Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristeter Arbeitsvertrag - Aushilfe

 

Orientierungssatz

Die sachliche Rechtfertigung einer Befristungsabrede wegen eines vorübergehenden Mehrbedarfs erfordert, daß bei Abschluß des Zeitvertrages aufgrund konkreter Tatsachen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, daß für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht. Zur zeitlichen Begrenztheit des Arbeitsanfalls hat der Arbeitgeber eine Prognose zu erstellen, die sich auf Umfang und Dauer des Mehrbedarfs zu erstrecken hat und die darauf bezogen ist, daß im Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Bedarf mehr an der Arbeitsleistung des befristet eingestellten Arbeitnehmers besteht. Die Grundlagen der Prognose hat der Arbeitgeber im Prozeß darzulegen, damit der Arbeitnehmer seinerseits die Möglichkeit erhält, die Richtigkeit der Prognose zum Zeitpunkt des

Vertragsabschlusses aufgrund konkreter Tatsachen zu überprüfen.

 

Tenor

Die Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20. November 1997

- 2 Sa 7/97 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und einer Befristungsvereinbarung.

Die Klägerin war bei dem Beklagten bis zum 16. Januar 1996 zur Bürokauffrau ausgebildet worden. Ab dem 17. Januar 1996 wurde sie vom Beklagten in der Hauptverwaltung als Verwaltungsmitarbeiterin angestellt. Zwischen den Parteien bestand Einigkeit darüber, daß das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 1996 befristet war und die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) Anwendung finden. Der Entwurf eines schriftlichen Dienstvertrages vom 6. Februar 1996 wurde von der Klägerin nicht unterzeichnet. In ihm war als Grund für die Befristung "§ 1 (1) Nr. 2 BeschFG" angegeben. Am 29. Februar 1996 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1996.

Mit der am 20. März 1996 eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 29. Februar 1996 und gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf gewandt. Sie hat insbesondere die Auffassung vertreten, die Befristung des Arbeitsvertrages sei unwirksam, da der in dem Vertragsentwurf enthaltene Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 BeschFG sowie der mündlich gegebene Hinweis auf Kostengründe die Befristung nicht rechtfertigen könnten. Ein weiterer Befristungsgrund sei ihr weder mitgeteilt worden noch habe er bei Vertragsabschluß vorgelegen.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien

durch die Kündigung des Beklagten vom 29. Februar 1996 nicht

beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen

unbefristet fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Kündigung für wirksam gehalten und die Auffassung vertreten, jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis durch wirksame Befristung am 30. September 1996 geendet. Die Klägerin sei als zeitweilige Aushilfe eingestellt worden. Bei der Leistungsabteilung sei wegen der Erkrankung mehrerer Mitarbeiterinnen Arbeit liegengeblieben. Auch habe wegen eines neuen EDV-Programms im Hinblick auf die Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung ein erhöhter Arbeitsanfall vorgelegen. Auf das Beschäftigungsförderungsgesetz werde die Befristung nicht gestützt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Soweit der Beklagte das Urteil des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Kündigung angreift, ist die Revision unzulässig.

Stützt das Instanzgericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen, so muß der Rechtsmittelführer in der Rechtsmittelbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht rechtfertigen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH Beschluß vom 25. Januar 1990 - IX ZB 89/89 - NJW 1990, 1184; BGH Urteil vom 15. Juni 1993 - XI ZR 111/92 - NJW 1993, 3073; BGH Urteil vom 25. Mai 1976 - III ZR 26/76 - VersR 1976, 1063).

Das Berufungsurteil wird von zwei selbständigen, voneinander unabhängigen rechtlichen Erwägungen gestützt. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung zum einen für sozialwidrig gehalten, weil der Beklagte das beanstandete Verhalten der Klägerin nicht abgemahnt habe. Außerdem hat es die Kündigung für unwirksam angesehen, weil die Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Beide rechtlichen Erwägungen führen unabhängig voneinander zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Der Beklagte setzt sich in seiner Revisionsbegründungsschrift vom 2. Februar 1998 ausschließlich mit der Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung auseinander. Seinen Ausführungen zur Kündigung läßt sich nicht entnehmen, warum die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur fehlenden Abmahnung rechtsfehlerhaft sein sollen.

II. Hinsichtlich der Befristung ist die Revision zulässig, aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Unwirksamkeit der vereinbarten Befristung festgestellt.

