Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Abmahnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Wirksamkeit einer Abmahnung ist über ihren Zugang hinaus grundsätzlich auch die Kenntnis des Empfängers von ihrem Inhalt erforderlich.

2. Der Empfänger einer Abmahnung muß sich jedoch dann so behandeln lassen, als ob ihm ihr Inhalt bekannt sei, wenn es ihm nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die fehlende Kenntnis zu berufen.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 07.06.1983; Aktenzeichen 11 Sa 73/83)

ArbG Minden (Entscheidung vom 01.12.1982; Aktenzeichen 1 Ca 557/82)

 

Tatbestand

Die Klägerin war seit 30. Juli 1973 bei der Beklagten, die eine Gummihaar-, Faser- und Schaumstoffabrik betreibt und etwa 900 Arbeitnehmer, darunter 80 Griechen beschäftigt, als ungelernte Arbeiterin in der Haarlegeabteilung tätig. Sie ist am 14. Dezember 1946 geboren, griechischer Nationalität, Analphabetin und der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig.

Vom 15. bis 19. Februar 1982 war die Klägerin wegen Pflege ihres erkrankten Kindes von der Arbeit freigestellt. Vom 22. bis 24. Februar 1982 blieb sie der Arbeit fern und nahm ihre Tätigkeit am 25. Februar wieder auf. Am 26. Februar übergab ihr der Abteilungsleiter C ein in deutscher Sprache abgefaßtes, vom selben Tag datierendes Schreiben folgenden Inhalts:

„Sehr geehrte Frau S,

Sie haben im Anschluß an einen Urlaub in Verbindung mit der Erkrankung eines Kindes vom 22.2. bis 24.2.82 unentschuldigt gefehlt. Ihren Einwand, daß ihr Kind noch nicht gesund ist, können wir nicht gelten lassen, zumal nach unserer Kenntnis Ihr Ehemann z. Zt. ohne Arbeit ist und somit die Aufsicht hätte übernehmen können. Außerdem hätten Sie zumindest am Freitag, dem 19.2., mit uns in Verbindung treten müssen, da zu diesem Zeitpunkt sicher feststand, daß Sie am darauffolgenden Montag die Arbeit nicht aufnehmen wollten.

Wir müssen Sie nochmals dringend bitten, Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten ernster zu nehmen. Bekanntlich liegen bereits zwei Anhörungen zur Kündigung in Ihrer Personalakte. Während des letzten Kündigungsschutzverfahrens im Jahre 1980 erfuhren wir, daß Sie unter Mutterschutz standen. Eine Kündigung konnte somit nicht ausgesprochen werden, obwohl bekanntlich uns der behandelnde Arzt bescheinigte, daß Sie sich während eines Krankenhausaufenthalts nicht an die Therapieanweisung gehalten hatten und es deshalb zur Entlassung kam. Nach Ihrem Mutterschaftsurlaub, der am 9.6.81 endete, haben Sie bereits dreimal an insgesamt 23 Tagen wegen Krankheit gefehlt.

Sollte sich die negative Entwicklung der letzten Jahre nicht schlagartig ändern, werden wir uns gezwungen sehen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Hochachtungsvoll

E.A.H. N GmbH & Co

Kommanditgesellschaft

i. V.

i. A.

gez. Unterschrift

Übersetzung anliegend”

Eine Übersetzung in griechischer Sprache hatte diesem Schreiben, entgegen dem darin enthaltenen Schlußvermerk, nicht beigelegen.

Am 29. März 1982 erschien die Klägerin im Anschluß an eine durch ärztliche Bescheinigung belegte Erkrankung nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit einem in deutscher und griechischer Sprache abgefaßten Schreiben vom 2. April 1982 das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 16. April 1982.

Mit der am 22. April 1982 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung, die sie für sozial ungerechtfertigt hält. Sie hat folgende Anträge gestellt:

  1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der
  2. Beklagten vom 2. April 1982 nicht aufgelöst wird.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin nach Obsiegen in der ersten Instanz zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Zur Kündigungsschutzklage hat sie vorgetragen:

Die Klägerin sei bereits vom 6. bis 9. September 1977 im Anschluß an eine ärztlich belegte Arbeitsunfähigkeit mit der unwahren Begründung der Arbeit ferngeblieben, sie habe angeblich geglaubt, noch weiterhin krankgeschrieben zu sein. Am 30. Januar 1979, 23. Juli 1981 und 2. Februar 1982 habe sie jeweils unentschuldigt gefehlt und erst nachträglich ihr Fernbleiben als Urlaub anrechnen lassen. Vom 22. bis 24. Februar 1982 sei sie, ohne den Betrieb zu benachrichtigen, unberechtigt der Arbeit ferngeblieben. Erst am 24. Februar habe ihr Ehemann den im Betrieb beschäftigten griechischen Dolmetscher angerufen, jedoch aus anderem Anlaß. Der Dolmetscher habe von sich aus auf das unentschuldigte Fehlen der Klägerin und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen hingewiesen. Nach Übergabe des Abmahnungsschreibens vom 26. Februar 1982 hätten zwei Betriebsratsmitglieder die Klägerin am Arbeitsplatz nochmals auf die Folgen eines künftigen Fehlverhaltens dieser Art hingewiesen. Trotzdem sei die Klägerin am 29. März 1982, einem Montag, wiederum unbefugt der Arbeit ferngeblieben, ohne den Betrieb zu verständigen. Erst am folgenden Tag habe sie der Wahrheit zuwider als Begründung hierfür angegeben, sie habe geglaubt, der Arzt habe sie auch noch für diesen Tag krankgeschrieben.

Zu diesem wiederholten Fehlverhalten kämen noch erhebliche Ausfallzeiten in den Jahren 1976 bis 1981.

Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil die Klägerin nach dem unbefugten Fernbleiben von der Arbeit im Februar 1982 trotz schriftlicher Abmahnung am 29. März 1982 wiederum unentschuldigt gefehlt habe. Die Abmahnung sei wirksam, weil das Schreiben der Klägerin zugegangen sei und sie Gelegenheit gehabt habe, sich von seinem Inhalt Kenntnis zu verschaffen.

Die Klägerin hat erwidert, ihr Kind sei auch noch vom 22. bis 24. Februar 1982 schwer krank und pflegebedürftig gewesen. Sie habe den griechischen Dolmetscher hiervon unterrichtet und ihn gebeten, das Weitere zu veranlassen. Am 29. März 1982 habe sie sich unwohl gefühlt, jedoch deswegen keinen Arzt aufgesucht. Sie habe in den frühen Morgenstunden dieses Tages den Dolmetscher telefonisch gebeten, diesen Fehltag als Urlaubstag anrechnen zu lassen. Durch das Schreiben vom 26. Februar 1982 sei sie nicht ordnungsgemäß abgemahnt worden, weil sie wegen ihrer fehlenden Lese- und Deutschkenntnisse seinen Inhalt nicht verstanden habe.

Das Arbeitsgericht hat beiden Klageanträgen entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zur Kündigungsschutzklage bestätigt, die weitergehende Klage abgewiesen und für die Kündigungsschutzklage die Revision zugelassen.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Kündigungsschutzklage weiter. Die Klägerin hat keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit über die Kündigungsschutzklage entschieden worden ist, und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I.

Über die Revision ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Die Klägerin war in der Revisionsverhandlung nicht vertreten. Sie ist zum Termin vom 9. August 1984 durch die am 12. März 1984 bewirkte Zustellung der Ladung an ihre Prozeßbevollmächtigten gemäß § 87 Abs. 1 ZPO ordnungsgemäß geladen worden. Ist der Revisionsbeklagte im Verhandlungstermin säumig, so ist der Revision nach § 72 Abs. 3 ArbGG in Verbindung mit § 557 ZPO durch Versäumnisurteil stattzugeben, wenn sie nach der Revisionsbegründung zulässig und sachlich gerechtfertigt ist (BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 - 5 AZR 326/77 - AP Nr. 3 zu § 3 LohnFG, zu I der Gründe m.w.N.).

II.

