Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialkassenverfahren im Baugewerbe bis 1998. Beitragspflicht für gezahlte Abfindungen. Teilweise Parallele zu BAG 9. Juli 2003 – 10 AZR 625/02 und 686/02 –. Tarifauslegung

 

Orientierungssatz

Auf (den steuerpflichtigen Teil von) Abfindungen, die ein Arbeitgeber des Baugewerbes an ausscheidende Arbeitnehmer gezahlt hat, waren von ihm auch schon nach der bis 1998 geltenden Fassung des VTV keine Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zu zahlen.

 

Normenkette

BGB §§ 812, 133, 390; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) i.d.F. vom 30. November 1995 § 24 Abs. 2; ZPO § 559 Abs. 1; EStG § 3 Nr. 9; Lohnsteuer-Richtlinien 1996 Abschn. 135 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 22.07.2002; Aktenzeichen 16 Sa 117/02)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 21.12.2001; Aktenzeichen 1 Ca 1561/01)

 

Tenor

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob für die von einem baugewerblichen Arbeitgeber an einen ausgeschiedenen Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlte Abfindung Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zu zahlen waren.

Die Beklagten sind von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes geschaffene gemeinsame Einrichtungen. Nach den jeweils für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvorschriften des Baugewerbes haben die baugewerblichen Arbeitgeber die Mittel für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen an Urlaub, Lohnausgleich, Berufsbildung sowie Zusatzversorgung durch Beiträge an die gemeinsamen Einrichtungen aufzubringen. Gläubigerin der Beiträge für die Leistungen für Urlaub, Lohnausgleich und Berufsausbildung ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse (Beklagte zu 2.), bezüglich der Beiträge für Zusatzversorgung die Zusatzversorgungskasse (Beklagte zu 1.), die für beide gemeinsame Einrichtungen die Beiträge bei den tarifunterworfenen Arbeitgebern einzieht.

Im Jahr 1996 traf eine Tochtergesellschaft der Klägerin, die einen baugewerblichen Betrieb unterhaltende F… GmbH in E…, mit ihrem Arbeitnehmer S… eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Die vereinbarte Abfindung, deren Höhe die damalige Steuerfreigrenze des § 3 Nr. 9 EStG überschritt, war am 30. Juni 1996 zur Zahlung fällig. Die F… GmbH zahlte aus dem den Steuerfreibetrag überschreitenden Abfindungsbetrag Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes an die Beklagte zu 1. in Höhe von 14.555,00 DM.

In der Folgezeit kam es zu einer Korrespondenz zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1. über die Frage, ob Abfindungszahlungen für den Verlust des Arbeitsplatzes nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes beitragspflichtig sind. Mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 teilte die Beklagte zu 1. der Klägerin mit, ihrer Auffassung nach seien für Abfindungen iSv. §§ 9, 10 KSchG keine Sozialkassenbeiträge zu zahlen, soweit die Abfindungen für Zeiten nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt würden. Gleichzeitig ließ die Beklagte zu 1. die Klägerin wissen, daß bei versehentlichen Zahlungen von Sozialkassenbeiträgen für Abfindungen einer Rückabwicklung grundsätzlich nichts im Wege stehe. Mit weiterem Schreiben vom 7. Dezember 1998 setzte die Beklagte zu 1. die Klägerin davon in Kenntnis, die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hätten sich darauf verständigt, daß einkommensteuerpflichtige Abfindungen iSv. § 3 Nr. 9 EStG, die für Lohnzahlungszeiträume bis zum 31. Dezember 1998 abgerechnet worden seien, beitragspflichtig wären.

Mit Vereinbarung vom 16./20. August 2001 trat die F… GmbH etwaige Rückforderungsansprüche wegen der 1996 für Entlassungsentschädigungen in Höhe von 14.555,00 DM gezahlten Sozialkassenbeiträge an die Klägerin ab.

Im Kalenderjahr 1996 definierte der die Beitragsverpflichtung regelnde § 24 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) den als Bemessungsgrundlage vorgesehenen Bruttolohn wie folgt:

“(2) Bruttolohn ist

a) der für die Berechnung der Lohnsteuer zugrunde zu legende und in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragende Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, die nicht pauschal nach § 40 EStG versteuert werden,

b) der nach §§ 40a und 40b EStG pauschal zu versteuernde Bruttoarbeitslohn mit Ausnahme des Beitrags für die tarifliche Zusatzversorgung der Arbeitnehmer (Abs. 1 Satz 2, § 26 Abs. 1) sowie des Beitrags zu einer Gruppen-Unfallversicherung.

Zum Bruttolohn gehören nicht die Urlaubsabgeltungen gemäß § 8 Nr. 7.1 Buchst. a), c) und d) BRTV.”

Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 änderten die Tarifvertragsparteien diese Bestimmung dahingehend, daß “Abfindungen” im Sinne von § 3 Nr. 9 EStG nicht zum Bruttolohn gehören.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von dem Beklagten Rückzahlung der auf die an den Arbeitnehmer S… gezahlte Abfindung entrichteten Beitragsteile.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die bis zum 31. Dezember 1998 gültigen tarifvertraglichen Vorschriften seien so auszulegen, daß für eine Abfindung, gleichgültig ob steuerpflichtig oder nicht, keine Sozialkassenbeiträge zu zahlen seien. Dementsprechend seien die Beklagten verpflichtet, den jeweils an sie geflossenen Teil des Beitrages von 14.555,00 DM zurückzuzahlen.

Die Klägerin hat beantragt:

  • Die Beklagte Ziff. 1. wird verurteilt, an die Klägerin 781,00 DM zuzüglich 5 % Zinsen über dem Baisdiskontsatz seit dem 29. Dezember 2000 zu bezahlen.
  • Die Beklagte Ziff. 2. wird verurteilt, an die Klägerin 13.774,00 DM zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basisdiskontsatz seit dem 29. Dezember 2000 zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, von der Zedentin sei nichts rechtsgrundlos geleistet worden, weil bis 31. Dezember 1998 der steuerpflichtige Teil von Entlassungsentschädigungen sozialkassenbeitragspflichtig gewesen sei. Hilfsweise hat die Beklagte zu 2. gegenüber der geltend gemachten Forderung die Aufrechnung mit einem Betrag in Höhe von 10.522,20 DM erklärt. Die Schadensersatzforderung resultiere daraus, daß die Beklagte zu 2. an den Arbeitnehmer S… im Vertrauen auf die Richtigkeit der Eintragung in der Lohnnachweiskarte durch die Zedentin als Entschädigung nach § 8 Nr. 9 BRTV-Bau den genannten Betrag gezahlt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage, abgesehen von den für die Zeit vom 29. Dezember 2000 bis 5. Januar 2001 geforderten Zinsen, stattgegeben. Mit ihrer im Berufungsurteil zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagten hätten die Beiträge auf den steuerpflichtigen Teil der an den Arbeitnehmer S… gezahlten Abfindung ohne rechtlichen Grund erlangt, weshalb die Klägerin als Zessionarin gem. § 812 BGB die Rückzahlung verlangen könne. Die Abfindung sei auch nach der 1996 geltenden Fassung des VTV nicht Teil der beitragspflichtigen Bruttolohnsumme gewesen, denn dabei habe es sich nicht um “Bruttoarbeitslohn” iSv. § 24 Abs. 2 VTV, sondern um eine Entlassungsentschädigung gehandelt. Insoweit sei von der arbeitsrechtlichen Begriffsbestimmung auszugehen. Die Verweisung auf das Lohnsteuerrecht betreffe nur die Höhe der jeweiligen Beitragsforderung. Die Gesamtsystematik der tarifvertraglichen Regelungen bestätige, daß die Tarifvertragsparteien nur Gegenleistungen für erbrachte Dienstleistungen beitragspflichtig machen wollten. Demgemäß könne nicht angenommen werden, daß Abfindungen auch in die Bemessungsgrundlage für die Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung gem. § 8 Ziff. 4 BRTV-Bau einfließen sollten, dh. für Ansprüche, die nach dem Bundesurlaubsgesetz grundsätzlich als fortzuzahlende Arbeitsvergütung während der Urlaubszeit ausgestaltet seien. Bestätigt werde das Auslegungsergebnis ferner durch den Sinn und Zweck des gesamten Sozialkassenverfahrens, wonach der Arbeitgeber insoweit zur Beitragszahlung herangezogen werden solle, als er auch den Nutzen aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern ziehe. Der VTV sei nur die verfahrensrechtliche Seite der unmittelbar das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern betreffenden materiellen Sozialkassentarifverträge; dazu passe keine Beitragspflicht für Abfindungen. Die Änderung des VTV zum 1. Januar 1999 sei somit lediglich als Klarstellung der schon zuvor bestehenden Rechtslage anzusehen. Eine etwa abweichende Auffassung der Tarifvertragsparteien habe in den Tarifnormen keine erkennbare Stütze gefunden. Auch von einer Tarifübung, Beiträge auf Abfindungen zu erheben, könne nicht ausgegangen werden. Einer Aufrechnung mit der aus der Zahlung von 10.522,20 DM an den Arbeitnehmer S… durch die Beklagte zu 2. abgeleiteten Schadensersatzforderung stehe entgegen, daß diese Forderung einredebehaftet sei, weil die Zedentin, die F… GmbH, ihrerseits die Abtretung des Bereichungsanspruchs der Beklagten zu 2. gegen den Arbeitnehmer S… verlangen könne.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.

    1. Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).

    2. Hiervon ausgehend ist die Auslegung des § 24 VTV in der 1996 geltenden Fassung durch das Berufungsgericht im Ergebnis nicht zu beanstanden.

    a) Zutreffend ist allerdings der Einwand der Beklagten, der Begriff des “Bruttoarbeitslohns” in § 24 Abs. 2 VTV dürfe nicht allein nach der arbeitsrechtlichen Wortbedeutung ausgelegt werden, ohne die steuerrechtlichen Regelungen zu berücksichtigen. Dies verbietet die in diesem Zusammenhang erfolgte Verweisung des VTV auf die lohnsteuerrechtlichen Vorgaben. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt jedoch die Berücksichtigung der steuerrechtlichen Vorschriften zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

    aa) Zwar zählen den Freibetrag gem. § 3 Nr. 9 EStG übersteigende Abfindungen zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 EStG. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 LStDV gehören sie als Entschädigungen für entgehenden Arbeitslohn bzw. die Aufgabe der Tätigkeit zum Arbeitslohn. Den Begriff des “Bruttoarbeitslohns” verwenden jedoch weder das EStG noch die LStDV.

    bb) Andererseits hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß dem in § 24 Abs. 2 VTV zur Definition des beitragspflichtigen Bruttolohns herangezogenen Begriff des “Bruttoarbeitslohns” eigenständige Bedeutung zukommt. Die Tarifvorschrift verweist gerade nicht auf die einschlägigen Vorschriften im EStG und der LStDV zur Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bzw. von Arbeitslohn, sondern stellt speziell auf den “in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohn” ab. In diesem Zusammenhang wird jedoch in Abschnitt 135 Abs. 2 und 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 (BStBl. Teil I Sondernr. 3/1995 S. 126) und in dem vom Bundesministerium der Finanzen gem. § 51 Abs. 4 Nr. 1 EStG bestimmten, gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 EStG verbindlichen Muster der Lohnsteuerkarte (BStBl. 1995 Teil I S. 379) ausdrücklich zwischen dem einzutragenden “Bruttoarbeitslohn” einerseits und ermäßigt besteuerten Entschädigungen andererseits unterschieden. “Bruttoarbeitslohn” ist gem. Abschnitt 135 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 die Summe aus dem laufenden Arbeitslohn, der für Lohnzahlungszeiträume im abgelaufenen Kalenderjahr gezahlt wurde, und den sonstigen dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zugeflossenen Bezügen. Bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns sind aber nicht anzugeben “ermäßigt besteuerte Entschädigungen im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG” (Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2a der Lohnsteuer-Richtlinien 1996). Diese Unterscheidung wird so bereits seit dem Besteuerungsjahr 1990 getroffen (vgl. BStBl. 1989 Teil I S. 263 und Sondernr. 3/1989 S. 168). Hätten die Tarifvertragsparteien mit dem “in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohn” auch den steuerpflichtigen Teil von Abfindungen erfassen wollen, hätten sie dies im VTV zum Ausdruck bringen müssen, wie sie es in § 24 Abs. 2b VTV in der seit 1. Januar 1990 geltenden Fassung für die bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns gem. Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2d der LohnsteuerRichtlinien 1996 ebenfalls nicht anzugebenden Bezüge iSv. §§ 40a, 40b EStG getan haben. Dies ist nicht geschehen. Damit ergibt die vom Wortlaut ausgehende Auslegung von § 24 Abs. 2 VTV auch unter Berücksichtigung der einschlägigen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben die Beitragsfreiheit von Abfindungen.

    b) Entgegen der Ansicht der Beklagten wird durch eine solche Auslegung der vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20. Oktober 1982 – 4 AZR 1211/79 – (BAGE 40, 262, 266) hervorgehobene Zweck, eine rechnerisch leicht nachvollziehbare und im Streitfall leicht zu beweisende Grundlage für die Beitragsberechnung zu liefern, nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil kann aus der Lohnsteuerkarte bzw. Lohnsteuerbescheinigung sofort entnommen werden, welcher Betrag dort als “Bruttoarbeitslohn” vermerkt ist, ohne daß noch Überlegungen anzustellen wären, ob in anderen Spalten unter gänzlich anderer Bezeichnung eingetragene Arbeitgeberleistungen hinzugerechnet werden müssen. Ob eine Hinzurechnung einer immerhin als “Arbeitslohn” bezeichneten Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit iSv. § 34 Abs. 3 EStG geboten ist, bedarf keiner Entscheidung.

    c) Der von den Beklagten angeführten älteren Kommentarliteratur (Blumensaat/Sperner/Unkelbach/Weimer BRTV-Bau 4. Aufl. § 8 Anm. 12; Sperner/Brock-siepe/Egger/Henrich/Unkelbach Die Sozialkassen der Bauwirtschaft ZVK-TV § 4 Anm. 4)läßt sich nichts darüber entnehmen, ob Abfindungsbeträge, die die Freibeträge des § 3 Nr. 9 EStG überschritten und in den Lohnsteuerkarten schon damals als “sonstige Bezüge” gesondert auszuweisen waren (vgl. Abschn. 101 Abs. 1 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1975 BStBl. 1975 Teil I S. 901), tatsächlich als beitragspflichtig angesehen und behandelt wurden. Soweit die Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz eine solche Tarifübung behaupten, obgleich die Beklagte zu 1. 1997 den gegenteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hatte, ist ihr Sachvortrag zum einen nicht hinreichend substantiiert, zum anderen gem. § 559 Abs. 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Immerhin wollten die genannten Kommentierungen und wollen die Beklagten weiterhin für die Auslegung auch die Lohnsteuer-Richtlinien heranziehen. Deshalb wäre von den Tarifvertragsparteien eine Klarstellung zu erwarten gewesen, wenn sie trotz der seit 1990 in den Lohnsteuer-Richtlinien erfolgten eindeutigen Ausklammerung ermäßigt besteuerter Entschädigungen aus dem Begriff des “in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohns” steuerpflichtige Abfindungsbeträge dennoch der Beitragspflicht unterwerfen wollten.

    d) Aus der Änderung von § 24 Abs. 2 VTV durch den Änderungstarifvertrag vom 18. Dezember 1998 und aus dem Schreiben der IG Bauen-Agrar-Umwelt an die Beklagte zu 1. vom 11. September 1998 läßt sich kein gegenteiliges Auslegungsergebnis ableiten. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Tarifvertragsänderung als solche auch als die bisherige Rechtslage bestätigende und klarstellende Regelung verstanden werden kann. Ein gegenteiliger Wille der Tarifvertragsparteien hat, wenn er denn bei den vor dem 18. Dezember 1998 abgeschlossenen Tarifverträgen vorgelegen haben sollte, im Wortlaut der einschlägigen Tarifnormen keinen Niederschlag gefunden. Dies gilt auch für den letzten Satz von § 24 Abs. 2 VTV, denn im Gegensatz zu Abfindungen gehören Urlaubsabgeltungen sehr wohl zu dem nach den Lohnsteuer-Richtlinien in der Lohnsteuerkarte als “Bruttoarbeitslohn” zu bescheinigenden Betrag; der Wille der Tarifvertragsparteien zur teilweisen Ausklammerung der Urlaubsabgeltungen aus dem der Beitragszahlung zugrundezulegenden Bruttolohn erforderte somit eine gesonderte Regelung, während Abfindungen auf Grund der Verweisung auf die lohnsteuerrechtlichen Vorgaben von vornherein nicht erfaßt waren.

    e) Schließlich ist dem Landesarbeitsgericht auch darin beizupflichten, daß die wortgleiche Regelung in § 8 Ziff. 4.2a BRTV-Bau, mit der die Bemessungsgrundlage des Urlaubsentgelts und der Urlaubsabgeltung bestimmt wird, ebenfalls für das Auslegungsergebnis spricht. Bei einer Einbeziehung von Abfindungen würden Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung in einem nicht vorhersehbaren Umfang von dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst losgelöst, der nach der gesetzlichen, wenn auch gem. § 13 BUrlG tarifdispositiven, Regelung in § 11 Abs. 1 BUrlG die Bemessungsgrundlage bilden soll. Eine solche mangels Sachzusammenhangs höchst ungewöhnliche Abweichung von der gesetzlichen Grundregel hätten die Tarifvertragsparteien unmißverständlich oder jedenfalls hinreichend deutlich regeln müssen, wenn sie denn gewollt gewesen wäre. Dies ist nicht geschehen. Wenn aber in die Berechnung von Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung gezahlte Abfindungen nicht einfließen, kann im Hinblick auf die wortgleiche Regelung der Bemessungsgrundlage in § 24 Abs. 2 VTV für die Berechnung der zu zahlenden Beiträge nichts anderes gelten. Die Beklagten haben somit die auf die zu versteuernden Teile der Abfindung gezahlten Beitragsanteile ohne rechtlichen Grund erlangt und gem. § 812 BGB zurückzuzahlen.

    3. Hinsichtlich des von der Beklagten zu 2. hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzanspruchs kann offen bleiben, ob er entstanden ist. Wäre ein solcher Anspruch gegeben, wäre er jedenfalls, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, einredebehaftet, was einer Aufrechnung gem. § 390 BGB entgegenstünde. Die Beklagten haben insoweit auch keine Rügen mehr erhoben, ebensowenig gegen die mit Recht zuerkannten Prozeßzinsen.

  • Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 2 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Bacher, Böhlo

 

Fundstellen

Haufe-Index 975894

NZA 2004, 232

BauRB 2003, 213

NJOZ 2004, 537

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