Leitsatz (amtlich)

1. Bei Prüfung des wichtigen Grundes zur fristlosen Entlassung eines Jugendvertreters gelten dieselben Grundsätze wie bei der fristlosen Entlassung eines Betriebsratsmitglieds. Daher ist bei der Beurteilung des wichtigen Grundes ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn der Jugendvertreter gleichzeitig gegen seine Amts- und gegen seine Arbeitsvertragspflichten verstoßen hat, während der Jugendvertreter jedem anderen Arbeitnehmer gleichsteht, wenn allein die Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten zu beurteilen ist.

2. Auch für Jugendvertreter gilt der Grundsatz, daß die Mitgliedschaft in oder die Betätigung zugunsten einer politischen Partei eine Kündigung nur dann rechtfertigen kann, wenn hierdurch das Arbeitsverhältnis konkret berührt wird. Eine abstrakte Gefährdung des Betriebsfriedens durch eine solche Betätigung genügt nicht (Fortführung der ständigen Rechtsprechung des Senats, zuletzt BAG 23, 371 [375] = AP Nr. 83 zu § 1 KSchG).

 

Normenkette

KSchG 1969 § 15; BGB § 626; BetrVG 1972 §§ 23, 45, 65, 71, 74; ZPO §§ 139, 286, 554

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 24.06.1974; Aktenzeichen 5 Sa 19/74)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 24. Juni 1974 – 5 Sa 19/74 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der in B. ansässigen Beklagten als Elektromechaniker beschäftigt. Er gehörte der Jugendvertretung im Betrieb der Beklagten an.

Am 2. Juli 1973 sprach der Kläger in einer Betriebsjugendversammlung bei der Beklagten über die Verhandlungen zum Abschluß eines Tarifvertrages zur Erhöhung der Ausbildungsvergütung. Er griff das Verhalten der IG-Metall an und forderte „Pausenverlängerungen”. Der anwesende Jugendsekretär der IG-Metall griff in die Diskussion ein, distanzierte sich im Namen seiner Gewerkschaft von diesen Äußerungen des Klägers und wies auf die tarifliche Friedenspflicht hin. Der Kläger erklärte daraufhin, daß er seine Äußerungen nicht in seiner Eigenschaft als Jugendvertreter gemacht habe, sie seien vielmehr seine persönliche Meinung. Die Beklagte kündigte aus diesem Grunde mit Zustimmung des Betriebsrates am 3. Juli 1973 das Arbeitsverhältnis fristlos.

Am 4. Juli 1973 verteilte der Kläger vor den Toren der Beklagten ein Flugblatt, in dem die Geschäftsleitung der Beklagten angegriffen und die Wiedereinstellung des Klägers verlangt wurde. Er gab ferner der Betriebszeitung der KPD-Zelle bei der Beklagten ein Interview, das am 9. Juli 1973 veröffentlicht wurde.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. Juli 1973 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei Mitglied der KPD und Mitglied in der Betriebszelle der KPD bei der Beklagten.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben, weil trotz der Arbeitsvertragsverletzung des Klägers durch die Aufforderung zur Pausenverlängerung der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei und die von der Beklagten behauptete Mitgliedschaft des Klägers in der KPD das Arbeitsverhältnis nicht konkret berührt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht kommt zu Recht zu dem Ergebnis, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. Juli 1973 nicht rechtswirksam ist.

I. Auf Grund der für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß der Kläger bei der Jugendversammlung am 2. Juli 1973 als Druckmittel für die Verhandlung über den Abschluß eines neuen Tarifvertrages zur Erhöhung der Ausbildungsvergüttung „Pausenverlängerungen” gefordert hat. Das Landesarbeitsgericht sieht darin eine Aufforderung zur rechtswidrigen Streikmaßnahme, nämlich zu einer zeitlich befristeten Arbeitsniederlegung und damit zum Arbeitsvertragsbruch. Wenn es gleichwohl unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessenlage die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für zumutbar erklärt, so ist dies nicht zu beanstanden.

Dieses Ergebnis ist in der Revisionsinstanz nämlich nur daraufhin nachprüfbar, ob ein bestimmter Sachverhalt einen wichtigen Grund bildet oder nicht und ob eine alle wesentlichen Umstände umfassende Interessenabwägung vorgenommen worden ist (ständige Rechtsprechung BAG AP Nr. 3 zu § 626 BGB; BAG 2, 214 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB; BAG 2, 207 = AP Nr. 5 zu § 626 BGB; BAG 9, 263 = AP Nr. 42 zu § 626 BGB; BAG AP Nr. 38 zu § 626 BGB). Einer solchen rechtlichen Überprüfung hält das angefochtene Urteil stand.

II. Wenn die Revision dagegen geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe den Begriff des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB verkannt und unzutreffende Prüfungsmaßstäbe bei der Interessenabwägung angewandt, so trifft dies nicht zu.

