Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS

 

Leitsatz (redaktionell)

Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis wegen Zeitablaufs – Abgrenzung zum Senatsurteil vom 26. Juni 1997 – 8 AZR 449/96 – n.v.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626; BPersVG § 79 Abs. 3-4

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 24.10.1995; Aktenzeichen 8 Sa 1536/94)

ArbG Magdeburg (Urteil vom 10.11.1994; Aktenzeichen 9 Ca 3825/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. Oktober 1995 – 8 Sa 1536/94 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 10. November 1994 – 9 Ca 3825/94 – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt.

Der im Jahre 1947 geborene Kläger absolvierte von 1969 bis 1972 ein Ingenieurstudium an der Ingenieurschule der Deutschen Post in Leipzig. Ab 1972 war er beim Post- und Fernmeldeamt G. beschäftigt. Seit 1978 hatte er die Position des Abteilungsleiters des Technischen Dienstes inne. Seit dem 1. Januar 1991 arbeitete er in der Planungsstelle für fernmeldetechnische Inneneinrichtungen des Fernmeldeamts M..

Die Beklagte hatte einen Fragebogen erarbeitet, der nach dem 3. Oktober 1990 von den im Beitrittsgebiet Beschäftigten auszufüllen war, um eine Tätigkeit für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) zu ermitteln. Der Kläger erklärte am 27. März 1991 in dem Fragebogen zur Tätigkeit für das MfS/AfNS:

„Nebenamtlich 1985–1989 Auskunftsberichte über Mitarbeiter”.

Mit Schreiben vom 31. Juli 1991 begehrte die Beklagte beim Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (künftig: Gauck-Behörde) Auskunft über den Kläger und weitere 31 Beschäftigte. Sie erhielt am 27. November 1992 folgenden Einzelbericht über den Kläger:

„Aus den überprüften Unterlagen haben sich folgende Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergeben:

  1. IM-Kategorie: IMS (Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit)
  2. Deckname: „F.”
  3. Hauptabteilung/

    Abteilung: BV M./KD G.

  4. Führungsoffizier: 2, op. MA. (operativer Mitarbeiter) H und T
  5. Umfang der Akten:

    Teil I (Personalakte) 1 Band mit 174 Blatt

    Teil II (Arbeits-, Berichtsakte) 1 Band mit 108 Blatt

    Teil III (Quittungen) 1 Band mit 15 Blatt

  6. Vor 1 auf des IM-Vorgangs:

    vom 20.09.1984 bis 20.12.1984

  7. Dauer der IM-Tätigkeit:

    vom 21.12.1984 bis nicht ersichtlich

  8. Persönliche Verpflichtung mit Unterschrift am 21.12.1984 (Anlage 1)
  9. Auszeichnungen: nicht ersichtlich
  10. Grund und Ziel der Werbung:

    Als Leiter des Bereiches Technischer Dienst hatte er Einblick in alle operativ wichtigen Vorgänge und war weisungsberechtigt ohne Rechenschaftspflicht. (Anlage 2)

  11. Werbung erfolgte auf folgender Grundlage:

    politische Überzeugung

  12. Grund der Beendigung: nicht ersichtlich
  13. Besondere Aufträge: nicht ersichtlich
  14. Art und Umfang der Berichte:

    In der Zeit vom 21.12.1984 bis 3.03.1989 fanden 34 Treffs in zwei KW, in dringenden Fällen im PFA (Post- und Fernmeldeamt) bzw. an einem toten Briefkasten, statt. Die Treffen erfolgten 1985 monatlich, ab 1986 in größeren Abständen. Bei dringender Notwendigkeit erfolgten die Treffs sporadisch.

    Es liegen 58 Berichte vor, von denen 37 handschriftlich gefertigt und mit Decknamen unterschrieben worden sind 21, vorwiegend mündliche Berichte wurden von den op. MA protokolliert und unterzeichnet.

