Entscheidungsstichwort (Thema)

Gefahrenzulage Erzieher in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Station einer Universitätsklinik; Berichtigung der Rechtsmittelbelehrung

 

Orientierungssatz

Als Erzieher in psychiatrischen Einrichtungen tätige Angestellte sind keine Pflegepersonen iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen. Sie haben nur dann Anspruch auf Gefahrenzulagen nach dieser Tarifbestimmung, wenn sie mit den geistig kranken Patienten ständig zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen.

 

Normenkette

BAT § 33 Abs. 1c, 6, § 34 Abs. 2; Tarifvertrag über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c; BAT (TV Gefahrenzulagen) § 1 Abs. 1 Nr. 5; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO § 319 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 06.02.2001; Aktenzeichen 5 Sa 1511/00)

ArbG Berlin (Urteil vom 16.05.2000; Aktenzeichen 86 Ca 2549/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer Gefahrenzulage gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Tarifvertrags über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1c BAT (TV Gefahrenzulagen).

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. Januar 1988 bis 31. Juli 2001 als Erzieher beschäftigt. Er erhielt Vergütung nach der VergGr. IVb BAT. Seine Arbeitszeit betrug 19,5 Wochenstunden. Nachdem der Kläger zunächst in einer Außenstelle der Charité in Charlottenburg tätig war, war er seit dem 13. Dezember 1999 mit gleichen Aufgaben auf der Station 31 der Charité eingesetzt. Dort wurden 12 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren betreut, die akute psychische, psychosomatische und/oder neuropsychiatrische Erkrankungen mit ua. schweren Verhaltens- und Entwicklungsstörungen der kognitiven, emotionalen und psychosozialen Kompetenz aufwiesen. Basis der stationären psychiatrischen Betreuung war die pflegerisch-pädagogische Behandlungsgruppe. Die Regelaufgaben des pflegerisch bzw. erzieherisch tätigen Personals waren grundsätzlich miteinander und nebeneinander durchzuführen. Über Spiel, Gespräche sowie Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Krankenhauses sollten familienähnliche Bedingungen gestaltet werden.

Mit Schreiben vom 29. Juli 1999 hat der Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1999 die Zahlung einer Gefahrenzulage gem. § 33 Abs. 1c BAT iVm. dem TV Gefahrenzulagen geltend gemacht. Diesen Anspruch verfolgt er, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 25. Oktober 1999 eine Zahlung abgelehnt hat, mit seiner Klage weiter.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe die gleichen Aufgaben wahrgenommen wie die als Krankenschwestern oder- pfleger ausgebildeten Mitarbeiter in der Behandlungsgruppe. Auf Grund der neuen Konzeption einer Verknüpfung der Aufgaben des Pflege- und Erziehungspersonals zur Umsetzung moderner pflegerisch-heilpädagogischer Behandlungsmethoden im Rahmen der Teamarbeit sei er dem pflegerischen Personal gleichzustellen. Dies folge auch aus dem Wortlaut der tariflichen Vorschrift, wenn dort von Pflegepersonen die Rede sei. Der Begriff der “Pflege” werde heute nicht mehr in dem Sinne betrachtet, wie dies bei Schaffung der Tarifmerkmale womöglich noch der Fall gewesen sei. Sinn und Zweck der sogenannten Gefahren- bzw. Erschwerniszulage sei es, diese Zulage für die Erschwernisse der beruflichen Tätigkeit in psychiatrischen Einrichtungen zu gewähren. Eine konkrete Gefährdung des Behandelnden sei für die Gewährung der Gefahrenzulage nicht erforderlich. Das Pflegepersonal müsse wegen des ständigen Umgangs mit den psychisch kranken Menschen selber psychisch und physisch höhere Anforderungen erfüllen und sei damit erheblich höheren Belastungen ausgesetzt, als dies in Anstalten und Krankenanstalten gegeben sei. Zumindest sei der genannte Tarifvertrag im Wege der Lückenfüllung unter Einbeziehung der heute praktizierten, nicht mehr an der rein medizinischen Versorgung orientierten heilpädagogischen Konzeption im Bereich der Behandlung geistig kranker Menschen dahingehend auszulegen, daß alle Mitarbeiter des jeweiligen Teams unabhängig von ihrer medizinischen oder erzieherischen/heilpädagogischen Ausbildung einen Anspruch auf die Gefahrenzulage hätten. Auch die Tätigkeit des Pflegepersonals mit medizinischer Ausbildung sei als betreuende Pflege, als Pflege in psychologischer Hinsicht bzw. als Hilfe im Sinne einer “Milieutherapie” zu verstehen. Bezeichnenderweise sei auch das “pädagogische Personal” der Pflegedienstleitung unterstellt. Die Beklagte habe tatsächlich sowohl hinsichtlich des Einsatzes der Beschäftigten als auch deren ausgeübten Tätigkeiten keineswegs zwischen medizinischem Pflegepersonal und sozialpädagogischem Pflegepersonal differenziert. So habe er, der Kläger, auch alleine Dienst auf der Station gemacht. Richtig sei zwar, daß er im strengen Sinne des Wortlauts des Tarifvertrages nicht zu “arbeitstherapeutischen Zwecken” mit den geistig kranken Patienten zusammengearbeitet oder diese beaufsichtigt habe, doch seien für Schüler und Jugendliche “normale” Beschäftigungssituationen als der “arbeitstherapeutischen” Beschäftigung gleichwertig anzuerkennen.