1. Die Revision meint, das Landesarbeitsgericht habe nicht unterschieden, ob der Kläger die „Streikaufforderung” in seiner Eigenschaft als Jugendvertreter oder lediglich als Arbeitnehmer der Beklagten abgegeben habe. Im ersteren Fall sei ein strenger Maßstab anzulegen, während der Kläger im letzteren Fall hinsichtlich der Frage arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen jedem anderen Arbeitnehmer gleichstehe.

Das Landesarbeitsgericht hat diese Unterscheidung jedoch rechtsfehlerfrei vorgenommen. Das angefochtene Urteil geht von der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates aus, daß dann ein besonders strenger Maßstab bei der Beurteilung einer außerordentlichen Kündigung anzulegen ist, wenn ein Mitglied der Jugendvertretung Pflichtverletzungen begeht, die gleichzeitig Verstöße gegen Amts- und Arbeitsvertragspflichten darstellen (vgl. BAG 12, 141 = AP Nr. 16 zu § 13 KSchG; BAG 22, 178 = AP Nr. 19 zu § 13 KSchG; BAG AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972, ebenfalls zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Das Landesarbeitsgericht prüft sodann die Pflichtverletzung des Klägers nach den Maßstäben, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer fristlosen Entlassung für jeden anderen Arbeitnehmer gelten und verneint die Rechtswirksamkeit der Kündigung. Wenn es dann weiter davon ausgeht, daß das Ergebnis erst recht nicht anders sein könne, wenn der Kläger die „Streikaufforderung” in seiner Eigenschaft als Jugendvertreter abgegeben habe, weil in diesem Falle besonders strenge Maßstäbe anzulegen sind, so ist das im Ergebnis frei von Rechtsfehlern.

2. Soweit die Revision ferner rügt, das Landesarbeitsgericht habe bei der Interessenabwägung unrichtigerweise angenommen, daß eine Abmahnung seitens der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung erforderlich gewesen sei, kann dem ebenfalls nicht zugestimmt werden. Das Landesarbeitsgericht hat die Pflichtverletzung des Klägers durch die „Streikaufforderung” als Störung im sogenannten Leistungsbereich gewertet, bei dem es grundsätzlich einer Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung bedarf (vgl. BAG 19, 351 [354] = AP Nr. 1 zu § 124 GewO). Die Revision verkennt die Sachlage, wenn sie meint, die Pflichtverletzung des Klägers sei als Störung im sogenannten Vertrauensbereich zu werten. Dieser Tatbestand könnte nur dann erfüllt sein, wenn die „Streikaufforderung” des Klägers in der Jugendversammlung mit etwaigen kommunistischen Aktivitäten des Klägers im Zusammenhang stünde und dadurch eine Störung im Vertrauensbereich erfolgt wäre. Das ist jedoch nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall.

3. Auch bei der Gesamtwürdigung hat das Landesarbeitsgericht alle beachtenswerten Umstände des Falles in Betracht gezogen.

a) Wenn die Revision demgegenüber gemäß § 139 ZPO rügt, das Landesarbeitsgericht habe einen unvollständigen, prozessual unzureichend festgestellten Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde gelegt, weil es nicht die von der Beklagten behauptete Mitgliedschaft des Klägers in der KPD und in der Betriebszelle der KPD bei der Beklagten berücksichtigt habe, so ist diese Rüge unzulässig.

Prozeßrügen müssen gemäß § 554 Abs. 3 Ziff. 2 b ZPO die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend machen will. Dabei sind an den Vortrag des Revisionsklägers strenge Anforderungen zu stellen. Hinsichtlich der Rüge gemäß § 139 ZPO muß im einzelnen angegeben werden, welche Fragen hätten gestellt werden müssen und was die Parteien darauf erwidert hätten (BAG 13, 340 [344] = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO). Darüber hinaus muß entweder offenkundig sein oder vom Revisionskläger im einzelnen die Möglichkeit dargelegt werden, daß ohne die gerügte Verfahrensverletzung anders entschieden worden wäre (BAG AP Nr. 13 zu § 554 ZPO).

b) Auch die weitere Verfahrensrüge gemäß § 286 ZPO, das Landesarbeitsgericht habe über diese Behauptungen Beweis erheben müssen, ist nicht zulässig. Die Revision hat nicht dargelegt, daß das Landesarbeitsgericht bei durchgeführter Beweisaufnahme anders entschieden hätte. Dies ist auch nicht offensichtlich erkennbar; denn das Landesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung sogar diese Behauptung der Beklagten als gegeben unterstellt und ist gleichwohl zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung gekommen.

c) Im übrigen wäre die Rüge auch nicht begründet. Auf Grund der gegebenen Rechtslage brauchte eine Beweisaufnahme zu diesen Beweisthemen nicht durchgeführt zu werden. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist durch eine etwaige Mitgliedschaft des Klägers in der KPD und in der Betriebszelle der KPD bei der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht konkret berührt worden. Dem Landesarbeitsgericht ist in seiner Rechtsauffassung zuzustimmen, daß eine etwaige kommunistische Betätigung allein noch nicht für eine fristlose Kündigung ausreichen kann, wenn nicht ein konkreter Bezug auf das Arbeitsverhältnis vorliegt. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, die auch im Schrifttum einhellige Zustimmung findet (vgl. BAG AP Nr. 28 zu § 66 BetrVG mit Anm. von Wiedemann; AP Nr. 58 zu § 626 BGB mit Anm. von Hueck; AP Nr. 57 zu § 626 BGB mit Anm. von Herschel; BAG 7, 256 = AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit; BAG AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG 23, 371 – AP Nr. 83 zu § 1 KSchG).

Wenn die Revision dagegen meint, bereits eine abstrakte Gefährdung des Betriebsfriedens durch eine derartige Betätigung müsse genügen, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, so vermag der erkennende Senat dieser Rechtsansicht selbst dann nicht zu folgen, wenn der betreffende Arbeitnehmer wie hier der Jugendvertretung angehört. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, daß das Verbot parteipolitischer Betätigung, das in § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG allein für Arbeitgeber und Betriebsrat aufgestellt ist und darüber hinaus nur für Betriebs- und Jugendversammlungen eingreift (vgl. § 45 Satz 1 Halbsatz 2 und § 71 Satz 2 BetrVG), allgemein auch für Jugendvertreter gilt (vgl. auch Dietz-Richardi BetrVG, 5. Aufl., § 74 Anm. 40; Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 11. Aufl., § 74 Anm. 9). Auch wenn dem so wäre, folgt daraus nicht, daß wegen einer parteipolitischen Betätigung dem Jugendvertreter gegenüber eine fristlose Kündigung ohne weiteres gerechtfertigt ist. Denn ein Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz ist eine Amtspflichtverletzung und eine solche begründet an sich nur die Abberufung des Amtsinhabers (vgl. § 65 Abs. 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 BetrVG), nicht aber die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Anders kann es nur sein, wenn die Amtspflichtverletzung zugleich einen Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellt. Dann muß jedoch stets beachtet werden, daß bei der Nachprüfung des Kündigungsgrundes es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht. Deshalb muß dieses Arbeitsverhältnis irgendwie durch die politische Betätigung des Arbeitnehmers betroffen sein, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich der Vertragspartner oder auch im Unternehmensbereich (vgl. BAG AP Nr. 58 zu § 626 BGB).

Sicher kann eine unerwünschte oder auch allgemein als staatsgefährdend angesehene politische Betätigung störend auf einen dieser Bereiche des Arbeitsverhältnisses einwirken und dann wegen dieser Störung je nach dem Grad ihrer Intensität einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung abgeben. Wirkt sich aber die politische Betätigung nicht in dieser Weise auf das Arbeitsverhältnis aus, so bildet sie auch keinen wichtigen Grund zur alsbaldigen Beendigung. Anderenfalls wäre das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG für den Arbeitnehmer beeinträchtigt. Das bloße Haben einer Überzeugung und die Mitteilung, daß man diese habe, ist niemals eine Verletzung der Treuepflicht. Meinungsäußerungen können zwar, müssen jedoch nicht in jedem Falle das Arbeitsverhältnis berühren. Solange sie sich darin erschöpfen, im Vertrauen auf die Überzeugungskraft der Argumente Kritik an den bestehenden Zuständen zu üben, wird der Tatbestand der konkreten Berührung nicht erfüllt.

III. Auf die Flugblattaktion und das Interview, das der Beklagte der KPD-Betriebszeitung gab, kann die Beklagte die Kündigung ebenfalls nicht stützen. Die Verteilung der Flugblätter und das Interview erfolgten nach Entlassung des Klägers. Bei der Frage nach dem Vorliegen des wichtigen Grundes, insbesondere auch bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen, ist jedoch allein der Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung maßgebend (BAG AP Nr. 57 zu § 626 BGB; BAG 23, 371 [377] – AP Nr. 83 zu § 1 KSchG).

IV. Nach alledem mußte die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

gez.: Dr. Gröninger, Roeper, Dr. Jobs, Thieß, Dr. Bächle

 

Fundstellen

DB 1976, 679-680 (LT1-2) BGH

NJW 1976, 870

EzB, ) BGH

EzB, ) BGH

EzB, (ST1) BGH

ARST 1976, 121-122 (LT1-2) BGH

JR 1977, 103

Nachschlagewerk BGH

AP, (LT1-2) Nr 1 BGH

AR-Blattei, Betriebsverfassung XIII Entsch 9 (LT1-2) BGH

AR-Blattei, ES 1010.9 Nr 48 (LT1-2) BGH

AR-Blattei, ES 530.13 Nr 9 (LT1-2) BGH

AR-Blattei, Kündigung IX Entsch 48 (LT1-2) BGH

EzA, BGH

JZ 1976, 288

JZ 1976, 288-290 (LT1-2) BGH

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