Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Arbeiterkündigungsfristen

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Schlußurteil zum Teilurteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 220/91 (A) (AP Nr. 32 zu § 622 BGB)

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 622 Abs. 2; KündFG Art. 2, 7

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 19.02.1986; Aktenzeichen 2 (3) Sa 932/86)

ArbG München (Urteil vom 23.03.1983; Aktenzeichen 2 Ca 5458/82)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. Februar 1991 – 2 (3) Sa 932/86 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 23. März 1983 – 2 Ca 5458/82 – teilweise abgeändert: Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Kündigung vom 23. April 1982 mit dem 30. Juni 1982 sein Ende gefunden hat.

3. Die weitergehende Berufung wird ebenso wie die weitergehende Revision zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger (geboren am 13. Juni 1948) war bei der Beklagten seit dem 9. April 1975 beschäftigt, und zwar zuletzt als Schleifer gegen ein Bruttomonatsentgelt von 3.280,– DM. Mit Schreiben vom 23. April 1982, das dem Kläger am 24. April 1982 zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Zustimmung des Betriebsrats unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist von zwei Wochen zum 9. Mai 1982. Der Kläger hat ursprünglich die soziale Rechtfertigung der auf häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung bestritten und macht nunmehr (nach der insoweit für ihn erfolglosen Revision laut Teilurteil des Senats vom 29. August 1991 – 2 AZR 220/91 (A) – AP Nr. 32 zu § 622 BGB) nur noch geltend, die tarifliche Kündigungsfrist sei, wie der Senat in dem erwähnten Teilurteil vom 29. August 1991 festgestellt habe, verfassungswidrig; das Arbeitsverhältnis sei unter Anwendung der für Angestellte geltenden Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartal frühestens zum 30. September 1982 aufgelöst. Der Kläger hat einen dementsprechenden Antrag gestellt.

Die Beklagte hat sich früher darauf berufen, die von ihr eingehaltene tarifliche Kündigungsfrist des § 8 Ziff. 2 MTV gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie sei nicht verfassungswidrig. Nach Verkündung des Teilurteils des Senats haben sich die Parteien zur Rechtslage nicht mehr geäußert sondern eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.

Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben – soweit dies für die Revisionsinstanz jetzt noch von Belang ist – die Kündigungsklage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger unter Abänderung der Vorinstanzurteile die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. September 1982.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist – soweit hierüber nicht schon durch das Teilurteil des Senats vom 29. August 1991 (AP, aaO) entschieden ist – nur zum Teil begründet.

Das Arbeitsverhältnis hat entgegen der Auffassung der Beklagten aufgrund der Kündigung vom 23. April 1982 nicht mit dem 9. Mai 1982, sondern in Anwendung der Neuregelung im Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl I, S. 1668) erst mit dem 30. Juni 1982 zum Ende gefunden.

I. Der Senat hat durch das bereits mehrfach erwähnte Teilurteil vom 29. August 1991 (AP, aaO) entschieden, die Bestimmung des § 8 Ziffer 2 I, II MTV beruhe insoweit auf einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als die Wartezeiten für die Staffelung der verlängerten Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer teilweise die verfassungswidrige Regelung des früheren § 622 Abs. 2 BGB noch verschlechtern, jedenfalls aber eine deutliche Benachteiligung gegenüber der Rechtsstellung der Angestellten nach § 2 Ziffer 5 MTV Angestellte enthielten. Es sei nicht zu rechtfertigen, den Kläger nicht einmal nach mehr als fünf Jahren Betriebszugehörigkeit überhaupt in den Genuß einer verlängerten Kündigungsfrist kommen zu lassen; die Betriebstreue des Klägers als Arbeiter wiege genauso stark wie die eines Angestellten. Die Verfassungswidrigkeit und damit Unwirksamkeit der längeren Wartefristen für ältere Arbeiter führe insgesamt zur Unwirksamkeit der tariflichen Regelung der Kündigung für ältere Arbeiter nach § 8 Ziffer 2 I, II MTV, weil die Regelung der Dauer der erforderlichen Betriebszugehörigkeit sachlich so eng mit der Regelung der verlängerten Kündigungsfristen verbunden sei, daß damit die Grundlage für die Regelung der Kündigung älterer Arbeiter insgesamt entfalle (§ 139 BGB). Die Auswirkungen dieser unbewußten Tariflücke seien nach den bisher vom Senat entwickelten Grundsätzen zu bestimmen; wenn ausreichende Anhaltspunkte für einen anderen mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien fehlten, könne nur davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien eine andere verfassungskonforme Regelung getroffen und dabei die erforderliche gesetzliche Neuregelung entweder übernommen oder doch maßgeblich berücksichtigt hätten (BAGE 49, 21, 30 = AP Nr. 21 zu § 622 BGB, zu II 4 b der Gründe; Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) BAGE 67, 342, 350 = AP Nr. 29, aaO, zu III 2 b der Gründe).

II. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die durch die Verfassungswidrigkeit entstandene Lücke in § 8 Ziffer 2 MTV durch Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB in der Neufassung durch das Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl I, S. 1668) zu schließen.

1. Die gesetzliche Neuregelung ist für die Berechnung der nach § 8 Ziffer 2 MTV maßgeblichen Kündigungsfrist deswegen maßgeblich zu berücksichtigen, weil davon auszugehen ist, daß die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis des Verfassungsverstoßes eine andere gesetzlich verfassungskonforme Regelung übernommen hätten (vgl. dazu schon BAG Beschluß vom 28. Februar 1985 – 2 AZR 403/83 – AP Nr. 21, aaO) und weil die rückwirkende Regelung des Gesetzgebers nach der Auffassung des Senats verfassungskonform ist. Wie der Senat im Parallelurteil vom 10. März 1994 (– 2 AZR 323/84 (C) –, zur Veröffentlichkeit bestimmt) näher ausgeführt hat und worauf hier Bezug genommen wird, ist dann, wenn die Tarifpartner bei einer Kündigungsfristenregelung in nicht verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die dadurch entstandene Lücke durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, d. h. es gelten die (neuen) gesetzlichen Kündigungsfristen.

a) Die gesetzliche Neuregelung ist als verfassungskonform anzusehen, weil die durch das KündFG geschaffenen Kündigungsfristen, mit denen der Gesetzgeber einen Mittelweg zwischen den früheren Arbeiter- und den Angestellten-Kündigungsfristen beschreitet, Arbeiter und Angestellte gleichbehandeln und damit Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen. Im KündFG (Art. 2) ist ferner eine Übergangsvorschrift dahingehend geregelt, daß das KündFG auch für Fälle wie den vorliegenden grundsätzlich Geltung verdient, in denen noch ein Rechtsstreit anhängig ist, bei dem die Entscheidung über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der gesetzlichen Neuregelung des § 622 Abs. 2 BGB abhängt. Diese in Art. 222 EGBGB eingefügte Übergangsregelung des KündFG ist selbst nicht als verfassungswidrig anzusehen (vgl. auch BVerfG Beschluß vom 25. Januar 1994 – 1 BvL 26/93 – n. v.).

b) Es liegt in der Kompetenz des Gesetzgebers, verfassungswidrige gesetzliche Regelungen auch rückwirkend zu beseitigen (vgl. Teilurteil des Senats vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A)BAGE 67, 342, 350 = AP Nr. 29, aaO, zu III 2 b der Gründe). Beschränkt sich der Gesetzgeber für die Vergangenheit darauf, die Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustandes an die Voraussetzung zu knüpfen, daß noch ein Rechtsstreit bei Gericht anhängig ist, so ist auch dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat mit der Übergangsregelung nur der durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BverfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) geschaffenen Rechtslage Rechnung getragen, wonach die diskriminierenden Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB nur als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurden und seither die Gerichtsverfahren, in denen diese Kündigungsfristen entscheidungserheblich waren, insoweit ausgesetzt worden sind. Der Senat hat auch bereits im Teilurteil vom 21. März 1991 (– 2 AZR 323/84 (A)BAGE 67, 342 = AP Nr. 29, aaO, m.w.N.) ausgeführt, eine Übergangsregelung, die an die Anhängigkeit eines Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfe und damit das schutzwerte Vertrauen nicht völlig unberücksichtigt lasse, sei nicht als verfassungswidrig anzusehen. Daran hält der Senat fest.

c) Wenn Wollgast (ArbuR 1993, 325; dagegen Preis, DB 1993, 2125, 2130) demgegenüber die Übergangsregelung des KündFG für verfassungswidrig hält und dafür plädiert, in den noch anhängigen Gerichtsverfahren auch auf die Arbeiter die früheren Angestelten-Kündigungsfristen anzuwenden, so vermag dies nicht zu überzeugen. Denn innerhalb der Übergangsregelung werden Arbeiter und Angestellte gleichbehandelt. Die Übergangsregelung enthält nicht ihrerseits einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit noch Gerichtsverfahren anhängig sind, sind in den Altfällen sowohl auf Arbeiter wie auch auf Angestellte dieselben Kündigungsfristen des KündFG anzuwenden. Würde man, wie dies Wollgast vertritt, für die Vergangenheit vor Inkrafttreten des KündFG in allen noch anhängigen Verfahren auf die Arbeiter die früheren Angestellten-Kündigungsfristen anwenden, so würde dies zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Besserstellung der Arbeiter führen, denen vor Inkrafttreten des KündFG gekündigt worden ist, ganz abgesehen davon, daß selbst auf die Angestellten in den noch anhängigen Verfahren wegen der Verfassungswidrigkeit der Kleinstbetriebsklausel (§ 2 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926) nur die kürzeren Kündigungsfristen des KündFG anwendbar sind (vgl. das Senatsurteil vom 17. März 1994 – 2 AZR 657/87 (C) –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

d) Es bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) keine Bedenken gegen die Heranziehung des § 622 Abs. 2 BGB n.F., weil nach den vom Senat eingeholten Auskünften der Tarifpartner der bayerischen Metallindustrie derzeit – trotz des seit dem 29. August 1991 vorliegenden Urteils des Senats – keine Verhandlungen über eine Neuregelung der tariflichen Kündigungsfristen (vgl. dazu Hromadka, BB 1993, 2372) aufgenommen worden sind oder derzeit aufgenommen werden sollen (vgl. dazu Parallelurteil vom 10. März 1994 – 2 AZR 323/84 (C) –, zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Die Kündigungsfrist des Klägers beträgt nach 7-jähriger Betriebszugehörigkeit (abgeleistet nach dem 25. Lebensjahr) zwei Monate zum Monatsende (§ 622 Abs. 2 BGB i. d. F. des KündFG vom 7. Oktober 1993). Bei einem Zugang der Kündigung am 24. April 1982 hat das Arbeitsverhältnis mit dem 30. Juni 1982 sein Ende gefunden.

3. Da der Kläger mit dem wesentlichen Teil der Revision (siehe Teilurteil vom 29. August 1991) sowie mit der Fortbestandsklage bis 30. September 1982 unterlegen ist, waren ihm 5/6 und der Beklagten nur 1/6 der Kosten aufzuerlegen, §§ 92, 97 ZPO.

 

Unterschriften

Bitter, Bröhl, Böck, Thelen, Mauer

 

Fundstellen

Haufe-Index 916005

BB 1994, 648

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge