Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedarfskündigung nach Einigungsvertrag. Auswahlentscheidung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; BGB §§ 242, 315, 1360, 1360a; KSchG § 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; PersVG-DDR § 79 Abs. 4, § 82 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 02.06.1994; Aktenzeichen 1 Sa 611/93)

ArbG Rostock (Urteil vom 16.06.1993; Aktenzeichen 5 Ca 492/93)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Juni 1994 – 1 Sa 611/93 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 2 EV) stützt.

Die am 30. Dezember 1965 geborene Klägerin ist kinderlos verheiratet. Sie war seit dem 1. August 1989 als Oberstufenlehrerin für die Fächer Geschichte und Sport im Schuldienst der ehemaligen DDR tätig. Zuletzt unterrichtete sie im Schulamtsbezirk Rostock an der Gesamtschule S. zu einem Monatsgehalt von 2.487,81 DM brutto.

Mit Schreiben vom 27. Mai 1992, der Klägerin am selben Tage zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 1992 wegen mangelnden Bedarfs. Nicht gekündigt wurde den gleichfalls im Schulamtsbezirk Rostock beschäftigten Lehrern Axel B. (1963 geboren, ledig, Einstellung 1. August 1990) und Erik L., der an sich ebenso wie seine als Lehrerin beschäftigte Ehefrau zur Kündigung vorgesehen war; in derartigen Fällen wurde dann aber einer der Ehepartner in Absprache mit dem Bezirkspersonalrat weiterbeschäftigt und die Auswahl den Ehegatten selbst überlassen.

Mit ihrer am 3. Juni 1992 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Sie ist der Auffassung, für ihre Tätigkeit habe durchaus Bedarf bestanden. Der Beklagte hätte eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten treffen und berücksichtigen müssen, daß die Lehrer B. und L. sozial weniger schutzwürdig gewesen seien. Der Bezirkspersonalrat als die zuständige Personalvertretung sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Die Klägerin hat beantragt

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Mai 1992 nicht aufgelöst worden sei,
  2. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Lehrerin der Fächer Sport und Geschichte weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, im Bereich des Schulamtes Rostock habe für das Schuljahr 1992/93 bei 918 Oberstufenklassen gemäß den Stundentafeln ein Bedarf von 1.300 Stunden im Fach Geschichte und von 2.110 Stunden im Fach Sport bestanden. Dies ergebe bei 26 Wochenstunden je Lehrer und der Annahme, daß die Lehrer jeweils zur Hälfte in ihren Fächern eingesetzt würden, einen Bedarf von 50 Lehrersteilen im Fach Geschichte und von 81,2 Lehrerstellen im Fach Sport. Demgegenüber hätten 138,5 und 115 Stellen bestanden. Daher habe der Beklagte beschlossen, von 75 Lehrern mit der Fächerkombination Sport/Geschichte 17 zu entlassen. Die Auswahl sei nach besonderen dienstlichen Interessen und vorsorglich auch nach sozialen Gesichtspunkten, nämlich Dauer der Zugehörigkeit zur Dienststelle, Lebensalter, Familienstand und Unterhaltspflichten, Einkünften von Ehegatten, etwaigen Nebenverdiensten, Umschulungsmöglichkeiten und anderen Berufsaussichten sowie der Möglichkeit des Vorruhestandes erfolgt. Die Beteiligung einer Personalvertretung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Kündigungsentscheidung im Kultusministerium gefallen sei und dort ein Hauptpersonalrat zur Zeit der Kündigung – unstreitig – nicht bestanden habe. Vorsorglich sei der Bezirkspersonalrat, der sich für das Schulamt Rostock für zuständig gehalten habe, ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam. Es könne dahingestellt bleiben, ob im Rahmen der Bedarfskündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 EV der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer § 1 Abs. 3 KSchG zugrunde zu legen sei. Jedenfalls müsse die Auswahlentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§§ 315, 242 BGB), des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes und des privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgenommen werden. Danach hätte der Beklagte die Auswahl im Vergleich zu dem Lehrer B. nicht zu Lasten der Klägerin treffen dürfen. Zwar wiesen beide hinsichtlich Alter und Beschäftigungsdauer nur verhältnismäßig geringe Unterschiede auf. Möglicherweise könne der Beklagte bei derartiger Ähnlichkeit entweder stets dem Alter oder stets der Beschäftigungsdauer das größere Gewicht geben. Es sei auch nicht schlechthin zu beanstanden, wenn er davon ausgegangen sei, der Unterschied sei nicht gewichtig, und deshalb die Entscheidung von anderen Kriterien abhängig gemacht habe. Letztlich müsse die Auswahl aber an sachlichen, von der Rechtsordnung gebilligten Gesichtspunkten ausgerichtet und dürfe nicht willkürlich sein. Die betrieblichen Gründe für eine Weiterbeschäftigung des Lehrers B. zu Lasten der Klägerin hätten dargelegt werden müssen. Dies sei nicht einmal andeutungsweise geschehen. Wenn der Beklagte nunmehr darauf abstelle, der Arbeitnehmer B. sei sozial schutzbedürftiger, weil er ledig sei, so entspreche das nicht billigem Ermessen. Eine solche Auswahlentscheidung beruhe angesichts des besonderen Schutzes der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) entscheidend auf einer von der Rechtsordnung nicht gebilligten Wertung.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil die Auswahlentscheidung des Beklagten weder soziale Gesichtspunkte im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG ausreichend berücksichtigt noch billigem Ermessen entsprochen habe, ist rechtsfehlerhaft.