Der Kläger hat in den Vorinstanzen beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 480,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 2000 sowie künftig monatlich 30,00 DM brutto als Zulage entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1c BAT zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Antrag auf Klageabweisung damit begründet, Erzieher unterfielen nicht dem Begriff des “Pflegepersonals in psychiatrischen Krankenhäusern”. Eine Rechtsfortbildung bzw. ergänzende Auslegung des Tarifvertrages komme nicht in Betracht, da der Wille der Tarifvertragsparteien zur unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Personengruppen klar ersichtlich sei. Selbst wenn man mit der Behauptung des Klägers davon ausginge, daß die Pflegepersonen auf der Station des Klägers nicht überwiegend pflegerisch tätig seien, würde dies nur bedeuten, daß diese keinen Anspruch auf die Zulage hätten. Daraus könne der Kläger für sich nichts herleiten. Unerheblich sei, daß sich die Methoden in den Heil- und Pflegeanstalten weiterentwickelt hätten. Entscheidend sei, daß die Tarifvertragsparteien die Tätigkeit, die der Kläger ausübt habe, nicht im Rahmen des TV Gefahrenzulagen erfaßt hätten. Schließlich habe der Kläger auch nicht das Merkmal der Zusammenarbeit mit oder der Beaufsichtigung von geistig kranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken erfüllt. Die im Rahmen der Arbeitstherapie von den Patienten eingesetzten Werkzeuge bedeuteten eine zusätzliche Gefahr, die über die Gefahren des alltäglichen Umgangs mit den Patienten hinausgehe. Die Gefährdung im gewöhnlichen Umgang mit den Patienten habe dagegen zum Berufsrisikos des Klägers gehört; für sie sehe der Tarifvertrag keine Gefahrenzulage vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos.

Mit seiner vom Landesarbeitsgericht im Tenor des Urteils zugelassener Revision beantragt der Kläger unter teilweiser Klagerücknahme,

