Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorzeitige Betriebsrente und Höchstbegrenzungsklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Höchstbegrenzungsklausel in einer Versorgungsordnung ist im Zweifel dahin auszulegen, daß Voll- oder Teilrenten zunächst unabhängig von der Höchstbegrenzungsklausel zu berechnen sind, und daß diese Renten erst bei Überschreiten der Höchstgrenzen zu kürzen sind (Bestätigung von BAGE 45, 1 = AP Nr 4 zu § 2 BetrAVG; Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr 12 zu § 6 BetrAVG).

 

Normenkette

BetrAVG § 6; BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 03.05.1988; Aktenzeichen 2 Sa 1206/87)

ArbG Rosenheim (Urteil vom 28.10.1987; Aktenzeichen 3 Ca 1075/87)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 3. Mai 1988 – 2 Sa 1206/87 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung einer vorgezogenen Betriebsrente.

Der am 4. Juli 1924 geborene Kläger war seit dem 1. Januar 1953 bei der Beklagten als Buchhalter beschäftigt. Zuletzt verdiente er durchschnittlich 4.290,-- DM brutto monatlich. Er trat am 31. Juli 1984 nach Vollendung seines 60. Lebensjahres als Schwerbehinderter in den Ruhestand. Seit dem 1. August 1984 bezieht er aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten ein Altersruhegeld von monatlich 2.148,35 DM.

Die Beklagte gewährt ihren Angestellten eine betriebliche Altersversorgung nach einer Ruhegeldordnung (RO) vom 31. Dezember 1959. Nach § 2 RO hat einen Rechtsanspruch auf Altersversorgung, wer

“nach 20-jähriger Betriebszugehörigkeit aus dem Arbeitsverhältnis nach Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung ausscheidet:

  • wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bei männlichen und des 60. Lebensjahres bei weiblichen Betriebsangehörigen oder
  • wegen dauernder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Reichsversicherungsordnung oder des Angestelltenversicherungsgesetzes.

In allen anderen Fällen des Ausscheidens entstehen keine Rechtsansprüche auf Altersversorgung.”

In § 3 RO ist die Höhe der Versorgungsbezüge wie folgt geregelt:

“Diese Rente beträgt 25 % des im letzten vollen Dienstjahr durchschnittlich bezogenen Bruttogehaltes …

Die Höhe der Betriebsrente ist für den einzelnen Angestellten in der Weise begrenzt, daß sie zusammen mit den Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung 75 % der im letzten vollen Dienstjahr bezogenen ruhegehaltsfähigen Bruttobezüge nicht überschreitet …

Die betriebliche Rente beträgt aber mindestens nach Ablauf der 20-jährigen Wartezeit monatlich 40,-- DM und steigt für jedes volle Dienstjahr, das nach Ablauf dieser Wartezeit im Dienste der Firma zurückgelegt wird, um je 2,-- DM monatlich.”

Die Parteien sind sich darüber einig, daß dem Kläger gemäß § 6 BetrAVG eine vorgezogene Betriebsrente zusteht, die durch eine ratierliche Kürzung der Vollrente zu ermitteln ist.

Streit besteht nur über die Berechnung. Die Beklagte will die Vollrente (Rente beim Ausscheiden mit Vollendung des 65. Lebensjahres) und die fiktive Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusammenrechnen und diesen Betrag kürzen, soweit er 75 % der in der Versorgungsordnung vorgesehenen Höchstgrenze der Gesamtversorgung überschreitet. Sie errechnet für den Kläger eine Vollrente von 758,40 DM monatlich und eine zeitanteilig gekürzte Rente (Alter 60) von 656,25 DM monatlich. Der Kläger will sich nur die tatsächlich gezahlte Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anrechnen lassen. Die Höchstbegrenzungsklausel sei kein eigenständiger Berechnungsfaktor; sie solle nur eine Überversorgung vermeiden. In die Berechnung sei nur die tatsächlich gezahlte Sozialversicherungsrente einzustellen. Er gelangt zu dem Ergebnis, daß seine ratierlich gekürzte Betriebsrente 925,13 DM monatlich betrage.

Der Kläger fordert die Differenz zwischen der beanspruchten und der tatsächlich gezahlten Betriebsrente in Höhe von 268,88 DM monatlich für die Zeit vom 1. August 1984 bis zum 31. Juli 1987. Er hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.679,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 5. August 1987 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die in § 3 Abs. 2 RO vorgesehene Höchstbegrenzungsklausel sei Teil eines Gesamtversorgungssystems, sie müsse zur Feststellung der fiktiven Vollrente beim Ausscheiden mit Vollendung des 65. Lebensjahres angewandt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Betriebsrente in der geltend gemachten Höhe folgt aus § 3 RO i.Verb.m. § 6 Satz 1 BetrAVG.

1. Gemäß § 6 Satz 1 BetrAVG kann ein Arbeitnehmer die vorgezogene Zahlung einer Betriebsrente verlangen, wenn er als Schwerbehinderter vorzeitig in den Ruhestand getreten ist und die sonstigen Voraussetzungen der Ruhegeldordnung vorliegen. Der Kläger hat seit 1953 dem Betrieb der Beklagten angehört und damit auch die 20-jährige Wartezeit des § 2 Abs. 1 RO erfüllt.

2. Weder in der Versorgungsordnung der Beklagten noch in § 6 BetrAVG ist geregelt, welche Kürzungen ein Arbeitnehmer hinnehmen muß, wenn er von seinem Recht auf vorzeitigen Bezug der Betriebsrente Gebrauch macht. Da die Regelung des Betriebsrentengesetzes die Versorgungsordnung der Beklagten aus dem Jahre 1959 lückenhaft gemacht hat, kann der Arbeitgeber nachträglich eine ergänzende Regelung einführen. Ist das, wie hier, unterblieben, so sind die Rentenhöhe und die Berechnungsweise durch Auslegung zu ermitteln und im Zweifel eine Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen (ständige Rechtsprechung des Senats seit BAGE 30, 333 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, mit zustimmender Anmerkung von Ahrend/Förster/Rößler; Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr. 12 zu § 6 BetrAVG; ferner Blomever/Otto, BetrAVG, § 6 Rz 91 bis 93 und 159).

Wie der Streit der Parteien zeigt, kommen mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht.

a) Die Beklagte versteht die Begrenzungsklausel des § 3 Abs. 2 RO als Berechnungsvorschrift im Rahmen eines sog. Gesamtversorgungssystems. Sie will zunächst die erreichbare theoretische Gesamtversorgung im Alter 65 (hypothetische Vollrente und hypothetische Sozialversicherungsrente aus Pflichtbeiträgen) ermitteln, diese an der Höchstgrenze messen und den sodann auf die Höchstgrenze bereits gekappten Betrag (758,40 DM) nochmals zeitanteilig kürzen. Eine solche Gestaltung ist vertraglich möglich (BAG Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr. 12 zu § 6 BetrAVG, unter II 2a der Gründe). Die Ruhegeldordnung spricht nicht zwingend gegen diese Auslegungsmöglichkeit.

Diese Anrechnung der Sozialversicherungsrente des Klägers im Rahmen der Limitierungsklausel verstieße nicht gegen § 45 Abs. 1 SchwbG bzw. § 42 Abs. 1 SchwbG a.F. Auch Altersrentenbezüge aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft sind nach § 5 Abs. 2 BetrAVG jedenfalls seit der Neufassung des Schwerbehindertengesetzes seit dem 1. Januar 1982 anrechenbar (vgl. BAG Urteil vom 19. Juli 1983 – 3 AZR 88/81 – BAGE 43, 161 = AP Nr. 9 zu § 5 BetrAVG, mit zustimmender Anmerkung Gitter; bestätigt in BAGE 44, 176 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrAVG; vgl. Wilrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz, 6. Aufl., § 42 Rz 4 a.E.; Höfer/Abt, BetrAVG, Bd. 1, 2. Aufl., § 5 Rz 22; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 5 Rz 145).

Auch die Auslegung des Klägers, der das Berufungsgericht gefolgt ist, erscheint möglich. Die Limitierungsklausel kann als Ausnahmevorschrift verstanden werden, die nicht dazu bestimmt ist, Teilrenten zu beschneiden. So verstanden soll sie nur tatsächliche Überversorgungen verhindern und ausschließen, daß Rentner aus verschiedenen Quellen Versorgungsbezüge erhalten, die ihr letztes Nettoeinkommen übersteigen. Dann ist zunächst die erdiente Betriebsrente nach § 3 Abs. 1 RO festzustellen (1.072,50 DM), sodann diese zeitanteilig zu kürzen und erst anschließend die gekürzte Teilrente (928,03 DM) mit der Obergrenze der jetzigen Gesamtversorgung zu vergleichen.

b) Die zuletzt dargestellte Auslegung verdient den Vorzug. Der Senat hat die Auslegungsregel entwickelt, daß Gesamtversorgungsobergrenzen im Zweifel erst auf den zeitanteilig gekürzten Betrag anzuwenden sind, wenn die Berechnung nicht grundsätzlich von anderen Versorgungsbezügen abhängen soll. Das heißt: Ist der Gesamtversorgungsbedarf nicht durchgängig Berechnungsfaktor für die betriebliche Leistung, sondern hängt die Berechnung der Betriebsrente gerade nicht vom Versorgungsbetrag auf der Grundlage der Gesamtversorgung ab, dann dient die Obergrenze der Vermeidung einer Überversorgung. Sie ist dann auch erst anzuwenden, wenn nach einer ratierlichen Kürzung eine Überversorgung bleibt (BAG Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr. 12 zu § 6 BetrAVG, unter II 2a der Gründe; BAGE 45, 1 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrAVG; 44, 176 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrAVG; zustimmend im Ergebnis auch Hilger, Anm. zur letzten Entscheidung in: ARBl, Teil D, Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 138).

Im Streitfall ist den Arbeitnehmern der Beklagten eine Rente in Höhe von 25 % des zuletzt bezogenen Bruttogehalts zugesagt. Ein Gesamtversorgungsbedarf ist für die Berechnung nicht maßgebend. Erst wenn das betriebliche Ruhegeld und die Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung 75 % der letzten Bruttobezüge übersteigen, soll eine Kappung stattfinden. Damit wird deutlich, daß die Obergrenze hier nur Überversorgungen verhindern soll. Eine Hochrechnung auf die Vollversorgung bei Vollendung des 65. Lebensjahres, wie sie die Beklagte vornimmt, kommt nicht in Betracht.

3. Der Senat sieht keinen Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern. Sie beruht letztlich auf der Anwendung der Unklarheitenregel und führt auch nicht, wie die Beklagte meint, zu unbilligen Ergebnissen. Daß ältere Arbeitnehmer von einer Kürzung aufgrund der Höchstbegrenzungsklausel eher betroffen werden können als jüngere und vorzeitig ausscheidende Arbeitnehmer, trifft allerdings zu. Dieses Ergebnis ist indes kennzeichnend für jede Begrenzung der Gesamtversorgung. Es ist nicht schon deswegen unbillig oder gar gleichheitswidrig, sondern durch sachliche Gründe gerechtfertigt (BAG Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP Nr. 12 zu § 6 BetrAVG, zu II 2c der Gründe).

II. Die Betriebsrente des Klägers berechnet sich daher wie folgt:

(1) 

Betriebsrente Alter 65

1.072,50 DM

(2)

Teilrente Alter 60(gekürzt um Faktor 0,8653)

928,03 DM

(3)

Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung

2.148,35 DM

(4)

Gesamtversorgung (2 und 3)

 3.076,38 DM

(5)

Höchstbegrenzung nach § 3 Abs. 2 RO (75 % von 4.290,-- DM)

3.217,50 DM

(6)

Kappung der Teilrente

-,-- DM

(7)

endgültige Teilrente im Alter 60

928,03 DM

Für 36 Monate stehen dem Kläger damit 9.748,28 DM zu. Da der Kläger weniger verlangt hat, ist die Revision der Beklagten unbegründet.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Dr. Hromadka, Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 841016

RdA 1990, 316

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