Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf tarifvertragliche Anpassungen der Gagen

 

Leitsatz (amtlich)

  • § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages in der Fassung vom 18. Juni 1991 erstreckt sich nicht auf Gehaltserhöhungen im Bereich des BAT-O, die der Angleichung der Vergütungen in den alten und neuen Bundesländern dienen. Die Tarifvertragsparteien haben sich weder im Anpassungsrahmentarifvertrag noch im Tarifvertrag zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet vom 18. Juni 1991 zu einer kontinuierlichen Angleichung der Gagen in den alten und neuen Bundesländern verpflichtet.
  • Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht dadurch verletzt worden, daß zusätzliche strukturelle Anpassungen, die auf die Veränderungen im Bereich des BAT-O abstellen, lediglich bei den unter den NV Solo, BTT und BTTL fallenden Arbeitnehmern unterblieben sind, während sie in anderen Bereichen des Bühnenwesens erfolgten. Diese Differenzierung knüpft an die unterschiedlichen Vergütungsstrukturen an und ist durch sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt.
 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung, § 1 Tarifverträge: Bühnenmitglieder; BGB § 611; Anpassungsrahmentarifvertrag i.d.F. vom 18. Juni 1991; Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet; Normalvertrag Solo (NV Solo) § 24; Erster Tarifvertrag zur Änderung und Übernahme des Normalvertrages Solo; Bühnentechniker-Tarifvertrag (BTT); Tarifvertrag für technische Angestellte mit teilweise künstlerischer Tätigkeit an Landesbühnen (BTTL); GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 23.08.1994; Aktenzeichen 11 (10) Sa 335/94)

ArbG Köln (Urteil vom 24.11.1993; Aktenzeichen 7 Ca 3245/93)

 

Tenor

  • Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. August 1994 – 11 (10) Sa 335/94 – wird zurückgewiesen.
  • Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt vom Beklagten den Abschluß eines Tarifvertrages zur Angleichung der Vergütungen in den alten und neuen Bundesländern.

Die Klägerin und die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger haben am 18. Juni 1991 mit dem Beklagten für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet mehrere Tarifverträge abgeschlossen. Durch den Ersten Tarifvertrag zur Änderung und Übernahme des Normalvertrages Solo wurde folgender § 24 in den Normalvertrag Solo (NV Solo) eingefügt:

“Übergangsregelungen für das Beitrittsgebiet

Für die Mitglieder, deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind, gelten folgende Übergangsregelungen:

  • § 3 Abs. 1 Satz 2 gilt mit der Maßgabe, daß die Mindestgage 1.650,-- DM beträgt.
  • Es gelten folgende Tarifverträge:

    • Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Änderung und Übernahme des Tarifvertrages vom 23. November 1977 über die Mitteilungspflicht,
    • Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet,
    • Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Änderung und Übernahme des Anpassungsrahmentarifvertrages vom 3. Juni 1966,

Das Inkrafttreten des Übernahmetarifvertrages wurde wie folgt geregelt:

“§ 2

  • Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Juli 1991 in Kraft, in § 24 Abs. 2 in der Fassung des § 1 Nr. 2 dieses Tarifvertrages treten die Buchstaben a, d und f am 1. August 1991, der Buchstabe e mit Beginn der Spielzeit 1991/92 in Kraft. § 24 Abs. 1 und Abs. 3 in der Fassung des § 1 Nr. 2 dieses Tarifvertrages kann jederzeit schriftlich gekündigt werden.

Entsprechende Übergangsregelungen und Schlußbestimmungen enthalten auch der Erste Tarifvertrag zur Änderung und Übernahme des Tarifvertrages für technische Angestellte mit künstlerischer oder überwiegend künstlerischer Tätigkeit an Bühnen (Bühnentechniker-Tarifvertrag-BTT) und der Erste Tarifvertrag zur Änderung und Übernahme des Tarifvertrages für technische Angestellte mit teilweise künstlerischer Tätigkeit an Landesbühnen (BTTL).

Der in den Übergangsregelungen aufgeführte Tarifvertrag zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet bestimmt unter anderem:

“§ 2

  • Die festen Gehälter der Mitglieder werden am 1.7.1991 erhöht, und zwar

    • um 80 v.H., wenn das feste Gehalt nicht mehr als 2.700,-- DM monatlich,
    • auf 4.860,-- DM, wenn das feste Gehalt mehr als 2.700,-- DM monatlich

      beträgt.

      Ein darüber hinausgehendes Gehalt kann im Arbeitsvertrag vereinbart werden.

Nach § 3 Nr. 1 NV Solo, § 4 BTT und § 4 BTTL ist im Dienstvertrag ein festes monatliches Gehalt zu vereinbaren, das den tariflichen Mindestbetrag nicht unterschreiten darf. § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages vom 3. Juni 1966 in der Fassung der Tarifverträge vom 24. Oktober 1973 und vom 18. Juni 1991 schreibt vor:

“Werden die Bezüge (Grundvergütungen, Ortszuschläge) der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag – BAT – fallenden Angestellten des Bundes rechtsverbindlich allgemein geändert, so sind die festen Gehälter der in § 1 genannten Personen diesen Änderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen. Der tarifvertraglichen Regelung unterliegen Umfang und Inkrafttreten der Anpassung.”

Der Erste Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Änderung und Übernahme des Anpassungsrahmentarifvertrages beschränkte sich darauf, in § 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages die Worte “einschließlich des Landes Berlin” durch das Wort “Deutschland” zu ersetzen. Nach dieser Erweiterung des Geltungsbereichs des Anpassungsrahmentarifvertrages wurden die festen Gehälter auch der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet wurden, durch den 24. Tarifvertrag vom 15. Juni 1992 zur Durchführung des Anpassungsrahmentarifvertrages um 5,4 % und durch den 25. Durchführungstarifvertrag vom 15. Februar 1993 um 3 % erhöht. Diese prozentuale Erhöhung entsprach den Ergebnissen der Tarifverhandlungen im Bereich des BAT.

Der Beklagte war nicht bereit, tarifvertraglich die festen Gehälter der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet wurden, zusätzlich anzupassen. Für den öffentlichen Dienst vereinbarten die Tarifvertragsparteien, daß sich die Bezüge der unter den Geltungsbereich des BAT-O fallenden Angestellten ab 1. Mai 1992 auf 70 %, ab 1. Februar 1993 auf 74 % und ab 1. Juli 1993 auf 80 % der Beträge des jeweiligen Vergütungstarifvertrags zum BAT belaufen sollten. Entsprechende Anpassungsvereinbarungen schloß der Beklagte mit der Klägerin für die sog. Kollektive, z.B. für die Musiker in Kulturorchestern und Opernchormitglieder, nicht aber für die vom Normalvertrag Solo, vom BTT und vom BTTL erfaßten Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten.

Durch die Zweiten Tarifverträge vom 12. Juli 1993 zur Änderung und Übernahme des NV Solo, des BTT und des BTTL wurden die Unterschiede bei der Mindestgage ab Beginn der Spielzeit 1993/94 beseitigt. Bis 31. Dezember 1993 belief sich die Mindestgage für das gesamte Bundesgebiet auf 2.400,-- DM monatlich. Seit 1. Januar 1994 beträgt sie einheitlich 2.500,-- DM.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages in der Fassung des Tarifvertrags vom 18. Juni 1991 sei der Beklagte verpflichtet, einen Tarifvertrag abzuschließen, durch den die Vergütungen der Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet wie im Bereich des BAT-O erhöht und so den Gagen in den alten Bundesländern angeglichen würden. § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages knüpfe für das Beitrittsgebiet nicht an die Entwicklung des BAT (West), sondern an die Entwicklung des BAT-O an. Auch strukturelle Gehaltserhöhungen im Bereich des BAT-O seien “allgemeine” Änderungen der BAT-Bezüge. Würde § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages ausschließlich auf den BAT (West) abstellen, so würde diese Regelung sowohl den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verletzen. Es gebe keine sachlichen Gründe dafür, lediglich den unter den NV Solo, den BTT und den BTTL fallenden Arbeitnehmern strukturelle Gehaltsanpassungen zu versagen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, mit der Klägerin einen Tarifvertrag abzuschließen, wonach die festen Gehälter

