Entscheidungsstichwort (Thema)

Jahreszahlung - ungekündigtes Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

Macht eine tarifliche Regelung (hier: Firmentarifvertrag) den Anspruch auf eine Jahreszahlung davon abhängig, daß das Arbeitsverhältnis an einem Stichtag "ungekündigt" ist, dann steht ein vor dem Stichtag abgeschlossener Aufhebungsvertrag einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht gleich (im Anschluß an BAG Urteil vom 7. Dezember 1989 - 6 AZR 324/88 - BAGE 63, 385 = AP Nr 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie).

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 07.03.1991; Aktenzeichen 6 Sa 574/90)

ArbG München (Entscheidung vom 10.07.1990; Aktenzeichen 18 b Ca 42/90 I)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die tarifliche Jahreszahlung für das Jahr 1989 zu gewähren.

Der Kläger, der schwerbehindert ist, war bei der Beklagten seit dem 1. April 1974 als Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der von der Beklagten mit der IG Bau-Steine-Erden geschlossene Haustarifvertrag vom 9. Juli 1982 (TV) Anwendung. Dieser enthält zur Jahreszahlung folgende Bestimmungen:

"3. Die Arbeitnehmer und Auszubildenden

(ausgenommen Aushilfskräfte) erhalten je-

weils im November eines Jahres eine Jahres-

zahlung gemäß folgenden Regelungen:

3.1 ...

Die Jahreszahlung beträgt bei den Ange-

stellten ein Monatsgehalt.

...

...

3.3 Voraussetzung für die Gewährung der Jah-

reszahlung ist, daß der Arbeitnehmer/Aus-

zubildende vor dem 1. November eines Jahres

eingetreten ist und sich am 20. November

eines Jahres in einem ungekündigten Ar-

beitsverhältnis befindet.

...

3.7 Die Auszahlung der Jahreszahlung erfolgt

jeweils mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung

im Monat November. Die gewerblichen Arbeit-

nehmer erhalten jeweils am 20. November

eine entsprechende Abschlagszahlung.

..."

Die Beklagte beabsichtigte in vier Werken Personalreduzierungen vorzunehmen und vereinbarte deshalb am 27. April 1989 mit dem Gesamtbetriebsrat einen "Sozialplan", der den Abschluß von Aufhebungsverträgen unter Zahlung von Abfindungen vorsah. Sollte ein Aufhebungsvertrag nicht zustandekommen, war der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen vorgesehen.

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits vereinbarten unter dem 27. April/11. Mai 1989 die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen und gesundheitlichen Gründen zum 31. Dezember 1989 unter Zahlung einer Abfindung in Höhe von 51.595,-- DM. Der Vertrag enthielt eine Ausgleichsklausel und war hinsichtlich seiner Wirksamkeit an die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gebunden.

Mit Bescheid vom 19. Juni 1989 stimmte die Hauptfürsorgestelle der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu, da der Kläger aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausführe könne und anderweitige, seinem Gesundheitszustand entsprechende Tätigkeiten nicht zur Verfügung ständen. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Dezember 1989 beendet. Für das Jahr 1989 erhielt der Kläger die tarifliche Jahreszahlung nicht.

Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf die Jahreszahlung in Höhe eines Monatsgehalts zu. Die tariflichen Voraussetzungen seien erfüllt, da er am 20. November 1989 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Außerdem sei ihm die Gewährung der Jahreszahlung bei Abschluß des Aufhebungsvertrages zugesagt worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.601,-- DM

brutto nebst 6,3 % Zinsen seit dem 1. Dezember

1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe sich am 20. November 1989 nicht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis im Sinne von Ziffer 3.3 TV befunden. Einem ungekündigten Arbeitsverhältnis in diesem Sinne stehe ein Arbeitsverhältnis gleich, das durch einen Aufhebungsvertrag enden wird. Die Beendigung zum 31. Dezember 1989 habe spätestens mit Erteilung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle festgestanden. Hätte der Kläger dem Aufhebungsvertrag nicht zugestimmt, wäre das Arbeitsverhältnis spätestens am 30. Juni 1989 zum 31. Dezember 1989 gekündigt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, daß dem Kläger ein Anspruch auf die Jahreszahlung für das Jahr 1989 zustehe.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe zwar keinen Anspruch aus einer einzelvertraglichen Zusage, ihm stehe jedoch der Anspruch auf die Jahreszahlung nach Ziffer 3.3 des Firmentarifvertrages vom 9. Juli 1982 zu. Der Kläger erfülle die tariflichen Voraussetzungen, da er am 20. November 1989 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei weder vom Kläger noch von der Beklagten ausgesprochen worden. Der Aufhebungsvertrag stehe einer Kündigung nicht gleich. Die tarifliche Bestimmung lasse eine extensive Auslegung nicht zu. Daß der Arbeitnehmer künftige Betriebstreue nicht erbringe, führe nur dann zum Wegfall des Anspruchs auf die Jahreszahlung, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet werde.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. 1. Der Kläger erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Jahreszahlung nach Ziffer 3.3 TV. Er befand sich am 20. November 1989 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis war zu diesem Zeitpunkt weder von ihm noch von der Beklagten gekündigt worden. Der zwischen den Parteien im April/Mai 1989 zum 31. Dezember 1989 geschlossene Aufhebungsvertrag steht einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht gleich.