    Die Berichte enthielten Einschätzungen über ca. 35 Personen, Mitteilungen zu dienstlichen Problemen des PFA, Meldungen zur Realisierung von ca. 20 MfS-Aufträgen, wie Schaltung von Fangleitungen und Sonderanschlüssen für militärische Übungen, und zu Stimmungen und Meinungen zur Politik der Regierung.

    Die Personenberichte wurden vorwiegend als Kurzberichte abgefaßt und enthielten Einschätzungen

    • zur Person, Familie, Charaktereigenschaften und Hobbies
    • zum Fachwissen und berufliche Tätigkeit
    • zu Verbindungen zur BRD
    • zu politischen Aktivitäten,

    fast ausschließlich von Mitarbeitern des PFA.

    Die Berichte wurden in mehreren OPK verwertet. Sie trugen zum erfolgreichen Abschluß der OPK „Führer” und dem Teilabschluß der OPK „Spezialist” bei. Die in der letztgenannten OPK beobachtete Person war ein Mitarbeiter des Bereiches VTD, über den vom IMS von 1985–1988 15 Einschätzungen zur Person und zur betrieblichen Tätigkeit vorgenommen worden sind. (Anlage 3)

    Die Sachberichte betrafen vorwiegend dienstliche Vorkommnisse und enthielten Angaben

    • zu technischen Details und Möglichkeiten der Anlagen des VTD
    • zur Realisierung diverser Aufträge des MfS zur Überwachung von Betrieben, staatlichen Institutionen und Parteileitungen durch Schalten von Fangleitungen und Sonderanschlüssen
    • zur funktechnischen Absicherung von militärischen Übungen und
    • Informationen, welche Personen aufgrund ihrer betrieblichen Funktion von diesen Schaltungen Kenntnis hatten oder gehabt haben könnten.

    Diese Berichte enthielten häufig Anmerkungen zur Weiterleitung an andere Bereiche des MfS zur Überprüfung der Person oder des Sachverhaltes, Anlage 4. Die Schaltung von Fangleitungen wurde sehr häufig aus den unterschiedlichsten Gründen veranlaßt.

    (OPK = Operative Personenkontrolle)

  15. Art und Umfang der Zuwendung/Vergütung:

    Es wurden 11 Prämien von insgesamt 1.230,00 M und eine Aufwandsentschädigung von 16,10 M gezahlt.

    Für alle Zahlungen liegen mit Decknamen unterschriebene Quittungen vor.

Anlagen:

Anlage 1

Verpflichtung vom 21.12.1984 (1 Seite)

Anlage 2

Auszug aus Vorschlag zur Verpflichtung vom 02.12.1984 (2 Seiten)

Anlage 3

Personeneinschätzung vom 19.05.1988 (4 Seiten)

Anlage 4

Einschätzung eines betrieblichen Vorfalles vom 07.04.1988 (1 Seite)”

Am 5. Juli 1993 wurde der Kläger zum Inhalt des Gauck-Berichtes angehört. Er gab an, er sei unter Druck gesetzt worden, da er trotz seiner GVS(Geheime Verschlußsache)-Verpflichtung seine Ehefrau nicht von einem Antrag auf Genehmigung einer Westreise abgebracht habe. In seinen Personenberichten habe er nur Informationen allgemeiner Art gegeben. Die Kollegen hätten durch ihn keine Nachteile erlitten. Seine Sachberichte hätten technische Probleme und Baumaßnahmen betroffen. Er habe auch über technische Möglichkeiten der Anschaltung von Fangschaltungen berichtet. Allerdings habe er nur auf offizielle Anordnung der Amtsleitung Fangschaltungen hergestellt und dem MfS keine Empfehlungen gegeben, an welchen Punkten Fangschaltungen angebracht werden sollten. Über die Höhe der erhaltenen Prämien könne er keine Angaben mehr machen.

