Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Rechtskraft des Urteils in Kündigungsschutzklage

 

Orientierungssatz

Der Umfang der materiellen Rechtskraft und der mit dieser in Zusammenhang stehenden Präklusionswirkung richten sich nach dem Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage. Entspricht der Feststellungsantrag dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, so ist nach ständiger Rechtsprechung und ganz überwiegender Meinung in der Literatur Streitgegenstand die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlaß einer ganz bestimmten Kündigung zu dem beabsichtigten Termin aufgelöst worden ist oder nicht (sogenannte punktuelle Streitgegenstandstheorie).

 

Normenkette

ZPO § 322; KSchG § 4 S. 1 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 19.06.1985; Aktenzeichen 2 Sa 115/85)

ArbG Mainz (Entscheidung vom 15.11.1984; Aktenzeichen 1 Ca 1544/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer am 13. August 1984 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte befaßt sich mit der Instandsetzung von Waffen und Geräten. Sie arbeitet ausschließlich für die US-Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Ab 19. Juli 1982 beschäftigte sie den Kläger als Elektroniker in ihrer Abteilung Waffen und Feuerleitgeräte. Dort oblag es ihm, mittels computergesteuerter Testapparate Feuerleit- und Zielgeräte zu testen. Neben dem Kläger arbeiteten an diesen Testanlagen weitere fünf Arbeitnehmer. Der Kläger ist seit dem 18. September 1980 als Schwerbehinderter mit einer MdE von 50 % anerkannt. Die Beklagte wurde von der Schwerbehinderteneigenschaft erstmals mit Schreiben vom 20. September 1984 unterrichtet.

Am 13. August 1984 kündigte die Beklagte außerordentlich zum 14. August 1984. Zur Begründung führte sie an, der Kläger habe die US-Armee über angebliche Mißbräuche, die an dem E - Gerät vorgekommen sein sollen, informiert, und diese Anschuldigungen entbehrten jeder Grundlage. Außerdem habe er sich am 26. Juli 1984 zum wiederholten Male geweigert, seinen Arbeitsplatz aufzuräumen. Mit derselben Begründung kündigte die Beklagte dem Kläger durch Schreiben vom 22. August 1984 fristgemäß zum 8. September 1984. Als weitere Begründung wurde im zweiten Kündigungsschreiben angegeben, er habe am 14. August 1984 seinen Arbeitsplatz verlassen, ohne sich abzumelden.

Mit seiner am 14. August 1984 eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen die fristlose Kündigung gewendet. Er hat die von der Beklagten gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Da das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei, ist seiner Auffassung nach die Beklagte verpflichtet, ihn weiterzubeschäftigen. Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien be-

stehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose

Kündigung vom 13. August 1984 nicht aufgelöst

worden ist, sondern über den 14. August 1984

hinaus auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu un-

veränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäf-

tigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis aufzulösen und eine Abfindung

festzusetzen, deren Höhe in das Ermessen des Ge-

richts gestellt wird.

Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger sei dringend verdächtigt, die für sie zuständige amerikanische Dienststelle über angebliche Mißstände an US-Einrichtungen informiert zu haben. Die Testgeräte, an denen der Kläger gearbeitet habe, stünden im Eigentum der US-Streitkräfte. Darüber hinaus bestehe aus Sicherheitsgründen bei den US-Streitkräften ein besonderes Interesse an der ordnungsgemäßen Handhabung der Geräte. Außer dem Kläger komme niemand von den anderen Arbeitnehmern für die verleumderische Anschwärzung der Beklagten in Frage. Am 20. Juli 1984 habe der Kläger den Kommandeur aufgesucht. Mit Schreiben vom 30. Juli 1984 habe er sich an die Geschäftsleitung gewandt und auf angebliche Mißbräuche an den Geräten hingewiesen. Die Vorwürfe des Klägers seien jedoch ungerechtfertigt. Durch die Information der US-Streitkräfte könne sie erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, denn die US-Streitkräfte seien ihre alleinigen Auftraggeber. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei ihr unzumutbar geworden. Im übrigen fechte sie den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Der Kläger habe nämlich in seinem Personalfragebogen seine Schwerbehinderung verschwiegen.

Durch Urteil vom 15. November 1984 hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung. Es stehe nämlich nicht mit Sicherheit fest, daß der Kläger eine Fehlinformation weitergegeben habe. Eine Verdachtskündigung erfordere einen dringenden durch Tatsachen objektiv begründeten Verdacht. Die Beklagte habe jedoch nicht alles versucht, um den Verdacht zu erhärten. So habe sie es unterlassen, den Kommandeur, auf den sie sich berufe, selbst zu befragen. Die Anfechtung könne Wirkungen nur ex nunc entfalten mit der Folge, daß das Arbeitsverhältnis für die Zeit vor Zugang der Anfechtungserklärung (16. Oktober 1984) wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis zu behandeln sei. Gründe für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung seien nicht hinreichend dargetan. Da die Kündigung rechtsunwirksam sei, habe der Kläger Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung.

Gegen die am 22. August 1984 ausgesprochene ordentliche Kündigung hatte der Kläger am 14. September 1984 Kündigungsschutzklage erhoben (1 Ca 1775/84). Dieser Klage hat das Arbeitsgericht ebenfalls am 15. November 1984 in vollem Umfang stattgegeben, indem es festgestellt hat, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die schriftliche Kündigung vom 22. August 1984 aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt hat, den Kläger entsprechend den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen tatsächlich weiterzubeschäftigen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt, so daß es rechtskräftig geworden ist. Dagegen hat die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts im vorliegenden Rechtsstreit über die außerordentliche Kündigung Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren ursprünglich gestellten Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, einer das erstinstanzliche Urteil abändernden Entscheidung stehe die Rechtskraft des Urteils vom 15. November 1984 in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 entgegen, durch das festgestellt worden ist, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die schriftliche Kündigung vom 22. August 1984 aufgelöst worden ist. Voraussetzung für die Entscheidung über die Unwirksamkeit dieser ordentlichen Kündigung sei nämlich gewesen, daß im Zeitpunkt des Kündigungszugangs ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden habe. Daraus folge, daß in dem Verfahren 1 Ca 1775/84 durch das Urteil vom 15. November 1984 nicht nur über die Wirksamkeit der Kündigung vom 22. August 1984, sondern auch über den B e s t a n d d e s A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s im Zeitpunkt des Kündigungszugangs rechtskräftig entschieden worden sei. Eine Abänderung des Urteils vom 15. November 1984, durch das die außerordentliche Kündigung vom 13. August 1984 für unwirksam erklärt worden ist, würde dem rechtskräftigen Urteil in der Sache 1 Ca 1775/84 den Boden entziehen. Das wäre mit dessen Rechtskraft nicht vereinbar. Dementsprechend könne die Beklagte sich nicht mehr darauf berufen, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die außerordentliche Kündigung vom 13. August 1984 beendet worden. Auch die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung stehe durch rechtskräftige Entscheidung in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 fest.

B. Der Würdigung des Berufungsgerichts war zu folgen.

I. Der Umfang der materiellen Rechtskraft und der mit dieser in Zusammenhang stehenden Präklusionswirkung richten sich nach dem Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage. Entspricht der Feststellungsantrag wie im vorliegenden Falle nach der insofern nicht beanstandeten und zutreffenden Auslegung durch das Berufungsgericht dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, so ist nach ständiger Rechtsprechung (BAG 7, 36 = AP Nr. 17 zu § 3 KSchG mit zust. Anm. von Habscheidt; BAG 7, 51 = AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, ebenfalls mit zust. Anm. von Habscheidt; BAG Urteil vom 10. Dezember 1970 - 2 AZR 82/70 - AP Nr. 40 zu § 3 KSchG; BAG Urteil vom 12. Januar 1977 - 5 AZR 593/75 - AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969 und BAG Urteil vom 31. Mai 1979 - 2 AZR 473/77 - AP Nr. 50 zu § 256 ZPO mit Anm. von Leipold) und ganz überwiegender Meinung in der Literatur (KR-Friedrich, 2. Aufl., § 4 KSchG Rz 225 bis 227; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 288; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 4 Rz 51; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 4 Rz 48 m.w.N.; Nikisch, Arbeitsrecht I, 3. Aufl. 1961, S.774 sowie Habscheidt, aaO) Streitgegenstand die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlaß einer ganz bestimmten Kündigung zu dem beabsichtigten Termin aufgelöst worden ist oder nicht (sog. punktuelle Streitgegenstandstheorie). Von diesem beschränkten Streitgegenstand ist vorliegend ohne Rechtsfehler auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, so daß nicht zu prüfen ist, ob das Arbeitsverhältnis über den 14. August 1984 hinaus auf unbestimmte Zeit fortbestanden hat.

