Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplan vor Konkurseröffnung

 

Leitsatz (redaktionell)

1a. Der konkursrechtliche Rang einer Forderung aus einem Sozialplan, der vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 - KVfSPlG - aufgestellt wurde, richtet sich nach § 6 Abs 2 Satz 1 und 2 dieses Gesetzes.

b. Für Forderungen aus diesen (Alt-) Sozialplänen kann der Arbeitnehmer (Gläubiger) grundsätzlich das Vorrecht nach § 61 Abs 1 Nr 1 KO beanspruchen. Doch tritt ein Rangstellensplitting ein, wenn die Summe aller Forderungen aus diesem Sozialplan größer ist als der Gesamtbetrag von zweieinhalb Monatsverdiensten aller von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. In diesem Fall wird die Forderung des Arbeitnehmers teils nach § 61 Abs 1 Nr 1 KO, teils nach § 61 Abs 1 Nr 6 KO berichtigt (vergleiche § 6 Abs 2 Satz 2 KVfSPlG).

2. § 6 Abs 2 Satz 1 KVfSPlG ist verfassungsgemäß.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; KO § 146 Abs. 4; ZPO § 269 Abs. 1; KVfSPlG § 4 S. 1, § 3 S. 1; KO § 61 Abs. 1 Nrn. 1, 6; KVfSPlG § 6 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen 2 Sa 132/82)

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 09.06.1982; Aktenzeichen 1 Ca 83/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den konkursrechtlichen Rang einer Sozialplanforderung.

Der Beklagte ist Konkursverwalter in dem durch Beschluß des Amtsgerichts Reutlingen am 24. März 1975 eröffneten Anschlußkonkurs über das Vermögen der V GmbH. Zuvor hatte ein am 21. Mai 1974 gestellter Vergleichsantrag am 20. August 1974 zur Eröffnung des Vergleichsverfahrens geführt. Eine Beschwerde gegen den Beschluß über die Eröffnung des Anschlußkonkursverfahrens hat das Landgericht Tübingen am 14. November 1975 zurückgewiesen.

Der Kläger war Arbeitnehmer der V GmbH. Sein Arbeitsverhältnis endete am 16. August 1974. Aus einem Sozialplan, den eine Einigungsstelle am 20. Juli 1974 beschlossen hatte, um die sich aus dem Insolvenzverfahren der V GmbH ergebenden wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer zu mildern, steht dem Kläger ein Abfindungsanspruch in Höhe von 5.700,-- DM zu. Für Ansprüche dieser Art ist im Sozialplan vereinbart:

"Diese Ansprüche sind im Falle der Eröffnung

des gerichtlichen Vergleichsverfahrens Ver-

gleichsforderungen."

Der Kläger hat diesen Abfindungsanspruch nach Eröffnung des Anschlußkonkursverfahrens zunächst als nicht bevorrechtigte Konkursforderung mit dem Rang gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO zur Konkurstabelle angemeldet; der Beklagte hat ihn anerkannt.

Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 1978 (GS 1/77 - BAG 31, 176 = AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972) hat der Kläger am 15. Juni 1981 beim Konkursgericht seine Sozialplanforderung mit Rang vor Forderungen gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO angemeldet. Der Konkursverwalter hat die Forderung und das beanspruchte Vorrecht bestritten.

Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst die Feststellung seiner Forderung mit dem Rang vor Forderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO beantragt. Er hat geltend gemacht, das Vorrecht vor § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO, welches das Bundesarbeitsgericht Sozialplanforderungen zuerkannt habe, gelte auch für Forderungen aus Sozialplänen, die vor Konkurseröffnung erstellt worden seien. Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Klage mit Zustimmung des Beklagten teilweise zurückgenommen. Er beansprucht jetzt für seine Forderung ein Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Er hat deshalb zuletzt beantragt,

die Sozialplanforderung des Klägers gegen

die Konkursmasse in Höhe von 5.700,-- DM

im Verfahren der Firma Julius V

GmbH vor dem Amtsgericht Reut-

lingen (Az.: N 115/75) im Range gemäß § 61

Abs. 1 Nr. 1 KO zur Tabelle festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die nachträgliche Inanspruchnahme eines Vorrechts für eine bereits als nicht bevorrechtigt anerkannte Forderung sei unzulässig. Auf den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts könne sich der Kläger nicht berufen. Diesen Beschluß habe das Bundesverfassungsgericht aufgehoben (Beschluß vom 19. Oktober 1983 - BVerfGE 65, 182). Mit dem Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 - SozplKonkG - (BGBl. I, 369) könne er das beanspruchte Vorrecht nicht begründen. Dieses Gesetz sei verfassungswidrig, soweit es die vor seinem Inkrafttreten vereinbarten Sozialpläne erfasse und keine relative Begrenzung der Ansprüche nach § 4 Satz 2 des Gesetzes vorschreibe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Konkursverwalters ist begründet. Die konkursrechtliche Behandlung der Ansprüche des Klägers richtet sich nach dem Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 - SozplKonkG - (BGBl. I, 369). Ob der Kläger für die gesamte Forderung das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO in Anspruch nehmen kann, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen. Hierzu sind noch weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich. Der Rechtsstreit muß deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

I. Die Klage auf Feststellung eines Abfindungsanspruchs zur Konkurstabelle mit dem Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO ist zulässig.

1. Der Kläger hat den Abfindungsanspruch in Höhe von 5.700,-- DM aus dem Sozialplan vom 20. Juli 1974 zunächst mit Vorrecht vor § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zur Konkurstabelle angemeldet. Der Konkursverwalter hält es nicht für zulässig, daß der Kläger im Rechtsstreit ein anderes als das ursprünglich angemeldete Vorrecht in Anspruch nimmt, hier das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO statt des Vorrechts v o r § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Dieser Einwand ist unbegründet.

Nach § 146 Abs. 4 KO kann die Feststellungsklage nur auf den Grund gestützt und nur auf den Betrag gerichtet werden, der in der Anmeldung oder dem Prüfungstermin angegeben worden ist. Ob dies auch hinsichtlich des beanspruchten Vorrechts gilt, ist umstritten. Die konkursrechtliche Literatur nimmt an, daß sich § 146 Abs. 4 KO auch auf ein in Anspruch genommenes Vorrecht bezieht. Auch dieses dürfe in seiner Begründung nicht wesentlich geändert werden, insbesondere nicht durch einen Wechsel der Nummern des § 61 KO (Böhle/Stamschräder/Kilger, KO, 14. Aufl., § 146 Anm. 2 e; Jaeger/Lent, KO, 8. Aufl., § 146 Rz 31; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, KO, 9. Aufl., § 146 Rz 25). Dieser Ansicht ist der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts gefolgt (Urteil vom 6. Dezember 1984 - 2 AZR 351/81). Er hat es abgelehnt, für eine Forderung, für die ein Vorrecht vor § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO geltend gemacht worden war, zu prüfen, ob der Gläubiger hilfsweise ein Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO beanspruchen könne.

Demgegenüber gilt nach Auffassung des erkennenden Senats (Urteil vom 18. Dezember 1984 - 1 AZR 588/82 -, zu IV der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) § 146 Abs. 4 KO nicht für das angemeldete Konkursvorrecht. Über das Vorrecht müsse das Gericht entscheiden, es sei nicht an die Anmeldung durch den Gläubiger gebunden. Beanspruche ein Gläubiger einen besseren Rang als ihm zustehe, so werde die Forderung doch mit dem ihm zustehenden Range festgestellt. Das Gericht könne davon ausgehen, daß der Gläubiger, dem das beanspruchte Vorrecht nicht zustehe, jedenfalls ein weiteres, wenn auch schlechteres Vorrecht in Anspruch nehmen wolle.

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen wäre. Denn der Kläger kann sich auf das SozplKonkG berufen, das ausdrücklich eine nachträgliche Anmeldung des Vorrechts für Sozialplanansprüche vorsieht. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 dieses Gesetzes kann, wenn das Konkurs- oder Vergleichsverfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes noch anhängig ist, ein Vorrecht dann nachträglich angemeldet und festgestellt werden, wenn Forderungen ohne Vorrecht oder mit einem Vorrecht vor den in § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO aufgeführten Forderungen festgestellt worden waren. Der Senat kann davon ausgehen, daß wenigstens in diesem Sonderfall ein anhängiger Rechtsstreit fortgesetzt und in diesem Verfahren über das neu angemeldete Vorrecht zu entscheiden ist.

Dem steht auch das Revisionsrecht nicht entgegen. Der Streit über das neue Vorrecht darf jedenfalls dann zwischen Gläubiger und Konkursverwalter in der Revisionsinstanz fortgesetzt werden, wenn nur der Konkursverwalter das Vorrecht bestritten hat und nicht auch ein anderer Konkursgläubiger (BGH LM Nr. 2, 3 zu § 61 KO; zust. Böhle/Stamschräder/Kilger, KO, 14. Aufl., § 146 Rz 2 d Abs. 2).

2. Die Beschränkung des Feststellungsantrags auf das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO ist gleichzeitig eine teilweise Klagerücknahme. Diese ist nur mit Zustimmung des Beklagten zulässig (§ 269 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte hat zugestimmt.

II. Der konkursrechtliche Rang der Sozialplanforderung richtet sich nach dem SozplKonkG vom 20. Februar 1985.

1. Dieses Gesetz findet auf "Alt"-Sozialpläne - das sind Sozialpläne, die vor Inkrafttreten des SozplKonkG aufgestellt worden sind - Anwendung, wenn das Konkursverfahren noch anhängig ist (§ 6 Abs. 1). Das ist hier der Fall.

Auf einen Sozialplan, der nach § 3 des Gesetzes, d. h. zwar vor Konkurseröffnung, aber nicht früher als drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens aufgestellt worden war, ist § 4 Satz 1 des Gesetzes anzuwenden. Im vorliegenden Fall ist maßgebend der Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens. Dieser Antrag wurde am 21. Mai 1974 gestellt. Der Sozialplan wurde erst später, nämlich am 20. Juli 1974 aufgestellt. Er wurde damit nicht früher als drei Monate vor dem Antrag aufgestellt, der letztlich zur Eröffnung des (Anschluß-) Konkursverfahrens geführt hat (§ 3 Satz 1 SozplKonkG).

2. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG kann der Sozialplangläubiger in einem solchen Fall für seine Forderung das Vorrecht des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO beanspruchen. § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG verweist auf § 4 Satz 1 des Gesetzes. Dort wird diesen Forderungen das Vorrecht des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO eingeräumt.

Doch können Sozialplangläubiger dieses Vorrecht nicht uneingeschränkt in Anspruch nehmen. Wenn die Summe aller Forderungen aus dem "Alt"-Sozialplan größer ist als der Gesamtbetrag von zweieinhalb Monatsverdiensten aller von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer, wird jede Forderung im Konkursverfahren bis zu demjenigen Teil ihres Betrags, der dem Verhältnis des Gesamtbetrags zu der Summe der Forderungen aus dem Sozialplan entspricht, mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO und im übrigen mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO berichtigt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 SozplKonkG). Bisher ist nicht festgestellt, ob die Summe der Forderungen aus dem Sozialplan vom 20. Juli 1974 größer ist als der Gesamtbetrag von zweieinhalb Monatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. Der Rechtsstreit muß daher zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Es könnte sich ergeben, daß die Forderung des Klägers nur zum Teil im Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zu befriedigen ist.

3. § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG, wonach Gläubiger für ihre Sozialplanforderung das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO auch dann in Anspruch nehmen können, wenn der Sozialplan vor dem Inkrafttreten des SozplKonkG aufgestellt worden war, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Norm entfaltet insoweit eine unechte Rückwirkung. Sie wirkt nicht nur auf zukünftige Rechtsbeziehungen ein, sondern gestaltet auch gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen und berührt die Rechtsposition anderer bevorrechtigter Gläubiger im Konkurs eines Unternehmens.

a) Gesetze mit unechter Rückwirkung sind grundsätzlich zulässig. Doch kann das Gebot, auf das Vertrauen der betroffenen Bürger Rücksicht zu nehmen, dem Gesetzgeber im Einzelfall Schranken setzen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 30, 392, 402 mit weiteren Nachweisen, zuletzt noch BVerfGE 63, 152, 175).

Im vorliegenden Fall verdient das Vertrauen der Konkursgläubiger, die ebenfalls Vorrechte im Konkurs des Unternehmers beanspruchen können, nicht den Vorzug vor dem Anliegen, dem der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG nachkommen wollte (zum Maßstab vgl. BVerfGE 25, 142, 154 mit weiteren Nachweisen). Zunächst durften bevorrechtigte Gläubiger im Jahre 1974 nicht darauf vertrauen, Sozialplangläubiger könnten kein Vorrecht nach § 61 Abs. 1 KO in Anspruch nehmen. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte im Urteil vom 17. September 1974 angenommen, Abfindungsansprüche aus nachkonkurslichen Sozialplänen und Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG seien Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO (vgl. BAG 26, 257, 267 = AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972, zu 6 der Gründe). Dieser Entscheidung war eine rechtswissenschaftliche Diskussion vorausgegangen, die zu keiner Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte geführt hatte (vgl. Nachweise im Urteil des Bundesarbeitsgerichts, aaO). Konkursgläubiger eines Unternehmens konnten daher nicht darauf vertrauen, Sozialplanforderungen könnten nur einfache Konkursforderungen sein. Es lag weiter nahe, Gläubiger aus Sozialplänen, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Eröffnung des Konkursverfahrens aufgestellt worden waren, gleich zu behandeln mit den Gläubigern aus Sozialplänen, die nach Konkurseröffnung aufgestellt wurden. Jedenfalls war die Rechtslage weitgehend ungeklärt. Gläubiger bevorrechtigter Forderungen konnten nicht ohne weiteres davon ausgehen, ihre Forderungen würden im Konkurs auch den Ansprüchen der Arbeitnehmer aus Sozialplänen vorgehen.

Auch die spätere Entwicklung hat bei betroffenen Gläubigern nicht das Vertrauen schaffen können, Gläubiger von Sozialplanansprüchen könnten kein Vorrecht in Anspruch nehmen. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte angenommen, Ansprüche aus einem Sozialplan auf Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes seien Konkursforderungen im Sinne des § 61 KO und noch vor Ansprüchen nach Nr. 1 zu befriedigen (Beschluß vom 13. Dezember 1978, aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat dann mit Beschluß vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 182) das diesem Beschluß des Großen Senats folgende Urteil des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben, da das Bundesarbeitsgericht die Grenzen des Richterrechts überschritten habe. Erst 1984 hat der erkennende Senat daraus die Folgerung gezogen, Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan seien im Konkurs des Arbeitgebers einfache Konkursforderungen im Sinne von § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO. Doch war der konkursrechtliche Rang dieser Forderungen nach wie vor umstritten, so daß sich der Gesetzgeber zu einer Klarstellung und Neuordnung entschloß, die jetzt mit dem Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 vorliegt.

Mit dieser unechten Rückwirkung des § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG wollte der Gesetzgeber allen Gläubigern aus Sozialplänen, die während oder kurz vor Eröffnung eines Konkursverfahrens aufgestellt worden waren, den konkursrechtlichen Rang zubilligen, der der sozialen Bedeutung dieser Forderung angemessen ist. Ohne diese unechte Rückwirkung wären Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer für den Verlust ihrer Arbeitsplätze wirtschaftlich praktisch wertlos gewesen. Das wollte der Gesetzgeber nicht hinnehmen. Dieses gesetzgeberische Anliegen verdient den Vorzug vor den Erwartungen einzelner Konkursgläubiger darin, daß letztlich ohne gesetzliche Neuregelung diesen Gläubigern kein Vorrecht zugebilligt werden könnte.

b) Die Regelung verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser Gleichheitssatz bindet den Gesetzgeber und verbietet, daß wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Deshalb ist der Gleichheitssatz nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 1, 14, 52; zuletzt BVerfGE 61, 138, 147).

Zwar ordnet § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG an, daß auf die Sozialpläne, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgestellt worden waren, nur § 4 Satz 1 des Gesetzes anzuwenden ist, nicht auch § 4 Satz 2 des Gesetzes. § 4 Satz 2 des Gesetzes ordnet eine relative Begrenzung der Ansprüche aus Sozialplänen zugunsten der übrigen Konkursgläubiger an. Nach dieser Bestimmung darf für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der für die Verteilung an die Konkursgläubiger zur Verfügung stehenden Konkursmasse verwendet werden. Diese Begrenzung fehlt in § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG. Das hat aber seinen guten Grund darin, daß der Konkursverwalter in den Konkursverfahren, die beim Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, § 4 Satz 2 SozplKonkG nicht immer in ausreichendem Maße berücksichtigen konnte. Denn in vielen Fällen wird der Konkursverwalter Konkursmasse verteilt haben, ohne auf den ihm noch nicht bekannten Maßstab des § 4 Satz 2 SozplKonkG Rücksicht genommen zu haben. Der Gesetzgeber hat sich deshalb für einen anderen Weg entschlossen, auf berechtigte Interessen anderer Konkursgläubiger Rücksicht zu nehmen. Er hat in § 6 Abs. 2 Satz 2 SozplKonkG ein Rangstellensplitting angeordnet.

c) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wird durch diese Regelung nicht verletzt. Der Senat unterstellt, daß schuldrechtliche Forderungen zu den im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Eigentumsrechten gehören (vgl. BVerfGE 45, 142, 179 bezüglich der Forderung eines Verkäufers). Doch kann der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Zu diesen Regelungsbefugnissen gehört auch die Bestimmung, welchen Rang eine Forderung im Konkurs des Schuldners haben soll. Hier sind widerstreitende Interessen durch den Gesetzgeber zu bewerten.

d) Dafür, daß der Gesetzgeber durch § 6 Abs. 2 Satz 1 SozplKonkG andere Grundrechte verletzt haben könnte, gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch Art. 12 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, daß der Gesetzgeber bestimmten Forderungen ein Vorrecht einräumt. Die Tätigkeit des Konkursverwalters bleibt von dieser konkursrechtlichen Bewertung einer Forderung unberührt.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Rösch Dr. Wohlgemuth

 

Fundstellen

Haufe-Index 437296

BAGE 49, 172-180 (LT1-2)

BAGE, 172

DB 1985, 2359-2360 (LT1-2)

NJW 1985, 3037

NJW 1985, 3037-3039 (LT1-2)

ARST 1986, 70-71 (LT1-2)

JR 1986, 386

NZA 1986, 129-131 (LT1-2)

SAE 1986, 103-105 (LT1-2)

WM IV 1985, 1402-1405 (LT1-2)

ZIP 1985, 1338

ZIP 1985, 1338-1341 (LT1-2)

AP § 6 SozplKonkG (LT1-2), Nr 2

AR-Blattei, ES 970 Nr 62 (LT1-2)

AR-Blattei, Konkurs Entsch 62 (LT1-2)

EzA § 61 KO, Nr 9 (LT1-2)

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