Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung bei freiwilliger Leistung als "Motivationszulage"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber, der aus Anlaß einer Umstrukturierungsmaßnahme als Motivationsanreiz eine freiwillige Leistung gewährt, dabei diejenigen Arbeitnehmer ausnimmt, die bereits eine höhere Vergütung als vergleichbare Arbeitnehmer der übrigen Belegschaft beziehen und in einem Betriebsteil arbeiten, der wegen Unwirtschaftlichkeit stillgelegt werden soll.

2. Der entsprechende Differenzierungsgrund ist nicht allein deshalb als unsachlich zu werten, weil bei Beginn der Leistungsgewährung das Mitbestimmungsverfahren über die Teilbetriebsstillegung (§§ 111, 112 BetrVG) noch nicht abgeschlossen war.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 242; BetrVG §§ 111-112

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 20.06.1997; Aktenzeichen 11 Sa 369/97)

ArbG Krefeld (Urteil vom 31.01.1997; Aktenzeichen 5 (2) Ca 1453/96)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Juni 1997 - 11 Sa 369/97 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger eine Lohnerhöhung beanspruchen kann.

Die Beklagte betreibt ein Speditions- und Transportunternehmen mit bundesweiten Niederlassungen. Der Kläger war in der Niederlassung Krefeld als Fernfahrer tätig. Er erhielt zuletzt eine monatliche Bruttovergütung von 4.030,-- DM sowie eine Einsatzpauschale von 45,-- DM pro Tag abzüglich der tatsächlich zu zahlenden Spesen. Die Beklagte beschäftigte in der Niederlassung Krefeld insgesamt 16 Fernfahrer, daneben eine nicht näher festgestellte Anzahl von Mitarbeitern im sonstigen gewerblichen und kaufmännischen Bereich (Spedition, Lagerung, Auslieferung).

Nach Verlusten im Güterfernverkehr stellte die Beklagte im Sommer 1995 Überlegungen an, die Kosten in diesem Bereich durch Einsparungen zu senken. Sie schlug den Betriebsräten der Niederlassungen vor, daß sämtliche Fernfahrer (unternehmensweit ca. 110 Mitarbeiter) auf die Einsatzpauschale verzichten sollten. Alternativ stellte sie die Einstellung des Bereichs Fernverkehr in Aussicht. Da die Betriebsräte eine Streichung der Pauschale ablehnten, entschied sich die Beklagte für die Stillegung des eigenen Güterfernverkehrs.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 informierte die Geschäftsleitung den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden darüber, daß die Stillegung des Fernverkehrs nunmehr bis zum 30. Juni 1996 geplant sei; sie werde Anfang des Jahres 1996 beginnen, mit den lokalen Arbeitnehmervertretungen Verhandlungen über den Abschluß von Interessenausgleichen und Sozialplänen aufzunehmen. Die Mitarbeiter der Beklagten wurden durch einen Aushang vom 19. Dezember 1995 entsprechend informiert.

Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan wurden erstmals am 5. März 1996 geführt. Am 5. Juni 1996 wurden zwischen Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat ein Interessenausgleich und ein Sozialplan vereinbart. Danach war vorgesehen, schrittweise bis zum 30. September 1996 alle Betriebsteile stillzulegen, in denen Fernverkehr betrieben wurde.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 12. August 1996 zum 28. September 1996. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage ist zwischenzeitlich erledigt; der Kläger ist zum vorgesehenen Termin aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Nach den Angaben der Beklagten hat er aus dem Sozialplan eine Abfindung von 78.328,-- DM zu beanspruchen.

Zum 1. Februar 1996 gewährte die Beklagte erstmals nach drei Jahren ihren Mitarbeitern wieder eine Lohnerhöhung, von der sie allerdings alle Fernfahrer ausnahm. Die Löhne wurden unterschiedlich erhöht; im gewerblichen Bereich lag der Durchschnitt nach Angaben der Beklagten bei 4 %, der Höchstsatz betrug 11,1 %.