  • für die Bühnenmitglieder im Sinne des Normalvertrages – Solo –,
  • für die unter den Bühnentechnikertarifvertrag – BTT – fallenden Angestellten und
  • für die unter den Tarifvertrag für technische Angestellte mit teilweise künstlerischer Tätigkeit an Landesbühnen – BTTL – fallenden Angestellten
  • an Bühnen in den fünf neuen Bundesländern, die von einem Lande oder einer Gemeinde oder mehreren Gemeinden oder einem Gemeindeverband ganz oder überwiegend wirtschaftlich oder rechtlich getragen werden, bezogen auf das sich aus § 2 des Tarifvertrages vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet ergebende Tarifgehalt zu einem von den Parteien noch zu vereinbarenden Zeitpunkt in dem Umfang angepaßt werden, wie dies im Bereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages – Ost – im Jahre 1992 geschehen ist und noch geschieht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Klage sei bereits unzulässig, zumindest aber unbegründet. Der Klageantrag sei zu unbestimmt. Jedenfalls stehe der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Abschluß eines Tarifvertrages nicht zu. § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages beziehe sich nicht auf strukturelle Änderungen der Bezüge im Bereich des BAT-O. Die Beschränkung auf allgemeine, für das gesamte Bundesgebiet geltende Gehaltserhöhungen verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Anpassungsrahmentarifvertrag berücksichtige, daß es für die unter den Normalvertrag Solo, den BTT und den BTTL fallenden Künstler und bühnentechnischen Angestellten im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern des Bühnenbereichs keine Gagentarifverträge gebe, sondern die Gagen frei vereinbart würden. Die wortgetreue Auslegung des Anpassungsrahmentarifvertrages verletze auch nicht Art. 9 Abs. 3 GG. Vielmehr sei die von der Klägerin beantragte Verurteilung zum Abschluß eines Tarifvertrages mit der Tarifautonomie nicht zu vereinbaren.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Klage zulässig.

1. Nach dem Wortlaut des Klageantrags ist eine Leistungsklage auf Abgabe einer Willenserklärung erhoben worden. Dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nur dann genügt, wenn die Klageschrift den Inhalt der abzugebenden Willenserklärung eindeutig festlegt. Vertragsangebot und Vertragsannahme müssen alle wesentlichen Vertragsbestandteile umfassen. Dazu gehören bei dem verlangten Tarifabschluß sowohl die konkrete Gagenerhöhung als auch der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Diesen Anforderungen wird der Klageantrag nicht gerecht.

2. Der Klageantrag kann aber unter Berücksichtigung des gesamten Klagevorbringens als Feststellungsklage ausgelegt werden. Die Klägerin möchte für die Vergangenheit und die Zukunft die tariflichen Pflichten des Beklagten aus § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages vom 3. Juni 1966 in der Fassung der Tarifverträge vom 24. Oktober 1973 und vom 18. Juni 1991 gerichtlich klären lassen.

a) Eine einheitliche Feststellungsklage ist zulässig. Für die Zukunft scheidet eine Leistungsklage auf Abgabe einer konkreten Willenserklärung ohnehin aus. Abgesehen davon steht die Möglichkeit, eine Klage auf künftige Leistungen nach § 257 ZPO zu erheben, einer selbständigen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO nicht entgegen. Vielmehr kann die Klägerin zwischen diesen beiden Klagearten wählen (vgl. u.a. BAGE 12, 294, 296 = AP Nr. 31 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 15. Januar 1992 – 7 AZR 194/91 – AP Nr. 84 zu § 37 BetrVG 1972, zu I 2 der Gründe; BGH Urteil vom 7. Februar 1986 – V ZR 201/84 – NJW 1986, 2507).

b) Soweit für die Vergangenheit eine Leistungsklage möglich ist, besteht jedenfalls dann ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung des geltend gemachten Anspruchs, wenn sie im Einzelfall zu einer prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (vgl. u.a. BAG Urteil vom 27. November 1986 – 8 AZR 163/84 – AP Nr. 13 zu § 50 BAT, zu I 1 der Gründe; BAGE 67, 35, 40 = AP Nr. 4 zu § 4 BPersVG, zu A der Gründe; BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 499/94 –, n.v., zu A III 2c bb der Gründe). Im vorliegenden Fall wird mit einem Feststellungsurteil eine abschließende Klärung der Pflichten des Beklagten aus § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages erreicht. Einer Aufspaltung in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag bedarf es nicht.

B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Beklagte ist weder verpflichtet, einen Tarifvertrag abzuschließen, durch den die im Bereich des BAT-O erfolgten strukturellen Gehaltsanpassungen auf die Bühnenmitglieder und die bühnentechnischen Angestellten übertragen werden, noch muß er innerhalb eines bereits vorgegebenen, verbindlichen Rahmens hierüber verhandeln.

I. Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages in der Fassung vom 18. Juni 1991 in Betracht. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß sich diese Regelung nicht auf Gehaltserhöhungen im Bereich des BAT-O erstreckt, die der Angleichung der Vergütungen in den alten und den neuen Bundesländern dienen. Diese ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, ihrem Sinn und Zweck, der Tarifsystematik und der Entwicklung des Anpassungsrahmentarifvertrages.

1. § 2 Abs. 1 des Anpassungsrahmentarifvertrages stellt nach wie vor auf die “Bezüge … der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag – BAT – fallenden Angestellten des Bundes” ab. Der Begriff des Bundes-Angestelltentarifvertrages hat einen tarifvertraglich klar umrissenen Inhalt. Danach ist unter BAT das in den alten Bundesländern geltende Regelungswerk zu verstehen. Vom “BAT” ist der “Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifvertragliche Vorschriften – (BAT-O)” zu unterscheiden. Auf den als Übergangs- und Überleitungsrecht geschlossenen BAT-O verweist der Anpassungsrahmentarifvertrag nicht.

2. Für eine Regelungslücke oder ein redaktionelles Versehen gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der BAT-O war bereits am 10. Dezember 1990 abgeschlossen worden. Trotzdem hat sich der Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Änderung und Übernahme des Anpassungsrahmentarifvertrages darauf beschränkt, den Geltungsbereich des Anpassungsrahmentarifvertrages ohne weitere inhaltliche Ergänzung auf die neuen Bundesländer auszudehnen. Den Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, daß es sich dabei nur um eine sprachliche Ungenauigkeit gehandelt hat, zumal auch in anderen Tarifverträgen des Bühnenbereichs zwischen BAT und BAT-O unterschieden worden ist. Durch Tarifvertrag vom 9. April 1991 war in den “Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK)” ein § 57a “Übergangsregelungen für das Beitrittsgebiet” eingefügt worden, der u.a. bestimmt:

“§ 55 findet mit der Maßgabe Anwendung, daß an die Stelle der Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag fallenden Angestellten des Bundes die Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost fallenden Angestellten des Bundes treten.”

Eine entsprechende “Übergangsregelung für das Beitrittsgebiet” ist durch Tarifvertrag vom 8. April 1991 in den Chorgagentarifvertrag eingefügt worden.

3. Das tarifliche Übergangsrecht in den Beitrittsländern ist in § 24 NV Solo, § 13a BTT und § 12a BTTL im einzelnen aufgeführt. Soweit für das Beitrittsgebiet Sonderregelungen gelten sollen, werden sie in den einzelnen Übernahmeverträgen ausdrücklich genannt. Ansonsten sind die in den alten Bundesländern geltenden Tarifnormen unverändert übernommen worden. Diese Tarifsystematik ist auch bei der Auslegung des Anpassungsrahmentarifvertrages zu berücksichtigen. Besondere Vorschriften für das Beitrittsgebiet sind in den Anpassungsrahmentarifvertrag nicht aufgenommen worden. Lediglich der räumliche Geltungsbereich des Anpassungsrahmentarifvertrages ist erweitert worden.

4. Der Anpassungsrahmentarifvertrag stellt sicher, daß die Gagen in den alten und neuen Bundesländern nach denselben Grundsätzen erhöht werden. Für das gesamte Bundesgebiet einschließlich der neuen Bundesländer ist ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt gewählt worden, der BAT. Allgemeine Gehaltserhöhungen im BAT-Bereich sind sinngemäß auf alle Arbeitnehmer zu übertragen, auch wenn ihre Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet worden sind. Für einen weitergehenden Zweck enthalten Tarifwortlaut und Tarifsystematik keine Anhaltspunkte.

5. Der Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet führt zu keinem anderen Ergebnis, sondern bestätigt dies. Dieser Tarifvertrag berücksichtigt, daß die strukturellen Gehaltserhöhungen gesondert vereinbart werden müssen. Er ist nicht als Durchführungsvertrag zum Anpassungsrahmentarifvertrag erlassen worden, sondern enthält eigenständige Angleichungsvorschriften. Zutreffend hat der Beklagte darauf hingewiesen, daß der Tarifvertrag zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet einer historischen Ausnahmesituation Rechnung getragen hat.

a) In der ehemaligen DDR galt für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten ein Rahmenkollektivvertrag (RKV), der die Theater in drei Kategorien einteilte, nach denen sich die Gagenhöhe richtete. Der einzelvertragliche Gestaltungsspielraum war gering. Dagegen liegt dem NV Solo, dem BTT und dem BTTL kein Tarifgagensystem zugrunde. Nach diesen Tarifverträgen werden die Gagen frei vereinbart.

b) Vor diesem Hintergrund erschien es den Tarifvertragsparteien geboten, die festen Gehälter, ausgehend von der am 1. Juni 1991 im Arbeitsvertrag festgelegten Gage, um 80 % bis zu 4.860,-- DM zu erhöhen. Weitergehende und zusätzliche Gagenerhöhungen zur Angleichung an ein Westniveau wurden den einzelvertraglichen Vereinbarungen überlassen.

c) Die Parteien verpflichteten sich weder im Tarifvertrag zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet noch im Anpassungsrahmentarifvertrag zu einer kontinuierlichen Angleichung der Gagen in den alten und neuen Bundesländern. Soweit derartige Angleichungen durch Tarifvertrag angebracht erscheinen, muß die Klägerin sie in zusätzlichen Verhandlungen durchsetzen. Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Abschluß eines derartigen Anpassungstarifvertrages besteht nicht.

6. Obwohl der Tarifvertrag zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet vom 18. Juni 1991 keine Anpassungsklausel für die Zukunft enthält und dieser Tarifvertrag auch nicht in den Anpassungsrahmentarifvertrag eingearbeitet oder in Bezug genommen worden ist, verlangt die Klägerin den Abschluß eines zusätzlichen Durchführungsvertrages zum Anpassungsrahmentarifvertrag, der an “das sich aus § 2 des Tarifvertrages vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet ergebende Tarifgehalt” anknüpft.

a) Der Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet hat jedoch keine Tarifgehälter festgelegt, sondern lediglich die sich am 1. Juli 1991 aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergebenden Gagen in gewissem Umfang erhöht und im übrigen den Grundsatz der freien Vereinbarung der Gagen nicht angetastet. Ob hiergegen rechtliche Bedenken bestehen, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Der Unterschied zwischen tariflichen Gehältern und frei vereinbarten Gagen gewinnt gerade bei strukturellen Anpassungen Bedeutung.

