Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug bei gesundheitlicher Einschränkung der Leistungsfähigkeit

 

Normenkette

BGB § 296 f., §§ 315, 615

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 19.05.1998; Aktenzeichen 7 Sa 111/97)

ArbG Berlin (Urteil vom 19.09.1997; Aktenzeichen 82 Ca 10357/97)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 19. Mai 1998 – 7 Sa 111/97 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zu anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 4. Januar 1936 geborene Kläger war seit dem 1. August 1973 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als Dachdecker beschäftigt.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 1996 teilte der arbeitsmedizinische Dienst der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover der Beklagten mit, die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung vom selben Tage habe ergeben, daß beim Kläger aufgrund verschiedener Gesundheitsstörungen dauernde gesundheitliche Bedenken gegen Tätigkeiten mit Absturzgefährdung und gegen häufiges Heben/Tragen von Lasten über 25 kg bestünden.

In einem Bericht des W…-Krankenhauses vom 6. Februar 1997 über eine am 3. Februar 1997 in der HNO-Abteilung durchgeführte neurologische Untersuchung wurde festgestellt, daß beim Kläger eine allgemeine Nystagmushemmungstendenz diagnostiziert worden sei, daß seit etwa vier Jahren kurzzeitig bei Belastung, vornehmlich beim Aufrichten, beim Blick nach oben und teilweise beim Laufen Schwankschwindel bemerkt worden seien, daß eine peripher-vestibuläre Gleichgewichtsstörung rechts mit ungeklärter Ursache auffalle und daß Tätigkeiten in absturzgefährdeter Position – als Dachdecker – künftig nicht mehr ausgeführt werden sollten.

Die AOK Berlin teilte dem Kläger mit Schreiben vom 5. Februar 1997 mit, die ärztliche Begutachtung vom 4. Februar 1997 habe ergeben, daß seine Arbeitsunfähigkeit mit dem 25. Februar 1997 ende und Krankengeld bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werde.

Mit Schreiben vom 26. Februar 1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie kündige den mit ihm bestehenden Arbeitsvertrag als Dachdecker mit sofortiger Wirkung, weil ein Einsatz des Klägers auf dem Dach aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verantwortet werden könne, und biete ihm im Rahmen dieser Änderungskündigung eine Tätigkeit als Lagerarbeiter an. Der Kläger ließ durch Schreiben seiner späteren Prozeßbevollmächtigten vom 3. März 1997 an die Beklagte erklären, daß er das Änderungsangebot zu dem von der Arbeitgeberin genannten, gegenüber dem vorherigen niedrigeren Stundenlohn nicht annehme.

In der Zeit ab 26. Februar 1997 arbeitete der Kläger als Lagerarbeiter bei der Beklagten. Die Beklagte zahlte ihm dafür den Stundenlohn als Lagerarbeiter.

Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist gewandt und die Zahlung der Lohndifferenz für die seit 26. Februar 1997 bis einschließlich Juli 1997 geleisteten Arbeitsstunden begehrt. Er hat behauptet, der Beklagten wäre es möglich gewesen, ihn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mit Dachdeckerarbeiten zu beschäftigen, da es im Rahmen der Tätigkeit einer Arbeitsgruppe von Dachdeckern immer auch Tätigkeiten gebe, die vom Boden aus oder sonst nicht absturzgefährdet (z.B. auf Flachdächern) zu verrichten seien, und außerdem Arbeiten der Vor- und Nachbereitung anfielen, die ebenfalls Dachdeckerarbeiten seien. Eine vorübergehende organisatorische Umstellung lediglich bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist wäre auch ein Gebot der Fürsorgepflicht gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 26. Februar 1997 nicht fristlos aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. September 1997 unverändert fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.141,70 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, sie sei nicht in Annahmeverzug geraten, da dem Kläger die Erbringung der bisherigen Arbeitsleistung insgesamt unmöglich geworden und ihm deswegen eine andere zumutbare Beschäftigung im Lager angeboten worden sei. Den Kläger mit Dachdeckerarbeiten leidensgerecht zu beschäftigen, sei nicht möglich gewesen. Gegen seine Gesundschreibung hätte der Kläger selbst vorgehen müssen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Feststellungsantrag erkannt und die Klage im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Auf diese hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte auch antragsgemäß zur Lohnzahlung verurteilt.

Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Frage ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger für die Dauer der Kündigungsfrist die Differenz zwischen dem gezahlten und dem Dachdeckerlohn schuldet, läßt sich nur nach einer weiteren Sachverhaltsaufklärung beantworten, weshalb gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht geboten war.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf Entlohnung als Dachdecker aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, obwohl er wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur als Lagerarbeiter beschäftigt worden sei. Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers habe er auch Anspruch auf besondere Fürsorge seitens des Arbeitgebers, zumal der Kläger die teilweise Unmöglichkeit der vertragsgemäßen Arbeitsleistung nicht zu vertreten habe.

II. Dem folgt der Senat nicht. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Anspruch des Klägers auf die Lohndifferenz wegen Annahmeverzugs der Beklagten bestehe ungeachtet einer etwaigen Unmöglichkeit der Beschäftigung des Klägers mit Dachdeckerarbeiten, fehlt die Rechtsgrundlage. Die Berechtigung dieses Anspruchs hängt vielmehr davon ab, ob der Kläger von der Beklagten während der Kündigungsfrist mit Dachdeckerarbeiten im nicht absturzgefährdeten Bereich hätte beschäftigt werden können.

1. Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot zur Weiterbeschäftigung als Lagerarbeiter angenommen, setzt sie sich in Widerspruch zu der rechtskräftigen Feststellung des Arbeitsgerichts im Urteil vom 19. September 1997, das Arbeitsverhältnis bestehe bis zum 30. September 1997 unverändert mit den Bedingungen fort, wie sie für eine Tätigkeit als Dachdecker gelten. Aus der angeblichen Einigung über eine Weiterbeschäftigung als Lagerarbeiter kann die Unbegründetheit der streitigen Ansprüche deshalb nicht abgeleitet werden, ohne daß es noch darauf ankäme, daß es sich bei dem Vorbringen der Beklagten um in der Revisionsinstanz unbeachtlichen neuen Sachvortrag handeln dürfte.

2. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts folgt die Berechtigung der streitigen Ansprüche andererseits nicht schon aus den im Urteil des Senats vom 18. Dezember 1986 (– 2 AZR 34/86 – AP Nr. 2 zu § 297 BGB zu B II 4 der Gründe) aufgestellten Grundsätzen. Dort hat der Senat lediglich ausgeführt, wenn es durch in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe geboten und dem Arbeitgeber zumutbar sei, habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zu anderen als den vertraglich geschuldeten Tätigkeiten heranzuziehen bzw. ihm eine solche Beschäftigung anzubieten, um Ansprüche aus Annahmeverzug zu vermeiden. Damit ist jedoch nur etwas zum Anspruchsgrund ausgesagt. Zur Höhe der Annahmeverzugsansprüche hat der Senat in der genannten Entscheidung nicht Stellung genommen.

3. Unstreitig war der Kläger im hier fraglichen Zeitraum krankheitsbedingt nicht für Dachdeckerarbeiten mit Absturzgefahr einsetzbar. Obwohl der Kläger an sich – je nach Weisung der Beklagten – auch solche Arbeiten vertraglich schuldete, könnten die hier streitigen Ansprüche gemäß § 615 BGB begründet sein.

a) Zwar kommt nach § 297 BGB der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Unmöglichkeit der Leistung durch den Arbeitnehmer und Annahmeverzug schließen sich gegenseitig aus (Senatsurteil vom 18. Dezember 1986, aaO, zu B II 2 der Gründe). Dies gilt entgegen der Ansicht des Klägers auch während einer vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1998 – 2 AZR 666/97 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 2b der Gründe).

b) Unmöglichkeit in diesem Sinne ist jedoch nicht stets schon dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zum Spektrum der vertraglich vereinbarten Tätigkeit zählen (vgl. auch Senatsurteil vom 18. Dezember 1986, aaO, zu B II 3 der Gründe). Sonst bliebe außer acht, daß der Arbeitgeber gemäß § 315 BGB sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben hat, wobei er auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen muß. Ist es dem Arbeitgeber ohne Vertragsänderung und ohne Auswirkungen auf die Höhe des Vergütungsanspruchs möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen, so ist die Zuweisung anderer Arbeiten unbillig. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers steht dann dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen.

c) Das Landesarbeitsgericht durfte somit die zwischen den Parteien streitige Frage nicht offen lassen, ob der Kläger in der Zeit vom 26. Februar bis 31. Juli 1997 mit Dachdeckerarbeiten im nicht absturzgefährdeten Bereich hätte beschäftigt werden können. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dies der Fall war, bedarf weiterer Aufklärung. Auch soweit der Beklagten allerdings eine vertragsgerechte Beschäftigung des Klägers als Dachdecker mit der Folge eines entsprechend höheren Vergütungsanspruchs objektiv möglich war, muß hinzukommen, daß der Beklagten eine entsprechende Organisation ihres Betriebes zugemutet werden konnte. Dabei kann die weitere Prüfung ergeben, daß entsprechende Ansprüche des Klägers aus § 615 BGB zwar bestehen, aber nur für einen Teil bzw. einzelne Teile des fraglichen Zeitraums.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Fischermeier, Röder, Mauer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2628884

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