Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen

 

Orientierungssatz

1. Die außergewöhnlich hohe Belastung durch Lohnfortzahlungskosten kann im Ausnahmefall eine krankheitsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen (Vergleiche BAG vom 23.6.1983 - 2 AZR 15/82 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr 12; BAG vom 15.2.1984, 2 AZR 573/82).

2. Das Vorliegen hoher Fehlzeiten entbindet den Arbeitgeber nicht von dem Nachweis einer dadurch verursachten konkreten Betriebsstörung.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 20.08.1982; Aktenzeichen 5 Sa 1656/81)

ArbG Arnsberg (Urteil vom 29.10.1981; Aktenzeichen 2 Ca 565/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28. April 1981.

Die 41-jährige, verheiratete Klägerin, die zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig ist, war seit dem 18. April 1977 bei der Beklagten, die in ihrem Betrieb 700 Arbeitnehmer beschäftigt, als Arbeiterin gegen einen Stundenlohn von zuletzt 10,-- DM brutto tätig. Die Kündigung erfolgte wegen der außergewöhnlichen Fehltage der Klägerin. Zur Kündigung wurde der Betriebsrat der Beklagten gehört. Ihm wurden die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin und die daraus resultierenden betrieblichen Auswirkungen mitgeteilt. Die Klägerin war zunächst bis zum 16. März 1980 als Packerin im Gruppenakkord in der Montageabteilung tätig. Sie hatte dort Leuchten bis zu 4 Kilogramm Gewicht zu verpacken. Ab 17. März 1980 wurde sie auf Vorschlag des Betriebsrats als Packerin in die Kunststoffabteilung versetzt. Sie hatte dort im Einzelakkord Kunststoffabdeckungen für Leuchten bis zu 1,5 Kilogramm Gewicht zu verpacken.

In den Jahren 1977 bis 1980 und im Jahre 1981 bis zur Kündigung hatte die Klägerin folgende Zeiten der Arbeitsunfähigkeit aufzuweisen:

1977

vom 14. September - 30. September = 13 Arbeitstage

vom 6. Oktober - 15. November = 29 Arbeitstage

vom 30. November - 7. Dezember = 6 Arbeitstage

1978

vom 13. März - 17. März = 5 Arbeitstage

vom 24. April - 28. April = 5 Arbeitstage

vom 29. Mai - 2. Juni = 5 Arbeitstage

vom 21. Juni - 23. Juni = 3 Arbeitstage

vom 8. August - 14. August = 5 Arbeitstage

vom 15. August - 25. August = 9 Arbeitstage

vom 20. November - 31. Dezember = 30 Arbeitstage

1979

fehlte die Klägerin während des gesamten Jahres.

1980

vom 13. Oktober - 25. Oktober = 10 Arbeitstage

vom 14. November - 19. Dezember = 26 Arbeitstage

1981

vom 26. Januar - 28. Januar = 2 Arbeitstage

vom 25. Februar - 9. Mai = 53 Arbeitstage

und darüber hinaus bis zum Ende des Jahres 1981.

Die Arbeitsunfähigkeitszeit vom 14. November 1980 bis zum 19. Dezember 1980 beruhte auf einem Unfall, den die Klägerin auf dem Weg zur Arbeitsstelle erlitt. Im übrigen litt die Klägerin hauptsächlich an Lumbalgien, Osteochondrose und Periostalgie. Im Betrieb der Beklagten beträgt die Krankheitsquote durchschnittlich 10 %. Die Beklagte hält dementsprechend für 700 Arbeitnehmer 70 Ersatzkräfte vor. Die Beklagte hat an die Klägerin Lohnfortzahlung in Höhe von insgesamt 12.895,25 DM geleistet.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagten sei der Nachweis erheblicher betrieblicher Störungen durch die Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht gelungen.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. April 1981, zugegangen am 5. Mai 1981, rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, allein schon aus den enorm hohen Fehlzeiten ergebe sich, daß ganz erhebliche betriebliche Störungen eingetreten seien. Als betriebliche Beeinträchtigungen seien auch die hohen Lohnfortzahlungskosten zu berücksichtigen. Außerdem sei durch die Fehlzeiten das als Austauschverhältnis zu wertende Arbeitsverhältnis in einem Maße gestört, daß die Beklagte sich von einem solchen Arbeitnehmer trennen können müsse. Die Darstellung konkreter Betriebsstörungen sei daher nicht erforderlich, zum anderen wegen ihrer Maßnahmen zur Vermeidung von Störungen im Betriebsablauf (Vorhalten einer Personalreserve von 10 %, Umsetzungen, Ersatzkräfte) nicht möglich.

Die Klägerin hat erwidert, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG beteiligt worden, denn ihm seien die betrieblichen Auswirkungen der Fehlzeiten der Klägerin nicht dargelegt worden. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur krankheitsbedingten Kündigung hat die Klägerin die Voraussetzungen dargelegt, die für die Anerkennung einer krankheitsbedingten Kündigung nach ihrer Auffassung erfüllt sein müssen. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, es sei keine auf objektive Tatsachen gestützte negative Prognose gestellt worden. Zudem sei die Beklagte ihrer Darlegungslast im Hinblick auf eine unzumutbare Störung des Betriebsablaufs durch die Fehlzeiten der Klägerin nicht nachgekommen. Ihr Hinweis auf die finanzielle Belastung durch Lohnfortzahlung reiche nicht aus. Auch die übrigen Ausführungen der Beklagten seien theoretischer Natur und belegten nicht die konkreten betrieblichen Störungen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im unstreitigen Teil des Tatbestandes ausgeführt, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 BetrVG beteiligt worden. Ihm seien auch die Fehlzeiten sowie deren betriebliche Auswirkungen mitgeteilt worden. Zudem habe der Betriebsrat abschließend vor Ausspruch der Kündigung Stellung genommen.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Arbeitgeber müsse vor Ausspruch der Kündigung keine stichhaltige Prognose über Erkrankungen in der Zukunft stellen, ausreichend sei vielmehr, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, daß auch in Zukunft mit nicht unerheblichen Fehlzeiten zu rechnen sei. Die der Auskunft der AOK Hochsauerland und des Arztes Dr. D zu entnehmenden Krankheiten (sechs Lumbalgien, davon eine über ein Jahr, Periostalgie, Osteochondrose) neigten zu Wiederholungen, das habe auch Dr. D bestätigt. Die Fehlzeiten hätten auch zu einer spürbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten geführt. Bei derartig signifikant hohen Fehlzeiten sei das als Austauschverhältnis zu wertende Arbeitsverhältnis in so hohem Maße gestört, daß der Arbeitgeber sich vom Arbeitnehmer lösen können müsse. Unter Berücksichtigung der hinreichenden Personalvorhaltung von 10 % würde der Arbeitgeber überfordert, wenn man von ihm noch die Darlegung konkreter Betriebsstörungen verlangen wollte. Angesichts so hoher Fehlzeiten sei die dadurch eingetretene Betriebsstörung manifest. Hinzu komme die wirtschaftliche Belastung durch Lohnfortzahlung in Höhe von 12.895,25 DM, die einem Bruttolohn für siebeneinhalb Monate entspreche. Dementsprechend sei die Kündigung sozial gerechtfertigt.

B. I. An die Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden, da sie von der Klägerin nicht mit einer Prozeßrüge angegriffen worden sind. Soweit das Landesarbeitsgericht in den unstreitigen Tatbestand aufgenommen hat, dem Betriebsrat seien die betrieblichen Auswirkungen der Fehlzeiten mitgeteilt worden, fehlt zudem ein Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 ZPO, mit dem diese Feststellung allein hätte angegriffen werden können.

II. Zu Unrecht rügt die Revision eine fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. BAG 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG und BAG 29, 49 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

2. Dieser eingeschränkten Nachprüfung hält das angefochtene Urteil zwar im Ergebnis, nicht aber in allen Teilen der Begründung stand.

a) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, eine Prognose über die Entwicklung der Gesundheit des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung nicht erstellen, ist zwar mißverständlich, aber - wie sich aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils ergibt - nicht rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat nämlich ausgeführt, die häufigen und langen Fehlzeiten der Klägerin während ihrer gesamten Betriebszugehörigkeit seien ein tatsächlicher Anhaltspunkt für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft. Dies entspricht der ständigen Senatsrechtsprechung (BAG 29, 49 und BAG Urteil vom 23. Juni 1983 - 2 AZR 15/82 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 12, die Entscheidung ist auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

aa) In der Entscheidung vom 23. Juni 1983 (aaO) hat der Senat weiterhin ausgeführt, wenn der Arbeitgeber häufige Kurzerkrankungen dargelegt habe, müsse daraufhin der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit seiner baldigen Genesung zu rechnen sei. An die prozessuale Mitwirkungspflicht dürften aber keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, denn auch dem Arbeitnehmer sei oft nicht bekannt, an welcher Krankheit er leide und wann mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit aufgrund der vom Arzt angewandten Therapie zu rechnen sei. Deswegen genüge der Arbeitnehmer bei unzureichender Aufklärung oder Kenntnis seiner Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreite und gleichzeitig die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinde.

bb) Vorliegend hat die Klägerin die sie behandelnden Ärzte und die AOK von der Schweigepflicht entbunden. Aus der Mitteilung der AOK hat das Berufungsgericht zutreffend in Übereinstimmung mit der Auskunft des Arztes Dr. D entnommen, die Klägerin leide an Krankheiten, die zur Wiederholung neigten. Sechs Krankheitszeiten seit dem 30. November 1977 beruhten auf Lumbago, darunter eine vom 20. November 1978 bis zum 19. November 1979, daneben litt die Klägerin an Osteochondrose (Degeneration der Zwischenwirbelscheiben) und an einer Periostalgie. Wenn das Landesarbeitsgericht das Schreiben von Dr. D, eine e r h ö h t e Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, dahin auslegt, damit meine der Arzt eine höhere Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Patienten mit den gleichen Erkrankungen, so ist diese Auslegung möglich, so daß das Berufungsgericht frei von Rechtsfehlern zur Annahme einer negativen Prognose hat kommen können. Diese negative Prognose wird bestätigt durch den weiteren Krankheitsverlauf. Die Klägerin war über den Zugang der Kündigung hinaus arbeitsunfähig krank bis zum Ende des Jahres 1981, also ein dreiviertel Jahr. Maßgebender Zeitpunkt der rechtlichen Beurteilung der Kündigung ist zwar der Zugang der Kündigung. Wegen der jeder Prognose anhaftenden Unsicherheit hat der Senat aber im Urteil vom 10. November 1983 (- 2 AZR 291/82 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) ausgeführt, die tatsächliche weitere Entwicklung könne zur Bestätigung bzw. Korrektur der Prognose ergänzend berücksichtigt werden (vgl. dazu Otto, Anm. zu BAG Urteil vom 25. November 1982 - 2 AZR 140/81 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10).

b) Nicht gefolgt werden kann dem Landesarbeitsgericht allerdings in seiner Auffassung, bei derart hohen Fehlzeiten könne vom Arbeitgeber nicht die Darlegung konkreter Betriebsstörungen verlangt werden, anderenfalls würde er überfordert, bei derart hohen Ausfallzeiten sei vielmehr die Betriebsstörung manifest.

Damit stellt sich das Berufungsgericht gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 29, 49; 33, 1 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG Urteil vom 25. November 1982, aaO, und BAG Urteil vom 23. Juni 1983, aaO), weshalb der Senat auch die Revision zugelassen hat. Die Ausführungen des Berufungsgerichts geben auch keinen Anlaß, die bisherige Senatsrechtsprechung zu korrigieren.

aa) Das Landesarbeitsgericht übersieht zunächst, daß die krankheitsbedingte Kündigung nicht nur sozial gerechtfertigt sein kann, wenn konkrete Störungen im Betriebsablauf aufgetreten sind, sondern immer, wenn unzumutbare betriebliche B e e i n t r ä c h t i g u n g e n vorliegen. Diese können auch - wie der Senat in den Urteilen vom 23. Juni 1983 (aaO) und 15. Februar 1984 - 2 AZR 573/82 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt ausgeführt hat - in einer besonders hohen Belastung durch Lohnfortzahlungskosten liegen.

bb) Weshalb der Arbeitgeber bei einer hohen Fehlzeitquote überfordert sein soll, wenn er die konkreten betrieblichen Belastungen darzulegen hat, ist nicht einzusehen. Zunächst kann davon ausgegangen werden, daß in der Regel die betrieblichen Belastungen - organisatorischer und wirtschaftlicher Art - umso augenfälliger sind, je häufiger ein Arbeitnehmer fehlt. Dementsprechend müßte es bei wachsender Ausfallquote dem Arbeitgeber eher leichter sein, die betrieblichen Auswirkungen der Fehlzeiten darzustellen. Die betrieblichen Belastungen sind bei einer hohen Fehlzeitquote aber andererseits auch nicht manifest, wie das Landesarbeitsgericht meint. Vielmehr sind durchaus Fälle denkbar, in denen auch hohe Fehlzeiten zu keinen oder nur geringen Beeinträchtigungen führen. So werden beim Arbeitskampf um tarifpolitische Ziele die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert, so daß infolge Arbeitsunfähigkeit während eines organisierten Arbeitskampfes auch keine betrieblichen Beeinträchtigungen möglich sind. Eine ähnliche Situation tritt ein, wenn der Arbeitgeber für die Abteilung des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers wegen vorübergehenden Auftragsmangels Kurzarbeit angeordnet hat.

c) Auf der abgelehnten Auffassung beruht das angefochtene Urteil jedoch nicht, weil die Beklagte ihrer Darlegungslast nachgekommen ist. Zu Störungen im Betriebsablauf ist es nach eigener Darstellung der Beklagten zwar vorliegend nicht gekommen, weil sie durch organisatorische Maßnahmen - Vorhalten einer Personalreserve von 10 % für Krankheitsfälle, Umsetzungen und Beschäftigung von Ersatzkräften - für einen reibungslosen Betriebsablauf gesorgt hat. Aber vorliegend hat sich die Beklagte auf eine überdurchschnittliche Belastung durch Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 12.895,25 DM berufen, die als unzumutbare Beeinträchtigung anzuerkennen ist.

aa) Nach den Besonderheiten des Falles rechtfertigt diese wirtschaftliche Belastung in Verbindung mit den in Zukunft zu erwartenden Belastungen die Kündigung. Bereits im Urteil vom 15. Februar 1984 (aaO, unter B II 3 b der Gründe) hat der Senat darauf hingewiesen, daß das Arbeitsverhältnis auch ein Austauschverhältnis ist. Ist dieses Austauschverhältnis a u f D a u e r e r h e b l i c h gestört, weil mit immer neuen beträchtlichen Fehlzeiten und entsprechenden Lohnfortzahlungen zu rechnen ist, kann eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein, weil dann die wirtschaftlichen Belastungen unter dem Gesichtspunkt einer ganz erheblichen Störung eines Austauschverhältnisses von nicht absehbarer Dauer die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen kann. Die Grenze der zumutbaren Belastung des Arbeitgebers wird durch das Alter des Arbeitnehmers, dessen Betriebszugehörigkeit und den bisherigen - gestörten oder ungestörten - Verlauf des Arbeitsverhältnisses bestimmt. Einem Arbeitnehmer, der z.B. 20 Jahre zur Zufriedenheit gearbeitet hat und dann häufig erkrankt, schuldet der Arbeitgeber erheblich mehr Rücksichtnahme als einem Arbeitnehmer, der seit dem ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit erhebliche und steigende krankheitsbedingte Ausfälle hatte (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 1984, aaO).

Zwar erscheinen die Lohnfortzahlungskosten im vorliegenden Fall auf den ersten Blick nicht als übermäßig gravierend. Die Klägerin war aber nur vier Jahre bei der Beklagten beschäftigt und hatte vom ersten Jahre an mit Ausnahme des Jahres 1980 - im Anschluß an ein Jahr ohne Arbeit - ganz erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten zu verzeichnen. Auch mit einer künftigen Besserung des Zustandes ist nicht zu rechnen, obwohl die Beklagte versucht hat, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Die Beklagte hat nämlich die Klägerin mit Wirkung vom 17. März 1980 als Packerin in die Kunststoffabteilung versetzt, auf einen ihrer leichtesten Arbeitsplätze. Dennoch ist die Klägerin vom 25. Februar 1981 an für den Rest des Jahres 1981 aufgrund derselben Leiden arbeitsunfähig erkrankt, wegen derer sie auch vor der Versetzung arbeitsunfähig krank gewesen ist (Hals- und Lendenwirbelsyndrom, Lumbalsyndrom). Insgesamt war die Klägerin in den vier Jahren ihrer Betriebszugehörigkeit eindreiviertel Jahre arbeitsunfähig krank, und mit ähnlichen Fehlzeiten muß in der Zukunft gerechnet werden, so daß von einer dauernden Verhinderung der Klägerin auszugehen ist, ihrer Arbeitspflicht auch nur einigermaßen regelmäßig nachzukommen. Weitere Lohnfortzahlungskosten sind zu befürchten, weil die Klägerin in der Vergangenheit an drei unterschiedlichen Krankheiten litt, die jede für sich zu Wiederholungen neigen. Angesichts der kurzen Betriebszugehörigkeit der Klägerin und des vergeblichen Bemühens der Beklagten, durch organisatorische Maßnahmen weiteren Ausfällen der Klägerin entgegenzuwirken, müssen weitere Lohnfortzahlungskosten aber als unzumutbar angesehen werden.

bb) Ferner war zugunsten der Beklagten auch zu berücksichtigen, daß sie eine Personalreserve in Höhe der durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitsrate in ihrem Betrieb in Höhe von 10 % bereithielt. Bereits im Urteil vom 15. Februar 1984 (aaO) hat der Senat sinngemäß ausgeführt, der Arbeitgeber, der mit einer ausreichenden Personalreserve Betriebsbeeinträchtigungen infolge Arbeitsunfähigkeit weitestgehend vermeidet, dürfe dafür nicht "bestraft" werden. Aus diesem Grunde sind von ihm weniger Überbrückungsmaßnahmen zu fordern (vgl. Weller, Kündigung bei Krankheit, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 20, 1982, S. 77, 87).

III. Die Revision der Klägerin war somit mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

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Fundstellen

DB 1985, 873-874 (T)

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