aa) Tarifliche Gehälter sind ein berechenbarer, feststehender Mindeststandard. Dagegen fallen die frei zu vereinbarenden Gagen nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Bundesländern sehr unterschiedlich aus. Die Gagenhöhe hängt nicht nur von Können, Ansehen und Durchsetzungskraft des einzelnen Solokünstlers oder bühnentechnischen Angestellten, sondern auch von den Verhältnissen des jeweiligen Theaters und den sonstigen Umständen des Einzelfalles ab.

bb) Ein klares, für die jeweilige Gage aussagekräftiges “Westniveau” gibt es nicht. Bei dem betroffenen Personenkreis sind neue Gagenvereinbarungen häufig, zumal in diesem Bereich des Bühnenwesens in der Regel nur befristete Arbeitsverträge geschlossen werden (vgl. § 2 Nr. 1 Buchst. c NV Solo, § 4 BTT, § 4 BTTL, Tarifvertrag vom 23. November 1977 über die Mitteilungspflicht i.d.F. des Tarifvertrags vom 18. Juni 1991). Die Gagenvereinbarungen können berücksichtigen, daß sich die Lebenshaltungskosten und der Lebensstandard in den neuen und alten Bundesländern immer mehr annähern. Der jeweils verbleibende strukturelle Anpassungsbedarf läßt sich nicht schematisch dadurch bestimmen, daß auf die Entwicklung der Tarifgehälter im Bereich des BAT-O abgestellt wird.

b) Eine Anpassungspflicht lediglich für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten, deren Arbeitsverhältnis bereits am 1. Juli 1991 bestand, läßt sich in den Anpassungsrahmentarifvertrag nicht hineininterpretieren. Eine solche auf einen bestimmten Personenkreis beschränkte Gehaltserhöhung kann auch nicht als sinngemäße Übernahme einer allgemeinen Änderung der Bezüge im öffentlichen Dienst angesehen werden.

II. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt eine verfassungskonforme Auslegung nicht dazu, daß sich der Anpassungsrahmentarifvertrag auch auf strukturelle Gehaltserhöhungen im Bereich des BAT-O erstreckt. Bei einem mehrdeutigen Wortlaut ist zwar die Auslegung vorzuziehen, bei der die anzuwendende Bestimmung mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Zu Recht hat aber das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die wortgetreue Auslegung des Anpassungsrahmentarifvertrags weder den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verletzt.

1. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen (vgl. u.a. BAGE 41, 163, 168 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – DB 1995, 2020 f. = NZA 1996, 48, 50 = ZTR 1995, 503 f. = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B II 2a der Gründe). Auch die Tarifvertragsparteien müssen sich an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten (vgl. u.a. BVerfGE 21, 362, 372 = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO; BAGE 71, 29, 35 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 2a der Gründe; BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt vor, wenn im wesentlichen gleichliegende Sachverhalte ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt werden (vgl. u.a. BVerfGE 25, 198, 205; 25, 314, 321; 31, 101, 109; 36, 321, 328; 40, 65, 85; 49, 280, 283; 80, 109, 118). Eine derart sachwidrige Differenzierung, die in Rechtsprechung und Literatur als willkürlich bezeichnet wird, enthält der Anpassungsrahmentarifvertrag nicht.

a) Der Anpassungsrahmentarifvertrag sieht für alle Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten des gesamten Bundesgebiets Gehaltserhöhungen nach einem einheitlichen Maßstab vor. Insoweit liegt keine Ungleichbehandlung, sondern eine rechtlich nicht zu beanstandende Gleichbehandlung vor, gegen die sich die Klägerin auch nicht wendet.

b) Die Klägerin beruft sich darauf, daß zusätzliche strukturelle Anpassungen, die auf die Veränderungen im Bereich des BAT-O abstellen, lediglich bei den unter den NV Solo, den BTT und den BTTL fallenden Arbeitnehmern unterblieben sind, während sie in anderen Bereichen des Bühnenwesens erfolgten. Diese Differenzierung verstößt jedoch nicht gegen den Gleichheitssatz.

aa) Der Gleichheitssatz ist auch dann anzuwenden, wenn die Tarifvertragsparteien die Arbeitsverhältnisse verschiedener Arbeitnehmergruppen in verschiedenen Tarifverträgen regeln (BAG Urteil vom 17. Oktober 1995 – 3 AZR 882/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt; vgl. auch EuGH Urteil vom 27. Oktober 1993 – Rs C-127/92 –  “Dr. Pamela Mary Enderby” – EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 20, zu Nr. 22 der Gründe). Diese rechtstechnische Aufspaltung spielt für das Gerechtigkeitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG keine Rolle.

bb) Für die tarifvertragliche Unterscheidung gibt es jedoch sachlich einleuchtende Gründe. Der Anpassungsrahmentarifvertrag berücksichtigt die unterschiedlichen Vergütungsstrukturen für die Bühnenmitglieder (Solisten) und bühnentechnischen Angestellten einerseits und für die übrigen Arbeitnehmer in sog. Kollektiven andererseits. Für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten besteht kein Tarifgruppensystem. Bei ihnen stehen die individuellen Fähigkeiten und das künstlerische Ansehen im Vordergrund. Ihrer besonderen Stellung im Bühnenwesen entspricht eine individuelle Gagenfindung, die nur durch eine einheitliche Mindestgage begrenzt wird. Der Grundsatz der freien Gagenvereinbarung ermöglicht auch flexiblere Reaktionen auf einen durch die Wiedervereinigung Deutschlands bedingten, zusätzlichen Anpassungsbedarf. Das unterschiedliche Gagensystem und die sich daraus ergebenden Folgen rechtfertigen die von den Tarifvertragsparteien getroffene Differenzierung. Die Gerichte haben nicht zu überprüfen, ob eine andere Lösung zweckmäßiger, vernünftiger oder gerechter wäre (vgl. u.a. BVerfGE 55, 72, 88; 78, 232, 247; BAG Urteil vom 18. September 1991 – 5 AZR 620/90 – AP Nr. 192 zu Art. 3 GG, zu 4 der Gründe; BAG Urteil vom 12. Februar 1992 – 7 AZR 100/91 – AP Nr. 5 zu § 620 BGB Altersgrenze, zu III 1 der Gründe). Art. 3 Abs. 1 GG sieht keine Billigkeitskontrolle vor, vor allem nicht gegenüber den Tarifvertragsparteien, denen Art. 9 Abs. 3 GG die Macht verleiht, autonom Rechtsnormen zu schaffen.

2. Die Anwendung der von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Regelungen widerspricht nicht der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie, sondern trägt ihr Rechnung. Da sich die Tarifvertragsparteien nicht verpflichtet haben, bestimmte Tarifverträge abzuschließen oder innerhalb gewisser Vorgaben Tarifvertragsverhandlungen zu führen, kann offen bleiben, inwieweit eine derartige Selbstbindung mit der Tarifautonomie zu vereinbaren wäre. Jedenfalls dann, wenn eine derartige Selbstbindung fehlt, haben die Tarifvertragsparteien über Abschluß und Inhalt der Tarifverträge in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme frei zu entscheiden (vgl. BVerfGE 44, 322, 340 f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG, zu B II 1b aa der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 4. September 1991 – 5 AZR 647/90 – AP Nr. 113 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2b der Gründe, m.w.N.).

 

Unterschriften

Kremhelmer, Bepler, Böck, Kaiser, Hofmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 872258

BB 1996, 1620

NZA 1997, 47

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge