aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, muß der PSV sichern. Bei Eintritt des Versorgungsfalls erhalten die Anwartschaftsberechtigten einen Anspruch gegen den PSV (§ 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrAVG).

II. Die Höhe dieser Ansprüche ist in § 2 Abs. 1 und 4 BetrAVG geregelt.

1. § 2 Abs. 1 und 4 BetrAVG sind unmittelbar anzuwenden. Beide Kläger sind vor Eintritt des Sicherungsfalls (Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Trägerunternehmens am 1. Juni 1979) aus dem Arbeitsverhältnis mit der B… AG (BuM) ausgeschieden. Sie hatten gegen ihren früheren Arbeitgeber eine unverfallbare Anwartschaft erworben, die nach § 2 Abs. 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG zu berechnen ist. Nach diesen Bestimmungen hat die Unterstützungskasse bei Eintritt des Versorgungsfalls einem Arbeitnehmer anteilige Versorgung zu gewähren, und zwar in Höhe des Teils der ohne das vorherige Ausscheiden zustehenden Leistung, der dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres entspricht. Die Berechnung der Teilrente setzt mithin die Berechnung der Vollrente voraus. Das ist die dem Arbeitnehmer “ohne das vorherige Ausscheiden zustehende Leistung”. Erst wenn dieser Betrag feststeht, kann die Teilrente entsprechend dem Zeitwertfaktor (tatsächliche Betriebszugehörigkeit im Verhältnis zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres) ermittelt werden. Das gilt für den Versorgungsfall “Alter” (einschließlich der vorgezogenen Altersrente) ebenso wie für den Versorgungsfall “Invalidität” (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 13. März 1990 – 3 AZR 338/89 – AP Nr. 17 zu § 6 BetrAVG, zu II 3 der Gründe).

2. Die Höhe der nach § 2 Abs. 1 und 4 BetrAVG zu ermittelnden Vollrente hängt von der Versorgungsregelung ab. Im vorliegenden Fall kommt es auf den Monatsgrundverdienst an. Der Monatsgrundverdienst ist Bemessungsgrundlage für die Leistung der betrieblichen Altersversorgung. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG bleiben Veränderungen dieser Bemessungsgrundlage, soweit sie nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, außer Betracht. Der Berechnung der Vollrente ist deshalb der Monatsgrundverdienst des Arbeitnehmers zugrunde zu legen, den er bei seinem Ausscheiden erhalten hat. Das waren beim Kläger K… 2.268,03 DM und beim Kläger Sch… 2.138,28 DM.

Danach hätte der Kläger K… ohne sein vorheriges Ausscheiden und bei gleichbleibendem Gehalt bei Vollendung des 65. Lebensjahres eine Betriebsrente von 402,80 DM erhalten (2.268,03 × 37 × 0,48 : 100). Der Kläger Sch… hätte bei Eintritt des Versorgungsfalls der Invalidität eine Invalidenrente von 410,55 DM erhalten. Diese Beträge sind zwischen den Parteien noch unstreitig.

3. Nach den Versorgungsregelungen der Unterstützungskasse konnten die Kläger K… und Sch nicht damit rechnen, daß sie bei Eintritt des Versorgungsfalls diese Rente ungekürzt erhielten. Die Versorgungsregelung sieht vor, daß das Ruhegeld gekürzt werden kann, wenn bestimmte Versorgungsobergrenzen überschritten werden.

Für die Berechnung der Obergrenzen ist wiederum das letzte ruhegeldfähige Einkommen, der Monatsgrundverdienst, maßgebend. Das letzte Gehalt ist Bemessungsgrundlage für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG. Deshalb kommt es nicht auf den zuletzt tatsächlich von den Klägern in einem weiteren Arbeitsverhältnis erzielten Monatsgrundverdienst an, sondern auf den Grundverdienst, den sie zuletzt bei der BuM erzielt hatten. Außerdem sind die Obergrenzen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig. Für den Kläger K… errechnet der PSV eine Höchstgrenze von 82 % von 2.268,03 DM, das sind 1.859,78 DM. Für den Kläger Sch… beträgt die Höchstgrenze 85 % von 2.138,28 DM, das sind 1.817,54 DM. Zugunsten der Kläger kann für die weitere Berechnung der Teilrenten von diesen Obergrenzen ausgegangen werden.

