Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung

 

Normenkette

KSchG § 1; ZPO § 385 Abs. 2, §§ 356, 359

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 29.03.1994; Aktenzeichen 4 Sa 1520/93)

ArbG Bochum (Urteil vom 16.07.1991; Aktenzeichen 2 Ca 422/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. März 1994 – 4 Sa 1520/93 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die Erste Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin war seit dem 15. Januar 1990 als Fahrzeuglackiererin mit einem monatlichen Verdienst von 3.254,00 DM bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis aufgrund häufiger Fehlzeiten der Klägerin gekündigt. Die Klägerin war an folgenden Tagen arbeitsunfähig erkrankt:

13. März bis 4. April 1990

=

17 Tage

18. Juni bis 6. Juli 1990

=

15 Tage

6. August bis 10. August 1990

=

5 Tage

13. August bis 23. November 1990

=

58 Tage

29. November bis 31. Dezember 1990

=

17 Tage

1. Januar 1991 fortlaufend bis zur Kündigung und darüberhinaus bis zum 18. April 1991.

Bis zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht dies einer Fehlquote von 52,6 %, wobei 143 Fehltagen 100 Arbeitstage und 29 Urlaubstage gegenüberstehen. Für 1990 leistete die Beklagte an die Klägerin 10.359,50 DM an Lohnfortzahlung, 1.015,00 DM an Weihnachtsgeld und 2.099,81 DM Urlaubsgeld.

Mit Schreiben vom 4. Februar 1991 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 12. Februar 1991. Die Beklagte kündigte alsdann mit Schreiben vom 13. Februar 1991 das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1991 auf.

Die Klägerin hat gegen diese Kündigung eingewandt, sie sei zwar seit dem 6. August 1990 nahezu durchgängig arbeitsunfähig gewesen; sie habe aber an einer Hüfterkrankung gelitten, die inzwischen durch operativen Eingriff behoben sei; zur Zeit der Kündigung habe sie sich einer stationären Behandlung unterzogen, für die Zeit danach sei damit zu rechnen gewesen, daß sie wieder arbeitsfähig sein werde. Für die ausgesprochene Kündigung gelte deshalb keine negative Gesundheitsprognose. Ihr Krankenhausaufenthalt habe nur bis zum 8. März 1991 gedauert; sie befreie die sie behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht.

Die Beklagte habe ihren Ausfall auch mit Aushilfen überbrücken können, zumal nur eine Einarbeitungszeit von 15 Stunden erforderlich sei; irgendwelche Probleme mit ihrer Krankheitsvertretung habe es nicht gegeben. Seit dem 22. April 1991 werde sie auch anstandslos unter Vorbehalt weiterbeschäftigt.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 13. Februar 1991 zum 31. März 1991 nicht aufgelöst worden sei,
  2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag sich darauf berufen, aufgrund der häufigen Fehlzeiten der Klägerin sei ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar; dies gelte insbesondere im Hinblick auf die aufgewandten Lohnfortzahlungskosten sowie das von ihr geleistete Weihnachts- und Urlaubsgeld. Außerdem habe es Störungen im Betriebsablauf gegeben; das Fehlen der Klägerin habe nur vorübergehend durch den Einsatz der Arbeitnehmer C. und P. überbrückt werden können. Aufgrund der häufigen Fehlzeiten der Klägerin ergebe sich eine negative Prognose für die gesundheitliche Entwicklung, wobei bestritten werde, daß die Klägerin aufgrund eines operativen Eingriffs auf Dauer wieder arbeitsfähig sei. Die Klägerin habe Art und Ursache der Erkrankung nicht näher benannt; gegenbeweislich beziehe sie, die Beklagte, sich auf Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Bei der Interessenabwägung müsse berücksichtigt werden, daß die Klägerin in jungem Alter (Jahrgang 1968) nur eine relativ kurze Betriebszugehörigkeit vorzuweisen habe; im übrigen habe es nie ein ungestörtes Arbeitsverhältnis gegeben; ihre Personalreserve könne derartige Fehlzeiten nicht abdecken.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht durch ein am 9. Januar 1992 verkündetes und am 29. Oktober 1992 zugestelltes Urteil die Klage abgewiesen. Der Senat hat durch Urteil vom 19. Mai 1993 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen insbesondere mit der Begründung, das Landesarbeitsgericht habe in Verkennung der Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast keine konkreten Feststellungen zum Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose getroffen und es rechtsfehlerhaft unterlassen, auf eine Benennung der die Klägerin behandelnden Ärzte hinzuwirken und den Beweisantritten der Klägerin, die ihre Ärzte von der Schweigepflicht befreit habe, und der Beklagten, die die Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens beantragt habe, nachzugehen.

Nach der Zurückverweisung hat das Landesarbeitsgericht am 14. September 1993 – bis auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin ohne weitere prozeßleitende Verfügungen – Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 6. Januar 1994 anberaumt. In diesem Termin erging ein Beschluß, in dem u.a. der Klägerin „anheimgestellt” wurde, die behandelnden Ärzte zu benennen. Die entsprechende Protokollabschrift ging dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 17. Januar 1994 zu. Am 20. Januar 1994 teilte die Klägerin dem Gericht die ladungsfähigen Anschriften ihres Hausarztes, ihres Orthopäden und des behandelnden Arztes in dem Krankenhaus, in dem sie sich einer Operation unterzogen hatte, mit. In dem ursprünglich für den 3. Februar 1994 vorgesehenen, dann auf den 10. Februar 1994 verlegten weiteren Verhandlungstermin wurde Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 29. März 1994 anberaumt. Mit dem in diesem Termin verkündeten Urteil wies das Landesarbeitsgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten hin erneut ab. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 ZPO Gebrauch gemacht hat. Die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht erneut die Klage abgewiesen hat, ist rechts fehlerhaft.

1. Zu Recht legt das Landesarbeitsgericht bei seiner Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nunmehr die Senatsrechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung zugrunde und prüft die Kündigung nicht mehr – wie noch in dem ersten Berufungsurteil – im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der betriebsbedingten Kündigung. Wenn die Kündigung dabei an den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zur lang anhaltenden Krankheit gemessen wird, so ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt war die Hauptursache der Erkrankungen der Klägerin ein Hüftleiden, an dem sie zuletzt mit einer Unterbrechung von wenigen Tagen seit dem 6. August 1990 bis zum Ausspruch der Kündigung, also weit über ein halbes Jahr lang, erkrankt war.

2. Zu der Frage, ob im Kündigungszeitpunkt bei der Klägerin von einer negativen Gesundheitsprognose als erster Voraussetzung für eine sozial gerechtfertigte Kündigung auszugehen war, oder ob abzusehen war, daß mit der Hüftoperation aller Voraussicht nach die Krankheitsursache beseitigt und die Klägerin geheilt sein würde, hat das Landesarbeitsgericht aber immer noch keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

a) In dem zurückverweisenden Senatsurteil vom 19. Mai 1993 heißt es, zunächst sei eine negative Gesundheitsprognose Voraussetzung für eine sozial gerechtfertigte Kündigung. Dazu habe sich die Beklagte auf die eine Indizwirkung entfaltenden Fehlzeiten in der Vergangenheit berufen und damit zunächst ihre Darlegungslast erfüllt. Die Klägerin habe dann aber geltend gemacht, die Ursache für die Erkrankungen sei mit der schon zur Zeit der Betriebsratsanhörung eingeplanten Hüftoperation entfallen; der Operationstermin habe Anfang Februar 1991 schon festgestanden. Die Beklagte habe in der Berufungsinstanz bestritten, daß mit einer Operation die Ursache für die Erkrankungen – auch der Betriebsrat habe allgemein von einem Leiden der Klägerin gesprochen – entfallen sei. Die Klägerin habe alsdann ihre Ärzte von der Schweigepflicht befreit. Wörtlich heißt es in dem zurückverweisenden Urteil weiter:

„Die Revision rügt in diesem Zusammenhang auch unter formellen Gesichtspunkten zu Recht, bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht auf eine Benennung der Ärzte hinwirken und Beweis erheben müssen. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts, der Hinweis des Betriebsrats, die Beklagte möge den Heilungserfolg abwarten, da nach der Operation nicht mehr mit erhöhten Fehlzeiten gerechnet werden müsse, sei nicht ausreichend, verkennt die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast. Nachdem die Parteien wechselseitig für ihre Behauptungen zur negativen Prognose Beweis angetreten hatten – die Beklagte hatte sich auf Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens berufen –, hätte das Landesarbeitsgericht dem nachgehen müssen. Ohne konkrete Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu kann der Senat schon zum Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose keine abschließende Entscheidung treffen.”

b) Einer solchen Beweisaufnahme stand nichts im Wege. Die Klägerin hat ihre behandelnden Ärzte, sowohl ihren Hausarzt als auch ihren Orthopäden und den behandelnden Arzt im Krankenhaus, mit ladungsfähiger Anschrift benannt und zumindest durch ihren Prozeßbevollmächtigten mehrfach von der Schweigepflicht entbunden. Wenn das Landesarbeitsgericht wirklich nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der behandelnden Ärzte noch ein arbeitsmedizinisches Gutachten zu der in die Vergangenheit zielenden Frage einer negativen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt einholen wollte, und die Erklärungen der Klägerin über die Entbindung von der Schweigepflicht insoweit nicht für ausreichend hielt, wäre ausreichend Zeit gewesen, die Klägerin zur Nachreichung einer entsprechenden Erklärung aufzufordern. Die Erwägungen, aufgrund derer sich das Landesarbeitsgericht „außer Stande” sah, nach immerhin etwa dreijähriger Prozeßdauer die erforderliche Beweisaufnahme durchzuführen, sind rechtlich nicht zutreffend und darüber hinaus zum überwiegenden Teil nach § 565 Abs. 2 ZPO unbeachtlich.

c) Soweit das Berufungsgericht die Durchführung einer Beweisaufnahme mit der Begründung abgelehnt hat, es fehle eine eigenhändig unterschriebene Erklärung der Klägerin, mit der sie ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinde, verkennt dies die gesetzliche Regelung der §§ 383 Nr. 6, 385 Abs. 2 ZPO. Die Entbindung von der Schweigepflicht kann dem Zeugen, der Gegenpartei oder dem Gericht gegenüber erklärt werden (MünchKommZPO-Damrau, § 385 Rz 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 385 Rz 7; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 385 Rz 5; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 385 Rz 11). Da es sich bei den Daten, die der Schweigepflicht unterliegen, um geheimzuhaltende Angelegenheiten höchst persönlicher Art handelt, muß nur sichergestellt sein, daß die Befreiungserklärung von dem Rechtsträger selbst ausgeht. Sie kann deshalb grundsätzlich auch durch einen Prozeßbevollmächtigten erfolgen und sogar schon in der Benennung einer der in § 383 Nr. 6 ZPO bezeichneten Personen als Zeuge zu sehen sein. Es ist dann nur in Zweifelsfällen durch das Gericht zu klären, ob die Zeugenbenennung bzw. die Befreiungserklärung von der Partei selbst ausgeht oder nur von dem Prozeßbevollmächtigten ohne entsprechende Rücksprache mit der Partei in den Prozeß eingeführt worden ist. Selbst wenn in diesem Punkt Unklarheiten bestehen, darf das Gericht nicht ohne Beweisaufnahme in der Sache entscheiden, es hat vielmehr der Partei nach § 356 ZPO zunächst eine Frist zur Behebung des Hindernisses zu setzen und darf erst nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist beweisrechtliche Konsequenzen ziehen (§ 356 ZPO, der sowohl für den Beweisführer als auch für den Beweisgegner gilt, vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 356 Rz 6).