die Beklagte in Abänderung der Urteile I. und II. Instanz zu verurteilen, für den Zeitraum 1. Januar 1999 bis 31. Juli 2001 an den Kläger 475,54 Euro brutto nebst 4 % Zinsen auf 245,44 Euro seit dem 1. März 2000 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank auf 230,10 Euro seit dem 1. Februar 2001 zu zahlen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger erfüllte nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 33 BAT begründe nicht für sämtliche als besonders gefährlich anzusehenden Arbeiten einen Anspruch der damit betrauten Angestellten auf eine Zulage, sondern nur in den tariflich ausdrücklich geregelten Fällen. Nach der tariflichen Terminologie werde das Pflegepersonal mit im einzelnen genannten Tätigkeiten an anderer Stelle in der Anlage zum BAT bewertet als Erzieher und Sozialarbeiter. Selbst wenn der Kläger notfalls auch pflegerische Maßnahmen ergriffen habe, habe der Schwerpunkt seiner Tätigkeit doch darin gelegen, mit den Patienten soziale Fertigkeiten einzuüben. Es sei allein Sache der Tarifvertragsparteien, gegebenenfalls auch für bei der Behandlung geistig kranker Patienten eingesetzte Erzieher eine entsprechende Zulage vorzusehen. Daß sich die Behandlungsmethoden im Laufe der Jahre erheblich geändert haben, sei den Tarifvertragsparteien bekannt. Wenn sie gleichwohl von einer Änderung der tariflichen Bestimmungen abgesehen hätten, könnten die Gerichte den Zulagenanspruch nicht durch ergänzende Auslegung oder Rechtsfortbildung auch auf Erzieher erstrecken. Als sonstigem Angestellten würde dem Kläger ein Anspruch auf die Zulage allenfalls dann zustehen, wenn er ständig mit den Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen würde. Dies sei jedoch unstreitig nicht der Fall gewesen.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung.

    • Die Zulässigkeit der Revision scheitert nicht an der fehlenden Zulassung. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gem. § 72 Abs. 1 iVm. § 64 Abs. 3a ArbGG im Tenor des angefochtenen Urteils zugelassen. Die Nichtzulassung ausweislich IV. der Entscheidungsgründe wurde unter Berücksichtigung der Sitzungsniederschrift vom 6. Februar 2001 durch Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2001 in zulässiger Weise gem. § 319 Abs. 1 ZPO berichtigt.
    • Die Einbeziehung der den Zeitraum Mai 2000 bis Juli 2001 betreffenden Zulagenbeträge in den Revisionsantrag auf Zahlung fälliger Beträge ist zulässig. Hinsichtlich dieses Zeitraums hatte der Kläger in den Vorinstanzen entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts keine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO, sondern in zulässiger Weise Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO erhoben (vgl. Thomas-Putzo ZPO 24. Aufl. § 259 Rn. 2 und 3). Insoweit beruht die Antragsänderung in der Revisionsinstanz nicht auf einem veränderten Klagegrund und stellt gegenüber dem in den Tatsacheninstanzen verfolgten Antrag auch keine Klageerweiterung dar. Daß der Kläger bis 31. Juli 2001 zu unveränderten Arbeitsbedingungen beschäftigt war, ist unstreitig.
    • Von vornherein unbegründet sind Klage und Revision insoweit, als der Kläger die Zulage in voller Höher von monatlich 30,00 DM statt gem. § 34 Abs. 2 BAT anteilig entsprechend seiner verminderten wöchentlichen Arbeitszeit begehrt. Aber auch soweit der Kläger Zahlung von seiner Arbeitszeit entsprechenden Gefahrenzulagen begehrt, ist seine Revision unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen nicht erfüllte.

      • Gemäß § 33 Abs. 1c BAT erhält der Angestellte für die Zeit, für die ihm Vergütung gem. § 26 BAT zusteht, eine Zulage, wenn er regelmäßig und nicht nur in unerheblichem Umfange besonders gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten auszuführen hat und hierfür kein anderweitiger Ausgleich zu gewähren ist. Dazu bestimmt § 33 Abs. 6 BAT:

        “Unter welchen Voraussetzungen im Falle des Abs. 1 Buchst. c eine Arbeit als besonders gefährlich oder gesundheitsschädlich anzusehen ist und in welcher Höhe die Zulage nach Abs. 1 Buchst. c zu gewähren ist, wird zwischen dem Bund, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und den vertragschließenden Gewerkschaften jeweils gesondert vereinbart. In den Vereinbarungen können auch Bestimmungen über eine Pauschalierung getroffen werden.”

