Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlungen ohne Arbeitsleistung bei Antrag auf Arbeitslosengeld

 

Leitsatz (amtlich)

Meldet sich der Arbeitnehmer bei langjähriger und auf nicht absehbare Zeit fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Aussteuerung durch die Krankenkasse arbeitslos und beantragt die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 105a AFG, werden die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber so gelockert, daß keine Ansprüche auf die tariflichen Sonderzahlungen mehr bestehen.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bergbau; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus mit Anlagen vom 14. November 1989; Tarifvertrag über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau in der ab 1. Juli 1980 geltenden Fassung; Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau i.d.F. vom 3. August 1987; AFG §§ 101, 105a

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 16.05.1995; Aktenzeichen 9 Sa 1206/94)

ArbG Aachen (Urteil vom 12.08.1994; Aktenzeichen 2d Ca 30/94)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 16. Mai 1995 – 9 Sa 1206/94 – teilweise aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 12. August 1994 – 2d Ca 30/94 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

    • Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.781,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1993 zu zahlen.
    • Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • Die Kosten des Rechtsstreits trägt zu 2/3 der Kläger und zu 1/3 die Beklagte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab 1. September 1993 eine monatliche Energiebeihilfe sowie eine monatliche Treueprämie und Weihnachtsgeld für 1993 zu zahlen.

Der am 21. Februar 1952 geborene Kläger war seit dem 20. August 1979 bei der Beklagten als Elektrosteiger beschäftigt. Er ist verheiratet und wohnt in den Niederlanden.

Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft Tarifbindung die Tarifverträge des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus Anwendung. Die einschlägigen tariflichen Bestimmungen lauten auszugsweise wie folgt:

“Manteltarifvertrag vom 14. November 1989, gültig ab 1. Januar 1990

§ 4

II. Fürsorgepflicht

Der Arbeitgeber ist gehalten, um Arbeitnehmer, die durch Betriebsunfall oder Berufskrankheit in ihrer Erwerbstätigkeit beschränkt sind, besonders besorgt zu sein.

Anlage 7

zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus Hausbrand

  • Aktive Angestellte

13. (§ 37)

  • Holz und Kohlen sind den verheirateten Angestellten für ihren eigenen Bedarf in genügender Menge frei ans Haus oder gegen eine Gebühr frei ins Haus zu liefern.

  • Der Anspruch setzt voraus, daß der Haushalt, für den der Hausbrand beantragt wird, in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird.

21. (§ 44)

  • Nach §§ 37 und 41 bezugsberechtigte Angestellte, die keine oder nur eine eingeschränkte eigene Verwendung für Hausbrandkohlen haben, können an Stelle von Hausbrandkohlen eine Energiebeihilfe erhalten, und zwar

    • entweder als Teilablösung für 1, 2 oder 3 Tonnen
    • oder als Vollablösung für 8 Tonnen.
  • Die Höhe der Energiebeihilfe je Tonne wird für jedes Bezugsjahr zwischen den Tarifparteien festgelegt.
  • Die Energiebeihilfe wird in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt. …
  • Ausgeschiedene Angestellte

8. (§ 45)

  • Hausbrandkohlen erhalten auf Antrag:
    • Empfänger von Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, von Knappschaftsrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, von Knappschaftsruhegeld und Inhaber des Bergmannsversorgungsscheins mit weniger als 20jähriger Beschäftigung im deutschen Steinkohlenbergbau, sofern sie zuletzt mindestens fünf Jahre bei Mitgliedern des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau, des Unternehmensverbandes des Aachener Steinkohlenbergbaus, des Unternehmensverbandes des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus oder des Unternehmensverbandes Saarbergbau gearbeitet haben,
    • deren Witwen

      bei nachzuweisender Bedürftigkeit.

    • Angestellte, die im deutschen Steinkohlenbergbau einen Betriebsunfall erlitten oder sich eine Berufskrankheit zugezogen haben, um mindestens 50 Prozent erwerbsbeschränkt sind und vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufs- oder erwerbsunfähig werden, ohne Rücksicht auf die Dauer ihrer Beschäftigung,
    • deren Witwen

      ohne Prüfung der Bedürftigkeit.

9. (§ 46)

Die vorbezeichneten Bezugsberechtigten erhalten – ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Empfangs der Rentenleistung – die Hausbrandkohlen:

  • wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland einen eigenen Haushalt führen

12. (§ 49)

  • Die nach §§ 45 und 46 bezugsberechtigten Rentner, die nach dem 30. Juni 1976 aus der Bergbautätigkeit ausscheiden, und deren Witwen können auf Antrag anstelle ihres Anspruchs auf Hausbrandkohlen für das betreffende Bezugsjahr eine Energiebeihilfe für 3 Tonnen erhalten, sofern sie keine eigene Verwendung für Hausbrandkohlen haben. …
  • Die Höhe der Energiebeihilfe je Tonne entspricht der für aktive Angestellte abzüglich 8,-- DM.

Tarifvertrag

über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau

§ 1

Arbeiter, Tarifangestellte und Auszubildende erhalten eine Treueprämie nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen.

§ 2

Die Treueprämie ist eine vermögenswirksame Leistung im Sinne des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer in der Fassung vom 15. Januar 1975. Sie ist nach den Vorschriften dieses Gesetzes auszulegen.

§ 3

Die Treueprämie beträgt jährlich 624,-- DM. Teilzeitbeschäftigte erhalten entsprechend ihrer Beschäftigung eine anteilige Prämie.

§ 4

Die Treueprämie wird in vier gleich hohen Teilbeträgen jeweils im März, Juni, September und Dezember eines jeden Jahres gewährt (Fälligkeitsmonat).

§ 5

Anspruchsberechtigt für den jeweiligen Teilbetrag ist, wer an nachstehenden Terminen mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung in einem Arbeitsverhältnis oder Ausbildungsverhältnis im Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik gestanden hat:

§ 6

Der Anspruch auf den jeweiligen Teilbetrag entfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Fälligkeitsmonats

  • aufgrund eigener Kündigung aus dem Steinkohlenbergbau ausscheidet

    oder

  • sein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis unberechtigt vorzeitig löst

    oder

  • aus einem Grunde entlassen wird, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt.

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen erhält der Arbeitnehmer für jeden vollen Beschäftigungsmonat nach dem 31. Dezember, 31. März, 30. Juni bzw. 30. September ein Drittel des Teilbetrages.

§ 8

Der Arbeitgeber hat die Teilbeträge der Treueprämie jeweils bis zum Letzten des Fälligkeitsmonats an die vom Anspruchsberechtigten bezeichnete Stelle abzuführen.

Tarifvertrag

über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau

§ 1

Grundsatz

  • Arbeiter, Tarifangestellte und Auszubildende erhalten eine Jahresvergütung.
  • Als Bezugsgröße für die Jahresvergütung gilt

    • für Arbeiter und Tarifangestellte das Anfangsgehalt der Gehaltsgruppe 14 zuzüglich 10 %,
  • Die Jahresvergütung teilt sich auf in

    • Erholungsbeihilfe (§ 2)
    • Weihnachtsgeld (§ 3).

§ 2

Erholungsbeihilfe

  • Die volle Erholungsbeihilfe beträgt 300,-- DM. …

§ 3

Weihnachtsgeld

  • Das volle Weihnachtsgeld entspricht der Differenz zwischen 300,-- DM und der Bezugsgröße (§ 1 Abs. 2).

    Teilzeitbeschäftigte erhalten das Weihnachtsgeld anteilig entsprechend ihrer Beschäftigung.