1. Wie der Senat mit Urteil vom 19. Januar 1995 (– 8 AZR 914/93 – AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) ausgeführt hat, findet § 1 Abs. 3 KSchG auf die nach Abs. 4 Ziff. 2 EV erforderliche Auswahlentscheidung keine Anwendung.

a) Abs. 4 EV ersetzt in seinem Regelungsbereich die allgemeinen Vorschriften des § 1 KSchG. Die Maßgaben des Abs. 4 EV legen sachliche Gründe fest, aus denen eine ordentliche Kündigung unabhängig von § 1 KSchG möglich ist (Senatsurteile vom 24. September 1992 – 8 AZR 557/91 – BAGE 71, 221, 224 = AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu I 3 der Gründe; vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361, 364 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B I 2 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 124 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 4 a der Gründe; vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1 der Gründe; vom 16. März 1994 – 8 AZR 688/92 – BAGE 76, 142, 145 f. = AP Nr. 21 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 3 b aa der Gründe; vom 28. April 1994 – 8 AZR 209/93 – BAGE 76, 317, 320 f. = AP Nr. 12 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu I 2 b aa der Gründe). § 1 Abs. 3 KSchG bezieht sich demgegenüber schon nach seinem Wortlaut nur auf betriebsbedingte Kündigungen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine Verweisung auf § 1 Abs. 3 KSchG ist in Abs. 4 EV unterblieben.

b) Zu den sachlichen, die Kündigung insgesamt rechtfertigenden Gründen nach Abs. 4 Ziff. 2 EV gehört auch die Frage der Verwendbarkeit und damit die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers. Die Bestimmung konkretisiert damit nicht etwa nur den Begriff der dringenden betrieblichen Erfordernisse, sondern stellt eine eigenständige und abschließende Regelung zur Rechtfertigung der Kündigung auch im Hinblick auf § 1 Abs. 3 KSchG dar. Das entspricht dem Zweck der Vorschrift, im vielfach überbesetzten öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR die Trennung von nicht mehr benötigten Arbeitnehmern zu erleichtern, Personal einzusparen und den raschen Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung zu gewährleisten. Wollte man in Abs. 4 Ziff. 2 EV nur eine Konkretisierung des § 1 Abs. 2 KSchG sehen, hätte es einer besonderen Regelung kaum bedurft. Zwar ist das Kündigungsschutzgesetz in Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 6 EV im Beitrittsgebiet mit bestimmten hier nicht weiter interessierenden Maßgaben in Kraft gesetzt worden. Gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 EV steht das einer Eigenständigkeit des Sonderkündigungsrechts in Abs. 4 EV aber nicht entgegen.

c) Findet danach § 1 Abs. 3 KSchG auf die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers bei der Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 EV keine Anwendung, so unterliegt die Auswahlentscheidung nicht etwa einem freien, der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Ermessen des Arbeitgebers. Vielmehr bleibt der Maßstab von Treu und Glauben bestehen, soweit es beim Kündigungsschutz an einer gesetzlichen Konkretisierung fehlt. Der Arbeitgeber darf daher im Rahmen des Abs. 4 EV nicht willkürlich handeln oder besonders schutzwürdige Arbeitnehmer vorrangig entlassen. Er muß seine einseitige, einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen und billiges Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) wahren. Insbesondere darf er nicht nur eigene Belange berücksichtigen. Bei Anwendung der Generalklauseln der §§ 242, 315 BGB sind das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zur Geltung zu bringen. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kann bei dem Massentatbestand der Bedarfskündigung nicht außer acht bleiben. Der öffentliche Arbeitgeber hat bei der Auswahl deshalb auch die sozialen Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Dienstliche Gründe und soziale Belange des Arbeitnehmers sind gegeneinander abzuwägen. Eine analoge Anwendung von § 1 Abs. 3 KSchG stellt das nicht dar.

d) Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips verbietet es nach Auffassung des Senats, dienstlichen Auswahlbelangen des Arbeitgebers eine Vorrangtendenz einzuräumen. Solche Belange sind vielmehr in die Abwägung der beiderseitigen Interessen einzustellen. Sie können je nach ihrem Gewicht dazu führen, daß einem nach sozialen Gesichtspunkten an sich schutzwürdigen Arbeitnehmer zu Recht gekündigt wird. Aufgabe der Gerichte ist es, das Gewicht einzelner dienstlicher Auswahlbelange im Verhältnis zu einer höheren sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers zu bestimmen. Fehlt es an der Darlegung konkreter dienstlicher Belange, so bleibt allein die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten.

e) Als zu berücksichtigende soziale Gesichtspunkte kommen wie bei § 1 Abs. 3 KSchG zunächst das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers in Betracht. Älteren Arbeitnehmern und solchen mit Unterhaltspflichten kommt ein höherer Schutz zu. Demgegenüber tritt die Bedeutung der Dauer der Betriebszugehörigkeit für den Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 2 EV deutlich zurück. Eine freie Wahl des Arbeitsplatzes bestand in der ehemaligen DDR praktisch nicht. Die Berufsausübung im Anschluß an die Ausbildung war weitgehend vorgegeben. Dem Gesichtspunkt der Betriebszugehörigkeit ist daher durch die Berücksichtigung des Lebensalters regelmäßig ausreichend Rechnung getragen.

f) Für die Darlegungs- und Beweislast ergeben sich ganz ähnliche Grundsätze wie bei § 1 Abs. 3 KSchG.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Umfang seiner materiellrechtlichen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG auf Verlangen des Arbeitnehmers auch im Kündigungsschutzprozeß die Gründe darzulegen, die ihn zu der getroffenen sozialen Auswahl veranlaßt haben. Im übrigen trägt der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, daß der Arbeitgeber bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (BAG Urteil vom 24. März 1983 – 2 AZR 21/82 – BAGE 42, 151, 160 f. = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B III 2 c der Gründe; Urteil vom 21. Juli 1988 – 2 AZR 75/88 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu II 2 a, b der Gründe; Urteil vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 580/88 – BAGE 62, 116, 125 f. = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 3 b aa der Gründe; Urteil vom 5. Mai 1994 – 2 AZR 917/93 – AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu II 3 b aa der Gründe).

bb) Auch einen etwaigen Verstoß gegen Treu und Glauben muß der Arbeitnehmer rügen. Ohne seine Behauptung, die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft getroffen worden, besteht kein Anlaß für den Arbeitgeber, auf diese Frage einzugehen. Der Arbeitgeber muß von sich aus nur die betrieblichen Gründe darlegen.

cc) Ist der Arbeitnehmer nicht in der Lage, substantiiert zur Auswahl Stellung zu nehmen, so muß der Arbeitgeber die Gründe für die getroffene Auswahl darlegen, wenn der Arbeitnehmer ihn hierzu auffordert. Das entspricht § 242 BGB. Allein der Arbeitgeber, der zwangsläufig die Auswahl getroffen hat, vermag vollständig hierzu vorzutragen. Der Arbeitnehmer kann die „innere Tatsache” der Auswahlentscheidung nicht kennen und müßte weitgehend „ins Blaue hinein” vortragen. An das Auskunftsverlangen sind keine hohen Anforderungen zu stellen.

dd) Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach, so hat letztlich der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen Treu und Glauben zu beweisen. Es geht zu seinen Lasten, wenn er die ungenügende Berücksichtigung sozialer Belange nicht beweisen kann.

2. Die Klägerin hat einen Verstoß gegen Treu und Glauben (§§ 242, 315 BGB) nicht dargelegt. Der Beklagte hat seiner Auswahl zutreffend die Verhältnisse im Schulamtsbezirk insgesamt, nicht getrennt nach jeder einzelnen Schule zugrunde gelegt. Er hat konkrete dienstliche Auswahlbelange nicht geltend gemacht, so daß allein soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen waren. Dem wird die Auswahlentscheidung gerecht.

a) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die Klägerin und der mit ihr vergleichbare Lehrer B. hätten in etwa die gleiche soziale Schutzbedürftigkeit aufgewiesen. In der Tat durfte der Beklagte bei dem geringfügig höheren Lebensalter von Herrn B. und der geringfügig längeren Beschäftigungsdauer der Klägerin von im wesentlichen gleichen Sozialdaten ausgehen. Weiterhin waren Familienstand und Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Die Auffassung, der Ledige sei hier schutzwürdiger als der Verheiratete, trifft nicht zu. Der Verheiratete hat zwar einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinem Ehegatten; andererseits ist er diesem gegenüber selbst zum Unterhalt verpflichtet (§§ 1360, 1360 a BGB). Demgegenüber hängt die Schutzbedürftigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, etwa von Stellung und Einkommen des Ehegatten (vgl. für § 1 KSchG nur KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 580 f; von Hoyningen-Huene, Kündigungsschutzgesetz, 11. Aufl., § 1 Rz 468 ff.; Herschel/Löwisch, Kündigungsschutzgesetz, 6. Aufl., § 1 Rz 226; Kittner/Trittin, KSchR, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 470, jeweils m.w.N.). Dazu haben die Parteien nichts vorgetragen. Die soziale Schutzbedürftigkeit beider Lehrer erscheint auch unter Berücksichtigung von Familienstand und Unterhaltspflichten im wesentlichen gleich.

Die Rüge der Klägerin, Herr B. sei sozial weniger schutzbedürftig gewesen, greift daher nicht durch. Auch im übrigen ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Allein eine im Ergebnis fehlerhafte Auswahlentscheidung kann die Unwirksamkeit der Kündigung bewirken. Eine willkürliche oder rechtsmißbräuchliche Auswahl ist im Streitfall nicht zu erkennen. Wenn der Beklagte im Prozeß geltend gemacht hat, der Lehrer B. sei als Lediger schutzbedürftiger als die Klägerin, so trifft das zwar so nicht zu, begründet aber auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben bei der Auswahlentscheidung. Der Beklagte hat nicht etwa bei gleicher sozialer Schutzbedürftigkeit generell zugunsten der Ledigen entschieden. Er hat zwar die (ihm nicht notwendig bekannte) soziale Absicherung der vergleichbaren Arbeitnehmer im Prozeß nicht abschließend dargestellt; Sache der Klägerin wäre es aber gewesen, die Auswahl konkret zu rügen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts mußte der Beklagte die Auswahl unter sozial gleichgestellten Arbeitnehmern nicht weiter begründen.

b) Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin hinsichtlich des Arbeitskollegen L. Die Parteien haben zu dessen Sozialdaten nichts vorgetragen. Die Klägerin stellt allein darauf ab, von der Kündigung sei hier mit Rücksicht auf die ebenfalls als Lehrerin beschäftigte und wegen mangelnden Bedarfs gekündigte Ehefrau abgesehen worden. Indes liegt darin kein unsachliches oder unangemessenes Vorgehen, weil die Kündigung beider im Schuldienst beschäftigter Ehegatten in jedem Fall eine besondere Härte darstellt. Diese Härte zu vermeiden, ist nicht nur aus sozialen Gründen regelmäßig geboten, sondern liegt auch im wohlverstandenen dienstlichen Interesse des Beklagten.

II.1. Das Landesarbeitsgericht hat zum mangelnden Bedarf nach Abs. 4 Ziff. 2 EV keine Feststellungen getroffen. Dies wird anhand der vom Beklagten für den Schulamtsbezirk vorgetragenen Daten nachzuholen sein. Für die Beurteilung ist die Situation im Schulamtsbezirk maßgebend, weil der Beklagte in diesem Rahmen Bedarf oder Überhang an einzelnen Schulen durch Versetzungen ausgleichen kann und muß. Die Bedarfslage an den einzelnen Schulen ist demgegenüber zufällig; sie vermittelt kein zutreffendes Bild des wirklichen Bedarfs beim Beklagten. Andererseits wäre eine ausschließlich landesweite Berechnung schon deshalb ungeeignet, weil der Beklagte die Lehrer nicht landesweit beliebig einsetzen kann (vgl. auch BAG Urteile vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 109/83 – BAGE 46, 191, 200 ff. = AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu C II, III der Gründe; vom 23. August 1984 – 2 AZR 390/83 – nicht veröffentlicht, zu III 2 der Gründe; vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 1 der Gründe).

2. Der Senat hat ebenso wie das Landesarbeitsgericht keine Bedenken dagegen, daß der Beklagte bei der Bestimmung der vorhandenen Kapazität an Fachlehrern einen Lehrer mit zwei Unterrichtsfächern jeweils mit einer halben Stelle berücksichtigt hat. Dem liegt die im Grundsatz nicht zu beanstandende Annahme zugrunde, ein Mehrfachlehrer unterrichte in seinen Fächern durchschnittlich in gleichmäßigem Umfang. Die Klägerin hat hiergegen keine schlüssigen Einwände vorgebracht.

3. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es sei nicht nachvollziehbar, warum gerade 17 Lehrer mit der Fächerkombination Geschichte/Sport entlassen werden sollten; daran sei jedoch kein Anstoß zu nehmen, weil der rechnerische Überhang an Lehrern in beiden Fächern jeweils mehr als 17 Stellen ausmache. Diese Begründung greift allerdings zu kurz. Um einem bestimmten Überhang an Fachlehrern gerecht werden zu können, muß der Beklagte nämlich alle betroffenen Fächerkombinationen angemessen berücksichtigen. Das hat schon das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Nur so wird das dienstliche Interesse gewahrt, Lehrer mit den verschiedenen Fächerkombinationen zu behalten. Und nur so kann die Auswahl insgesamt soziale Gesichtspunkte hinreichend berücksichtigen.

III. Ob der Wirksamkeit der Kündigung personalvertretungsrechtliche Gründe entgegenstehen, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine ausreichenden Feststellungen getroffen und ist auf diese Frage auch nicht weiter eingegangen.

1. Welche Personalvertretung ggf. zu beteiligen war, hängt davon ab, ob die streitgegenständliche Kündigung vom Kultusministerium, vertreten durch den Schulrat B., oder durch das Schulamt Rostock erklärt worden ist. Das Kündigungsschreiben läßt dies nicht eindeutig erkennen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 592/94 – n.v., das einen insoweit gleichgelagerten Fall betraf).

Nach der im Senatsurteil vom 22. Februar 1996 (– 8 AZR 1041/94 – AP Nr. 138 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) aufgezeigten Rechtslage, daß mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR I S. 255) untere staatliche Verwaltungsbehörden gebildet wurden, zu denen auch die Schulämter gehörten, wäre der Schulrat als Leiter der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde Schulamt anzusehen. Danach würde die Unterzeichnung mit dem Zusatz „im Auftrag” eine Vertretung des Kultusministeriums, nicht des Schulamts ausdrücken. Die insofern notwendigen tatsächlichen Feststellungen werden vom Berufungsgericht nachzuholen sein.

Hätte der Schulrat die Kündigung namens des Kultusministeriums erklärt, käme die Beteiligung der in diesem Falle zuständigen Personalvertretung „Hauptpersonalrat beim Kultusministerium” nicht in Betracht, weil dieses Gremium zur Zeit des Kündigungsausspruchs noch nicht gebildet worden war. Hätte der Schulrat die Kündigung hingegen als Amtsleiter der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde Schulamt erklärt, wäre der „Bezirkspersonalrat” zu beteiligen gewesen, wenn diese Personalvertretung beim Schulamt gebildet worden wäre. Der dem widersprechende Vortrag des Beklagten, die „Bezirkspersonalräte” seien bei den Ämtern für Volksbildung gebildet worden, läßt mangels zeitlicher Präzisierung nicht erkennen, ob der tatsächlich fungierende „Bezirkspersonalrat” nach den Bestimmungen des Personalvertretungsgesetzes der DDR gebildet wurde (vgl. hierzu Senatsurteil vom 29. August 1996 – 8 AZR 35/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B IV 1 der Gründe, m.w.N.).

2. Kommt das Landesarbeitsgericht in der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis, daß die Kündigung vom Schulamt erklärt worden ist und bei diesem ein gemäß den Bestimmungen des PersVG-DDR gebildeter Bezirkspersonalrat amtierte, wird es festzustellen haben, ob dieser vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß nach den §§ 82 Abs. 1, 79 Abs. 4 PersVG-DDR beteiligt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteile des Zweiten Senats vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1019/94 – AP Nr. 55 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 1026/94 – AP Nr. 35 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) ist eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Personalrats bereits dann gegeben, wenn die Dienststelle dem Personalrat die ihrerseits angestellten Auswahlüberlegungen mitgeteilt hat.

IV. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist in vollem Umfang aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht hat in Abhängigkeit von seiner erneuten Entscheidung zum Feststellungsantrag auch über den Weiterbeschäftigungsantrag neu zu befinden.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Mache, Harnack

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093069

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