Mit seiner am 10. Mai 1996 erhobenen Klage hat der Kläger eine monatliche Lohnerhöhung von 4 % geltend gemacht. Er hat zunächst vorgetragen, die Beklagte habe eine Summe von 4 % der Gehälter und Löhne aller Mitarbeiter - ausgenommen die Fernfahrer - ermittelt und diese als sog. Motivationszulage individuell auf die in Betracht kommenden Mitarbeiter verteilt. Zuletzt hat er behauptet, alle Arbeitnehmer außer den Fernfahrern hätten eine Lohnerhöhung von mindestens 4 % erhalten. Er habe ebenfalls Anspruch darauf. Dies folge schon aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Absicht, den Fernverkehr stillzulegen, sei kein sachlicher Grund gewesen, ihn und die anderen Fernfahrer von der allgemeinen Lohnerhöhung auszunehmen.

Die Beklagte habe die beabsichtigte Maßnahme der Stillegung des Fernverkehrs auch deshalb nicht als Grund für eine Schlechterstellung berücksichtigen dürfen, weil sie im Zeitpunkt der Lohnerhöhung noch nicht berechtigt gewesen sei, endgültig über die Stillegung zu entscheiden. Sie habe bis dahin weder die örtlichen Betriebsräte noch den Gesamtbetriebsrat ordnungsgemäß beteiligt, wozu sie nach den §§ 111, 112 BetrVG verpflichtet gewesen sei.

Der Kläger hat weiter die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Lohnerhöhung ergebe sich auch aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Der Niederlassungsleiter habe nämlich erklärt, bei den Fernfahrern werde die Vergütungserhöhung auf die tägliche Einsatzpauschale verrechnet. Schließlich hat der Kläger gemeint, die Beklagte habe gegen § 612 a BGB verstoßen, weil die Herausnahme der Fernfahrer aus der allgemeinen Lohnerhöhung eine Maßregelung gewesen sei wegen der Weigerung, auf die Einsatzpauschale zu verzichten.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 1. Februar 1996 zusätzlich zu seiner bisherigen Vergütung eine monatliche Vergütungserhöhung von 161,20 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie sieht keinen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Geschäftsleitung habe sich Ende 1995 entschieden, denjenigen Mitarbeitern, die man auch in Zukunft benötigte, um das Kerngeschäft weiterzuführen, einen Anreiz zu bieten. Die Lohnerhöhung sei daher als außertarifliche Sonderzahlung zur Unterstützung der Motivation bezeichnet worden. Bei den gewerblichen Arbeitnehmern habe sie im Durchschnitt bei ca. 4 % gelegen; der Höchstsatz habe 11,1 % betragen. Neben den Fernfahrern hätten im gewerblichen Bereich auch drei weitere Mitarbeiter keine Lohnerhöhung erhalten. Im kaufmännischen Bereich habe der Durchschnitt bei 2,4 % gelegen; auch hier seien drei Mitarbeiter leer ausgegangen.

Die Fernfahrer seien wegen der zu diesem Zeitpunkt schon beschlossenen Stillegung des Bereichs Güterfernverkehr von der Lohnerhöhung ausgenommen worden. Ihre Bezüge hätten insgesamt ohnehin deutlich über Tarifniveau gelegen. Das sei der Grund, weshalb zunächst versucht worden sei, durch Wegfall der Einsatzpauschale Einsparungen zu erzielen. Die Gesamtbezüge hätten auch deutlich über den Konditionen im - weitergeführten - Speditionsbereich gelegen. Entscheidend für die Differenzierung sei ihr Beschluß gewesen, den Bereich Güterfernverkehr stillzulegen. Es sei damals klar gewesen, daß vor dessen Umsetzung noch ordnungsgemäß über Interessenausgleich und Sozialplan mit den Betriebsräten verhandelt werden mußte, wie dies dann auch geschehen sei.

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG komme nicht in Betracht; jedenfalls könne der Kläger aus einer unterbliebenen Beteiligung keinen individualrechtlich sonst nicht begründeten Anspruch ableiten. Ein Verstoß gegen § 612 a BGB liege nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat den geltend gemachten Anspruch auf Lohnerhöhung zu Recht als unbegründet angesehen.

1. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern gleichzubehandeln, soweit sie sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden. Verboten ist nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern vor allem eine sachfremde Gruppenbildung. Trotz des Vorrangs des Grundsatzes der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Bereich der Vergütung anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder bestimmte Zwecke festlegt. Sachfremd ist eine Differenzierung dann, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Liegt ein solcher Grund nicht vor, kann der übergangene Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der allgemeinen Regelung behandelt zu werden (vgl. nur BAG Urteil vom 15. November 1994 - 5 AZR 682/93 - BAGE 78, 272 = AP Nr. 121 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 23. August 1995 - 5 AZR 293/94 - BAGE 80, 354 = AP Nr. 134 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

b) Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Es hat einen sachlichen Grund für die Differenzierung zwischen der Gruppe der Fernfahrer und den anderen Mitarbeitern darin gesehen, daß die Beklagte den im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmern einen Anreiz in Form einer Motivationszulage bieten wollte. Diese Zweckbegrenzung müßten die nach der Umstrukturierungsmaßnahme künftig ausscheidenden Arbeitnehmer hinnehmen. Dem ist zu folgen.

aa) Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei in der Bestimmung des Zwecks, den er mit einer bestimmten Leistung verfolgen will. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts diente die Erhöhung der Löhne und Gehälter der Motivierung derjenigen Mitarbeiter, mit denen der Betrieb nach der Stillegung des Fernverkehrs fortgesetzt werden sollte. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Gewährung von Leistungen mit dem Ziel, eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern zu halten, auf die der Arbeitgeber besonders angewiesen ist, eine Differenzierung sachlich rechtfertigen kann (vgl. etwa BAG Urteil vom 25. August 1982 - 5 AZR 107/80 - BAGE 39, 336 = AP Nr. 53 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 20. November 1996 - 5 AZR 645/95 - BAGE 84, 331 = AP Nr. 31 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung).

bb) Die Beklagte hat allerdings keine gesonderten Zulagen ausgewiesen, sondern das Arbeitsentgelt selbst erhöht. Dies steht einer Differenzierung aber nicht grundsätzlich entgegen. Richtig ist, daß dann, wenn mit der Entgelterhöhung ein allgemeiner Zweck verfolgt wird - etwa der Ausgleich des allgemeinen Anstiegs der Lebenshaltungskosten -, eine Differenzierung zwischen im Betrieb verbleibenden und ausscheidenden Arbeitnehmern regelmäßig unsachlich sein wird. Dies gilt insbesondere bei rückwirkenden Lohnerhöhungen hinsichtlich bereits ausgeschiedener Arbeitnehmer. Insoweit ist davon auszugehen, daß der Lohn sich grundsätzlich nach der erbrachten Arbeitsleistung zu richten hat und nicht davon abhängt, ob ein Arbeitnehmer über ein bestimmtes Datum hinaus im Betrieb verbleibt (vgl. etwa BAG Urteil vom 4. Februar 1976 - 5 AZR 83/75 - BAGE 28, 14 = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 10. März 1982 - 4 AZR 540/79 - BAGE 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

Um eine solche auf allgemeine Zwecke gerichtete Lohnerhöhung geht es hier aber gerade nicht. Das ergibt sich schon aus der festgestellten Charakterisierung als der "Motivationszulage". Zwar ist letztlich mit jeder Lohnerhöhung auch ein Motivationsimpuls verbunden. Es mag daher zweifelhaft sein, ob bei einer linearen Anhebung der Arbeitsentgelte aller im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer die entsprechende Behauptung allein ausreichte, eine hinreichende sachliche Differenzierung darzulegen. Die Beklagte hat aber unstreitig keine lineare Anhebung in diesem Sinne vorgenommen. Sie hat vielmehr sowohl im gewerblichen wie im kaufmännischen Bereich die Arbeitsentgelte in unterschiedlicher Höhe angehoben; im gewerblichen Bereich bis zu 11,1 %. Dies wird auch vom Kläger nicht bestritten; streitig ist allein, ob mindestens 4 % gewährt wurden oder ob nur der Durchschnitt bei 4 % lag. Nicht bestritten ist weiter, daß die Beklagte sowohl im gewerblichen Bereich wie im kaufmännischen Bereich jeweils drei Mitarbeiter von einer Lohnerhöhung ganz ausgenommen hat. Auch dies belegt, daß es sich nicht um eine allgemeine Erhöhung der Löhne handelte. Für den besonderen Zweck der Lohnerhöhung spricht schließlich, daß es nicht um eine im regelmäßigen Turnus anfallende Erhöhung ging. Unstreitig hatte die Beklagte seit drei Jahren keine Lohnerhöhung mehr gewährt. Die Lohnbewegung war also nicht programmgemäß, sondern durch die Umstrukturierung veranlaßt.