  • Der Anspruch auf das Weihnachtsgeld besteht für Arbeitnehmer, die am 31. Dezember in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31. Dezember oder im laufenden Jahr zu einem späteren Zeitpunkt ist unschädlich, wenn hierfür nicht in der Person des Arbeitnehmers ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt.
  • Das volle Weihnachtsgeld erhalten Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis während des ganzen Kalenderjahres bestanden hat. Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis während des laufenden Kalenderjahres begonnen hat, erhalten für jeden vollen Beschäftigungsmonat ein Zwölftel des Weihnachtsgeldes.
  • Das Weihnachtsgeld wird im voraus im November ausgezahlt.
  • Wird das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung oder Kontraktbruch des Arbeitnehmers vor dem 31. März des folgenden Jahres beendet, so entfällt das Weihnachtsgeld, soweit es 100,-- DM übersteigt. Das gleiche gilt, wenn der Bezugsberechtigte vor dem genannten Zeitpunkt durch eigenes Verschulden aus einem Grunde entlassen wird, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Bereits geleistete Zahlungen sind entweder zurückzuerstatten oder können vom Arbeitsentgelt einbehalten werden.

Der Kläger ist seit dem 6. Mai 1988 aufgrund eines Arbeitsunfalls fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt. Bis zu seiner Aussteuerung am 10. März 1993 bezog er von der Bergbau-Berufsgenossenschaft Verletztengeld. Seit dem 11. März 1993 wird ihm von der Berufsgenossenschaft eine Teil-Verletztenrente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. gewährt. Vor dem Sozialgericht begehrt der Kläger eine Erhöhung dieser Rente.

Auf Wunsch des Klägers stellte ihm die Beklagte am 10. August 1993 eine Arbeitsbescheinigung gem. § 133 AFG zur Vorlage beim Arbeitsamt aus. Dem Kläger werden jedoch keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung gewährt, weil er seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat. Auch insoweit ist ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht anhängig.

Im August 1993 stellte die Beklagte die Zahlung der Energiebeihilfe und der Treueprämie mit der Begründung ein, sie sei seit dem Tag der Ausstellung der Arbeitsbescheinigung nicht mehr zur Leistungserbringung verpflichtet. Aus diesem Grunde zahlte sie auch kein Weihnachtsgeld mehr.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünden die tariflichen Leistungen unabhängig davon zu, daß er seit Mai 1988 keine Arbeitsleistung mehr erbracht habe.

Der Kläger hat zunächst beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  • ihm eine monatliche Energiebeihilfe in Höhe von 162,50 DM zu gewähren,
  • ihm eine monatliche Treueprämie in Höhe von 52,00 DM zu gewähren,
  • ihm eine Jahresvergütung in Höhe von 3.781,00 DM zu gewähren.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie ist der Ansicht, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) sei sie ab dem 10. August 1993 nicht mehr zur Zahlung verpflichtet, obwohl das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In der Berufungsinstanz hatte der Kläger schriftsätzlich folgende Anträge angekündigt:

Die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen,

  • ihm ab September 1993 eine monatliche Energiebeihilfe in Höhe von 162,50 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem jeweiligen 1. des Folgemonats zu zahlen,
  • ihm ab September 1993 eine monatliche Treueprämie in Höhe von 52,00 DM nebst 4 % Zinsen ab dem jeweiligen 1. des Folgemonats zu zahlen,
  • ihm eine Jahresvergütung für 1993 in Höhe von 3.781,00 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Dezember 1993 zu zahlen,
  • ihm Jahresvergütung für 1994 in Höhe von 2.500,00 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Dezember 1994 zu zahlen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zu Protokoll erklärt, den Antrag zu 4) “wolle er nicht stellen”.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet, soweit die Beklagte in den Vorinstanzen verurteilt worden ist, an den Kläger die mit der Klage begehrte Energiebeihilfe und die Treueprämie zu zahlen. Im übrigen ist die Revision der Beklagten unbegründet, soweit sie zur Zahlung der Jahresvergütung 1993 verurteilt worden ist. Der Kläger hat einen tarifvertraglichen Anspruch auf die Jahresvergütung 1993.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dem Kläger stünden die Energiebeihilfe, die Treueprämie und die Jahresvergütung nach den tariflichen Regelungen zu. Die Tarifvorschriften stellten allein auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ab. Es komme auch nicht darauf an, welche Erklärungen die Beklagte gegenüber dem Arbeitsamt abgegeben habe. Nach dem Manteltarifvertrag vom 14. November 1989 treffe die Beklagte eine gesteigerte Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger, weil dessen langjährige Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall beruhe. Die in der Entscheidung vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) aufgestellten Rechtsgrundsätze seien nicht einschlägig. Im übrigen sei nicht auszuschließen, daß der Kläger bei entsprechender Wiederherstellung seiner Gesundheit eine Tätigkeit über Tage verrichten könne.

Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nur teilweise im Ergebnis gefolgt werden; im übrigen halten sie der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

II. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung der Jahresvergütung (Weihnachtsgeld) nach dem Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresvergütung verlangen; insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Ersturteil zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Energiebeihilfe und der Treueprämie; insoweit ist seine Klage zurückzuweisen.

Der vom Kläger in der Berufungsinstanz angekündigte Antrag auf Zahlung der Jahresvergütung für 1994 ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der Treueprämie nach dem Tarifvertrag über die Gewährung einer Treueprämie ab dem 1. September 1993. Anspruchsberechtigt für den jeweiligen Teilbetrag der Treueprämie sind nach § 5 des Tarifvertrags diejenigen Arbeiter, Tarifangestellten und Auszubildenden, die am 31. Dezember, 31. März, 30. Juni, 30. September mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung in einem Arbeitsverhältnis im Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik gestanden haben. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger für die ab September 1993 fällig werdenden Teilbeträge der Treueprämie nicht, da er am 30. Juni 1993 nicht in einem Arbeitsverhältnis im Sinne des Tarifvertrags über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau gestanden hat.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten bestand zwar auch im gesamten Kalenderjahr 1993 ungekündigt fort. Der Kläger gehörte dem Betrieb der Beklagten auch mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung an. Auch der Umstand, daß der Kläger seit seinem Betriebsunfall 1988 aufgrund seiner fortdauernden Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung erbracht hat, steht nicht entgegen. Der Tarifvertrag über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau setzt eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht voraus. Das folgt aus der Auslegung des Tarifvertrages – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – nach dem Tarifwortlaut, dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien, dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen sowie dem tariflichen Gesamtzusammenhang.

Seit seiner Entscheidung vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation) geht der Senat davon aus, daß eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer Sonderzahlung im einzelnen bestimmen könne, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen und daß über solche Bestimmungen hinaus der Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden kann, Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung sei auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum. Der Senat hat in der Folgezeit an diesen Grundsätzen festgehalten (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation).

Nach dieser Rechtsprechung läßt sich auch dem Tarifvertrag über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau nicht entnehmen, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Voraussetzung für den Anspruch auf die Treueprämie ist.

Gleichwohl steht dem Kläger ein Anspruch auf die tarifliche Treueprämie ab September 1993 nicht zu. Ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Tarifvertrags über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau kann aufgrund der tatsächlichen Umstände nicht mehr angenommen werden.

Der Kläger hat sich, obwohl sein Arbeitsverhältnis noch nicht beendet war, im August 1993 beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt. Die Beklagte hat ihm hierzu auf seinen Wunsch die erforderliche AFG-Bescheinigung zur Verfügung gestellt. Nach § 100 AFG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer u.a. arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat. Arbeitslos ist nach § 101 AFG schon ein Arbeitnehmer, der u.a. vorübergehend nicht in einem “Beschäftigungsverhältnis” steht. Das hier genannte Beschäftigungsverhältnis ist nicht mit dem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen. Ein Arbeitnehmer kann auch dann “nicht in einem Beschäftigungsverhältnis” stehen, wenn sein Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen Arbeitskraft nicht mehr beansprucht – etwa nach einer unwirksamen Kündigung – oder wenn der Arbeitnehmer diese Verfügungsgewalt nicht länger anerkennt oder, wenn der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers – gleich aus welchen Gründen – nicht mehr verfügen will (BAG Urteile vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation; vom 9. August 1995 – 10 AZR 944/94 – n.v.). Daß der Arbeitnehmer – wie hier der Kläger – der Arbeitsvermittlung wegen seiner nicht nur vorübergehenden Minderung der Leistungsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung steht, ist nach § 105a AFG ohne Bedeutung. Der Arbeitnehmer kann gleichwohl Arbeitslosengeld erhalten, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, daß auch dann, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber rechtlich noch nicht beendet ist, Arbeitslosengeld beantragt und erhält, das Arbeitsverhältnis durch diesen versicherungsrechtlichen Vorgang nicht berührt wird, insbesondere rechtlich nicht beendet wird (BAG Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation).

Gleichwohl können durch diese tatsächlichen Umstände die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelokkert werden, die die Annahme rechtfertigt, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des für die Sonderzahlung maßgeblichen Tarifvertrags nicht mehr vorliegt.

Derjenige Arbeitnehmer, der lange Zeit arbeitsunfähig krank ist, von der Krankenkasse ausgesteuert wurde und der mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit kaum rechnet, beantragt Arbeitslosengeld nicht deshalb, um die Zeit bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu überbrücken, sondern für die Zeit, bis ihm eine Rente wegen Berufsoder Erwerbsunfähigkeit bewilligt wird. Für ihn ist das bestehende Arbeitsverhältnis letztlich ohne wirtschaftliche Bedeutung. Auch der Arbeitgeber, der die AFG-Bescheinigung ausstellt, um dem Arbeitnehmer den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen, geht dabei in der Regel ebenfalls davon aus, daß zumindest von diesem Zeitpunkt an eine Wiederbelebung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Frage kommen wird. Das gleichwohl rechtlich noch fortbestehende Arbeitsverhältnis ist daher nur noch formaler Natur und nicht mehr Grundlage irgendwelcher fortbestehender Bindungen der Parteien an dieses Arbeitsverhältnis. Ein solches nur noch formal fortbestehendes Arbeitsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Tarifvertrags über die Gewährung einer Treueprämie im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger durch seine Arbeitslosmeldung – auch gegenüber der Beklagten – zu erkennen gegeben, daß er seine Arbeitsverpflichtung wegen seiner krankheitsbedingten und nicht nur vorübergehenden Minderung der Leistungsfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansieht. Dies hat der Kläger der Beklagten gegenüber dadurch kundgetan, daß er diese um die Erstellung einer AFG-Bescheinigung gebeten hat, aus der ersichtlich wurde, daß seine “Beschäftigung” wegen seiner Erkrankung beendet sei, damit er Arbeitslosengeld beziehen könne. Die Beklagte, die ihrerseits die AFG-Bescheinigung ausgestellt hat, hat damit auf die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Kläger verzichtet.

Durch diese tatsächlichen Umstände werden die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert, die die Annahme rechtfertigt, daß ein Arbeitsverhältnis, wie es der Tarifvertrag über die Gewährung einer Treueprämie im rheinischwestfälischen Steinkohlenbergbau für die Leistung der Treueprämie voraussetzt, jetzt nicht mehr besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung auf Zahlung des Arbeitslosengeldes bereits mehr als fünf Jahre arbeitsunfähig krank war.

Der Wiedereinstellungsanspruch des § 5 Abs. 6 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus für den Fall einer zeitlich befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente steht dem nicht entgegen. Im Gegensatz zu der in § 5 Abs. 6 des Manteltarifvertrags geregelten Situation ist im vorliegenden Fall das Arbeitsverhältnis nicht formell beendet worden, so daß ein Wiedereinstellungsanspruch nicht in Frage kommt.

