Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaub im Baugewerbe bei Verteilung der Arbeit auf neun Tage in der Doppelwoche

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit für Angestellte des Baugewerbes nicht nach § 4 Nr. 1.1 RTV Poliere auf fünf Arbeitstage in der Woche, sondern abweichend nach § 4 Nr. 1.2 RTV Poliere auf neun Arbeitstage in der Doppelwoche verteilt, so muß die Anzahl der Urlaubstage für die an neun Tagen in der Doppelwoche arbeitenden Angestellten durch Umrechnung ermittelt werden. Der zeitlich gleichwertige Urlaubsanspruch wird in der Weise berechnet, daß die unterschiedliche Anzahl von Arbeitstagen miteinander in Beziehung gesetzt wird (Fortführung der Senatsrechtsprechung, BAG Urteile vom 18. Februar 1997 - 9 AZR 738/95 - AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie und vom 3. Mai 1994 - 9 AZR 165/91 - BAGE 76, 359 = AP Nr. 13 zu § 1 BUrlG Fünf-Tage-Woche).

2. Haben die Tarifvertragsparteien die Anzahl der im Kalender zustehenden Urlaubstage nach der Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche bemessen, so erhöht oder vermindert sich bei einer abweichenden Verteilung die Anzahl der Urlaubstage je nachdem, ob die regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf mehr oder weniger Tage der Kalenderwoche verteilt worden ist.

 

Normenkette

RTV Poliere vom 12. Juni 1978 i.d.F. vom 19. Mai 1992 § 4 Nr. 2, § 11 Nr. 2; RTV Poliere vom 12. Juni 1978 i.d. F. vom 19. Mai 1992 § 11 Nr. 2.1; RTV Poliere vom 12. Juni 1978 i.d.F. vom 19. Mai 1992 § 4 Nr. 1.1

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 12.11.1996; Aktenzeichen 6 Sa 439/95)

ArbG München (Urteil vom 19.01.1995; Aktenzeichen 25 Ca 19874/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 12. November 1996 - 6 Sa 439/95 - aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Januar 1995 - 25 Ca 19874/93 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Umfang des Urlaubsanspruchs für das Jahr 1993.

Der 1941 geborene Kläger ist seit 1968 bei der Beklagten angestellt und wird in deren Niederlassung München als Polier beschäftigt. Beide Parteien sind kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die Poliere des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 12. Juni 1978 in der Fassung vom 19. Mai 1992 (kurz: RTV Poliere) Anwendung. Darin ist u.a. geregelt:

§ 4 Arbeitszeit

1. Regelmäßige Arbeitszeit

1.1. Die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen beträgt montags bis donnerstags acht, freitags sieben Stunden, die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 39 Stunden.

1.2. Die regelmäßig an einzelnen Werktagen ausfallende Arbeitszeit kann durch Verlängerung der Arbeitszeit ohne Mehrarbeitszuschlag an anderen Werktagen innerhalb derselben Wochen ausgeglichen werden.

Durch Betriebsvereinbarung kann innerhalb von zwei zusammenhängenden Gehaltsabrechnungszeiträumen (zweimonatiger Ausgleichszeitraum) an einzelnen Werktagen regelmäßig ausfallende Arbeitszeit durch Verlängerung der Arbeitszeit an anderen Werktagen des Ausgleichszeitraumes ohne Mehrarbeitszuschlag ausgeglichen werden. Die Summe der regelmäßigen werktäglichen Arbeitszeiten in den einzelnen Wochen des Ausgleichszeitraumes darf 32 Stunden nicht unterschreiten. Am Ende des Ausgleichszeitraumes muß für jeden Polier durchschnittlich die wöchentliche Arbeitszeit gemäß Nr. 1.1. erreicht werden. …

§ 11 Urlaub

1. Urlaubsanspruch

1.1. Jeder Polier hat in jedem Jahr Anspruch auf einen bezahlten Erholungsurlaub.

2. Urlaubsdauer

2.1. Der Urlaub beträgt im Kalenderjahr (Urlaubsjahr) 30 Arbeitstage. Er besteht aus dem Jahresurlaub von 27 Arbeitstagen und dem Zusatzurlaub von 3 Arbeitstagen.

2.2. Samstage gelten nicht als Arbeitstage.

2.3. Der Zusatzurlaub kann nur in den Monaten Januar, Februar, März und Dezember verwirklicht werden.

Die Betriebsparteien haben am 7. Dezember 1989 in einer Betriebsvereinbarung festgelegt, daß mit Einführung der 39-Stunden-Woche ab 1. Januar 1990 jeder zweite Freitag arbeitsfrei ist und die täglich regelmäßige Arbeitszeit wie folgt verteilt wird:

„Mo

Die

Mi

Do

Fr

lange Woche

9,0

9,0

9,0

9,0

7,0

=

43,0

Std.

kurze Woche

9,0

9,0

9,0

8,0

---

=

35,0

Std.

78,0

Std./2

=

39

Std/Wo”

Die Beklagte teilte dem Kläger Anfang 1993 mit, daß sie wegen der im Verhältnis zur Fünf-Tage-Woche geringeren Anzahl der Wochenarbeitstage in der Doppelwoche den tariflichen Jahresurlaub auf 27 Arbeitstage kürze. Der Kläger hat dem im April 1993 widersprochen und den „ungekürzten” Urlaub verlangt. Mit der am 15. Dezember 1993 eingereichten und am 5. Januar 1994 zugestellten Klage hat er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für das Urlaubsjahr 1993 drei weitere Arbeitstage als Urlaubstage zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf einen aus dem Jahre 1993 übertragenen Urlaub.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß nach § 4 Abs. 1 TVG für die beiderseits tarifgebundenen Parteien die urlaubsrechtlichen Bestimmungen des RTV Poliere unmittelbar und zwingend gelten. Der Kläger war aber entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts 1993 nicht berechtigt, nach § 11 Nr. 2.1. RTV Poliere 30 Tage Urlaub zu verlangen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß die Festsetzung in § 11 Nr. 2.1. RTV Poliere „Der Urlaub beträgt … 30 Arbeitstage” auf die in § 4 Nr. 1.1. RTV Poliere geregelte Verteilung der Arbeitszeit in der Fünf-Tage-Woche bezogen ist. Die Arbeitszeit des Klägers war 1993 von dieser Regel abweichend verteilt. Die für eine gleichwertige Urlaubsdauer maßgebliche Anzahl von Urlaubstagen mußte deshalb durch eine entsprechende Umrechnung ermittelt werden.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (BAG Urteile vom 18. Februar 1997 - 9 AZR 738/95 - AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie und vom 3. Mai 1994 - 9 AZR 165/91 - BAGE 76, 359 = AP Nr. 13 zu § 3 BUrlG Fünf-Tage-Woche) ist bei jeder abweichenden Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit die für die betroffenen Arbeitnehmer maßgebliche Anzahl von Urlaubstagen durch Umrechnung zu ermitteln. Dazu ist die unterschiedliche Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht pro Kalenderwoche mit der Anzahl der Urlaubstage zueinander ins Verhältnis zu setzen. Ist die regelmäßige Arbeitszeit nicht gleichmäßig auf alle Kalenderwochen verteilt, muß für diese Verhältnismäßigkeitsrechnung auf den Zeitabschnitt abgestellt werden, indem im Durchschnitt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erreicht wird. (BAGE 76, 359, 362 = AP, aaO).

b) 1993 war die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers nach der Betriebsvereinbarung vom 7. Dezember 1989 so verteilt, daß im Durchschnitt von zwei Wochen (Doppelwoche) die in § 4 Nr. 1.1. RTV Poliere geregelte wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden erreicht worden ist. Für die erforderliche Umrechnung zur Ermittlung der maßgeblichen Zahl der Urlaubstage sind deshalb die zehn Arbeitstage, die bei der Regelverteilung nach § 4 Nr. 1.1. RTV Poliere in einer Doppelwoche anfallen, und die neun Arbeitstage, die bei der für den Kläger maßgeblichen anderweiten Verteilung anfallen, zueinander ins Verhältnis zu setzen. Daraus ergibt sich folgende Berechnung:

30 Urlaubstage × 9 Arbeitstage

= 27 Arbeitstage Urlaub.

10 Arbeitstage

Dieser Urlaubsanspruch ist durch die Freistellungserklärung der Beklagten 1993 erfüllt worden und somit nach § 362 Abs. 1 BGB erloschen.

c) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausreichend berücksichtigt, daß Inhalt des Urlaubsanspruchs das Recht des Arbeitnehmers ist, die Befreiung von der Arbeitspflicht an den Tagen zu fordern, an denen er ohne Freistellungserklärung des Arbeitgebers zur Arbeit verpflichtet wäre (vgl. Leinemann/Linck, BUrlG, § 1 Rz 30). Die Urlaubsdauer hängt stets von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ab. Denn nur für diese Tage kommt der Freistellung durch den Arbeitgeber eine rechtliche Bedeutung zu. Eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nämlich nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungstag eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Nichts anderes haben die Tarifvertragsparteien mit ihrer Definition des Arbeitstages in § 11 Nr. 2.2. RTV Poliere zum Ausdruck gebracht. Danach gelten Samstage, an denen nach § 4 Nr. 1.1. RTV Poliere keine Arbeitspflicht für die Angestellten im Baugewerbe besteht, nicht als Urlaubstage.

Der Bestimmung der Urlaubsdauer muß daher stets die Klärung vorausgehen, an welchen Tagen eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung besteht. Wird die geschuldete regelmäßige Arbeitszeit auf eine unterschiedlich große Anzahl von Wochentagen verteilt, so ergibt sich zur Sicherung einer gleichwertigen Urlaubsdauer die Notwendigkeit einer entsprechenden Umrechnung. Das Erfordernis der Umrechnung ist für den Zusatzurlaub der Schwerbehinderten in § 47 Satz 1 2. Halbsatz SchwbG gesetzlich anerkannt worden. Dort ist geregelt, daß sich entsprechend der Anzahl der Wochentage mit Arbeitspflicht die Anzahl der Urlaubstage entsprechend erhöht oder vermindert. Darin liegt eine für das gesamte Urlaubsrecht gültige Regel: Ist der Umfang des Urlaubs nach der Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf eine Fünf-Tage-Woche bemessen, so erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch, wenn die regelmäßige Arbeitszeit auf mehr oder weniger Wochentage verteilt wird. Arbeitet z. B. ein Arbeitnehmer an sechs Tagen in der Woche, erhöht sich sein Freistellungsanspruch auf 6/5. Die Tarifvertagsparteien haben im RTV Poliere keine davon abweichende Regelung getroffen.

d) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts führt eine Umrechnung auch nicht dazu, daß der Kläger jedes Jahr an drei zusätzlichen Arbeitstagen ohne Entgelt arbeiten müßte. Auch bei dem von 30 auf 27 Tage Urlaub „verminderten” Anspruch auf Freistellung von der Arbeit war im Jahre 1993 eine gleichwertige Urlaubsdauer gesichert. Der Freistellungszeitraum betrug insgesamt für den Kläger drei Doppelwochen, das sind sechs Wochen. Erhielte der Kläger demgegenüber, wie er gefordert hat, 30 Tage Urlaub, so ergäbe das eine zusammenhängende Arbeitsbefreiung von mehr als sechs Wochen. Das wäre eine sachlich nicht zu rechtfertigende Bevorzugung. Das zeigt auch der Blick auf das fortzuzahlende Urlaubsentgelt. Wer bei Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf neun Tage in der Doppelwoche an 27 Arbeitstagen freigestellt wird, erhält ein Urlaubsentgelt für 6 Wochen × 39 Stunden = 234 Stunden. Müßte die Beklagte an 30 Arbeitstagen von der Arbeitspflicht freistellen, erhielte der Arbeitnehmer je nach zeitlicher Lage des Urlaubsbeginns zusätzlich zu den 234 Stunden weitere drei Arbeitstage mit jeweils 9,7 oder 8 Stunden Entgelt vergütet. Dem Arbeitnehmer, dessen tarifliche Arbeitszeit nach § 4 Nr. 1.1. RTV auf fünf Tage in der Woche verteilt ist, wäre demgegenüber nur für 6 Wochen × 39 Stunden = 234 Stunden das Entgelt fortzuzahlen.

II. Der unterlegene Kläger hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Unterschriften

Düwell, Reinecke, Schmidt, Furche, Busch

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 08.09.1998 durch Brüne, Reg. Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BAGE, 362

DB 1999, 694

ARST 1999, 141

FA 1999, 104

NZA 1999, 665

RdA 1999, 357

SAE 1999, 206

ZAP 1999, 441

AP, 0

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