Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Sozialplans. Treueprämie

 

Orientierungssatz

1. Zweck von Sozialplanleistungen ist es, die durch eine Betriebsänderung entstehenden künftigen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern. Die Auslobung einer Treueprämie in einem Sozialplan, die die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bis zu seiner Stilllegung bezweckt, dient regelmäßig nicht einem solchen Nachteilsausgleich. Sie kann Gegenstand einer freiwilligen Betriebsvereinbarung sein.

2. Eine Regelung, nach der von einer Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer nur deshalb von der Zahlung einer Treueprämie ausgeschlossen sind, weil sie lediglich in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, das nicht vorzeitig auf Veranlassung des Arbeitgebers betriebsbedingt beendet wird, ist mit dem von den Betriebsparteien zu beachtenden betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG und damit auch dem Differenzierungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG unvereinbar.

3. Hat der Gesamtbetriebsrat eine freiwillige Treueprämienregelung vereinbart, begründet sie normative Ansprüche zugunsten von Arbeitnehmern typischerweise für den Fall, dass eine Regelung auf betrieblicher Ebene unterbleibt.

 

Normenkette

BetrVG § 75 Abs. 1, § 112 Abs. 1 S. 2; TzBfG § 4 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.12.2012; Aktenzeichen 12 Sa 119/12)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 03.04.2012; Aktenzeichen 2 Ca 478/11)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. Dezember 2012 – 12 Sa 119/12 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zinsen auf den Betrag iHv. 800,00 Euro seit dem 5. Dezember 2011 und auf den Betrag iHv. 600,00 Euro seit dem 15. Februar 2012 zu zahlen sind.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Treueprämie.

Die Beklagte vertrieb ihre Ware teilweise über einen Frischdienst. Der Kläger war bei ihr seit dem 18. September 2006 als Frischdienstverkäufer aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Der vorletzte Vertrag war bis 31. März 2011 befristet. Im Januar 2011 beschloss die Beklagte, den Frischdienst zum 31. März 2012 zu schließen. Mit Schreiben vom 22. Februar 2011 bot sie dem Kläger an, ihn „bis zum Abschluss der Reorganisation des Außendienstes weiterhin befristet bis zum 31.03.2012” zu beschäftigen. Der Kläger nahm das Angebot an.

Am 18. Juli 2011 schlossen die Beklagte und der in ihrem Unternehmen bestehende Gesamtbetriebsrat eine „Vereinbarung über einen Sozialplan” (SP 2011). Diese lautet auszugsweise:

„Präambel

Die Geschäftsleitung von I hat beschlossen, die Frischdienstorganisation mit Wirkung zum 31. März 2012 zu schließen. Dieser Sozialplan dient dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die auf der Stilllegung der Frischdienstorganisation beruhen.

Die Betriebsparteien haben sich im Zuge der Betriebsänderung auf verschiedene Module auf Basis von 240 betroffenen Mitarbeitern geeinigt. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Module wird auf Basis von 240 Mitarbeitern eine maximale Gesamtzahllast von 10,1 Mio. EUR inklusive einer Prämie nicht überschritten werden.

§ 1

Geltungsbereich

1.

Diese Vereinbarung findet auf alle Mitarbeiter im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG Anwendung, die am 1. März 2011 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen und von der Stilllegung der Frischdienstorganisation zum 31. März 2012 betroffen sind.

2.

Keinen Anspruch aus diesem Sozialplan haben Mitarbeiter,

d)

die lediglich ein befristetes Arbeitsverhältnis haben, sofern deren Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig auf Veranlassung der Firma I betriebsbedingt beendet wird.

§ 2

Abfindungen bei betriebsbedingtem Arbeitsplatzverlust

1.

Mitarbeiter, die betriebsbedingt auf Veranlassung des Arbeitgebers ihren Arbeitsplatz verlieren, haben einen Anspruch auf eine Abfindung, die nach folgender Formel berechnet wird:

Betriebszugehörigkeit × Monatsentgelt × Faktor =

Abfindung

6.

Eigenkündigungen und Aufhebungsvertrag

Die Betriebsparteien haben das gemeinsame Verständnis, dass der Geschäftsbetrieb in der Frischdienstorganisation möglichst bis zum 31. März 2012 uneingeschränkt aufrecht erhalten werden soll.

Mitarbeiter, die eine Eigenkündigung aussprechen, durch die das Arbeitsverhältnis vor dem 01. Januar 2012 beendet wird, oder mit denen auf deren Veranlassung ein Aufhebungsvertrag mit Wirkung vor dem 01. Januar 2012 geschlossen wird, erhalten keine Abfindung oder sonstige Sozialplanleistungen nach den vorstehenden Absätzen.

Mitarbeiter, die eine Eigenkündigung aussprechen, die zwischen dem 01. Januar 2012 und dem 31. Januar 2012 wirksam wird, oder mit denen auf deren Veranlassung ein Aufhebungsvertrag mit Wirkung zwischen dem 01. Januar 2012 und dem 31. Januar 2012 geschlossen wird, erhalten eine Sozialplanabfindung in Höhe von 40 % der nach Ziffer 1 zu berechnenden Abfindung.

§ 4

Treueprämie und Urlaubssperre

1.

I hat ein hohes Interesse an einer Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Frischdienstorganisation bis zum 31. März 2012 und lobt daher eine Treueprämie für den Zeitraum vom 01. August 2011 bis zum 31. März 2012 aus, die nach folgenden Bestimmungen an die Mitarbeiter ausbezahlt wird.

2.

Jeder Mitarbeiter erhält zwischen dem 01. August 2011 und dem 30. November 2011 eine Treueprämie in Höhe von brutto EUR 200,00 (in Worten: Zweihundert Euro) für jeden Monat, in dem er in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis mit I steht.

3.

Jeder Mitarbeiter erhält zwischen dem 01. Dezember 2011 und dem 31. März 2011 eine Treueprämie in Höhe von brutto EUR 300,00 (in Worten: Dreihundert Euro) für jeden Monat, in dem er in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis mit I steht.

5.

Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass im Dezember wegen des in der Branche relevanten Weihnachtsgeschäfts eine Urlaubssperre greift. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommener Urlaub wird unter Beachtung der tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen abgegolten.

§ 6

Aufstockung der Abfindung

1.

Mitarbeiter, die …, erhalten von I zusätzlich zu ihrer Abfindung nach § 2 eine weitere Abfindung nach folgender Staffel:

…”

Mit seiner Anfang Dezember 2011 erhobenen Klage und deren späteren Erweiterungen hat der Kläger die Zahlung der Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 3 SP 2011 für die Zeit vom 1. August 2011 bis 31. März 2012 iHv. insgesamt 2.000,00 Euro geltend gemacht. Er hat gemeint, als befristet Beschäftigter werde er ungerechtfertigt benachteiligt, wenn er keine Treueprämie beanspruchen könne, obwohl er bis 31. März 2012 für die Beklagte gearbeitet habe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.000,00 Euro zuzüglich 5 % Zinspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat angenommen, der Kläger unterfalle nicht dem Geltungsbereich des SP 2011 und könne daher auch die darin ausgelobte Treueprämie nicht verlangen. Eine Benachteiligung befristet Beschäftigter liege hierin nicht. Die Treueprämie habe die Abfindungszahlung zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile ergänzen sollen. Solche erleide der Kläger nicht, da sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung am 31. März 2012 geendet habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

I. Die Revision ist zulässig, insbesondere genügt sie den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO an ihre Begründung. Entgegen der Auffassung des Klägers setzt sie sich inhaltlich hinreichend mit den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts auseinander.

II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der Treueprämie für den Zeitraum 1. August 2011 bis 31. März 2012 iHv. 2.000,00 Euro. Der Anspruch folgt aus § 4 Nr. 2 und 3 SP 2011. Der Kläger unterfällt dem Geltungsbereich des SP 2011 nach dessen § 1 Nr. 1. Sein Anspruch scheitert nicht an dem in § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 geregelten Anspruchsausschluss. Dieser umfasst nicht die Auslobung der Treueprämie, bei der es sich nicht um eine Sozialplanleistung zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile infolge eines Arbeitsplatzverlustes handelt. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der die Treueprämie in seinem § 4 Nr. 1 bis 4 regelnde SP 2011 vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossen worden ist.

1. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 SP 2011. Er stand am 1. März 2011 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Er ist iSv. § 1 Nr. 1 SP 2011 von der Stilllegung der Frischdienstorganisation zum 31. März 2012 „betroffen”. Nach der gemäß § 559 Abs. 1 ZPO bindenden und von der Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger das Angebot der Beklagten angenommen, ihn „bis zum Abschluss der Reorganisation des Außendienstes weiterhin befristet bis zum 31.03.2012” zu beschäftigen. Die Befristungsabrede nach Grund und Dauer beruht damit auf dem Umstand, dass der Frischdienst zum 31. März 2012 geschlossen wurde.