2. Der Wortlaut der tariflichen Bestimmung der Ziffer 3.3 TV, wonach der Anspruch auf die Jahreszahlung dem Arbeitnehmer zusteht, der vor dem 1. November eines Jahres eingetreten ist und sich am 20. November in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet, ist eindeutig. Nur dem Arbeitnehmer steht kein Anspruch auf die Jahreszahlung zu, dessen Arbeitsverhältnis am Stichtag zwar besteht, aber bereits von einer Seite gekündigt worden ist.

Aus dem Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmung folgt nicht, daß ein vor dem Stichtag geschlossener Aufhebungsvertrag, der zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Stichtag führt, dem Ausspruch einer Kündigung gleichzustellen ist. Die Tarifvertragsparteien fordern als Voraussetzung für den Anspruch auf die Jahreszahlung den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 20. November eines Jahres. Die damit geforderte Betriebstreue ist zur Begründung des Anspruchs auf die Sonderzahlung jedoch nicht ausreichend, wenn am 20. November bereits feststeht, daß das Arbeitsverhältnis in Zukunft nicht mehr bestehen wird. Die fehlende zukünftige Betriebstreue ist aber nicht allein maßgeblich. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, daß diese den Anspruch auf die Sonderzahlung nur dann entfallen läßt, wenn sie durch eine Kündigung herbeigeführt wird. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Beendigungstatbestand außerhalb des Kündigungsrechtes, wie z.B. durch eine gerichtliche Auflösung nach § 9 KSchG oder einen Aufhebungsvertrag hat deshalb keine Auswirkung auf den Bestand des Anspruchs auf die Jahreszahlung (vgl. BAGE 63, 385 = AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie).

Die Tarifvertragsparteien haben mit dieser Regelung der unterschiedlichen Interessenlage beim Ausspruch einer Kündigung und beim Abschluß eines Aufhebungsvertrages Rechnung getragen. Kündigt der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag, so steht fest, daß er zukünftige Betriebstreue nicht mehr erbringen wird. Kündigt der Arbeitgeber, so führt die Kündigung in der Regel nur dann zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie sozial gerechtfertigt ist. Es müssen somit Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen oder dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen. Der Wegfall zukünftiger Betriebstreue beruht damit auf Umständen, die es den Tarifvertragsparteien als gerechtfertigt erschienen ließen, in diesen Fällen einen Anspruch auf die Zuwendung zu versagen. Anders ist indessen die Interessenlage beim Abschluß eines Aufhebungsvertrages. In diesem Fall besteht ein gegenseitiges Einvernehmen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Wegfall zukünftiger Betriebstreue beruht damit nicht auf einer einseitigen Erklärung, sondern auf beiderseitiger Billigung der Arbeitsvertragsparteien. Diese läßt den tariflichen Anspruch auf die Jahreszahlung unberührt.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht diese Beurteilung nicht im Widerspruch zu den Ausführungen im Urteil des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Mai 1983 (- 5 AZR 133/81 - AP Nr. 115 zu § 611 BGB Gratifikation). Voraussetzung für den Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen war in diesem Falle eine vom Arbeitgeber ausgesprochene ordentliche Kündigung. Dieser hat der Fünfte Senat einen vom Arbeitgeber anstelle der ordentlichen Kündigung veranlaßten Aufhebungsvertrag gleichgestellt. Der Arbeitgeber sollte durch das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht von seiner tariflichen Verpflichtung zur Gewährung des anteiligen 13. Monatseinkommens entbunden werden. Vorliegend entfällt der Anspruch auf die Jahreszahlung hingegen beim Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Wird anstelle der Kündigung ein vom Arbeitgeber veranlaßter Aufhebungsvertrag geschlossen, so soll nach der tariflichen Regelung auch in diesem Falle der Arbeitnehmer keinen Nachteil aus seinem Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erleiden. Der Anspruch auf die Sonderzahlung bleibt ihm deshalb erhalten. Somit kommt es nicht darauf an, ob eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt gewesen wäre und die Hauptfürsorgestelle auch einer Kündigung zugestimmt hätte.

4. Der Zinsanspruch ist nach §§ 284 ff. BGB begründet, wobei klarzustellen war, daß Zinsen aus dem Nettobetrag zu zahlen sind.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Matthes Dr. Freitag Hauck

Schömburg Hickler

 

Fundstellen

BB 1993, 220

BB 1993, 220-221 (LT1)

DB 1993, 687-688 (LT1)

EBE/BAG 1993, 23-24 (LT1)

AiB 1993, 189-190 (LT1)

NZA 1993, 948

NZA 1993, 948-949 (LT1)

ZAP, EN-Nr 269/93 (S)

AP § 611 BGB Gratifikation (LT1), Nr 146

AR-Blattei, ES 820 Nr 103 (LT1)

AuA 1994, 223-224 (LT1)

EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 92 (LT1)

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