Das Berufungsgericht hat die Kündigung an dem Fehlen einer wirksamen Abmahnung der Klägerin scheitern lassen und dies im wesentlichen wie folgt begründet:

Da die Kündigung auf eine Verletzung der Arbeitspflicht gestützt werde, habe es zu ihrer sozialen Rechtfertigung einer vorherigen Abmahnung der Klägerin bedurft. Besondere Umstände, die eine Abmahnung bei derartigen Pflichtverletzungen ausnahmsweise entbehrlich machten, lägen nicht vor. Die Klägerin habe nicht ohne weiteres davon ausgehen müssen, daß die Beklagte ihr Fernbleiben von der Arbeit am 29. März 1982 nicht mehr hinnehmen werde. Auch fehle es an sachlichen Anhaltspunkten für die Annahme, eine Abmahnung hätte bei der Klägerin keinen Erfolg mehr versprochen.

Die Klägerin sei jedoch nicht wirksam abgemahnt worden, obschon der deutsche Text des Schreibens der Beklagten vom 26. Februar 1982 den an eine Abmahnung zu stellenden Anforderungen entspreche. Das Schreiben stelle eine geschäftsähnliche Willensäußerung dar, auf die die für Willenserklärungen maßgebenden Vorschriften der §§ 132 ff. BGB entsprechend anzuwenden seien. Für die Wirksamkeit einer schriftlichen Abmahnung sei deshalb entsprechend § 130 Abs. 1 BGB ihr Zugang an den Empfänger notwendig. Hierfür sei neben dem Besitzerwerb an der Urkunde erforderlich, daß der Gedankeninhalt in den Wahrnehmungsbereich des Empfängers gelangt sei. Das sei jedoch nur der Fall, wenn er von dem Empfänger auch verstanden werden könne. Der Erklärende müsse deshalb diese Voraussetzungen schaffen und sich in einer für den Empfänger verständlichen Sprache und Schrift äußern oder, soweit der Empfänger des Lesens und Schreibens unkundig sei, die Erklärung verlautbaren lassen. Den Inhalt des Abmahnungsschreibens der Klägerin diesen Anforderungen entsprechend verständlich zu machen, habe die Beklagte jedoch versäumt, obwohl dies für sie zumutbar gewesen sei. Für sie habe die Möglichkeit bestanden, nicht nur dem deutschen Text eine griechische Übersetzung beizufügen, sondern ihn durch den bei ihr beschäftigten griechischen Dolmetscher mündlich übersetzen zu lassen.

III.

Dieser Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.

1. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht in seinem Ausgangspunkt.

a) Zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung bedurfte es einer vorherigen Abmahnung der Klägerin. Das von der Beklagten gerügte unentschuldigte Fernbleiben der Klägerin fällt in den Leistungsbereich des Arbeitsverhältnisses. Bei Störungen in diesem Bereich ist jedoch regelmäßig vor Ausspruch einer Kündigung eine vergebliche Abmahnung erforderlich. Fehlt es in einem solchen Fall an einer Abmahnung, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, es sei denn, daß im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als entbehrlich angesehen werden durfte (BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu 2 a der Gründe). Die Würdigung des Berufungsgerichts, solche Umstände lägen im Fall der Klägerin nicht vor, läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.

b) Der deutsche Text des Schreibens der Beklagten vom 26. Februar 1982 entspricht auch den an eine Abmahnung zu stellenden Anforderungen. Danach muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer deutlich und ernsthaft ermahnen und ihn auffordern, ein genau bezeichnetes Fehlverhalten zu ändern bzw. aufzugeben. Ferner muß dem Arbeitnehmer unmißverständlich klargemacht werden, daß bei wiederholten Leistungsmängeln der gerügten Art Inhalt oder Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet sei (BAG Urteil vom 18. Januar 1980, aaO). Diesen Anforderungen entspricht das Abmahnungsschreiben der Beklagten.

c) Der § 130 BGB ist auch auf eine schriftliche Abmahnung anzuwenden.

Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Im vorliegenden Fall ist zwar die schriftliche Abmahnung der Klägerin selbst ausgehändigt worden. Die Vorschrift ist jedoch auf eine in dieser Weise unter Anwesenden abgegebene schriftliche (verkörperte) Willenserklärung entsprechend anzuwenden (vgl. RGZ 61, 414; MünchKomm-Förschler, BGB, § 130 Rz 1; Palandt/Heinrichs, BGB, 43. Aufl., § 130 Anm. 4 a, jeweils m.w.N.).

Das Berufungsgericht hat die Abmahnung nicht als Willenserklärung, sondern als geschäftsähnliche Willensäußerung angesehen, weil ihre Rechtsfolgen ähnlich der Mahnung nach bürgerlichem Recht nicht durch den Willen des Erklärenden, sondern durch das Gesetz bestimmt würden. Dies kann als richtig unterstellt werden, weil nach ebenfalls einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum § 130 Abs. 1 BGB auch auf solche Willensäußerungen Anwendung findet (vgl. BGHZ 47, 352, 357; MünchKomm-Förschler, aaO, § 130 Rz 1 Fußn. 1).

2. Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit der Abmahnung jedoch zu Unrecht allein danach beurteilt, ob sie der Klägerin im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB zugegangen ist. Denn über den Zugang hinaus ist grundsätzlich auch die Kenntnis des Empfängers von dem Inhalt der Abmahnungserklärung erforderlich.

a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen für den Zugang einer schriftlichen Willenserklärung zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Das Schreiben muß in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangen, und für den Empfänger muß unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme zu erwarten sein. Soweit die Kenntnisnahme nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist, genügt somit bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem Inhalt der Erklärung für den Zugang. Dagegen ist es für den Zugang unerheblich, wann der Empfänger die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat und ob er daran durch besondere Umstände (Krankheit) zunächst gehindert war (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 8. Dezember 1983 - 2 AZR 337/82 - NZA 1984, 31 = NJW 1984, 1651, zu B I der Gründe, m.w.N.).

b) Demgegenüber hat der Siebte Senat in dem Urteil vom 17. Dezember 1980 (BAG 34, 305 = AP Nr. 11 zu § 130 BGB) entschieden, daß eine Willenserklärung zugegangen ist, wenn und sobald der Erklärende die Kenntnisnahme des Adressaten berechtigterweise erwarten konnte. Danach muß die Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt sein, daß dieser sich bei normaler Gestaltung seiner Verhältnisse Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen kann. Nach dieser Entscheidung sind somit im gewissen Umfang auch die besonderen Verhältnisse des Erklärungsempfängers, (z. B. Urlaubsabwesenheit), die ihn an der Kenntnisnahme von dem Inhalt der Willenserklärung hindern, für den Zugang von Bedeutung.

Folgt man der bisherigen Rechtsprechung, so bestehen Bedenken, in der Person des Empfängers liegende Umstände wie Sprach-, Schreib- und Lesekenntnis des Empfängers für den Zugang für maßgeblich zu erachten (für Zugang in diesen Fällen: Schlüter, Anm. zu LAG Hamm, EzA § 130 BGB Nr. 9, unter II 2 m.w.N.; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., S. 732; Söllner, AR-Blattei, D, Kündigung II, Kündigungserklärung, Anm. zu Entsch. 19; a.M.: LAG Hamm, aaO; Brill, BB 1976, 1276; Hohn, BB 1963, 273; Wenzel, MDR 1978, 103; Lepke, Die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, 1978, Rz 195). Stellt man dagegen mit dem Siebten Senat (aaO) darauf ab, ob dem Erklärenden besondere, in der Person des Erklärungsempfängers liegende und die Kenntnisnahme von dem Erklärungsinhalt hindernde Umstände bekannt sind, weil er dann eine Kenntnisnahme berechtigterweise nicht erwarten durfte, so ist es vertretbar, den Zugang in Fällen der vorliegenden Art zumindest erst nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne anzunehmen, die bei verkehrsüblicher Sorgfalt erforderlich ist, um eine Übersetzung zu erlangen (so im Ergebnis LAG Hamm, aaO).

3. Der vorliegende Fall erfordert keine grundlegende Stellungnahme zu dieser Frage. Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, daß das Abmahnungsschreiben der Klägerin im Sinne des § 130 BGB zugegangen ist, weil für die Wirksamkeit einer Abmahnung grundsätzlich auch noch die Kenntnis des Empfängers von ihrem Inhalt erforderlich ist.

a) Tritt nach dem Gesetz, z. B. nach § 407 Abs. 1 BGB der Ausschluß des Schuldnerschutzes im Falle der Forderungsabtretung bei Kenntnis des Schuldners von der Abtretung, eine Rechtsfolge nur bei Kenntnis von bestimmten Umständen ein, so reicht der Zugang einer Erklärung, die dem Adressaten diese Kenntnis vermittelt, nicht aus. Insoweit liegt eine Ausnahme von der Regelung des § 130 Abs. 1 BGB vor (vgl. RGZ 135, 247, 251).

Entsprechendes gilt für die Wirksamkeit der Abmahnung als Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen oder die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Abmahnung.

Das Erfordernis der Abmahnung rechtfertigt sich aus dem in § 326 Abs. 1 BGB enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken, daß der Gläubiger vor einer so einschneidenden Maßnahme und Rechtsfolge wie der einseitigen Aufhebung des Vertrages dem Schuldner noch einmal die Folgen seines säumigen Verhaltens vor Augen führen soll (BAG 13, 351). Diese kündigungsrechtliche Hinweis- und Warnfunktion kann die Abmahnung jedoch nur erfüllen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber genau bezeichnete Leistungsmängel beanstandet. Nur wenn die gerügten Leistungsmängel genügend konkretisiert werden, weiß der Arbeitnehmer, daß der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten als nicht vertragsgemäß ansieht. Der eindeutige Hinweis, daß bei wiederholten Leistungsmängeln der gerügten Art Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei (BAG Urteil vom 18. Januar 1980, aaO), muß zu der bestimmten Bezeichnung des gerügten Leistungsmangels hinzutreten. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Abmahnung ihre Warn- und Ankündigungsfunktion erfüllen. Dies setzt aber grundsätzlich die Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von den gerügten Leistungsmängeln und nicht nur die mehr oder weniger von objektiven Merkmalen abhängige Möglichkeit hiervon im Sinne des Zugangsbegriffs des § 130 BGB voraus.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall die in dem Schreiben vom 26. Februar 1982 enthaltene Abmahnung allein mit der Entgegennahme des Schreibens durch die Klägerin noch nicht wirksam geworden, weil die Klägerin nach dem unstreitigen Sachverhalt ohne Hilfe Dritter von ihrem Inhalt keine Kenntnis nehmen konnte.

4. Gleichwohl kann die soziale Rechtfertigung der Kündigung nicht bereits aus diesem Grund verneint und das angefochtene Urteil im Ergebnis bestätigt werden, weil die Klägerin sich auf die fehlende Kenntnis von dem Inhalt des Abmahnungsschreibens nach Treu und Glauben nicht berufen kann.

a) Im Anwendungsbereich des § 130 BGB kann es dem Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf den fehlenden oder verspäteten Zugang einer Willenserklärung zu berufen. Dies ist der Fall, wenn ihm das Zugangshindernis zuzurechnen ist und der Erklärende nicht damit zu rechnen brauchte (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1977 - 2 AZR 770/75 - AP Nr. 10 zu § 130 BGB, zu II 3 d der Gründe). Entsprechendes gilt auch in den Fällen, in denen nicht schon der Zugang einer Erklärung, sondern darüber hinaus die Kenntnis von ihrem Inhalt Rechtsfolgen für den Erklärungsempfänger auslöst. Auch die Berufung auf die fehlende oder verspätete Kenntnis kann rechtsmißbräuchlich sein (vgl. dazu bereits RGZ 135, 247, 251).

b) Im vorliegenden Fall ist nach dem unstreitigen Sachverhalt die Berufung der Klägerin auf ihre fehlende Kenntnis von dem Inhalt des Abmahnungsschreibens rechtsmißbräuchlich. Der Senat kann insoweit abschließend entscheiden.

Die Klägerin mußte am 26. Februar 1982 aufgrund der ihr damals bekannten Umstände damit rechnen, daß das ihr an diesem Tag von ihrem vorgesetzten Abteilungsleiter persönlich übergebene Schreiben im Zusammenhang mit ihrem Fernbleiben von der Arbeit in der Zeit vom 22. bis 24. Februar 1982 stand. Nach ihrem eigenen Vortrag lag für diesen Zeitraum keine ärztliche Bescheinigung über eine fortbestehende Pflegebedürftigkeit ihres Kindes vor. Denn sie hat behauptet, sie habe dem griechischen Betriebsdolmetscher telefonisch mitgeteilt, ihr Kind sei noch pflegebedürftig, und ihn gebeten, das Weitere zu veranlassen. Sie konnte jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß ihr Fernbleiben von der Arbeit allein aufgrund ihrer Angaben hingenommen werde. Sie hätte es deshalb nicht einfach bei der Entgegennahme des Schreibens bewenden lassen dürfen. Vielmehr hätte sie entweder der Beklagten umgehend deutlich machen müssen, daß sie mit dem Schreiben wegen ihrer fehlenden Sprach- und Lesekenntnisse nichts anfangen könne, oder unverzüglich für eine Übersetzung des Schreibens Sorge tragen müssen. Dies wäre ihr auch ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, da sie sich nach ihrem eigenen Vortrag wiederholt mit ihr Arbeitsverhältnis betreffenden Anliegen an den Betriebsdolmetscher gewandt hatte. Wenn sie das Abmahnungsschreiben ohne erkennbaren Widerspruch entgegennahm und auch später keinen weiteren Aufschluß mehr über seinen Inhalt forderte, durfte die Beklagte annehmen, die Klägerin habe sich anderweitig Kenntnis von seinem Inhalt verschafft. Zwar hätte die Beklagte dem Schreiben eine griechische Übersetzung beifügen können. Es wäre ihr ferner zumutbar gewesen, bei der Übergabe des Schreibens den Betriebsdolmetscher einzuschalten. Dies berechtigte die Klägerin jedoch nicht, das widerspruchslos entgegengenommene Schreiben unter Berufung auf ihre fehlenden Sprach- und Lesekenntnisse noch nach Ablauf von über einem Monat im Ergebnis als nicht existent zu betrachten. Die Klägerin muß sich deshalb so behandeln lassen, als ob sie jedenfalls vor ihrem erneuten Fernbleiben von der Arbeit am 29. März 1982 wirksam abgemahnt worden wäre.

IV.

Die Kündigung der Beklagten kann somit nicht allein wegen fehlender Abmahnung als sozial ungerechtfertigt angesehen werden. Da das Berufungsgericht seine Entscheidung allein auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat, muß der Rechtsstreit zurückverwiesen werden, um nunmehr dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, den in wesentlichen Punkten streitigen Kündigungssachverhalt aufzuklären (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

V.

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der Klägerin der Einspruch zu. Der Einspruch muß durch Einreichung einer Einspruchsschrift beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 3500 Kassel-Wilhelmshöhe, von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Einspruchsschrift muß die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird, sowie die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde, enthalten. Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils.

In der Einspruchsschrift hat die Klägerin ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, soweit es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht, vorzubringen. Auf Antrag kann der Vorsitzende für die Begründung die Frist verlängern, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt. Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 340 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 296 Abs. 1 und 4 ZPO).

 

Unterschriften

Dr. Röhsler, Triebfürst, Dr. Weller, Sickert, Dr. Bensinger

 

Fundstellen

DB 1984, 2703-2704 (T)

NJW 1985, 823

NJW 1985, 823-824 (LT1-2)

BlStSozArbR 1985, 120-121 (T)

NZA 1985, 124-126 (LT1-2)

AP, Verhaltensbedingte Kündigung (LT1-2)

Arbeitgeber 1986, 66-66 (LT1-2)

EzA, Verhaltensbedingte Kündigung Nr 11 (LT1-2)

EzBAT, Verhaltensbedingte Kündigung Nr 8 (LT1-2)

JZ 1985, 148

JZ 1985, 148-148 (LT1-2)

ZfA 1985, 607-608 (T)

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