Diese Obergrenzen sind bei der Berechnung des Teilanspruchs nach § 2 Abs. 1 und 4 BetrAVG zu berücksichtigen. Darin ist dem PSV zuzustimmen. Dafür sprechen der Wortlaut des § 2 Abs. 5 BetrAVG, die in dieser Vorschrift erkennbaren Grundgedanken für die Berechnung der Anwartschaften sowie praktische Gesichtspunkte.

a) § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG regelt im Halbsatz 2 den Fall, daß andere Versorgungsbezüge bei der Berechnung der Leistung der betrieblichen Altersversorgung zu berücksichtigen sind. Zu diesen anderen Versorgungsbezügen gehören Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Berücksichtigung dieser Renten ist in zwei Formen möglich: Pensionszusagen sehen häufig eine volle oder teilweise Anrechnung der Sozialversicherungsrenten auf die betrieblichen Renten oder eine Begrenzung der Gesamtversorgung aus betrieblichen Renten und Sozialversicherungsrenten vor (vgl. BAG Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr. 12 zu § 6 BetrAVG, zu II 2a der Gründe; BAGE 44, 176 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrAVG; BAGE 45, 1 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrAVG; BAG Urteil vom 8. Mai 1990 – 3 AZR 341/88 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Die gesetzliche Regelung unterscheidet ihrem Wortlaut nach nicht zwischen diesen beiden Alternativen. Sie geht davon aus, daß eine Anwartschaft beim Ausscheiden des Arbeitnehmers der Höhe nach eindeutig errechnet werden kann. Der Arbeitgeber hat nach § 2 Abs. 6 BetrAVG dem Arbeitnehmer Auskunft zu erteilen, in welcher Höhe er Versorgungsleistungen bei Erreichen der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze beanspruchen kann.

b) Ein solches Verständnis der Norm entspricht auch dem ihr erkennbar zugrundeliegenden Grundgedanken. Für diejenigen Arbeitnehmer, die vor Eintritt des Versorgungsfalls mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, soll die Höhe ihrer Anwartschaft nicht von einer ungewissen zukünftigen Entwicklung abhängig sein. Alle Bemessungsgrundlagen, auch die Höhe anderer Versorgungsbezüge, werden auf den Zeitpunkt des Ausscheidens festgeschrieben (“eingefroren”). Diesem Grundgedanken der Vorschrift würde es widersprechen, wenn man die Prüfung, ob die Betriebsrente wegen Überschreitens von Obergrenzen gekürzt werden müßte, der späteren Entwicklung vorbehalten würde. Denn dann wäre nicht eine Höchstgrenze maßgebend, die auf der Grundlage des letzten Monatsgrundverdienstes ermittelt wird, sondern eine Höchstgrenze, die vom letzten ruhegeldfähigen Einkommen des Arbeitnehmers ausgeht, das er bei einem anderen Arbeitgeber erzielt hat. Dann müßte auch abgewartet werden, wie hoch die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich ist. Bei einer solchen Betrachtung käme es auf die Verhältnisse bei Eintritt des Versorgungsfalls an.

§ 2 Abs. 5 BetrAVG geht von anderen Berechnungsgrundlagen aus, nämlich von denjenigen im Zeitpunkt des Ausscheidens. Diese Berechnungsgrundlagen sind allein maßgebend und, falls erforderlich, hochzurechnen. Alle Veränderungen der Bemessungsgrundlagen für die Betriebsrente bleiben nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BetrAVG außer Betracht. Die Höhe der Anwartschaft ist bei vorzeitigem Ausscheiden von der weiteren Entwicklung unabhängig. Die Anwartschaft und der später bei Eintritt des Versorgungsfalls auf ihr beruhende Anspruch ist so zu berechnen, als hätten die für die Höhe des Versorgungsanspruchs maßgeblichen Bezugsgrößen bis zum Versorgungsfall unverändert fortbestanden (Urteil des Senats vom 12. März 1991 – 3 AZR 63/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Zwar hat die Rentenberechnung des Senats bei der Rentenberechnung zwischen beiden Fallgestaltungen – Anrechnung der Sozialversicherungsrente auf eine Betriebsrente oder eine Obergrenze zur Vermeidung einer Überversorgung – unterschieden und eine Auslegungsregel entwickelt: Eine Höchstbegrenzungsklausel in einer Versorgungsordnung sei im Zweifel dahin auszulegen, daß Volloder Teilrenten zunächst unabhängig von der Höchstbegrenzungsklausel zu berechnen sind, und daß die Renten erst bei Überschreiten der Höchstgrenzen zu kürzen sind (vgl. Urteil des Senats vom 8. Mai 1990, aaO, mit weiteren Nachweisen).

Diese Rechtsprechung ist aber nicht ohne weiteres auf die hier vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. Mit Teilrenten im Sinne der Auslegungsregel sind vorzeitige Betriebsrenten gemeint, die ein Arbeitnehmer erhält, der auch vorzeitige Altersleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicharung in Anspruch nimmt (§ 6 BetrAVG). Diese Arbeitnehmer können als vorzeitige Betriebsrente, falls die Versorgungsordnung nichts anderes vorsieht, nicht die Betriebsrente verlangen die sie mit Vollendung des 65. Lebensjahres erhalten hätten. Sie müssen sich Abzüge gefallen lassen. Das führt zu einer Teilrente. Auf die Berechnung dieser Teilrenten bezieht sich die Rechtsprechung des Senats. Sie betrifft Fälle, in denen der Arbeitnehmer den Versorgungsfall “vorzeitiges Ausscheiden mit Vollendung des 63. Lebensjahres” im Arbeitsverhältnis erreicht hat. Dann stehen nämlich alle Bemessungsgrundlagen bei Eintritt des Versorgungsfalles fest (vgl. hierzu auch Höhne in Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, Kommentar zum Betriebsrentengesetz, Band I, 2. Aufl., § 2 Rz 399 ff.). Insoweit unterscheidet sich die Berechnung von Versorgungsansprüchen von der Berechnung einer Anwartschaft.

c) Schließlich spricht für die hier vertretene Betrachtung auch die Regelung des § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG. Sollen die Betriebsrente und die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bestimmte Grenzen nicht überschreiten, dürfen Pensionsrückstellungen nur auf der Grundlage der von den Unternehmen nach Berücksichtigung der Sozialversicherungsrenten und der Begrenzung der Gesamtversorgung tatsächlich noch zu zahlenden Beträge berechnet werden. Für die Rückstellungen ist damit nicht nur die erzielbare Betriebsrente ohne Berücksichtigung der Obergrenzen maßgebend. Für Rückstellungen muß die Obergrenze bereits berücksichtigt werden. Die Höhe der Anwartschaft beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis sollte deshalb so berechnet werden, daß die Anwartschaft dem Wert der Rückstellungen entspricht.

d) Käme es für die Prüfung, ob Gesamtversorgungsobergrenzen überschritten werden, erst auf die Verhältnisse bei Eintritt des Versorgungsfalls an, bliebe die Höhe der Anwartschaft beim Ausscheiden des Arbeitnehmers ungewiß. Die tatsächlichen Verhältnisse bei Eintritt des Versorgungsfalls sind für den Arbeitgeber, aus dessen Diensten der Arbeitnehmer ausscheidet, nicht mehr nachprüfbar. Die Bemessungsgrundlagen könnten vom ausgeschiedenen Arbeitnehmer leicht beeinflußt werden. So könnte der Arbeitnehmer die Höhe seines letzten runegeldfähigen Einkommens in Absprache mit seinem neuen Arbeitgeber so gestalten, daß die Obergrenze weithin bedeutungslos wird. Das alles soll nicht sein. Deshalb kann es nur auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis ankommen.

4. Ist eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen, muß aus den im Zeitpunkt des Ausscheidens maßgebenden Tatsachen die voraussichtlich mögliche Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ermittelt werden. Im Grundsatz sind alle Daten, die für die Ermittlung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitpunkt des Ausscheidens vorliegen, fortzuschreiben. Auf dieser Grundlage ist eine fiktive Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermitteln. Maßgebend sind deshalb auch hier die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Zu fragen ist, wie hoch die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf dieser tatsachlichen Grundlage bei Eintritt des Versorgungsfalls “Alter”, also mit Vollendung des 65. Lebensjahres, wäre.

Die Ermittlung dieser tatsächlichen Grundlagen kann im Einzelfall schwierig sein. Deshalb sieht § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG für den Regelfall das Näherungsverfahren vor, das auch bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen angewendet wird. Dieses Näherungsverfahren dient der pauschalen Berechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Das Problem der Berücksichtigung von Sozialversicherungsrenten besteht schon bei der Berechnung der Pensionsrückstellungen. Der Arbeitgeber darf Rückstellungen nur in Höhe der voraussichtlich geschuldeten Leistung vornehmen (s.o. Abschnitt II 3 c). Er muß bei der Vornahme von Rückstellungen wissen, wie hoch die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eines begünstigten Arbeitnehmers ausfallen wird. Zur Berechnung dieser möglichen (fiktiven) Sozialversicherungsrente stellt ihm die Steuerverwaltung ein Näherungsverfahren zur Verfügung. Dieses Verfahren kann dazu benutzt werden, um im Zeitpunkt des Ausscheidens des Arbeitnehmers festzustellen, wie hoch dessen Sozialversicherungsrente im Alter von 65 Jahren voraussichtlich sein wird (§ 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG).

Auf dieses Näherungsverfahren kann der Arbeitgeber immer dann zurückgreifen, wenn er nicht von anderen tatsächlichen Grundlagen ausgehen will, die im konkreten Fall bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vorliegen. Der Arbeitgeber ist nicht gezwungen, das Näherungsverfahren anzuwenden. Er kann auch eine konkrete Berechnung vornehmen. Er “kann” das Näherungsverfahren verwenden, er “muß” es nicht. Er darf nur nicht, wie es der PSV im vorliegenden Fall getan hat, von der später tatsächlich gezahlten Rente ausgehen. Maßgeblich sind nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens.