Demgegenüber wird u.a. von Bötticher (Festschrift Herschel, S. 181); Lüke (JZ 1960, 203), Zeuner (MDR 1956, 257, 259) und Güntner (AuR 1974, 110 ff.) die Ansicht vertreten, Streitgegenstand sei der Bestand des Arbeitsverhältnisses zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung.

Für die herrschende Meinung spricht bereits der Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG. Überzeugender als dieses mehr formale Argument ist der Hinweis des Senats im Urteil vom 13. November 1958 (BAG 7, 36 = AP Nr. 17 zu § 3 KSchG mit zust. Anm. von Habscheidt), es gebe eine ganze Reihe von Fällen, in denen ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, gerichtlich klären zu lassen, ob eine ganz bestimmte Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet habe, während das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellung, das Arbeitsverhältnis bestehe noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz fehlen könne. So hat ein Arbeitnehmer, dem zunächst zweimal fristlos wegen behaupteter Vertragsverletzungen und dann ordentlich aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt wurde, wegen der Ehrverletzung und der damit verbundenen Erschwerungen seines weiteren beruflichen Werdegangs in der Regel ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit dieser fristlosen Kündigungen, während er ein Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung schon dann nicht mehr zu haben braucht, wenn er aus den beiden fristlosen Kündigungen den Schluß zieht, der Arbeitgeber wolle mit ihm ohnehin nicht mehr weiter zusammen arbeiten und aus diesem Grunde zum Ende der Kündigungsfrist einen neuen Arbeitsplatz sucht und findet.

II. Fraglich ist, welche Konsequenzen sich aus der punktuellen Streitgegenstandstheorie für die materielle Rechtskraft des Urteils ergeben, durch das festgestellt wird, daß eine bestimmte Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.

1. Wird eine Entscheidung unanfechtbar (äußere Rechtskraft), so entfaltet sie eine Wirkung, die als materielle oder innere Rechtskraft bezeichnet wird. Die materielle Rechtskraft einer unanfechtbaren Entscheidung bedeutet die Maßgeblichkeit der in ihr ausgesprochenen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der von einer Partei beanspruchten Rechtsfolge in jedem Verfahren zwischen denselben Parteien, in dem dieselbe Rechtsfolge in Frage steht. Diese Folge wird deshalb auch Feststellungswirkung genannt. Sie hat die Aufgabe, der Gefahr einer zweiten, widersprechenden Entscheidung zu begegnen. Da diese Gefahr nur von einem zweiten Verfahren droht, wird durch die materielle Rechtskraft jede neue Verhandlung und Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge ausgeschlossen, und in diesem Sinne sind die staatlichen Organe und die Parteien an die rechtskräftige Entscheidung "gebunden" (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl. 1981, § 150 II). Die materielle Rechtskraft ist keine Begriffsnotwendigkeit, sondern entspringt dem gleichen Gebot der Zweckmäßigkeit wie die Beschränkung der Rechtsmittel. Die Bewahrung bzw. Wiederherstellung des Rechtsfriedens unter den Parteien fordert, daß jeder Streit einmal ein Ende hat, die Rücksicht auf die Gerichte, daß sie wegen eines unanfechtbar entschiedenen Streites nicht von neuem angegangen und die Erhaltung ihres Ansehens, daß widerstreitende Entscheidungen vermieden werden (Rosenberg/Schwab, aaO, § 152 I).

2. Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 12. Januar 1977 - 5 AZR 593/75 - AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969 mit insoweit kritischer Anm. von Grunsky) hat entschieden, daß aufgrund der punktuellen Streitgegenstandstheorie mit der Rechtskraft des Urteils, das der Klage stattgibt, festgestellt ist, daß das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung zu dem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist. Gegenstand der Rechtskraft des der Kündigungsklage stattgebenden Urteils ist also die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte Kündigung zu einem bestimmten Zeitpunkt (Ablauf der Kündigungsfrist, Kündigungstermin) nicht aufgelöst ist. Mit der Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß steht außerdem fest, daß im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den streitenden Parteien bestanden hat. Das ist entgegen der Auffassung Grunskys (aaO) deswegen der Fall, weil der Bestand des Arbeitsverhältnisses am Kündigungstermin V o r a u s s e t z u n g für die Feststellung ist, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Es wird also rechtskräftig über das Bestehen rechtlicher Bindungen zwischen den Parteien entschieden (BAG Urteil vom 12. Januar 1977, aaO; KR-Friedrich, aaO, § 4 KSchG Rz 255; Hueck, aaO, § 4 KSchG Rz 56).

III. Vorliegend hat das Arbeitsgericht durch Urteil vom 15. November 1984 in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 entschieden, durch die Kündigung vom 22. August 1984 sei das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden. Folgt man der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, dann ist damit zugleich rechtskräftig festgestellt, daß zum Zeitpunkt des Zugangs der ordentlichen Kündigung vom 22. August 1984, am 4. oder 10. September 1984, zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Würde das Landesarbeitsgericht nunmehr entscheiden, daß das Arbeitsverhältnis bereits durch außerordentliche Kündigung vom 13. August am 14. August 1984 beendet worden ist, würde es die materielle Rechtskraft des Urteils in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 mißachten mit der Folge, daß zwei einander widersprechende rechtskräftige Urteile sich gegenüber stünden.

Der Senat hält an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtskraft bei einer Kündigungsschutzklage fest, weil anderenfalls die materielle Rechtskraft die ihr zugeordnete Funktion nicht erfüllen könnte, den Rechtsfrieden zu bewahren, der es erfordert, daß jeder Streit einmal ein Ende hat, Rücksicht auf die Gerichte zu nehmen, indem ausgeschlossen wird, daß wegen eines unanfechtbar entschiedenen Streites sie von neuem angegangen werden können und ihr Ansehen dadurch zu erhalten, daß widerstreitende Entscheidungen vermieden werden. Würde der Senat der Auffassung von Grunsky (aaO) folgen, könnte jeder Arbeitgeber, der einen Kündigungsschutzprozeß rechtskräftig verloren hat, sich darauf berufen, daß ein Arbeitsverhältnis gar nicht bestanden habe, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund einer bereits früher erklärten Anfechtung beendet worden ist, die Parteien einen Aufhebungsvertrag in der Vergangenheit geschlossen hätten oder das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen ein Ende gefunden habe. Ein solcher Vortrag wäre nach Grunsky (aaO) in einem späteren Prozeß auch nicht aufgrund der Präklusionswirkung ausgeschlossen.

2. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß vorliegend zwei einander widersprechende rechtskräftige Entscheidungen auch hätten vermieden werden können, wenn das Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO die Entscheidung des Rechtsstreits über die zweite Kündigung so lange ausgesetzt hätte, bis über die Rechtswirksamkeit der ersten (außerordentlichen) Kündigung rechtskräftig entschieden worden wäre, bzw. beide gleichzeitig entschiedene Sachen miteinander verbunden hätte. Das hat das Arbeitsgericht aber nun einmal nicht getan. Es muß zwar nach Möglichkeit vermieden werden, daß solche Fehler eines Gerichts sich zu Lasten einer Partei auswirken. Hierbei kann aber nicht außer Betracht bleiben, daß die Beklagte es in der Hand gehabt hätte, eine materielle Entscheidung über die außerordentliche Kündigung zu erlangen, wenn sie gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich der ordentlichen Kündigung ebenfalls Berufung eingelegt hätte.