Im vorliegenden Fall spricht nach dem Prozeßvortrag der Klägerin schon alles dafür, daß die Entbindungserklärung nicht allein von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, sondern von der Klägerin selbst ausging. Diese hatte sich von Anfang an bereit erklärt, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und sie hat nach dem schriftsätzlichen Vorbringen ihrem Prozeßbevollmächtigten erst auf dessen Aufforderung hin weitere Einzelheiten über ihre Krankheit und die Behandlungen durch die Ärzte mitgeteilt. Die Entbindungserklärung durch den Prozeßbevollmächtigten mußte danach grundsätzlich als ausreichend angesehen werden. Außerdem hatte das Landesarbeitsgericht die Möglichkeit, einen Beweisbeschluß zu erlassen und die Klägerin zugleich mit dem Beschluß aufzufordern, ihre Ärzte unmittelbar von der Schweigepflicht zu entbinden, ohne daß sich dadurch die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Jedenfalls hätte das Landesarbeitsgericht die Klägerin unter Fristsetzung zur Vorlage der eigenhändigen Erklärung auffordern müssen, was die Klägerin mit einer zulässigen Verfahrensrüge geltend macht. Wäre eine solche Fristsetzung durch das Landesarbeitsgericht schon mit der Terminsbestimmung erfolgt, so hätte die Klägerin in den mehr als sechs Monaten zwischen der Terminierung und der Verkündung des Berufungsurteils ausreichend Zeit gehabt, die Erklärung vorzulegen. Die schnelle Reaktion der Klägerin auf den Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 6. Januar 1994 zeigt, daß der Klägerin selbst an einer Beschleunigung des Verfahrens gelegen war.

d) Auch soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, das Vorbringen der Klägerin zu der negativen Gesundheitsprognose sei nicht hinreichend konkret gewesen, um nach einem entsprechenden Beweisantritt der Beklagten einen Beweisbeschluß zu erlassen, trifft dies nicht zu. Nach § 359 Nr. 1 ZPO muß der Beweisbeschluß das Beweisthema, also die substantiierte Bezeichnung der streitigen Tatsachen enthalten, über die Beweis zu erheben ist. Das Beweisthema muß so genau angegeben werden, daß ersichtlich ist, welche Aufklärung erreicht werden soll (Thomas/Putzo, a.a.O., § 359 Rz 1). Unklarheiten, die den Erlaß eines Beweisbeschlusses über die negative Zukunftsprognose im Kündigungszeitpunkt unmöglich machten, bestanden nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt nicht. Zumindest den von der Klägerin benannten Ärzten, ihrem Hausarzt, ihrem Orthopäden und dem Operateur im Krankenhaus mußte aufgrund eines entsprechenden Beweisbeschlusses des Gerichts unmittelbar klar sein, welches Hüftleiden der Klägerin und welche im Zeitpunkt der Kündigung bereits terminierte und dann auch durchgeführte Hüftoperation in ihren Auswirkungen auf die Gesundheitsprognose zu begutachten waren. Ein Beweisbeschluß muß in der Angabe einer medizinischen Diagnose nicht derart detailliert sein, daß sich das Gericht schon zur Formulierung eines Beweisbeschlusses eines medizinischen Sachverständigen bedienen muß.

e) Auch als verspätetes Vorbringen durfte das Berufungsgericht die – gegenbeweislichen – Beweisantritte der Klägerin auf Vernehmung ihrer behandelnden Ärzte nicht nach § 67 ArbGG zurückweisen. Es verstößt bereits gegen die Bindungswirkung des § 565 Abs. 2 ZPO, wenn der Senat das erste Berufungsurteil mit der tragenden Begründung aufgehoben hat, das Berufungsgericht hätte auf eine Benennung der behandelnden Ärzte hinwirken und entsprechend Beweis erheben müssen, und das Berufungsgericht dann in seinem zweiten Berufungsurteil das innerhalb von drei Tagen nach der schriftlichen Aufforderung beim Gericht eingegangene entsprechende Vorbringen der Klägerin als verspätet zurückgewiesen hat. Außerdem liegen die Voraussetzungen der vom Landesarbeitsgericht angewandten Vorschrift des § 67 Abs. 2 ArbGG nicht vor. Die Klägerin hat postwendend reagiert, sobald das Landesarbeitsgericht ihr „anheimgestellt” hat, die Anschriften der Ärzte anzugeben. Damit ist weder erkennbar, daß ein durch die Klägerin verschuldetes verspätetes Vorbringen vorliegt, noch ist eine Verzögerung des Rechtsstreits durch eine Berücksichtigung dieses Vorbringens festgestellt. Eine Verzögerung des Rechtsstreits hätte das Landesarbeitsgericht zwanglos durch entsprechende prozeßleitende Maßnahmen nach § 139 ZPO vermeiden können, was die Klägerin mit einer wirksamen Verfahrensrüge geltend macht.