        Wie der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits mit Urteil vom 3. September 1986 (– 4 AZR 359/85 – nv.) entschieden hat, kann den Tarifbestimmungen nicht entnommen werden, daß allen Angestellten für sämtliche als besonders gefährlich anzusehende Arbeiten eine Zulage zustehen soll. Vielmehr haben es sich die Tarifvertragsparteien ausdrücklich vorbehalten, jeweils gesondert zu vereinbaren, unter welchen Voraussetzungen im Falle des § 33 Abs. 1c BAT eine Arbeit als besonders gefährlich anzusehen ist. Die hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen lautet:

        “Zulagen in Monatsbeträgen erhalten:

        5. Pflegepersonen in psychiatrischen Krankenhäusern (Heil- und Pflegeanstalten) oder psychiatrischen Kliniken, Abteilungen oder Stationen,

        Pflegepersonen in neurologischen Kliniken, Abteilungen oder Stationen, die ständig geistig kranke Patienten pflegen,

        Angestellte in psychiatrischen oder neurologischen Krankenhäusern, Kliniken oder Abteilungen, die im EEG-Dienst oder in der Röntgendiagnostik ständig mit geistig kranken Patienten Umgang haben,

        Angestellte der Krankengymnastik, die überwiegend mit geistig kranken Patienten Umgang haben,

        sonstige Angestellte, die ständig mit geistig kranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen

        Monatsbetrag 30,00 DM.”

        Nur wenn der Kläger eine dieser Voraussetzungen erfüllt hätte, hätte er einen Zulagenanspruch. Den Gerichten für Arbeitssachen steht eine anspruchsbegründende Rechtsfortbildung oder ergänzende Auslegung der Tarifvorschriften nicht zu, zumal sich das Maß der Gefahr nicht abstrakt bestimmen läßt, sondern von einer Vielzahl von Umständen abhängt, deren Bewertung zudem höchst unterschiedlich vorgenommen werden kann. Wenn dann die Tarifvertragsparteien nur einen bestimmten Sachverhalt regeln, kann daraus kein Anspruch für ähnliche Sachverhalte hergeleitet werden (vgl. BAG 3. September 1986 – 4 AZR 359/85 – nv.). Auch daß sich die Methoden der Behandlung und Pflege geistig kranker Patienten im Laufe der Jahre geändert haben, vermag eine derartige Rechtsfortbildung nicht zu rechtfertigen. Diese Veränderung ist den Tarifvertragsparteien bekannt. Wenn sie die Gefahrenzulage gleichwohl nur den in § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen im einzelnen bezeichneten Personen zugestehen, nicht aber auch sonstigen mit der Behandlung und Betreuung geistig kranker Patienten betrauten Angestellten, ist dies von der Tarifautonomie gem. Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt und von den Gerichten für Arbeitssachen zu respektieren. Dafür, daß diese Differenzierung auf sachfremden Erwägungen beruhen würde oder als willkürlich angesehen werden müßte, bestehen keine Anhaltspunkte.

      • Der Kläger war keine “Pflegeperson” iSv. § 1 Abs. 1 Nr. 5 Unterabs. 1 TV Gefahrenzulagen. Dieser Tarifbegriff ist nicht dahin auszulegen, daß er auch Erzieher erfaßt, welche eine Tätigkeit wie die des Klägers bei der Beklagten ausüben.

        • Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Ist der Tarifwortlaut nicht eindeutig, so ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Bei Zweifeln können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags oder die praktische Tarifübung hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (zur Auslegung von § 1 Abs. 1 Nr. 5 Unterabs. 5 TV Gefahrenzulagen BAG 17. Januar 1996 – 10 AZR 439/95 – ZTR 1996, 271).
        • Zutreffend ist somit das Landesarbeitsgericht vom Wortlaut ausgegangen und hat darauf hingewiesen, daß sich ein “Erzieher” von einer “Pflegeperson” begrifflich unterscheidet (vgl. dazu bereits BAG 29. April 1992 – 4 AZR 458/91 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 162). Auch der BAT differenziert zwischen Pflegepersonen einerseits, deren Eingruppierung entsprechend ihren im einzelnen genannten Tätigkeiten in der Anlage 1b zum BAT geregelt ist, und Erziehern bzw. Erzieherinnen andererseits, für die sich einschlägige Regelungen in Teil II G der Anlage 1a zum BAT finden. Diese eindeutige terminologische Unterscheidung läßt es nicht zu, den Begriff der “Pflegepersonen” in § 1 Abs. 1 Nr. 5 Unterabs. 1 TV Gefahrenzulagen ausdehnend dahin auszulegen, daß darunter auch Erzieher subsumiert werden könnten. Verwenden die Tarifvertragsparteien wie hier an unterschiedlichen Stellen eines einheitlichen Tarifwerks dieselben Begriffe, so ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß sie diese nicht mit unterschiedlicher Bedeutung belegt wissen wollen. Dementsprechend kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, welche Personen zum Pflegepersonal im Sinn von § 1 Abs. 3 AZO Kr zu zählen sind. Vielmehr ist die Rechtsansicht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zutreffend, wonach die erste Alternative der genannten Tarifvorschrift nur Krankenschwestern/Krankenpfleger, Krankenpflegehelferinnen/Krankenpflegehelfer und Pflegehelferinnen/Pflegehelfer erfaßt, die in psychiatrischen Krankenhäusern (Heil- und Pflegeanstalten) oder psychiatrischen Kliniken, Abteilungen oder Stationen tätig sind (TOP 19 der 6./79 Mitgliederversammlung der TdL vom 22. Mai 1979, vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Teil III Stand Mai 2002 2.5 TV Gefahrenzul. § 1 Rn. 15 und Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Teil V Stand März 2002 – Gefahrenzulagen Erl. 7a). Zu diesen gehörte der Kläger als Erzieher nicht. Daß er nach dem Willen der Tarifvertragsparteien dazu auch nicht gerechnet werden soll, wird zudem daraus deutlich, daß die TdL in der genannten Mitgliederversammlung es abgelehnt hat, Erzieher und andere Angestellte, die überwiegend mit geistig kranken Patienten Umgang haben, in den 4. Unterabsatz von § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen aufzunehmen bzw. die Einschränkung “zu arbeitstherapeutischen Zwecken” aus dem 5. Unterabsatz der Tarifvorschrift zu streichen (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese aaO Erl. 8 und 10a).
        • Daß der Kläger überwiegend nicht erzieherisch, sondern pflegerisch tätig gewesen wäre, hat er selbst nicht behauptet. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht für den Senat gem. § 561 Abs. 2 ZPO aF bindend festgestellt, der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers habe darin gelegen, mit den Patienten soziale Fertigkeiten einzuüben, also im erzieherischen bzw. sozialpädagogischen Bereich. Die Unterstellung des “pädagogischen Personals” unter die Pflegedienstleitung ist insoweit ohne Bedeutung. Selbst wenn auch die zu den Pflegepersonen gezählten Angestellten in der pflegerisch-pädagogischen Behandlungsgruppe nicht überwiegend pflegerisch, sondern erzieherisch tätig wären, würde dies, wie die Beklagte mit Recht geltend gemacht hat, für den Kläger keinen Anspruch auf die Gefahrenzulage gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 Unterabs. 1 TV Gefahrenzulagen begründen; die Folge könnte nur sein, daß auch diesen Pflegepersonen kein Anspruch auf die Gefahrenzulage zustünde. Im übrigen läßt sich dem Sachvortrag des Klägers nicht ausreichend substantiiert entnehmen, daß die mit ihm zusammenarbeitenden Pflegepersonen tatsächlich überwiegend berufsfremd tätig waren.
      • Auch die weiteren Alternativen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 TV Gefahrenzulagen sind nicht erfüllt. Insbesondere ist unstreitig, daß der Kläger mit den Patienten nicht im Sinne des letzten Unterabsatzes der genannten Tarifvorschrift zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeitete oder die Patienten hierbei beaufsichtigte. Eine ergänzende Tarifauslegung bzw. Rechtsfortbildung dahin, daß die Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten der arbeitstherapeutischen Zusammenarbeit gleichgestellt wird, kann aus den oben zu II. 3a genannten Gründen nicht erfolgen.
  • Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Thiel, Tirre

 

Fundstellen

ARST 2003, 66

NZA 2002, 1112

ZTR 2002, 591

PersV 2003, 278

PflR 2002, 473

NJOZ 2003, 1385

Tarif aktuell 2002, 5

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