Dies hätte im vorliegenden Falle auch zu einer sorgfältigen Prozeßführung gehört.

Dies zeigt der Streit um die Pflicht der Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers: Bei der Frage des Weiterbeschäftigungsanspruchs handelt es sich um einen Streitgegenstand, der nicht identisch ist mit dem der Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht hatte die Beklagte sowohl in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 betreffend die ordentliche Kündigung wie auch in dem vorliegenden Rechtsstreit in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Die Beklagte war auch insoweit in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 beschwert. Sie hatte auch eine Möglichkeit, die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung im Berufungsverfahren überprüfen zu lassen, weil nach der Begründung des Großen Senats mit der Verkündung eines Urteils, das die Unwirksamkeit einer Kündigung ausspricht, noch nicht automatisch ein Weiterbeschäftigungsanspruch gegeben ist, vielmehr nur die Ungewißheit des Prozeßausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründet. Der Arbeitgeber kann in einem solchen Falle zusätzliche Umstände, aus denen sich sein überwiegendes Interesse ergeben soll, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen, darlegen. Das Berufungsgericht wäre in einem solchen Falle verpflichtet, in einer Interessenabwägung zu entscheiden, ob das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung oder des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung überwiegt. Stattdessen hat die Beklagte auch das Urteil bezüglich der Weiterbeschäftigung in dem Rechtsstreit 1 Ca 1775/84 rechtskräftig werden lassen. Dies hat wiederum zur Folge, daß das Landesarbeitsgericht gehindert ist, ein Urteil zu verkünden, das der Rechtskraft dieser Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung widerspricht.

C. Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Damit ist aber noch nicht entschieden, ob das Arbeitsverhältnis nicht durch die Anfechtung vom 16. Oktober 1984 beendet worden ist.

Die Entscheidung über die Anfechtung war an sich vorgreiflich, weil die begründete Anfechtung des Arbeitsverhältnisses (§ 142 Abs. 1 BGB) auf den Zeitpunkt zurückwirkt, zu dem das Arbeitsverhältnis außer Funktion gesetzt wurde (BAG 41, 54 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB und BAG Urteil vom 29. August 1984 - 7 AZR 34/83 - AP Nr. 27 zu § 123 BGB), das war der 14. August 1984. Dies hat das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung über beide Kündigungen übersehen. Aufgrund der Rechtskraft des Urteils über die ordentliche Kündigung vom 22. August zum 8. September 1984 steht zwar fest, daß zum Zeitpunkt des Zugangs der ordentlichen Kündigung vom 22. August 1984, am 4. oder 10. September 1984, noch ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Anfechtung kann aber das Arbeitsverhältnis einen Tag nach Zugang der ordentlichen Kündigung aufgelöst haben, d.h. zum ersten Tag, der nicht mehr von der Rechtskraft des Urteils über die ordentliche Kündigung erfaßt worden ist, denn beide Vorinstanzen haben rechtlich unzutreffend, aber b e w u ß t und von der Beklagten bereits im Berufungsverfahren nicht mehr beanstandet, über die Anfechtung nicht entschieden, wie das Berufungsgericht aus dem Hinweis auf die Erhebung einer selbständigen Klage gegen die Anfechtung unter dem Aktenzeichen 1 Ca 2235/84 vor dem Arbeitsgericht Mainz und der Erklärung des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht, es könne in vorliegender Sache über die Anfechtung nicht verhandelt werden, zu Recht entnommen hat. Haben die Vorinstanzen aber bewußt nicht über die Anfechtung entschieden, steht die Rechtskraft des Urteils über die ordentliche Kündigung auch nicht einer Entscheidung über die Anfechtung in einem weiteren Rechtsstreit entgegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 109/83 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32).

Hillebrecht - zugleich für den Dr. Weller

durch Urlaub an der

Unterschrift verhin-

derten Richter

Triebfürst

Jansen Nipperdey

 

Fundstellen

NZA 1987, 273-275 (ST1-5)

RzK, I 10m 7 (ST1-2)

AP § 4 KSchG 1969 (T), Nr 17

EzA § 4 nF KSchG, Nr 31 (ST1-5)

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