2. Unstreitig erfüllt der Kläger auch die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erhalt der Treueprämie nach § 4 Nr. 2 und 3 SP 2011. Er stand bis zum 31. März 2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Dass es sich um kein „Vollzeit-Arbeitsverhältnis” gehandelt hätte, hat die Beklagte nicht eingewandt. Gemäß § 4 Nr. 2 SP 2011 kann er damit die Zahlung einer Treueprämie für den Zeitraum 1. August 2011 bis 30. November 2011 iHv. 800,00 Euro und gemäß § 4 Nr. 3 SP 2011 für den Zeitraum 1. Dezember 2011 bis 31. März 2012 iHv. 1.200,00 Euro – insgesamt 2.000,00 Euro – verlangen.

3. Der Anspruch auf Treueprämie ist nicht nach § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift haben Mitarbeiter keinen Anspruch aus dem Sozialplan, die lediglich ein befristetes Arbeitsverhältnis haben, sofern deren Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig auf Veranlassung der Beklagten betriebsbedingt beendet wird. Der Kläger ist ein solcher Mitarbeiter. Sein Arbeitsverhältnis war befristet; es hat nicht vor Ablauf der Befristung betriebsbedingt auf Veranlassung der Beklagten geendet. Der Anspruchsausschluss des § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 bezieht sich aber nicht auf die Auslobung der Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen eigener Art wegen ihrer normativen Wirkungen (§ 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG 15. Oktober 2013 – 1 AZR 544/12 – Rn. 12 mwN).

b) Danach regelt § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 für die dort näher benannten Mitarbeiter keinen Ausschluss des Anspruchs auf Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011.

aa) Der Wortlaut und der durch ihn vermittelte Wortsinn gebieten kein bestimmtes Verständnis. Einerseits sind die Formulierungen bei den Bestimmungen zum Geltungsbereich und zum Anspruchsausschluss im SP 2011 zwar unterschiedlich. In § 1 Nr. 1 SP 2011 ist festgelegt, auf wen „diese Vereinbarung” Anwendung findet; in § 1 Nr. 2 Eingangssatz SP 2011 ist geregelt, wer keinen Anspruch aus „diesem Sozialplan” hat. Das könnte darauf deuten, dass sich der Anspruchsausschluss nicht auf alle in der „Vereinbarung” festgelegten Leistungen bezieht. Jedenfalls schließt der Wortlaut des § 1 Nr. 2 SP 2011 ein solches Verständnis nicht aus. Andererseits deutet aber die Bezeichnung des Gesamtregelwerks als Abschluss einer „Vereinbarung über einen Sozialplan” darauf, den Begriffen „Vereinbarung” und „Sozialplan” inhaltlich keinen Unterschied beimessen zu müssen.

bb) Ein Normverständnis von § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 dahin, dass er die Treueprämie des § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 nicht erfasst, entspricht jedoch dem im Gesamtzusammenhang des SP 2011 vermittelten Regelungszweck.

(1) Die in § 4 SP 2011 nach Maßgabe der folgenden Nummern ausgelobte Treueprämie ist keine Sozialplanleistung, sondern eine von den Betriebsparteien zusätzlich vereinbarte (freiwillige) Leistung. Zweck von Sozialplanleistungen ist es, die durch eine Betriebsänderung entstehenden künftigen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern (vgl. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Einem solchen Nachteilsausgleich dient die Treueprämie nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche wirtschaftlichen Nachteile von der Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer dadurch erleiden sollen, dass sie möglichst nicht vor dem 31. März 2012 ausscheiden. Außerdem ergibt sich aus § 4 Abs. 1 SP 2011 ausdrücklich, dass die Treueprämie den Zweck hat, den Geschäftsbetrieb der Frischdienstorganisation bis zum 31. März 2012 aufrechtzuerhalten. Mit ihr ist ein Anreiz für die von der Schließung der Frischdienstorganisation betroffenen Arbeitnehmer geregelt, das Arbeitsverhältnis möglichst nicht vor der Stilllegung des Frischdienstes zu beenden. Das dient allein dem – auch in § 2 Satz 1 SP 2011 niedergelegten – betrieblichen Interesse der Beklagten.

(2) Für die von der Beklagten vertretene Ansicht, die Treueprämie ergänze lediglich die Abfindungsregelungen, finden sich im SP 2011 keine Anhaltspunkte.

(a) Dagegen spricht der systematische Zusammenhang des SP 2011. Dieser legt nach seinem § 2 unter der Überschrift „Abfindungen bei betriebsbedingtem Arbeitsplatzverlust” und nach seinem § 4 unter der Überschrift „Treueprämie und Urlaubssperre” verschiedene Leistungen fest, ohne dass die Bestimmungen aufeinander Bezug nehmen. Bei anderen Bestimmungen haben die Betriebsparteien ihren Regelungswillen zur Ergänzung des Abfindungsanspruchs hingegen ausdrücklich kenntlich gemacht, vgl. § 6 SP 2011. Auch die im systematischen Regelungszusammenhang stehende Norm des § 4 Nr. 5 SP 2011 zur Urlaubssperre – von der bis zum 31. März 2012 im Arbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmer offensichtlich unabhängig von einem Abfindungsanspruch nach dem SP 2011 betroffen sein sollten – belegt, dass in § 4 SP 2011 insgesamt keine Kompensation wirtschaftlicher Nachteile festgelegt ist. Es drängt sich auch nicht auf, dass die Betriebsparteien mit der Regelung einer sozialversicherungsbeitragspflichtigen Leistung wie der Treueprämie die in der Sozialversicherung beitragsfreie Abfindung „aufstocken” wollten.

(b) Ein Verständnis der Treueprämie als Abfindungserhöhung oder -ergänzung führte außerdem nicht zu einem gesetzeskonformen Ergebnis. Betriebliche Interessen, die personelle Zusammensetzung der Belegschaft bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sichern, sind grundsätzlich nicht geeignet, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen (vgl. BAG 6. November 2007 – 1 AZR 960/06 – Rn. 19 mwN, BAGE 124, 335). Ihnen kann nur durch andere zusätzliche Leistungen im Rahmen freiwilliger Betriebsvereinbarungen Rechnung getragen werden (vgl. zu einer Bleibeprämie Fitting BetrVG 27. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 169 mwN). Um eine solche freiwillige Regelung handelt es sich bei § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011.

(3) Ist die im SP 2011 geregelte Treueprämie damit keine Sozialplanleistung, bietet es sich an, sie nicht als von § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011, der einen Anspruch aus diesem „Sozialplan” ausschließt, erfasst anzusehen.

cc) Dieses Verständnis von § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 ist vor allem nach dem Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung auch geboten. Eine Regelung, nach der von der Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer nur deshalb von einer Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 ausgeschlossen sind, weil sie lediglich in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, das nicht vorzeitig auf Veranlassung der Beklagten betriebsbedingt beendet wird, wäre mit dem von den Betriebsparteien bei Sozialplänen ebenso wie bei – und sei es freiwilligen – Betriebsvereinbarungen zu beachtenden betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG und damit auch dem Differenzierungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG unvereinbar.

(1) Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung ist vor allem der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck (BAG 18. Mai 2010 – 1 AZR 187/09 – Rn. 15).

(2) Entfiele der Anspruch auf Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 in den Fällen des § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011, läge eine gleichheitswidrige, sachlich nicht zu rechtfertigende Gruppenbildung vor. Es würde bei den von der Stilllegung des Frischdienstes betroffenen Arbeitnehmern unterschieden zwischen denjenigen, die in unbefristeten – oder auf Veranlassung der Beklagten betriebsbedingt vorzeitig beendeten befristeten – Arbeitsverhältnissen stehen, und denjenigen, deren befristetes Arbeitsverhältnis (spätestens) am 31. März 2012 endet. Der mit § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 verfolgte Zweck rechtfertigte diese Gruppenbildung nicht. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund Fristablaufs am 31. März 2012 (oder zu einem früheren Zeitpunkt) endet, tragen bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen für die Zahlung der Treueprämie in gleicher Weise zu der allein im Interesse der Beklagten liegenden Aufrechterhaltung des Frischdienstes bei wie die anderen Arbeitnehmer. Die unterschiedliche Behandlung wäre auch nicht im Hinblick auf ein von der Beklagten angeführtes typischerweise höheres Abwanderungsrisiko bei unbefristet bzw. über den Stilllegungszeitpunkt hinaus befristet beschäftigten Arbeitnehmern wegen deren kürzeren Planungshorizontes gerechtfertigt. Für die pauschalierendtypisierte Annahme eines solchen höheren Risikos ist nichts ersichtlich. Diejenigen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, deren befristetes Arbeitsverhältnis – wie beim Kläger – am 31. März 2012 aufgrund Fristablaufs endet, sind ebenso wie unbefristet oder über den 31. März 2012 befristet Beschäftigte gehalten, sich um ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber zu bemühen. Ob sie ein solches noch vor der Stilllegung des Frischdienstes eingehen, hängt nicht von kürzeren oder längeren Planungshorizonten ab, sondern vor allem davon, zu welchen arbeitsvertraglichen Bedingungen ihnen eine neue Beschäftigung angeboten wird. Dem Ausgleich eben jener „Attraktivität” eines vor dem 31. März 2012 eingegangenen neuen Arbeitsverhältnisses dient die Treueprämie. Sie will „Abwanderungsbestrebungen” bremsen und bezweckt das „Halten” der Belegschaft bis zur Beendigung der Frischdienstorganisation. Zu dieser Belegschaft gehören auch Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis – wie beim Kläger – durch Fristablauf am 31. März 2012 endet.

(3) Es stellte zugleich einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 TzBfG dar, wenn befristet beschäftigten Arbeitnehmern iSv. § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 Ansprüche auf Zahlung einer Treueprämie nach § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 vorenthalten blieben. Bei einem solchen Verständnis von § 1 Nr. 2 Buchst. d) SP 2011 bewirkte der Anspruchsausschluss, dass ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer wegen der Befristung schlechter behandelt würde als ein iSd. § 3 Abs. 2 TzBfG vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer. Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung läge nicht vor. Es würden die gleichen Maßstäbe wie bei dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gelten (vgl. [zu § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG] BAG 22. September 2009 – 1 AZR 316/08 – Rn. 26, BAGE 132, 132).

4. Entgegen der Ansicht der Revision ist der aus § 4 Nr. 2 und 3 SP 2011 folgende Anspruch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Treueprämie von dem nach § 50 BetrVG nicht zuständigen Gesamtbetriebsrat vereinbart worden ist. Die Treueprämienregelung ist nach § 88 BetrVG nur freiwillig möglich. Erzwingbar ist sie nicht. Sie beschränkt nicht die betriebsverfassungsrechtlichen Handlungsmöglichkeiten der örtlichen Betriebsräte. Sie begründet aber normative Ansprüche zugunsten von Arbeitnehmern typischerweise für den Fall, dass eine Regelung auf betrieblicher Ebene unterbleibt (vgl. zu einem vom Gesamtbetriebsrat geschlossenen vorsorglichen Sozialplan BAG 17. April 2012 – 1 AZR 119/11 – Rn. 23 mwN, BAGE 141, 101). Dass eine die freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung des § 4 Nr. 1 bis 4 SP 2011 verdrängende Betriebsvereinbarung über die Ausgestaltung von Treueprämien abgeschlossen worden ist, hat die Beklagte nicht behauptet.

III. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen ist nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB begründet, allerdings hinsichtlich der die Klage umfassenden Treueprämie für die Monate August bis November 2011 (800,00 Euro) ab 5. Dezember 2011 und hinsichtlich der die Klageerweiterung umfassenden Treueprämie für die Monate Dezember 2011 und Januar 2012 (600,00 Euro) ab 15. Februar 2012. Die Verzinsungspflicht beginnt ab dem auf den Zustellungstag folgenden Tag (vgl. BAG 23. März 2011 – 5 AZR 153/10 – Rn. 25 mwN). Bei der Treueprämie für die Monate Februar und März 2012 (600,00 Euro) folgt der Zinsanspruch aus § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 614 Satz 2 BGB, weil insoweit die Fälligkeit erst nach Rechtshängigkeit der am 14. Februar 2012 und am 13. März 2012 zugestellten Klageerweiterungen eingetreten ist. Der Kläger meint mit „Zinspunkte” ersichtlich „Prozentpunkte”.

 

Unterschriften

Schmidt, Koch, K. Schmidt, Benrath, Sibylle Spoo

 

Fundstellen

Haufe-Index 7639456

DB 2015, 751

FA 2015, 125

JR 2016, 282

NZA 2015, 557

AP 2016

EzA-SD 2015, 13

EzA 2015

NZA-RR 2015, 6

AUR 2015, 154

ArbRB 2015, 102

ArbR 2015, 152

GWR 2015, 129

RdW 2015, 472

AP-Newsletter 2015, 141

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