Leitsatz (redaktionell)

(Nachwirkender Kündigungsschutz für Wahlvorstandsmitglieder) Auch Mitglieder des Wahlvorstandes, die vor Durchführung der Betriebsratswahl ihr Amt niederlegen, erwerben vom Zeitpunkt der Amtsniederlegung an den sechsmonatigen nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs 3 Satz 2 KSchG.

 

Normenkette

BetrVG §§ 17-18; KSchG § 15 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 06.08.1985; Aktenzeichen 2 Sa 811/84)

ArbG Regensburg (Entscheidung vom 30.08.1984; Aktenzeichen 6 Ca 3187/83)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. September 1983 in dem von dem Beklagten betriebenen Hotel "M " als Koch gegen ein Monatsentgelt von 1.836,-- DM brutto beschäftigt. Die Belegschaft dieses Hotels bestand aus insgesamt sieben Arbeitnehmern.

Am Mittwoch, dem 21. September 1983 um 15.30 Uhr fand in einer Gaststätte in R eine Betriebsversammlung statt, zu der die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG), Bezirksverwaltung R, mit Schreiben vom 19. September 1983 mit dem Ziel eingeladen hatte, die Wahl eines Betriebsobmanns vorzubereiten und einen Wahlvorstand zu bestellen. An der Versammlung nahmen sämtliche im "M " beschäftigten Arbeitnehmer des Beklagten teil. Sie wählten durch Handaufheben den Kläger, den Arbeitnehmer Sch und die Arbeitnehmerin H zu Mitgliedern des Wahlvorstandes.

In der Folgezeit legte zunächst Frau H ihr Amt als Wahlvorstand nieder. Hierauf trat der gesamte Wahlvorstand zurück. Zu einer Betriebsratswahl kam es auch in der Folgezeit nicht.

Am 10. Oktober 1983 kündigte der Beklagte dem Kläger fristgemäß zum 24. Oktober 1983.

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gewehrt. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil er als ordnungsgemäß gewähltes ehemaliges Mitglied des Wahlvorstandes den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG genieße und der Beklagte ihm deshalb nur eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund hätte aussprechen können. Er hat demgemäß beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

zwischen den Parteien durch die vom Be-

klagten zum 24. Oktober 1983 ausgesprochene

Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat Einwendungen gegen die Ordnungsmäßigkeit der Wahl erhoben und die Meinung vertreten, ein zurückgetretenes Wahlvorstandsmitglied könne keinen nachwirkenden Kündigungsschutz beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Ziel, das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

I. Die von dem Beklagten erklärte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ist nicht nach § 1 KSchG zu überprüfen, weil der Kläger bei ihrem Ausspruch noch nicht sechs Monate im Betrieb des Beklagten beschäftigt war (§ 1 Abs. 1 KSchG).

II. Das Berufungsgericht hat die Kündigung des Beklagten für wirksam angesehen und dies im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger sei auf der Betriebsversammlung vom 21. September 1983 ordnungsgemäß zum Mitglied des Wahlvorstandes gewählt worden. Ihm komme jedoch nicht der nachwirkende Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG zugute. Anders als Betriebsratsmitglieder in Ausübung ihres Amtes könnten Mitglieder des Wahlvorstandes bei der Durchführung der Wahl mit der Arbeitgeberseite kaum in Konflikt kommen, weil der Wahlvorstand an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden sei und seine Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen habe. Deshalb könnten die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum nachwirkenden Kündigungsschutz für zurückgetretene Betriebsratsmitglieder entwickelten Grundsätze auf die Fälle der vorzeitigen Beendigung der Mitgliedschaft im Wahlvorstand nicht übertragen werden. § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG stelle für das Einsetzen des nachwirkenden Kündigungsschutzes auf die Bekanntgabe des Wahlergebnisses und damit auf einen Zeitpunkt ab, zu dem die Betriebsratswahl im wesentlichen abgeschlossen sei. Die Ausdehnung des nachwirkenden Kündigungsschutzes auf vorzeitig zurückgetretene Wahlvorstandsmitglieder würde daher eine unzulässige Rechtsfortbildung bedeuten.

Zurückgetretene Wahlvorstandsmitglieder seien weniger schutzbedürftig als zurückgetretene Betriebsratsmitglieder, bei denen es darum gehe, ihnen eine von der Sorge vor späteren persönlichen Beeinträchtigungen durch den Arbeitgeber möglichst freie Ausübung des Betriebsratsamtes zu sichern. Bei Wahlvorstandsmitgliedern könne der Kündigungsschutz nur so weit gehen, als die Durchführung einer unbeeinflußten Wahl gesichert sei. Legten sie ihr Amt noch vor Abschluß des Wahlverfahrens nieder, so zeichneten sie nicht einmal voll verantwortlich für die Durchführung der Wahl. Es sei nicht ersichtlich, worin bei ihnen die "notwendige Abkühlungsphase" liegen solle.

III. Der Würdigung des Berufungsgerichts zum nachwirkenden Kündigungsschutz für Wahlvorstandsmitglieder kann nicht gefolgt werden.

1. Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. Die Auffassung des Berufungsgerichts wird vertreten von Herschel/Löwisch (KSchG, 6. Aufl., § 15 Rz 31), Hess/Schlochauer/Glaubitz (BetrVG, 3. Aufl., § 16 Rz 34, § 103 Rz 17), Hueck (KSchG, 10. Aufl., § 15 Rz 21 a), GK-Kraft (BetrVG, Stand September 1982, § 103 Rz 13), Richardi (Anm. zu AP Nr. 6 zu § 15 KSchG 1969, unter I a. E.), derselbe in Dietz/Richardi (BetrVG, 6. Aufl., Anhang zu § 103 Rz 6) und Stege/Weinspach (BetrVG, 5. Aufl., § 103 Rz 19). Zugebilligt wird demgegenüber der nachwirkende Kündigungsschutz auch des zurückgetretenen Wahlvorstandes von Etzel (KR, 2. Aufl., § 15 KSchG Rz 68), Gamillscheg (ZfA 1977, 269) und Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke (BetrVG, 2. Aufl., § 103 Rz 11).

2. Die Autoren, die vorzeitig aus dem Amt ausgeschiedenen Wahlvorstandsmitgliedern den nachwirkenden Kündigungsschutz versagen, stützen ihre Ansicht zum einen auf den Gesetzeswortlaut: Die Nachwirkung des besonderen Kündigungsschutzes bestehe für Mitglieder des Wahlvorstandes gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 KSchG "innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses". Das Gesetz gehe somit davon aus, daß ein Arbeitnehmer noch bei Beendigung des Wahlvorgangs Mitglied des Wahlvorstandes sei und sehe ein früheres Eingreifen des nachwirkenden Kündigungsschutzes gar nicht vor (vgl. insbesondere Hueck, aaO, sowie Richardi, Anm. zu AP Nr. 6 zu § 15 KSchG 1969). Soweit in Halbsatz 2 dieser Vorschrift der nachwirkende Kündigungsschutz für Mitglieder des Wahlvorstandes ausgeschlossen werde, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist, betreffe dies nicht einen Ausnahmefall, sondern stehe als wichtigster Anwendungsfall zugleich für andere vorzeitige Beendigungsgründe der Mitgliedschaft (Hueck, aaO).

a) Diese Überlegungen sind nicht zwingend.