Der Kläger kann daher – entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen – die Zahlung der tariflichen Treueprämie ab September 1993 nicht verlangen.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung der tariflichen Energiebeihilfe nach Anlage 7 zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus, weil auch insoweit davon auszugehen ist, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne der Anlage 7 zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus nicht mehr besteht. Wie unter II 1 dargestellt, sind durch die Beantragung von Arbeitslosengeld durch den Kläger die rechtlichen Bindungen zwischen dem Kläger und der Beklagten in einer Art und Weise gelockert worden, die es rechtfertigt, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, das für den Bezug der Energiebeihilfe eines aktiven Angestellten nach Anlage 7 zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus erforderlich wäre, nicht mehr vorliegt.

Soweit der Anspruch auf die monatliche Energiebeihilfe nach Anlage 7 zum MTV Hausbrand weiter voraussetzt (Ziff. 13 – § 37 – Abs. 3), daß der Kläger seinen Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland führt, könnte sich die Beklagte jedoch hierauf nicht stützen, da sie auch in der Vergangenheit (bis einschließlich August 1993) an den Kläger Energiebeihilfe gezahlt hat, obwohl dieser bereits damals in den Niederlanden wohnte.

Ob der Kläger als ausgeschiedener Arbeiter der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der monatlichen Energiebeihilfe hätte (nach Anl. 7 zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus, Abschn. II. 1. Ziff. 1 ≪§ 100≫ bei nachzuweisender Bedürftigkeit bzw. bei einer Erwerbsbeschränkung um mindestens 50 % ohne Prüfung der Bedürftigkeit), ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Revision der Beklagten ist daher hinsichtlich der Zahlung der Treueprämie und der monatlichen Energiebeihilfe begründet, die Klage ist insoweit abzuweisen.

3. Der Kläger kann von der Beklagten aber die Zahlung der Jahresvergütung (Weihnachtsgeld) nach dem Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau verlangen. Insoweit ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich jedoch nicht aus § 3 Abs. 2 des Tarifvertrags über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau. Der Kläger stand zwar am 31. Dezember in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten; die Auslegung des Tarifvertrags über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau ergibt auch, daß dieser Tarifvertrag eine tatsächliche Arbeitsleistung für die Zahlung des Weihnachtsgeldes nicht voraussetzt. Wie unter II 1 dargestellt, sind durch die Antragstellung des Klägers auf Zahlung von Arbeitslosengeld unter Vorlage einer von der Beklagten ausgestellten AFG-Bescheinigung die rechtlichen Bindungen zwischen dem Kläger und der Beklagten jedoch in einer Art und Weise gelockert, die es rechtfertigt anzunehmen, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 3 Abs. 2 des Tarifvertrags über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau nicht mehr besteht.

Der Kläger hat jedoch nach § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes 1993. Sind die rechtlichen Bindungen des Klägers zur Beklagten durch die Beantragung von Arbeitslosengeld so gelockert, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Tarifvertrags nicht mehr anzunehmen ist, so muß dieser Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Zuerkennung des Altersruhegeldes, der Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder der Knappschafts-Ausgleichsleistung gleich behandelt werden. Für diese Fälle sieht § 3 Abs. 4 erster Spiegelstrich des Tarifvertrags aber die Zahlung des vollen Weihnachtsgeldes vor, wenn das Beschäftigungsverhältnis im laufenden Kalenderjahr mindestens drei Monate bestanden hat. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger. Von einer Lockerung bzw. Beendigung seines Arbeitsverhältnisses kann erst mit der Antragstellung auf Zahlung von Arbeitslosengeld im August 1993 ausgegangen werden. Der Kläger hat daher im Jahre 1993 mindestens drei Monate im Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage daher in Höhe des Weihnachtsgeldes 1993 von 3.781,00 DM brutto stattgegeben. Insoweit ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und richtet sich nach dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen im Rechtsstreit.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Jobs, Hauck, Brose, Tirre

 

Fundstellen

Haufe-Index 872457

NZA 1997, 498

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