Dabei kann dahinstehen, ob den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den Anforderungen, die § 5 Abs. 5 Satz 2 AVR an die Angabe des Befristungsgrundes im Arbeitsvertrag stellt, zu folgen ist. Denn es fehlt bereits am Vorliegen eines Befristungsgrundes.

1. Der im Vertragsentwurf vom 6. Februar 1996 angegebene Befristungsgrund des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BeschFG kommt nicht in Betracht. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Gründe, auf die eine Befristung im Geltungsbereich der AVR gestützt werden kann, in § 5 Abs. 5 Satz 1 AVR abschließend aufgezählt sind. Überdies hat der Beklagte erklärt, die Befristung solle nicht auf das Beschäftigungsförderungsgesetz gestützt werden.

2. Der Beklagte kann die vereinbarte Befristung auch nicht damit begründen, daß er die Klägerin zur zeitweiligen Aushilfe eingestellt habe. Zwar kann dieser in § 5 Abs. 5 Satz 1 AVR genannte Grund einen sachlichen Befristungsgrund darstellen. Der Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, daß im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausreichende konkrete Anhaltspunkte die Prognose rechtfertigten, der erhöhte Arbeitsbedarf werde nur vorübergehend sein. Insbesondere fehlt es an der Angabe konkreter Tatsachen, die einen Wegfall des Bedarfs an der Arbeitsleistung der Klägerin erwarten ließen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann ein zusätzlicher, aber von vornherein zeitlich begrenzter Arbeitsanfall die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (Urteil vom 12. September 1996 - 7 AZR 790/95 - AP Nr. 182 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.). Das Vorliegen dieses Befristungsgrundes setzt nicht voraus, daß der auf Zeit eingestellte Arbeitnehmer gerade mit denjenigen Aufgaben betraut wird, die unmittelbar auf den Mehrbedarf zurückgehen. Es genügt, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Denn es steht dem Arbeitgeber frei, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder anfallende Arbeiten bestimmten Arbeitnehmern zuzuweisen.

b) Die sachliche Rechtfertigung einer Befristungsabrede wegen eines vorübergehenden Mehrbedarfs erfordert jedoch, daß bei Abschluß des Zeitvertrags aufgrund konkreter Tatsachen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, daß für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht. Zur zeitlichen Begrenztheit des Arbeitsanfalls hat der Arbeitgeber eine Prognose zu erstellen, die sich auf Umfang und Dauer des Mehrbedarfs zu erstrecken hat und die darauf bezogen ist, daß im Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Bedarf mehr an der Arbeitsleistung des befristet eingestellten Arbeitnehmers besteht. Die Grundlagen der Prognose hat der Arbeitgeber im Prozeß darzulegen, damit der Arbeitnehmer seinerseits die Möglichkeit erhält, die Richtigkeit der Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aufgrund konkreter Tatsachen zu überprüfen (Urteil vom 12. September 1996, aaO, zu II 3 der Gründe, m.w.N.).

c) Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Beklagten nicht, so daß die Vorinstanzen zu Recht die angetretenen Beweise nicht erhoben haben.

Der Beklagte hat zwar dargelegt, wodurch der Mehrbedarf entstanden sei. Er hat hierzu insbesondere vorgetragen, aufgrund der Erkrankung mehrerer Mitarbeiter habe ein personeller Engpaß bestanden. Im Hinblick auf die Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung ab dem 1. Juli 1996 sei ein übermäßiger Arbeitsanfall erwartet worden. Außerdem sei ein neues EDV-Programm eingeführt worden, das intensive Vorbereitungen erfordert habe. Schließlich sei zusätzlich ein Ausfall von Mitarbeiterinnen in der Leistungsabrechnung wegen Überstundenabbaus zu erwarten gewesen. Indessen fehlt es an jeglichem Tatsachenvortrag zu konkreten Anhaltspunkten, warum im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit einem Wegfall dieses zusätzlichen Arbeitsanfalls zu rechnen gewesen sei. Insbesondere fehlt es an der erforderlichen Darlegung, warum zu erwarten gewesen sei, daß bei Vertragsablauf die anfallenden Arbeiten auch ohne die Arbeitsleistung der Klägerin erfüllt werden konnten.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Steckhan Schmidt Fischermeier

U. Zachert Zumpe

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611044

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