Die Beklagte beantragte daraufhin bei der Gauck-Behörde eine erweiterte Auskunft über den Kläger. Sie erhielt diese am 18. März 1994 nebst Kopien handschriftlicher Berichte des Klägers. Danach gab dieser mit Datum vom 2. März 1989 eine genaue Beschreibung und Handlungsanweisung zur Beschaffung eines Haustürschlüsselabdrucks zur Wohnung eines Kollegen, um dem MfS eine heimliche Hausdurchsuchung zu ermöglichen. Am 20. Dezember 1985 hatte der Kläger berichtet: „Im Monat Dezember wurden von mir Fangeinrichtungen bei folgenden Teilnehmern auf Anweisung des MfS installiert …”. Außerdem berichtete der Kläger zu Alkoholkonsum und „nicht ausreichend gefestigtem Klassenstandpunkt” eines Kollegen sowie zu Westkontakten und der „materialistischen Einstellung” eines weiteren Kollegen, der Stadtverordneter geworden sei, um Schulbesuch und Studium seines Sohnes abzusichern.

Die Beklagte hörte den Kläger zu der erweiterten Auskunft am 31. Mai 1994 an. Der Kläger bestand darauf, nur auf dem offiziellen Dienstweg angeordnete Fangschaltungen vorgenommen zu haben. Im übrigen räumte er ein, die in Kopie vorgelegten Berichte verfaßt zu haben.

Am 1. August 1994 unterrichtete die Beklagte den Personalrat beim Fernmeldeamt M. über die beabsichtigte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. Dem Anhörungsschreiben waren die Niederschriften der beiden Anhörungen des Klägers beigefügt. Als Kündigungsgrund wurde angegeben: „Tätigkeit für das ehemalige MfS/AfNS. Einzelheiten ergeben sich aus der beigefügten Verhandlungsschrift.” Die Leitung des Fernmeldeamts hatte sich mit dem bei ihr gebildeten Personalrat darauf verständigt, daß in Fällen der Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS der Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Personalratsmitglieder zur Einsichtnahme in den Räumen der Personalstelle zur Verfügung stand. Am 3. August 1994 erklärte der Personalrat, er stimme der außerordentlichen und der vorsorglichen ordentlichen Kündigung zu. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 5. August 1994, welches dem Kläger am 9. August 1994 zuging, außerordentlich fristlos und vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 1994.

Mit der am 24. August 1994 erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihr Kündigungsrecht dadurch verwirkt, daß sie ihn in Kenntnis seiner MfS-Verstrickung über 40 Monate weiterbeschäftigt habe. Er genieße auch Vertrauensschutz, da er sich bereits im März 1991 offenbart habe. Die Beklagte habe nicht klargestellt, auf welchen angeblich neuen Sachverhalt sie die erst 1994 erklärte Kündigung stütze. Er habe mit seiner MfS-Tätigkeit niemandem geschadet. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, da diesem die Kündigungsgründe nicht ausreichend substantiiert mitgeteilt worden seien.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 5. August 1994 noch durch die ordentliche Kündigung vom 5. August 1994 aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei wegen dessen MfS-Verstrickung unzumutbar. Diese Unzumutbarkeit habe sich allerdings weder aus der Selbstbezichtigung des Klägers noch aus der ersten Gauck-Auskunft ergeben. Der Kläger habe auch bei seiner ersten Anhörung angegeben, nur allgemeine Informationen über Dritte weitergegeben zu haben. Ausschlaggebend für die Kündigung seien die Erkenntnisse aufgrund der handschriftlichen Berichte des Klägers im zweiten Gauck-Bericht gewesen.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klagabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Der Kündigungsgrund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV sei nicht erfüllt. Für die Beklagte sei ein Festhalten am Arbeitsverhältnis des Klägers nicht unzumutbar. Sie habe die Kündigung in Kenntnis des Kündigungsgrundes unverhältnismäßig lange hinausgezögert, zumindest aber die Aufklärung des Kündigungssachverhalts nicht mit der gebotenen Zügigkeit und Zielstrebigkeit betrieben. Ihr könne zwar die lange Bearbeitungsdauer der Gauck-Behörde von 20 Monaten bis zur Erteilung der Einzelauskunft nicht angelastet werden, wohl aber, daß sie die Auskunft erst nach vier Monaten beantragt und in dem gesamten Zeitraum nicht versucht habe, den Sachverhalt aufzuklären oder den Kläger vorsorglich zu versetzen. Dieses Verhalten stehe nicht mit der Kündigungsbegründung in Einklang, der Kläger könne wegen der konspirativen Tätigkeit nicht mehr als Sachbearbeiter bei der technischen Planung eingesetzt werden. Auch wenn der Kläger in der denkbar schlimmsten Form für das MfS gearbeitet habe, sei der Grund für eine außerordentliche Kündigung spätestens mit dem Verstreichenlassen von sieben Monaten bis zur ersten Anhörung des Klägers untergegangen. Die Beklagte habe nach dem Einzelbericht mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen müssen, daß der Kläger über mehrere Jahre hinweg über private Umstände seiner Kollegen berichtet habe. Es entstehe der Eindruck, die Beklagte habe auf die Mitarbeit des Klägers nicht verzichten können. Außerdem sei zweifelhaft, ob die Beklagte mit der Kündigungsbegründung gehört werden könne, der Kläger habe denunzierende Berichte aus der Privatsphäre seiner Kollegen geliefert. Da gegenüber dem Personalrat nur auf die MfS-Tätigkeit des Klägers verwiesen worden sei, sei es ausgeschlossen, die Kündigung auf eine – nicht genauer bezeichnete – Qualität der Spitzeltätigkeit statt auf die Tätigkeit für das MfS schlechthin zu stützen.

Die vorsorgliche ordentliche Kündigung sei ebenfalls unwirksam. Wenn eine außerordentliche Kündigung nicht nach Abs. 5 Ziff. 2 EV gerechtfertigt sei, könne auch eine ordentliche Kündigung als milderes Mittel nicht auf diese Rechtsgrundlage gestützt werden. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die Beklagte zum 1. Januar 1995 privatisiert worden sei. Nach der fast vierjährigen Verwendung des Klägers sei eine personenbedingte Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG nicht möglich gewesen. Es hätten keine Anhaltspunkte für die zukunftsorientierte Prognose bestanden, der Kläger bilde ein Sicherheitsrisiko.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung am 9. August 1994 beendet worden.

I. Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist nach den Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages zu überprüfen. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten die in der Anlage I vereinbarten Regelungen für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts (Senatsurteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 502/93 – BAGE 75, 280, 282 = AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1, 2 der Gründe). Der Kläger war als Arbeitnehmer der Deutschen Post der ehemaligen DDR Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Am 3. Oktober 1990 wurde er von der Deutschen Bundespost Telekom übernommen. Er war somit Angehöriger des öffentlichen Dienstes, dessen Arbeitsverhältnis nach Abs. 5 EV gekündigt werden konnte. Dem steht nicht entgegen, daß die Deutsche Bundespost Telekom zum 1. Januar 1995 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die Wirksamkeit der Kündigung beurteilt sich nach der Rechts- und Sachlage zum Zeitpunkt ihres Zugangs. Die Privatisierung der Beklagten läßt das Sonderkündigungsrecht nicht rückwirkend entfallen (Senatsurteile vom 18. Juli 1996 – 8 AZR 228/94 – n.v., zu I der Gründe, und – 8 AZR 523/95 – n.v., zu B I der Gründe).

II. Die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV liegen vor.

1. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).

Aus der Eigenständigkeit der Kündigungsregelung in Abs. 5 Ziff. 2 EV folgt, daß es keiner doppelten Unzumutbarkeitsprüfung bedarf. Die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung bestimmen sich allein nach Abs. 5 EV, der eine zusätzliche Interessenabwägung nach den Maßstäben des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorsieht. Anders als § 626 BGB stellt Abs. 5 EV nicht darauf ab, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis „bis zu einem ordentlichen Kündigungstermin” zumutbar erscheint. Er bringt vielmehr zum Ausdruck, bei Beschäftigten, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, sei nicht hinzunehmen, daß sie überhaupt länger im öffentlichen Dienst verbleiben. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Arbeitgeber durch eine ungebührliche Verzögerung seinem eigenen Verhalten zuwider handelt oder einen Verwirkungstatbestand setzt.

Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des Öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4, a.a.O., zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.

Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob er nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Maßgebend ist, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt würde, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht aufgebaut werden auf der Annahme, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.

Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – NJW 1997, 2305, zu C I 2 b der Gründe). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer.

Der Frage, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am jetzigen Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag, wohnt auch ein zeitliches Element inne. Der Arbeitgeber kann die Kündigung nicht zeitlich unbegrenzt aussprechen. § 626 Abs. 2 BGB stellt eine Konkretisierung des Gedankens dar, daß die Fortsetzung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses aufgrund von Zeitablauf zumutbar werden kann (vgl. näher Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 157/93BAGE 76, 334, 340 = AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 3 a bb der Gründe, m.w.N.). Die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses nach längerer Zeit verbietet sich auch unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens. Der Kündigungsberechtigte darf einen Kündigungsgrund unabhängig von § 626 Abs. 2 BGB nicht beliebig lange zurückhalten, um davon bei ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen. Diese Auslegung folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG, nach dem der Staat einen Mindestkündigungsschutz zur Verfügung stellen muß. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 626 Abs. 2 BGB kann daher der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV durch bloßen Zeitablauf entfallen, ohne daß die weitergehenden Voraussetzungen der allgemeinen Verwirkung, wie das Vorliegen eines Umstandsmoments, erfüllt sein müßten.

Eine feste Zeitgrenze, ab wann keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis mehr gegeben ist, besteht nicht. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auf einmalige Vorfälle zugeschnitten und paßt wegen der besonderen Umstände der deutschen Wiedervereinigung nicht. Vielmehr bedarf es einer Prüfung, aus welchen Gründen nicht innerhalb der Zweiwochenfrist gekündigt wurde, sowie einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles. Das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der frühere MfS-Mitarbeiter nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war (Senatsurteil vom 28. April 1994, a.a.O.).

2. Das Landesarbeitsgericht hat den wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung vom 5. August 1994 rechtsfehlerhaft verneint.

a) Der Kläger ist bewußt und gewollt als Inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig geworden. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger schon wegen Zeitablaufs nicht unzumutbar gewesen.

aa) Die Rechtsprechung des Senats, der Arbeitgeber könne eine Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht zeitlich unbegrenzt aussprechen, bedeutet nicht, der Arbeitgeber müsse eine sich bietende Möglichkeit zur Kündigung nutzen, um sein Kündigungsrecht nicht zu verlieren. Wenn das Hinauszögern der Kündigung nach Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund die Notwendigkeit der sofortigen Lösung des Arbeitsverhältnisses widerlegt, schließt das nicht aus, daß der Arbeitgeber bei Kenntnis neuer Umstände den Kündigungssachverhalt neu bewertet und sich erst dann zur Kündigung entschließt. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Arbeitgeber bei einer Verdachtskündigung eigene Ermittlungen zügig durchführen muß (vgl. BAG Urteil vom 29. Juli 1993 – 2 AZR 90/93 – AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).

bb) Im Anwendungsbereich des Sonderkündigungsrechts nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist der Arbeitgeber gehalten, zu einer möglichst raschen Entscheidung über die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses mit einem durch seine frühere MfS-Tätigkeit belasteten Arbeitnehmer zu kommen. Denn das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der Arbeitnehmer nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war (Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 157/93BAGE 76, 334, 341 = AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 3 a bb der Gründe). Deshalb darf der öffentliche Arbeitgeber nicht generell vor Ausspruch einer Kündigung die Auskunft der Gauck-Behörde abwarten, sondern muß im Regelfall – bei vollständiger und wahrheitsgemäßer Auskunft – anhand des Ergebnisses der Befragung durch Fragebogen entscheiden (Senatsurteil vom 26. Juni 1997 – 8 AZR 449/96 – n.v., zu II 4 b der Gründe). Allerdings ist der öffentliche Arbeitgeber nicht gehindert, auch zu einem späteren Zeitpunkt und gerade im Zusammenhang mit einer Gauck-Auskunft außerordentlich zu kündigen, wenn die persönliche Belastung des Arbeitnehmers durch neu bekannt gewordene Umstände in einem anderen Licht erscheint (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 1997, a.a.O., zu II 4 c der Gründe). Die nach Abs. 5 EV eröffneten Kündigungsrechte sind – anders als die nach Abs. 4 EV – nicht nur zeitlich befristet eingeräumt. Es ist nicht auszuschließen, daß es gerade erheblich belasteten Personen gelingt, das Ausmaß ihrer Belastung lange verborgen zu halten.

Nimmt der öffentliche Arbeitgeber die durch Fragebogen oder auf sonstige Weise erlangte Kenntnis von der MfS-Tätigkeit eines Arbeitnehmers nicht zum Anlaß für eine Kündigung, kann er später keine Kündigung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV auf die ihm schon bekannten Umstände stützen. Er geht also das Risiko ein, daß er nach Erteilung der Gauck-Auskunft nicht mehr kündigen kann, wenn durch diese nur ein bereits bekannter Sachverhalt bestätigt wird. Bringt jedoch das Auskunftsersuchen gegenüber dem Bundesbeauftragten neue Umstände zutage, die geeignet sind, die Einschätzung des belasteten Arbeitnehmers zu ändern, kann über die Ausübung des Kündigungsrechts neu entschieden werden. Arbeitnehmer, die nicht bereit waren, ihre Verstrickung mit der Staatssicherheit überhaupt oder dem vollen Umfang nach zu offenbaren, sind nicht allein durch Zeitablauf vor einer möglichen Kündigung geschützt. Die Zumutbarkeit ihrer Weiterbeschäftigung kann auch nicht generell daraus hergeleitet werden, daß der Arbeitgeber eigene Ermittlungen nicht oder zu langsam betrieben hat.

cc) Die Wirksamkeit der angegriffenen außerordentlichen Kündigung beurteilt sich damit danach, ob die Ergebnisse des ergänzenden Gauck-Berichts und der Einlassung des Klägers die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen und wie lange der Beklagten diese für die Kündigung maßgebenden Umstände bei Kündigungsausspruch bereits bekannt waren.

3. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Ausgangspunkt konsequent den Grad der Verstrickung des Klägers nicht nach dem Inhalt des ergänzenden Gauck-Berichts und der dazu erfolgten Anhörung des Klägers beurteilt. Der Senat kann die Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis im einzelnen selbst beurteilen, da die hierfür maßgeblichen Tatsachen feststehen.

a) Die Belastung des Klägers ist erheblich. Der Kläger hat denunziatorische Berichte über Kollegen gefertigt und nicht nur oberflächliche Informationen geliefert. Sollte er tatsächlich niemandem geschadet haben, wäre dies nicht auf eine mangelnde Verwendbarkeit seiner Berichte zurückzuführen. Der Kläger hat auch am institutionalisierten Bruch des Fernmeldegeheimnisses mitgewirkt. Es kann offenbleiben, ob er auf unmittelbare Anweisung des MfS Fangschaltungen installierte oder nur auf Weisung eines Dienstvorgesetzten. Er war willig, Informationen über die technische Durchführbarkeit geplanter Abhörmaßnahmen zu geben und bei der Geheimhaltung der Fangschaltungen durch das MfS mitzuwirken. Es spielt daher keine ausschlaggebende Rolle, inwieweit die Staatssicherheit auch über Vorgesetzte des Klägers Fangschaltungen veranlassen konnte. Schließlich wiegt besonders schwer die Bereitschaft des Klägers, eine illegale Hausdurchsuchung bei einem Kollegen zu ermöglichen. Der Kläger wußte, daß seine Informationen dazu dienten, rechtswidrig in die Wohnung einer anderen Person einzudringen.

Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die ihn wesentlich entlasten. Nimmt man zu seinen Gunsten an, er habe aus Sorge um sein berufliches Weiterkommen für die Staatssicherheit gearbeitet, so ist doch nicht erkennbar, daß er versucht hat, sich der IM-Tätigkeit zu entziehen oder deren Wert gering zu halten. Die Treffhäufigkeit und die Zahl seiner Berichte sprechen dafür, daß er ein brauchbarer Mitarbeiter des MfS sein wollte. Auch der Umstand, daß er sich im März 1991 als „nebenamtlicher” Mitarbeiter der Staatssicherheit offenbarte, läßt seine Belastung in keinem günstigeren Licht erscheinen. Er war noch anläßlich seiner zweiten Anhörung am 31. Mai 1994 nicht bereit, das volle Ausmaß seiner Belastung einzuräumen. Sein Verhalten läßt keinen deutlichen Bruch mit der MfS-Vergangenheit erkennen, sondern eher die Hoffnung, irgendwie „durchzukommen”.

Obwohl die Beklagte den Kläger zum Kündigungszeitpunkt schon fast vier Jahre beschäftigt hatte, ist dessen Belastung durch die MfS-Tätigkeit nicht hinzunehmen. Als Sachbearbeiter bei der technischen Planung von Telekommunikationseinrichtungen nimmt der Kläger zwar keine Schlüsselfunktion wahr. Er wäre jedoch wieder in der Lage, am Bruch des Fernmeldegeheimnisses mitzuwirken. Insbesondere durfte die Beklagte auf die Vorarbeiten des Klägers für das illegale Eindringen des MfS in die Wohnung eines Kollegen reagieren. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung muß ganz schwerwiegende Rechtsverstöße früherer Spitzel auch dann nicht hinnehmen, wenn diese keine erheblichen Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse haben.

b) Die vorstehend angeführten Umstände waren der Beklagten im wesentlichen erst aufgrund der ergänzenden Gauck-Auskunft bekannt. Die handschriftlichen Einzelberichte waren inhaltlich keineswegs voll von der ersten Gauck-Auskunft umfaßt. Gerade die Unterstützung der rechtswidrigen Durchsuchung einer Wohnung im Jahre 1989 war nicht angeführt. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß der Kläger in seiner ersten Anhörung am 5. Juli 1993 versuchte, den durch die Auskunft hervorgerufenen Eindruck eines eifrigen MfS-Mitarbeiters abzuschwächen. Die Würdigung des Berufungsgerichts, es sei nicht ersichtlich, warum die Beklagte eine weitere Auskunft eingeholt habe, ist demnach rechts fehlerhaft. Der Beklagten hat die hohe Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Verstrickung des Klägers nach dem ersten Gauck-Bericht nicht genügt, eine Kündigungsentscheidung zu treffen. Sie hat stattdessen Kopien weiterer vom Kläger verfaßter Berichte abgewartet, um volle Sicherheit zu haben. Dies ist zu akzeptieren. Das dem Kläger entgegengebrachte und später widerlegte Vertrauen führt nicht zum Verlust des Kündigungsrechts.

Hinzunehmen ist auch, daß die Beklagte zwischen Eingang der ergänzenden Gauck-Auskunft und Anhörung des Klägers 1 1/2 Monate und dann bis zur Beteiligung des Personalrats zwei Monate verstreichen ließ. Die Beklagte hat sich bemüht, ihre Arbeitnehmer so zu überprüfen, daß Kollegen davon nichts erfuhren. Die sich daraus ergebenden Verzögerungen dienten nicht dazu, einen Kündigungsgrund vorzuhalten.

c) Die Beklagte hat ihr Kündigungsrecht auch nicht verwirkt. Sollte sie dem Kläger am 28. Februar 1994 mitgeteilt haben, einer Weiterbeschäftigung stünden „vorläufig” keine Gründe entgegen, so könnte eine solche Zusage doch nicht vor der Berücksichtigung neuer Kündigungstatsachen schützen.

d) Der Würdigung, daß nach dem Inhalt der ergänzenden Gauck-Auskunft die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheint, steht auch kein Verwertungsverbot entgegen.

Die Arbeitsgerichte können in einem Kündigungsschutzprozeß nur die Tatsachen verwerten, die der Arbeitgeber dem Betriebs- oder Personalrat als „Kündigungsgründe” mitgeteilt hat. Tatsachen, die der Personal Vertretung nicht unterbreitet wurden, dürfen bei der Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung nicht berücksichtigt werden (vgl. nur BAG Urteil vom 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – AP Nr. 101 zu § 626 BGB, zu I 2 b cc der Gründe). Dem Personalrat sind die Protokolle der Anhörungen des Klägers vom 5. Juli 1993 und 31. Mai 1994 zur Verfügung gestellt worden. Die Einzelauskunft sowie der Ergänzungsbericht der Gauck-Behörde konnten von den Personalratsmitgliedern entsprechend einer mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung eingesehen werden. Dem Personalrat sind daher alle Umstände bekanntgemacht worden, die die Beklagte in den Rechtsstreit eingeführt hat. Eine inhaltliche Bewertung der Tatsachen, die für den Kündigungsentschluß ausschlaggebend waren, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erforderlich.

III. Die außerordentliche Kündigung ist nicht gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam.

1. Nach § 79 Abs. 3 BPersVG ist der Personalrat vor außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen. Eine Kündigung ist gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt wurde. Die nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats steht der unterbliebenen Beteiligung gleich. Das Beteiligungsrecht der Personalvertretung findet als Wirksamkeitsvoraussetzung auch auf Kündigungen nach Abs. 5 EV Anwendung (Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1 der Gründe, m.w.N.).

Die Darlegung der Kündigungsgründe darf in der Regel nicht nur pauschal oder schlagwortartig geschehen. Vielmehr muß der Arbeitgeber die Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluß hergeleitet wird, näher so beschreiben, daß der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen, um sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden (vgl. nur Senatsurteil vom 7. September 1995 – 8 AZR 839/93 – n.v., zu II 3 a der Gründe).

2. Die Beklagte hat dem Personalrat die Umstände mitgeteilt, die sie zur Kündigung veranlaßt haben. Aus den beigefügten Protokollen vom 5. Juli 1993 und 31. Mai 1994 ergab sich, daß der Kläger sich zunächst mit einer Drucksituation verteidigt und die Art und Intensität seiner Mitarbeit als oberflächlich und unschädlich dargestellt hatte, später aber einräumte, die mit dem ergänzenden Gauck-Bericht übersandten handschriftlichen Berichte gefertigt zu haben. Damit wurde deutlich, daß der Kläger entgegen den Angaben bei seiner ersten Anhörung bereit war, Personen zu denunzieren und den Bruch des Fernmeldegeheimnisses sowie den illegalen Zutritt des MfS zu der Wohnung eines Arbeitskollegen zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Bewertung dieser Tatsachen durch den Arbeitgeber war nicht erforderlich.

Die Gauck-Berichte brauchten dem Anhörungsschreiben nicht beigefügt zu werden. Personalrat und Arbeitgeber dürfen vereinbaren, daß bestimmte, insbesondere sensible Informationen separat aufbewahrt und eingesehen werden. Ein Personalrat wird nicht zu „eigenen Nachforschungen veranlaßt”, wenn er vereinbarungsgemäß und zum Schütze des Persönlichkeitsrechts des von dem Kündigungsentschluß betroffenen Arbeitnehmers Unterlagen nur an einem bestimmten Ort einsehen kann. Entscheidend ist, daß feststeht, auf welche Unterlagen der Arbeitgeber sich bezieht. Darüber bestand im Streitfall kein Zweifel.

C. Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Krause, E. Schmitzberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1086961

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