Andererseits kann auch der Arbeitnehmer eine konkrete Berechnung aufgrund der für ihn maßgebenden Daten verlangen. Davon haben die Kläger im vorliegenden Fall jedoch keinen Gebrauch gemacht. Deshalb muß es beim Näherungsverfahren bleiben, wenn der Arbeitgeber oder der jetzt für ihn eintretende PSV keine konkrete Berechnung – bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens der Kläger aus dem Arbeitsverhältnisvornehmen.

Im Zeitpunkt des Ausscheidens der Kläger war das Näherungsverfahren in Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder geregelt. Diesen Erlassen lag ein Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 28. Juli 1975 (– IV B 1-S 2176-118/75 – BStBl I, 767) zugrunde. Nach Nr. 2 Abs. 1 des Schreibens waren die Renten aus der Arbeiter- und Angestelltenversicherung für jedes Versicherungsjahr mit 1,2 % der “maßgebenden Bezüge” im Sinne von Nr. 7 dieses Schreibens anzusetzen. Unter den maßgebenden Bezügen sind die für die Beitragsbemessung in der Sozialversicherung maßgebenden Bruttobezüge zu verstehen. Danach kommt es auf die Bruttobezüge der Kläger im Zeitpunkt ihres Ausscheidens an. Als Versicherungsjahre zählen bei dieser fiktiven Berechnung alle Lebensjahre nach Vollendung des 20. Lebensjahres. Für jedes Versicherungsjahr sind 1,2 % der maßgebenden Bezüge anzusetzen.

Ob bei dieser Berechnung der vom Beklagten eingesetzte Betrag von 1.529,08 DM im Fall des Klägers K… und 1.532,10 DM im Fall des Klägers Sch… eingesetzt werden darf, erscheint fraglich. Die nach dem Näherungsverfahren berechneten fiktiven Sozialversicherungsrenten betrugen im Fall K… nur 1.224,74 DM (2.268,03 × 45 × 1,2 %) und im Fall Sch… nur 1.154,67 DM (2.138,28 × 45 × 1,2 %) – immer bezogen auf das Alter 65. Der PSV hat dagegen eine Berechnungsmethode gewählt, die mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbar ist. Er geht von der tatsächlich im Versorgungsfall gezahlten Rente aus und rechnet zurück. Er wird bei der erneuten Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Berufungsgericht Gelegenheit haben, auf der hier wiedergegebenen Grundlage die fiktive Sozialversicherungsrente für beide Kläger zu berechnen.

5. In die Obergrenzenberechnung ist nicht nur die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen. Die hier maßgebenden Richtlinien für die Festsetzung der Ruhegelder sehen die Berücksichtigung von Beihilfen der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes ausdrücklich vor. Die Einwendungen der Kläger gegen die Berücksichtigung dieser Versorgungsleistungen sind daher nicht begründet.

6. Für den Kläger K… muß die Betriebsrente für den Fall der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Vollendung des 63. Lebensjahres berechnet werden. Für die Berechnung dieser Rente ist wiederum die Versorgungsregelung maßgeblich. Wird die betriebliche Altersversorgung von einer Unterstützungskasse durchgeführt, entscheidet das zur Vertretung der rechtsfähigen Versorgungseinrichtung vorgesehene Organ über den Inhalt der Versorgungsregelungen. Im vorliegenden Fall wurde die Versorgung über eine Unterstützungskasse in Form einer GmbH gewährt. Diese Gesellschaft wird durch den oder die Geschäftsführer vertreten (§ 35 GmbHG). Der Beschluß der Geschäftsführer vom 8. Juni 1973 sah einen Abschlag von 10 % auf die dem Arbeitnehmer im Alter von 65 Jahren zustehende Rente vor.

Gegen die Wirksamkeit dieses Beschlusses bestehen keine Bedenken. Dem Arbeitnehmer wurde eine Versorgung nach Maßgabe der Richtlinien der Unterstützungskasse versprochen. Deshalb kommt es auf die jeweils geltenden Richtlinien an. Der Kläger K… muß sich deshalb den 10 %igen Abschlag auf die Vollrente für das Alter 65 gefallen lassen.

7. Auf den so für den jeweiligen Versorgungsfall ermittelten Betrag ist der Zeitwertfaktor anzuwenden. Die Zeitwertfaktoren, die der beklagte PSV seiner Berechnung zugrunde gelegt hat, sind nicht zu beanstanden.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Gnade, Weinmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 838571

BAGE, 19

NZA 1992, 466

RdA 1992, 158

ZIP 1992, 716

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