Nach dem Gesetzeswortlaut ließe sich auch die Auslegung rechtfertigen, es bestehe für Wahlvorstandsmitglieder ein zeitlich unbegrenzter Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, wenn wegen Rücktritts des Wahlvorstandes oder aus anderen Gründen keine Wahl durchgeführt wird und es deshalb auch nicht zu einer Bekanntgabe des Wahlergebnisses kommt. Denn an diesen Tatbestand knüpft formell der Beginn des nachwirkenden Kündigungsschutzes wie das Ende des vollen Kündigungsschutzes nach Satz 1 an. Gegen eine solche Wortinterpretation spricht allerdings der aus dem Gesamtzusammenhang des § 15 Abs. 3 KSchG ersichtliche Zweck der gesetzlichen Regelung, dem dort genannten Personenkreis einen abgestuften und jeweils zeitlich begrenzten Sonderkündigungsschutz zu gewähren.

b) Hueck und Richardi (aaO) sowie das Berufungsgericht folgern aus der Anknüpfung der Nachwirkung an die Bekanntgabe des Wahlergebnisses in § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG, daß die Durchführung der Wahl und das Fortbestehen des Status des Wahlvorstandsmitglieds - wie auch des Wahlbewerbers - Voraussetzungen für das Eingreifen des nachwirkenden Kündigungsschutzes sind. Diese, nach dem Gesetzeswortlaut ebenfalls mögliche Auslegung ist jedoch mit dem Wortlaut des 2. Halbsatzes dieser Vorschrift und seinem Bedeutungszusammenhang mit der im 1. Halbsatz getroffenen Regelung nicht zu vereinbaren. Diese Bestimmung regelt einen Fall der vorzeitigen Beendigung der Mitgliedschaft im Wahlvorstand. Sie stellt nach der in der Gesetzessprache üblichen Formulierung "dies gilt nicht..." eine Ausnahme von der zuvor getroffenen generellen Regelung über den nachwirkenden Kündigungsschutz für Wahlvorstandsmitglieder dar. Hätte damit nur der wichtigste Anwendungsfall der bereits nach Halbsatz 1 generell vom nachwirkenden Kündigungsschutz ausgenommenen Tatbestände der vorzeitigen Beendigung der Mitgliedschaft hervorgehoben werden sollen (so Hueck, aaO), so hätte es nahegelegen, diese nur beispielhafte Erwähnung, wie ebenfalls in der Gesetzessprache üblich, durch den Zusatz "insbesondere" zum Ausdruck zu bringen. Handelte es sich um eine Ausnahmeregelung, so wäre sie überflüssig. Wäre nämlich bereits nach der generellen Vorschrift des 1. Halbsatzes die Fortdauer der Mitgliedschaft bis zur Beendigung der Betriebsratswahl eine - ungeschriebene - Voraussetzung für die Nachwirkung, so würde diese bei einem früheren Wegfall der Mitgliedschaft, gleich aus welchem Grund, ohnehin nicht eingreifen.

3. Wie die vorstehenden Überlegungen zeigen, kann mit einer allein am Gesetzeswortlaut ausgerichteten Auslegung der Norminhalt des § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht eindeutig bestimmt werden. Somit ist auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung abzustellen. Danach ergibt sich, daß der nachwirkende Kündigungsschutz grundsätzlich auch den zurückgetretenen Wahlvorstandsmitgliedern zugute kommen muß.

a) Den Gesetzesmaterialien (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des BetrVG, BT-Drucks. VI/1786, S. 60) ist zunächst zu entnehmen, daß der besondere Kündigungsschutz deswegen auf die Mitglieder des Wahlvorstandes ausgedehnt worden ist, weil dieser Personenkreis hinsichtlich möglicher Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber für die Zeit der Wahl in ähnlicher Weise schutzbedürftig erscheint wie die Mitglieder des Betriebsrats selbst. Durch den verstärkten Bestandsschutz sollte die Durchführung der Betriebsratswahl erleichtert werden, weil nunmehr Arbeitnehmer eher geneigt sein dürften, sich als Mitglieder des Wahlvorstandes zur Verfügung zu stellen. Wie jedoch in der Begründung zum Regierungsentwurf weiter ausdrücklich hervorgehoben wird, soll die Einführung des nachwirkenden Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus einer Abkühlung eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen dienen.

b) Diese Beweggründe des Gesetzgebers haben in der gesetzlichen Regelung auch ihren Niederschlag gefunden, indem den Mitgliedern des Wahlvorstandes auch ein nachwirkender Kündigungsschutz zugebilligt wurde. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, auch der Wahlvorstand könne bei der Ausübung seines Amtes in Konflikt mit dem Arbeitgeber geraten und seine Mitglieder bedürften deshalb, ebenso wie die Mitglieder des Betriebsrats, nach Beendigung ihrer Amtszeit noch eines Schutzes gegen ordentliche Kündigungen. Dem Umstand, daß die Ausübung des Amtes eines Wahlvorstandes im Hinblick auf seine Funktionen und die zeitlich begrenzte Dauer der Amtszeit weniger Konfliktstoff in sich birgt als das Amt des gewählten Betriebsrats, hat der Gesetzgeber durch die Begrenzung des Nachwirkungszeitraums auf sechs Monate Rechnung getragen.

Mit der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit von Betriebsrats- und Wahlvorstandsmitgliedern kann deshalb entgegen der Ansicht von Hueck (aaO), die sich auch das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, der grundsätzliche Ausschluß zurückgetretener Wahlvorstandsmitglieder von dem nachwirkenden Kündigungsschutz nicht gerechtfertigt werden. Die Mitglieder des Wahlvorstandes befanden sich bis zur Niederlegung ihres Amtes ebenfalls in der Lage, die sie nach der Wertung des Gesetzgebers in Konflikte mit dem Arbeitgeber bringen kann und deshalb eine "Abkühlungsphase" erforderlich macht. Sie mußten sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften bis zu diesem Zeitpunkt für die Einleitung und Durchführung der Wahl ohne Rücksicht darauf einsetzen, ob dem Arbeitgeber die getroffenen Entscheidungen, z. B. die Zulassung bestimmter Wahlbewerber oder Wählerlisten, genehm war. Bei einem Rücktritt gegen Ende der Betriebsratswahl würde die abgelehnte Ansicht überdies zu kaum vertretbaren Ergebnissen führen. Den Wahlvorstandsmitgliedern, die während der weit überwiegenden Dauer der Wahlzeit in der Konfliktsituation zum Arbeitgeber gestanden haben, würde der nachwirkende Kündigungsschutz versagt, während er nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes den Mitgliedern des neu bestellten, aber nur kurzfristig amtierenden Wahlvorstandes zusteht.

c) Die hier vertretene Ansicht entspricht im Grundsatz auch der Rechtsprechung des Siebten Senats zum nachwirkenden Kündigungsschutz von Wahlbewerbern, für die zunächst ein gültiger Wahlvorschlag vorlag, der jedoch durch spätere Streichung von Stützungsunterschriften gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 WO 1972 ungültig wurde (BAG 34, 291 = AP Nr. 9 zu § 15 KSchG 1969; zustimmend insoweit: Pfarr, Anm. zu AP, aaO, unter I; Herschel, AR-Blattei "Betriebsverfassung VI", Anm. zu Entsch. 59; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 8 Rz 37; Stege/Weinspach, aaO, § 103 Rz 20 b; a. A.: GK-Kraft, aaO, § 103 Rz 8; Löwisch, Anm. zu EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 25; derselbe in Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 103 Rz 9). Danach behält der Wahlbewerber auch in diesem Fall den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 KSchG. Der Siebte Senat hat allerdings offengelassen, ob der Wahlbewerber den verstärkten Kündigungsschutz des Satzes 1 oder nur den nachwirkenden Kündigungsschutz des Satzes 2 dieser Vorschrift beanspruchen kann (Bichler/Bader, DB 1983, 342, verstehen diese Entscheidung so, daß der Wahlbewerber nach Streichung der Stützunterschriften nur den nachwirkenden Kündigungsschutz erlangt; die Ausführungen in dem vorbezeichneten Urteil sind jedoch insoweit zumindest mißverständlich). Der Siebte Senat hat darauf hingewiesen, § 15 Abs. 3 KSchG diene nach der Begründung des Regierungsentwurfs (aaO) einem doppelten Schutzzweck: Zum einen erschienen Wahlbewerber im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber vorübergehend eines Schutzes ebenso bedürftig wie die Mitglieder des Betriebsrats, zum anderen solle verhindert werden, daß der Arbeitgeber ihm nicht genehme Kandidaten durch eine Kündigung von der Wahl und der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Ämter ausschließe. Stehe fest, daß die Vorschlagsliste gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 WO 1972 ungültig sei, entfalle zwar der auf die Durchführung der Betriebsratswahl bezogene kollektive Schutzzweck. Jedoch bleibe der individuelle Schutzzweck der Norm erhalten. Der Wahlbewerber habe sich innerbetrieblich und gegenüber dem Arbeitgeber exponiert. Das könne, ohne Rücksicht auf den Ausgang der Wahl, für ihn Nachteile bringen, wie durch die Gewährung des nachwirkenden Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG belegt werde. Denn die gewählten Bewerber seien ohnehin durch § 15 Abs. 1 KSchG geschützt. Der Wahlbewerber, der nicht mehr gewählt werden könne, weil seine Vorschlagsliste ungültig geworden sei, sei ebenso schutzwürdig wie der nicht gewählte Wahlbewerber. § 15 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 KSchG enthalte eine Ausnahmeregelung, die mit der hier vorliegenden Fallgestaltung von der Schutzintention her nicht vergleichbar sei.

Da der Gesetzgeber den besonderen Kündigungsschutz für Wahlbewerber und Wahlvorstandsmitglieder inhaltsgleich gestaltet hat und hierfür auch, wie sich aus der Begründung zum Regierungsentwurf (aaO) ergibt, dieselben Motive maßgebend waren, müssen die Fälle der vorzeitigen Beendigung dieser Funktionen auch einheitlich beurteilt werden. Folgt man daher im Grundsatz der Ansicht des Siebten Senats zum Fortbestand des besonderen Kündigungsschutzes für Wahlbewerber bei später ungültig werdenden Wahlvorschlägen, dann kann bei vergleichbarer Interessen- und Konfliktlage für zurücktretende Wahlvorstandsmitglieder nichts anderes gelten.

IV. Für die zurückgetretenen Wahlvorstandsmitglieder setzt jedoch der nachwirkende Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG bereits vom Zeitpunkt des Rücktritts an und nicht erst mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses ein. Insoweit ist diese Vorschrift nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Gesamtregelung entgegen ihrem Wortlaut einschränkend auszulegen.

1. Der Gesetzgeber knüpft in § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG für den Beginn des nachwirkenden Kündigungsschutzes an die Bekanntgabe des Wahlergebnisses an, mit der die Betriebsratswahl endet. Kann dieser Regelung nicht entnommen werden, daß der nachwirkende Kündigungsschutz von dem Fortbestehen des Status des Wahlbewerbers und des Wahlvorstandsmitglieds während der gesamten Dauer der Wahl abhängen soll, so könnte nach dem Wortlaut des Gesetzes für die restliche Dauer der Wahl der verstärkte, an die Zustimmung des Betriebsrats gebundene Kündigungsschutz fortbestehen (vgl. dazu KR-Etzel, aaO). Möglich wäre aber auch die Auslegung, dieser Kündigungsschutz falle zunächst weg und der nachwirkende Kündigungsschutz setze erst mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses ein und somit bestehe in der Zwischenzeit kein Kündigungsschutz (vgl. Hueck, aaO).

2. Keine dieser vom Wortlaut her möglichen Rechtsfolgen wird jedoch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gerecht.

Für den Fortbestand des verstärkten Kündigungsschutzes nach Wegfall der betriebsverfassungsrechtlichen Funktion fehlt jede sachliche Rechtfertigung (so zutreffend KR-Etzel, aaO). Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs (aaO) sowie aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (zu Drucks. VI/2729, S. 15) ergibt, wurde der Schutz der Betriebsverfassungsorgane während ihrer Amtszeit durch die Bindung einer außerordentlichen Kündigung an die Zustimmung des Betriebsrats deshalb verstärkt, um zu verhindern, daß sie durch willkürliche außerordentliche Kündigungen aus dem Betrieb entfernt und dadurch an der Erfüllung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben gehindert werden. Dieser Schutzzweck entfällt, wenn der Arbeitnehmer keine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben mehr wahrnimmt (so zutreffend Etzel, aaO).

Dem Zweck des nachwirkenden Kündigungsschutzes würde es jedoch zuwiderlaufen, ihn erst nach der Beendigung der Wahl eintreten zu lassen und dem Arbeitnehmer vom Wegfall seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion als Wahlvorstandsmitglied bis zu diesem Zeitpunkt jeglichen besonderen Kündigungsschutz zu versagen, da auch er sich während des Bestehens seines Amtes in einer Konfliktsituation gegenüber dem Arbeitgeber befunden hat, die nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine "Abkühlungsphase" erfordert.

3. § 15 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 KSchG ist demnach durch eine teleologische Reduktion dahin auszulegen, daß bei vorzeitiger Beendigung der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers im Wahlvorstand auf andere Weise als durch die Ersetzung des Wahlvorstandes aufgrund gerichtlicher Entscheidung (Abs. 3 Halbsatz 2) der nachwirkende Kündigungsschutz bereits mit der Beendigung der Mitgliedschaft einsetzt. Der Gesetzgeber hat zwar dem Wahlvorstandsmitglied ohne Rücksicht auf die Dauer seiner Mitgliedschaft den nachwirkenden Kündigungsschutz einräumen wollen. Er hat bei der Bestimmung des Beginns dieses Schutzes jedoch nur den Regelfall des Fortbestehens der Mitgliedschaft für die gesamte Dauer der Wahl bedacht und darüber hinaus lediglich die Rechtsfolgen nach einer Ersetzung des Wahlvorstandes durch gerichtliche Entscheidung im 2. Halbsatz dieser Vorschrift bestimmt. Hätte er die übrigen Fälle des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Amt des Wahlvorstandes geregelt, so hätte er nach den für den besonderen Kündigungsschutz dieser Personengruppe maßgebenden Grundwertungen den Beginn des nachwirkenden Kündigungsschutzes an die Beendigung des Amtes geknüpft.

V. Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG genoß und die ordentliche Kündigung des Beklagten deshalb unwirksam ist.

Nach § 15 Abs. 3 KSchG beginnt der besondere Kündigungsschutz eines Mitglieds des Wahlvorstandes mit dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Für den Begriff der Bestellung ist auf die einschlägige Regelung in den §§ 16, 17 BetrVG zurückzugreifen und deshalb hierunter auch die Wahl des Wahlvorstandes in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 1 BetrVG zu verstehen (Senatsurteil vom 7. Mai 1986 - 2 AZR 349/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt, zu II 1 der Gründe, m. w. N.). Im vorliegenden Fall hatte der Kläger somit durch die am 21. September 1983 durchgeführte Wahl den Status eines Wahlvorstandsmitglieds erworben. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Wahl sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Der

Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger deshalb am 10. Oktober 1983 nicht mehr ordentlich kündigen.

Hillebrecht Triebfürst Ascheid

Binzek Timpe

 

Fundstellen

Haufe-Index 438159

BAGE 53, 152-161 (LT1)

BAGE, 152

BB 1987, 613

BB 1987, 613-614 (LT1)

DB 1987, 792-793 (LT)

NJW 1987, 1663

AiB 1987, 191-192 (LT)

BetrR 1987, 124-127 (LT)

JR 1987, 264

NZA 1987, 279-281 (LT)

RdA 1987, 62

RzK, II 1h 6 (LT1)

SAE 1987, 315-317 (LT)

ZTR 1987, 64-65 (LT)

AP § 15 KSchG 1969 (LT), Nr 23

AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 65 (LT)

AR-Blattei, ES 530.9 Nr 65 (LT)

EzA § 15 nF KSchG, Nr 35 (LT1)

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