Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Arbeiterkündigungsfristen

 

Leitsatz (redaktionell)

Wenn die Tarifpartner bei einer Kündigungsfristenregelung in nicht verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, ist die dadurch entstandene Lücke durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, dh es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen.

 

Orientierungssatz

1. Hinweise des Senats: "Schlußurteil zum Teilurteil vom 21. März 1991 (AP Nr 29 zu § 622 BGB) nach dem Inkrafttreten des KündFG".

2. Auslegung des § 13 Ziffer 9 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 622; GG Art. 3 Abs. 1; KündFG Art. 2, 7

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.03.1984; Aktenzeichen 15 (11) Sa 1405/83)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 30.06.1983; Aktenzeichen 2 Ca 1714/83)

 

Tatbestand

Der am 18. August 1946 geborene Kläger war seit dem 28. Januar 1976 bei der Gemeinschuldnerin als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 (MTV 1980) Anwendung.

Mit Schreiben vom 4. Mai 1983 kündigte der Beklagte als Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis unter Beachtung einer Kündigungsfrist gemäß § 13 Nr. 9 Buchstabe a MTV 1980 von zwei Wochen zum 20. Mai 1983.

Die ordentliche Kündigung von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten wird in § 13 MTV wie folgt geregelt:

"2. Mit gewerblichen Arbeitnehmern kann eine

Probezeit bis zu vier Wochen vereinbart

werden. Innerhalb der Probezeit kann das

Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei

Tagen gekündigt werden.

Mit Angestellten kann eine Probezeit bis zu

drei Monaten vereinbart werden. Innerhalb

der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis

mit einer Frist von einem Monat zum Monats-

schluß gekündigt werden.

...

7. Abgesehen von den Fällen der Ziff. 2 kann

das Arbeitsverhältnis mit folgenden Fristen

gekündigt werden:

a) bei gewerblichen Arbeitnehmern mit einer

Frist von 14 Tagen,

b) bei Angestellten mit einer Frist von sechs

Wochen zum Quartalsschluß.

8. Das Arbeitsverhältnis der Montagezeitarbei-

ter kann während der ersten sechs Monate

der Beschäftigung - auch auf verschiedenen

Montagestellen - mit einer Frist von zwei

Tagen gekündigt werden. Danach gilt die

Kündigungsfrist der Ziffer 7, sofern die

Montage nicht beendet ist.

9. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhält-

nis eines Arbeitnehmers, so beträgt die

Kündigungsfrist:

a) bei gewerblichen Arbeitnehmern

nach einer Betriebszugehörigkeit von fünf

Jahren einen Monat zum Monatsende,

nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn

Jahren zwei Monate zum Monatsende,

nach einer Betriebszugehörigkeit von

15 Jahren drei Monate zum Monatsende.

Bei der Berechnung der Betriebszugehörig-

keit werden Zeiten, die vor Vollendung des

35. Lebensjahres liegen, nicht berücksich-

tigt.

b) bei Angestellten

nach einer Betriebszugehörigkeit von fünf

Jahren drei Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von acht

Jahren vier Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn

Jahren fünf Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von zwölf

Jahren sechs Monate

jeweils zum Schluß eines Kalenderviertel-

jahres. Bei der Berechnung der Betriebszu-

gehörigkeit werden Zeiten, die vor Vollen-

dung des 25. Lebensjahres liegen, nicht be-

rücksichtigt.

Die Vereinbarung beiderseits geltender länge-

rer Kündigungsfristen durch Einzelarbeitsver-

trag ist zulässig.

10. Einem Arbeitnehmer, der das 55. aber noch

nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und

dem Betrieb/Unternehmen zehn Jahre ange-

hört, kann nur noch aus wichtigem Grund ge-

kündigt werden.

..."

In einem weiteren Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen (MTV 1988) vom 29. Februar 1988 sind die Kündigungsfristen gegenüber dem MTV 1980 nicht geändert worden. In der Protokollnotiz zu § 20 Nr. 1 und 3 des MTV 1988 heißt es:

"Die Tarifvertragsparteien sind sich einig, daß

bei einer gesetzlichen Änderung der Kündigungs-

fristen und der Berechnung der Betriebszugehörig-

keitszeiten Verhandlungen über diese tariflichen

Bestimmungen aufgenommen werden."

Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage nach § 256 ZPO gegen den durch die Kündigung bestimmten Beendigungszeitpunkt; bei der Berechnung der Kündigungsfrist seien auch bei Arbeitern die Beschäftigungsjahre bereits ab dem 25. Lebensjahr zu berücksichtigen.

Er hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien be-

stehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung

vom 4. Mai 1983 zum 20. Mai 1983 nicht aufgelöst

worden ist, sondern bis zum 30. September 1983

- hilfsweise bis zum 30. Juni 1983 - fortbesteht.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Senat hat durch Beschluß vom 28. Februar 1985 den Rechtsstreit zunächst bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung der für Arbeiter bei der Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB zu berücksichtigenden Betriebszugehörigkeit ausgesetzt (vgl. den veröffentlichten Beschluß vom 28. Februar 1985 in der Parallelsache - 2 AZR 403/83 - BAGE 49, 21 = AP Nr. 21 zu § 622 BGB). Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) festgestellt hat, § 622 Abs. 2 BGB sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, soweit hiernach die Kündigungsfristen für Arbeiter kürzer seien als für Angestellte, hat der Kläger um Fortsetzung des Verfahrens gebeten und seine bisherigen Feststellungsanträge weiter verfolgt. Der Senat hat durch Teilurteil vom 21. März 1991 (- 2 AZR 323/84 (A) - BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB) festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei nicht vor dem Ablauf des 30. Juni 1983 aufgelöst worden. Die endgültige Entscheidung über den Auflösungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses hat der Senat durch Beschluß vom 21. März 1991 bis zur normativen Neufassung der Kündigungsregelung für ältere Arbeiter ausgesetzt. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl I S. 1668) hat der Kläger erneut die Fortsetzung des Rechtsstreits betrieben.

Der Kläger macht geltend, da die bisherigen tariflich verlängerten Arbeiterkündigungsfristen verfassungswidrig seien, müsse die entstandene Tariflücke ausgefüllt werden. Dies könne nur dadurch in verfassungskonformer Weise geschehen, daß für die zurückliegende Zeit die Angestelltenkündigungsfristen auch auf die Arbeiter angewandt würden. Wie die Tarifpartner für die Zukunft die Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben aneinander anglichen, sei dabei ohne Belang.

Demgegenüber meint die Beklagte, da die Tarifpartner nicht wirksam von § 622 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. abgewichen seien, seien nunmehr die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB n.F. anwendbar.

Nach einer vom Senat eingeholten Auskunft der Vertragsparteien des MTV Metallindustrie NW ist bisher keine Neuregelung der tariflichen Kündigungsfristen erfolgt; es sei aber beabsichtigt, entsprechend der Protokollnotiz insoweit Verhandlungen aufzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat nur teilweise Erfolg. Nachdem bereits aufgrund des Teilurteils vom 21. März 1991 feststeht, daß das Arbeitsverhältnis zumindest bis 30. Juni 1983 fortbestanden hat, ist auf den Antrag des Klägers hin nunmehr durch Schlußurteil festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis bis 31. Juli 1983 fortbestanden hat. Der weitergehende Antrag des Klägers auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 30. September 1983 ist unbegründet.

I. Wie der Senat bereits im Beschluß vom 28. Februar 1985 (ebenso in dem veröffentlichten Beschluß vom 28. Februar 1985 - 2 AZR 403/83 - BAGE 49, 21 = AP Nr. 21 zu § 622 BGB) und in dem Teilurteil vom 21. März 1991 (- 2 AZR 323/84 (A) - BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB) dargelegt hat, stellt § 13 Nr. 9 Buchst. a des vorliegend einschlägigen MTV eine eigenständige tarifliche Regelung dar, die in ihrer normativen Wirkung nicht unmittelbar vom Gesetz abhängig ist. Darüber herrscht auch unter den Parteien kein Streit. Wie der Senat weiter im Teilurteil vom 21. März 1991 (aaO) festgestellt hat, beruht § 13 Nr. 9 a MTV 1980 insoweit auf einem Verstoß gegen Art. 3 GG, als die Wartezeiten für die Staffelung der verlängerten Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer weitgehend der verfassungswidrigen Regelung des § 622 Abs. 2 BGB entsprechen und eine deutliche Verschlechterung gegenüber der Rechtsstellung der Angestellten nach § 13 Nr. 9 b MTV 1980 enthalten.

Da die Verfassungswidrigkeit der längeren Kündigungsfristen und Wartefristen für ältere Arbeiter gegenüber denen der Angestellten insgesamt zur Unwirksamkeit der tariflichen Regelung der Kündigung für ältere Arbeiter nach § 13 Nr. 9 a MTV führt (Teilurteil vom 21. März 1991 BAGE 67, 342, 355 = AP, aaO, zu IV 4 der Gründe), enthält der MTV eine Tariflücke. Diese unbewußte Regelungslücke ist durch Anwendung des insoweit verfassungskonformen § 622 Abs. 2 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vom 7. Oktober 1993 (BGBl I, S. 1668) zu schließen.

1. Der Senat sah keinen Anlaß, den Rechtsstreit erneut - nunmehr zum dritten Mal - auszusetzen, um abzuwarten, wie die Tarifpartner die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte anpassen. Bei einer solchen Lösung (vgl. dazu Hromadka, BB 1993, 2372, 2379) würde nicht berücksichtigt, daß ein Aussetzungsgrund i.S.v. § 148 ZPO nicht vorliegt und auch die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 2 GG) eine derartige Aussetzung nicht erfordert.

a) Es unterliegt schon erheblichen Bedenken, ob die Tarifpartner überhaupt rechtlich in der Lage wären, nach Inkrafttreten des KündFG rückwirkende Tarifregelungen über die Kündigungsfristen zu treffen, die in den am 15. Oktober 1993 noch anhängigen Prozessen zu beachten wären. Die Tariföffnungsklausel des § 622 Abs. 3 BGB a.F. erlaubte den Tarifpartnern im Hinblick auf die Tarifautonomie, besonderen Bedürfnissen ihres Tarifbereichs durch eine eigene Regelung der Kündigungsfristen Rechnung zu tragen. Da aber die Tarifvertragsparteien ihrerseits an die Verfassung gebunden sind, ist eine verfassungswidrige Tarifklausel nicht wirksam. Nur eine voll wirksame tarifliche Regelung kann eine arbeitnehmerschützende Norm verdrängen (vgl. Däubler, TVG, 3. Aufl., Rz 374). Liegt nur eine verfassungswidrige Tarifnorm vor, so gilt die - höherrangige - tarifdispositive Gesetzesnorm, es sei denn, diese verstieße ihrerseits gegen Art. 9 Abs. 3 GG, was von der tarifdispositiven Vorschrift des § 622 BGB a.F. nicht anzunehmen ist. Hat aber der MTV 1980 von der Tariföffnungsklausel des § 622 Abs. 3 BGB a.F. nicht wirksam Gebrauch gemacht, so ist fraglich, auf welcher Rechtsgrundlage eine rückwirkende tarifliche Regelung für Altfälle nach dem 15. Oktober 1993 noch beruhen soll. § 622 BGB a.F. ist mit dem 15. Oktober 1993 außer Kraft getreten (Art. 7 KündFG). Für Altfälle hat der Gesetzgeber aber in Art. 222 EGBGB eine Übergangsregelung geschaffen, die ausdrücklich auf die Anwendung des KündFG verweist. Der Senat hat deshalb Bedenken, ob der gesetzlichen Neuregelung - zumindest bei verfassungskonformer Auslegung im Hinblick auf die Tarifautonomie - entnommen werden kann, daß darin eine Tariföffnungsklausel enthalten sein soll, die es den Tarifpartnern ermöglichen würde, auch in noch anhängigen Prozessen, in denen es auf eine verfassungswidrige Tarifnorm über Arbeiterkündigungsfristen ankommt, rückwirkend eine neue verfassungskonforme Tarifregelung zu treffen.

b) Dies kann aber letztlich dahinstehen. Denn es ist nicht ersichtlich, daß die Tarifpartner der Metallindustrie NW überhaupt beabsichtigen, eine rückwirkende Regelung für Altfälle zu treffen, in denen noch ein Rechtsstreit über die hier einschlägige verfassungswidrige tarifliche Kündigungsfrist anhängig ist. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Tarifpartner ist zwar beabsichtigt, über eine tarifliche Neuregelung der Kündigungsfristen Verhandlungen aufzunehmen. Wann mit einem Abschluß dieser Verhandlungen zu rechnen ist, und ob die Tarifpartner überhaupt an eine rückwirkende Regelung denken, ist den Tarifauskünften aber nicht zu entnehmen. Da, wie einzelne Tarifabschlüsse zeigen, die Möglichkeit besteht, daß die Tarifpartner nur eine stufenweise Anpassung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten für die Zukunft vereinbaren, ist nicht einmal sicher, ob ein späterer Tarifabschluß überhaupt hinreichende Anhaltspunkte dafür erkennen ließe, wie nach dem Willen der Tarifpartner die Altfälle in verfassungskonformer Weise geregelt werden sollen.

c) Unter diesen Umständen wäre es einer Rechtsverweigerung nahegekommen, wenn der Senat den Rechtsstreit, in dem es um eine Kündigung aus dem Jahr 1983 geht, erneut ausgesetzt hätte.

2. Durch das Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) ist die verfassungswidrige Rechtslage hinsichtlich der unterschiedlichen Grundkündigungsfristen und verlängerten Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten gesetzlich geklärt worden. Nach Art. 2 des Gesetzes gelten bei einer vor dem 15. Oktober 1993 zugegangenen Kündigung, bei der - wie im vorliegenden Fall - ein Rechtsstreit über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anhängig ist, nicht die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 1. Halbsatz BGB in der bisherigen Fassung, sondern es gelten die Kündigungsfristen des KündFG.

3. Da die Tarifpartner nicht in verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, gilt die tarifdispositive Gesetzesnorm, d.h. es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen.

Zu dem gleichen Ergebnis gelang man, wenn man auf den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien abstellt (vgl. den Senatsbeschluß vom 28. Februar 1985, aaO und das Teilurteil vom 21. März 1991, aaO). Da die Tarifvertragsparteien bisher eine tarifliche Neuregelung der Kündigungsfristen für ältere gewerbliche Arbeitnehmer nicht vorgenommen haben und Anhaltspunkte dafür nicht ersichtlich sind, daß sie bei der hier einschlägigen Kündigungsfrist für Altfälle von der gesetzlichen Neuregelung in verfassungskonformer Weise hätten abweichen wollen, ist die Tariflücke jedenfalls durch Anwendung des § 622 BGB in der Fassung des KündFG vom 7. Oktober 1993 zu füllen. Es sind weder die verfassungswidrigen tariflichen Kündigungsfristen bis zu einer tariflichen Neuregelung weiter anzuwenden (so aber Hromadka, BB 1993, 2372, 2379), was sich schon wegen der Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG verbietet, noch sind in den Altfällen die bisherigen tariflichen Angestelltenkündigungsfristen zugrunde zu legen, was dem erklärten Willen der Tarifpartner, eine Angleichung der Kündigungsfristen auf mittlerem Niveau anzustreben, zuwiderliefe; unter dem Gesichtspunkt der Tarifautonomie wäre ein solches Ergebnis kaum vertretbar, denn dann würde die Tariflücke durch eine Kündigungsfristenregelung (Übernahme der Angestelltenkündigungsfristen auch für gewerbliche Arbeitnehmer) ausgefüllt, die nach der vom Senat eingeholten Auskunft beider Tarifvertragsparteien in Tarifverhandlungen jedenfalls so nicht durchsetzbar war.

4. Die danach anwendbare gesetzliche Neuregelung ist auch als verfassungskonform anzusehen. Die durch das KündFG geschaffenen Kündigungsfristen, mit denen der Gesetzgeber einen Mittelweg zwischen den früheren Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen beschreitet, behandeln Arbeiter und Angestellte gleich und entsprechen damit Art. 3 GG.

a) Auch die in Art. 222 EGBGB eingefügte Übergangsregelung des KündFG ist nicht als verfassungswidrig anzusehen (vgl. auch BVerfG Beschluß vom 25. Januar 1994 - 1 BvL 23/93 - n.v.). Es liegt in der Kompetenz des Gesetzgebers, verfassungswidrige gesetzliche Regelungen auch rückwirkend zu beseitigen. Beschränkt sich der Gesetzgeber für die Vergangenheit darauf, die Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustandes an die Voraussetzung zu knüpfen, daß noch ein Rechtsstreit bei Gericht anhängig ist, so ist auch dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat mit der Übergangsregelung nur der durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) geschaffenen Rechtslage Rechnung getragen, wonach die diskriminierenden Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB nur als unvereinbar mit dem GG erklärt und seither die Gerichtsverfahren, in denen diese Kündigungsfristen entscheidungserheblich waren, ausgesetzt worden sind. Eine Übergangsregelung, die an die Anhängigkeit eines Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft und damit das schutzwerte Vertrauen nicht völlig unberücksichtigt läßt, ist nicht als verfassungswidrig anzusehen, wie der Senat bereits in dem Teilurteil vom 21. März 1991 (aaO, m.w.N.) näher ausgeführt hat. Hierauf wird Bezug genommen.

b) Wenn Wollgast (ArbuR 1993, 325; dagegen Preis, DB 1993, 2125, 2130) demgegenüber die Übergangsregelung des KündFG für verfassungswidrig hält und dafür plädiert, in den noch anhängigen Gerichtsverfahren auch auf die Arbeiter die früheren Angestelltenkündigungsfristen anzuwenden, so vermag dies nicht zu überzeugen. Die Übergangsregelung enthält nicht ihrerseits einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Soweit noch Gerichtsverfahren anhängig sind, sind in den Altfällen sowohl auf Arbeiter wie auch auf Angestellte gleichermaßen die Kündigungsfristen des KündFG anzuwenden. Wollgast ist zwar einzuräumen, daß bei Angestellten ausgesetzte Verfahren vor allem Angestellte in Kleinstbetrieben mit weniger als 3 Angestellten betreffen dürften, so daß die Mehrzahl der ausgesetzten Verfahren Arbeiterkündigungsfristen betreffen wird. Darin liegt jedoch kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Wollgast räumt selbst ein, daß für bereits abgeschlossene Gerichtsverfahren wegen des Gebotes der Rechtssicherheit eine Anpassung auf die neuen Kündigungsfristen auszuschließen ist. Mit den Arbeitnehmern, Arbeitern oder Angestellten, die bis zum 15. Oktober 1993 aufgrund eines rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens oder ohne Gerichtsverfahren aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, sind die Arbeitnehmer, die unter die Übergangsregelung des KündFG fallen, nicht vergleichbar. Innerhalb der Übergangsregelung werden aber Arbeiter und Angestellte gleich behandelt. Würde man, wie dies Wollgast vertritt, für die Vergangenheit vor Inkrafttreten des KündFG in allen noch anhängigen Verfahren auf die Arbeiter die früheren Angestelltenkündigungsfristen anwenden, so würde dies zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Besserstellung der Arbeiter führen, denen vor Inkrafttreten des KündFG gekündigt worden ist, ganz abgesehen davon, daß selbst auf die Angestellten in den noch anhängigen Verfahren nur die kürzeren Kündigungsfristen des KündFG anwendbar sind (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1994 - 2 AZR 657/87 - und - 2 AZR 665/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt).

5. Die Kündigungsfrist des Klägers beträgt danach zwei Monate zum Ende des Kalendermonats, weil der 1946 geborene Kläger nach Vollendung des 25. Lebensjahrs in den Betrieb eingetreten ist und dort etwas länger als sieben Jahre beschäftigt war. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat deshalb mit dem 31. Juli 1983 sein Ende gefunden.

II. Bei der Kostenverteilung nach § 92 ZPO war zu berücksichtigen, daß streitig war, ob das Arbeitsverhältnis am 20. Mai oder am 30. September 1983 beendet worden ist. Eine Beendigung zum 31. Juli 1983 entspricht damit einem Unterliegen des Klägers in Höhe von 6/13, des Beklagten in Höhe von 7/13.

Bitter Bröhl Böck

Thelen Mauer

 

Fundstellen

Haufe-Index 437770

BAGE 76, 103-111 (LT1)

BAGE, 103

BB 1994, 1355-1356 (LT1)

DB 1994, 1425 (LT1)

EWiR 1994, 679 (L1)

NZA 1994, 799

NZA 1994, 799-802 (LT1)

RzK, I 3e Nr 39 (LT1)

SAE 1995, 162-164 (LT1)

ZAP, EN-Nr 608/94 (L1)

AP § 622 BGB (LT1), Nr 44

AR-Blattei, ES 1010.5 Nr 43 (LT1)

EzA-SD 1994, Nr 14, 11-13 (LT1)

EzA § 622 nF BGB, Nr 48 (LT1)

MDR 1994, 806-807 (LT1)

PersF 1994, 763 (K)

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