cc) Die Heranziehung als Sachgrund für die Differenzierung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Stillegung des Güterfernverkehrs auf den eigenen Entschluß der Beklagten zurückging, sie also selbst die Verunsicherung der Belegschaft verursacht hatte, der sie mit ihrer Motivationszulage nun begegnen wollte. Die Stillegung lag grundsätzlich in ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Die Entscheidung war im übrigen auch nachvollziehbar. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren im Bereich Güterfernverkehr in der Vergangenheit Verluste entstanden. Die Beklagte hatte deshalb zunächst eine Alternativlösung zur Stillegung vorgeschlagen, nämlich die Streichung der täglichen Einsatzpauschale. Als dies nicht möglich war, hat sie alle Fernfahrer ausgenommen; es ist also nicht die gleiche Arbeitsleistung unterschiedlich bewertet worden. Schließlich hat die Beklagte auch unwidersprochen darauf hingewiesen, daß die Gesamtkonditionen der Fernfahrer im Verhältnis zum Tarifniveau deutlich günstiger waren als die der fortgeführten Bereiche; dies habe die Entscheidung mitbeeinflußt, den Bereich ganz stillzulegen, nachdem Einsparungen im Lohnbereich nicht durchsetzbar gewesen seien.

2. Der Beklagten war die Differenzierung nicht deshalb verwehrt, weil zum Zeitpunkt der Lohnerhöhung das Mitbestimmungsverfahren gem. §§ 111, 112 BetrVG noch nicht durchgeführt war. Auch insoweit ist dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis zuzustimmen.

a) Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die von der Revision mit Verfahrensrügen nicht angegriffen wurden, hatte die Beklagte im Dezember 1995 den endgültigen Entschluß gefaßt, den Güterfernverkehr stillzulegen. Die Mitarbeiter waren durch Aushang vom 19. Dezember 1995 darüber informiert worden. Die Beklagte hatte darauf hingewiesen, daß Verhandlungen mit den Betriebsräten wegen des Abschlusses von Interessenausgleichen und Sozialplänen aufgenommen werden sollten. Die ersten Verhandlungen fanden am 5. März 1996 statt. Am 5. Juni 1996 wurden ein Interessenausgleich und ein Sozialplan mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossen. Die Stillegung wurde hierin schrittweise bis spätestens zum 30. September 1996 vereinbart. Richtig ist danach, daß im Februar 1996, als die Lohnerhöhung umgesetzt wurde, das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG noch durchzuführen war.

b) Die Offenheit des betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens hinderte die Beklagte jedoch nicht, die beabsichtigte Stillegung bei ihrer Lohngestaltung zu berücksichtigen und als Differenzierungsgrund anzusehen.

aa) Entscheidend ist, daß die Beklagte im Februar 1996 die Betriebsänderung anstrebte. Sie durfte deshalb auch den Zweck der Lohnerhöhung bereits an dieser Planung ausrichten. Die Erhöhung der Löhne selbst war keine Betriebsänderung und auch nicht deren Beginn. Die mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung lag vielmehr allein in der Stillegung des Güterfernverkehrs. Sie wurde unstreitig erst nach Abschluß von Interessenausgleich und Sozialplan begonnen und ohne Verletzung des Mitbestimmungsrechts durchgeführt.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Lohnerhöhung eine von der Betriebsänderung zu trennende unternehmerische Entscheidung war, für welche die Betriebsänderung nur ein Motiv bildete. Sie setzte die Teilstillegung als Tatsache voraus, die dann auch programmgemäß eintrat. Dieser mittelbare Zusammenhang reicht nicht aus, der Beklagten die Berücksichtigung der zu erwartenden Änderungen erst zu gestatten, nachdem die Stillegung unter Beteiligung des Betriebsrats abgeschlossen worden war. Wenn die Planung allerdings später geändert worden wäre, sei es aus eigenem Entschluß, sei es unter dem Einfluß der Verhandlungen mit dem Betriebsrat, hätte sich die Frage gestellt, ob die Differenzierung aufrechterhalten werden könnte. Dieser Fall ist hier jedoch nicht eingetreten.

bb) Diese Sichtweise führt nicht zu einer Schwächung der Rechte des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG. Mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung war allein die Stillegung. Auf sie bezogen war das Mitbestimmungsrecht einzuhalten und ist es auch eingehalten worden. Beratung und Verhandlung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat wurden nicht deshalb sinnlos oder schwieriger, weil die Beklagte die geplante Stillegung bereits bei der Lohnerhöhung als Differenzierungskriterium berücksichtigt hatte. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich dienen zwar nicht nur der Klärung, wann und in welcher Form die vorgesehene unternehmerische Maßnahme abgewickelt werden soll, sondern auch, ob sie überhaupt durchgeführt werden soll (vgl. etwa Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1987 - 1 ABR 9/86 - BAGE 56, 270, 283 = AP Nr. 41 zu § 112 BetrVG 1972, zu B II 1 a der Gründe). Diese Entscheidung wurde aber durch die Lohngestaltung nicht zwingend vorweggenommen. Trotz der zweckgebundenen "Motivationszulage" blieben durchaus Lösungen denkbar, die unter entsprechender Berücksichtigung der den Stillegungsbeschluß auslösenden wirtschaftlichen Erwägungen des Arbeitgebers eine Fortführung des betroffenen Betriebsteils doch noch ermöglicht hätten. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich wurden nicht etwa inhaltsleer, weil es nichts mehr zu verhandeln gegeben hätte - einmal abgesehen davon, daß der Schwerpunkt hier ohnehin eher auf dem Wie und Wann der geplanten Betriebsänderung gelegen haben wird.

c) Daraus folgt, daß der Kläger die Lohnerhöhung auch nicht als Nachteilsausgleich im Sinne des Ausgleichs sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gem. § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 BetrVG verlangen kann, worauf er sich erstmals in der Revisionsbegründung berufen hat. Mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung war die Stillegung des Bereichs Güterfernverkehr. Sie ist erst nach Abschluß des Interessenausgleichs erfolgt. Die damit nur in mittelbarem Zusammenhang stehende Lohnerhöhung bzw. die unterbliebene Lohnerhöhung stellen keine Betriebsänderung und auch nicht den Beginn einer Betriebsänderung dar, wie bereits ausgeführt wurde.

3. Der Kläger kann seinen Anspruch schließlich nicht darauf stützen, daß die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mißachtet habe. Hierauf ist er in der Revision auch nicht zurückgekommen, nachdem er schon in der Berufung den entsprechenden Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht mehr entgegengetreten war. Die Beklagte hat keine dem Kläger zustehende Lohnerhöhung mit Zulagen verrechnet. Sie hat den Kläger bei der Gewährung von Lohnerhöhungen überhaupt nicht berücksichtigt. Ob die - beschränkte - Erhöhung der Löhne als solche wegen der Schaffung neuer Verteilungsgrundsätze nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig war, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Auch wenn man dies bejaht und der Betriebsrat nicht entsprechend beteiligt worden sein sollte, könnte hieraus allein kein Zahlungsanspruch erwachsen, der bisher nicht bestand (Senatsurteil vom 20. August 1991 - 1 AZR 326/90 - AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).

4. Der Kläger beruft sich - wie schon in der Berufungsinstanz - nicht mehr auf einen Verstoß gegen § 612 a BGB. Eine unzulässige Maßregelung in diesem Sinne ist auch nicht ersichtlich. Die Entscheidung der Beklagten, den Betriebsteil Güterfernverkehr stillzulegen, nachdem die Senkung der Kosten durch eine Vereinbarung über die Absenkung der Bezüge in rechtlich zulässiger Weise nicht erreicht werden konnte, lag im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Die Beschränkung der Lohnerhöhung auf die Arbeitnehmer des fortgeführten Betriebsbereichs hat unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks und der Einzelheiten ihrer Durchführung nicht den Charakter einer Maßregelung.

 

Unterschriften

Dieterich Wißmann Rost zugleich für den Ehrenamtlichen Richter Prof. Dr. Wohlgemuth, der durch Urlaub verhindert ist. Giese

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 10.03.1998 durch Bartel, Reg.-Hauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436327

BB 1998, 1956

BB 1998, 2213

DB 1998, 2372

NJW 1999, 382

ARST 1998, 219

FA 1998, 356

NZA 1998, 1297

RdA 1998, 378

SAE 1999, 233

ZAP 1998, 1034

ZTR 1998, 519

AP, 0

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