f) Soweit das Landesarbeitsgericht schließlich angenommen hat, eine Beweisaufnahme habe deshalb unterbleiben können, weil die Klägerin pflichtwidrig die behandelnden Ärzte nicht bereits in der Klageschrift benannt und von der Schweigepflicht entbunden habe, sind auch diese Erwägungen nach § 565 Abs. 2 ZPO unerheblich.

3. Da das Landesarbeitsgericht zu der Frage, ob bei der Klägerin von einer negativen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt auszugehen war, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, sind auch die Erwägungen zu den Krankheitszeiten nach der Kündigung unbeachtlich. Unabhängig davon, in welchem Umfang überhaupt Krankheitszeiten nach Ausspruch der Kündigung zur Bestätigung und Entkräftung der erforderlichen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt herangezogen werden können, ist jedenfalls eine Entscheidung allein auf der Grundlage der Krankheitszeiten nach der Kündigung ohne entsprechende Feststellungen zu der Situation im Kündigungszeitpunkt mit dem geltenden Kündigungsrecht nicht zu vereinbaren. Das Landesarbeitsgericht verstößt insoweit auch gegen Denkgesetze: Wenn es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine lang andauernde Krankheit, nämlich ein Hüftleiden handelte und die Frage zu prüfen war, ob eine Heilung dieses Leidens durch eine Operation absehbar war, so kann es kaum eine Bekräftigung der nicht weiter geprüften negativen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt darstellen, wenn nach der Operation zunächst keine erheblichen Krankheitszeiten aufgetreten sind und es dann erst nach einer gewissen Zeit mehrfach zu Kurzerkrankungen gekommen ist, die unstreitig später ab einem gewissen Zeitpunkt sogar schwangerschaftsbedingt waren. Ein solcher Tatsachenverlauf spricht eher dafür oder läßt zumindest die Möglichkeit zu, daß das Hüftleiden aufgrund der Operation tatsächlich ausgeheilt war, und es aus ganz anderen Krankheitsursachen später zu Kurzerkrankungen gekommen ist. Das Landesarbeitsgericht trennt hier nicht scharf genug zwischen den Grundsätzen der Senatsrechtsprechung zur lang anhaltenden Krankheit und zu häufigen Kurzerkrankungen.

4. Auch eine Prüfung, welche betrieblichen Beeinträchtigungen durch die Krankheit der Klägerin entstehen, ist erst möglich, wenn ausreichende tatsächliche Feststellungen zur negativen Gesundheitsprognose getroffen sind. Was z.B. die Lohnfortzahlungskosten anbelangt, ist nicht, wie das Landesarbeitsgericht offenbar meint, allein auf die bisher auf gewandten Lohnfortzahlungskosten, sondern in erster Linie auf die Lohnfortzahlungskosten abzustellen, die die Beklagte aufgrund der Prognose über den Gesundheitszustand der Klägerin zu erwarten hatte.

5. Auch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen wäre nur möglich gewesen auf der Grundlage entsprechender Tatsachenfeststellungen über den bei der Klägerin zu erwartenden weiteren Krankheitsverlauf.

 

Unterschriften

Etzel, Fischermeier, Bröhl, Dr. Bächle, Bobke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093186

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