Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung übertariflicher Zulage auf Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist dem Arbeitgeber nach dem Arbeitsvertrag nicht gestattet, übertarifliche Zulagen auf den Tariflohn anzurechnen, so kann sich insoweit eine mitbestimmungspflichtige Frage der betrieblichen Lohngestaltung nicht stellen. Wenn der Arbeitgeber die Zulage dennoch vertragswidrig anrechnet, ergibt sich daraus kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG.

2. Ist eine übertarifliche Zulage (stillschweigend oder ausdrücklich) mit einem Anrechnungsvorbehalt verbunden, der sich generell auf Tariflohnerhöhungen bezieht, so erfaßt dieser Vorbehalt im Zweifel nicht den Lohnausgleich für eine tarifliche Arbeitszeitverkürzung (teilweise, aber nicht entscheidungserhebliche Divergenz zum Urteil des Vierten Senats vom 3. Juni 1987 - 4 AZR 44/87 - BAGE 55, 322 = AP Nr 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.06.1995; Aktenzeichen 5 Sa 118/94)

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 12.07.1994; Aktenzeichen 3 Ca 387/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte eine Tariferhöhung wirksam auf die übertarifliche Zulage des Klägers angerechnet hat.

Der Kläger ist bei der Beklagten, die ein metallverarbeitendes Unternehmen betreibt, als Einsteller beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit den Tarifverträgen für die Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden. Die Beklagte zahlt ihren Arbeitnehmern ein monatliches Arbeitsentgelt, das aus dem tariflichen Monatsgrundlohn/Monatsgehalt, einer tariflichen Leistungszulage und einer übertariflichen Zulage besteht. Die übertarifliche Zulage ist bei den einzelnen Arbeitnehmern unterschiedlich hoch. Der Monatslohn des Klägers betrug bis zum 31. März 1993 brutto 3.775,88 DM (Monatsgrundlohn 2.926,00 DM, tarifliche Leistungszulage 468,16 DM, übertarifliche Zulage 381,72 DM).

Zum 1. April 1993 wurden die tariflichen Monatslöhne und -gehälter um 3 % erhöht. Gleichzeitig wurde die tarifliche Wochenarbeitszeit von 37 auf 36 Stunden verkürzt. Dies geschah bei vollem Lohnausgleich, so daß sich dadurch das Arbeitsentgelt pro Arbeitsstunde um weitere ca. 2,7 % erhöhte.

Ohne Beteiligung des Betriebsrats rechnete die Beklagte zum 1. April 1993 sowohl die dreiprozentige Tariferhöhung als auch den rechnerischen Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung (2,7 %) auf die übertariflichen Zulagen an. Dabei verfuhr sie wie folgt: Zunächst ermittelte sie für jeden Arbeitnehmer den Betrag, um den sich seine Zulage bei voller Anrechnung der dreiprozentigen Tariferhöhung verminderte; bei einzelnen Arbeitnehmern entfielen die Zulagen schon aufgrund dieser Anrechnung völlig. Dann stellte sie das Verhältnis fest, in dem die verbleibenden Zulagenbeträge zueinander standen. Die Relationen wurden so ausgedrückt, daß die niedrigste verbleibende Zulage mit dem Faktor eins und die Zulagen der anderen Arbeitnehmer mit Faktoren bezeichnet wurden, die ein Vielfaches hiervon betrugen. So ergab sich beim Kläger der Faktor 8,85. In weiteren Rechenschritten addierte die Beklagte sämtliche verbliebenen übertariflichen Zulagen und zog dann von diesem Gesamtbetrag (8.168,28 DM) einen Betrag von 2.954,32 DM ab, den sie als Gegenwert der tariflichen Arbeitszeitverkürzung, bezogen auf sämtliche Arbeitnehmer, ermittelt hatte. Das Gesamtvolumen der übertariflichen Zulagen begrenzte die Beklagte auf den danach verbleibenden Rest von 5.213,96 DM, den sie auf die einzelnen Zulagenempfänger entsprechend den vorher berechneten Faktoren verteilte. Dieses Vorgehen führte dazu, daß der Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung bei einigen Arbeitnehmern mit weniger als 2,7 % ihres Monatsentgelts, bei anderen mit einem höheren Prozentsatz angerechnet wurde.

Aufgrund der Anrechnung verminderte sich der Bruttomonatslohn des Klägers von 3.775,88 DM auf 3.674,74 DM (tariflicher Monatsgrundlohn 3.014,00 DM, tarifliche Leistungszulage 482,24 DM, übertarifliche Zulage 178,50 DM). Von der Verringerung der übertariflichen Zulage beruhten 102,08 DM auf der Anrechnung der dreiprozentigen Lohnerhöhung und die weiteren 101,14 DM auf der Anrechnung des Gegenwerts der Arbeitszeitverkürzung.

Wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt haben, wurden von diesem Anrechnungsverfahren die Arbeitnehmer ausgenommen, für die nach § 6 des Manteltarifvertrags für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) eine "Alterssicherung" bestand. Nach dieser Bestimmung wird Arbeitnehmern, die das 54. Lebensjahr vollendet haben und dem Unternehmen mindestens ein Jahr angehören, als Mindestverdienst ein "Alterssicherungsbetrag" garantiert, der sich aus dem tariflichen Monatsgrundlohn, der tariflichen Leistungszulage und der übertariflichen Zulage, jeweils nach dem Stand zu Beginn der Verdienstsicherung, zusammensetzt. Für spätere Tariferhöhungen und deren Anrechnung ist in § 6 Nr. 11 MTV folgendes bestimmt:

"Werden im Betrieb tarifliche Lohn-/Gehaltserhö-

hungen voll oder teilweise auf den Effektivlohn/-

das Effektivgehalt gegeben (errechnet auf der

Basis des Effektivverdienstes), so erhöht sich

dadurch der Alterssicherungsbetrag.

Werden übertarifliche Lohn-/Gehaltsbestandteile

zulässigerweise auf tarifbedingte Erhöhungen des

Lohnes/Gehaltes angerechnet, so kann eine solche

Anrechnung bei den Beschäftigten mit Anspruch auf

Verdienstsicherung nur im Einvernehmen mit dem

Betriebsrat erfolgen. Eine solche Anrechnung

wirkt sich auch auf den Alterssicherungsbetrag

aus.

Anmerkung:

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom

06.02.1985 ist § 6.11 insoweit nichtig, als die

Anrechnung an das Einvernehmen mit dem Betriebs-

rat gebunden wird."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe für die Zeit vom 1. April 1993 bis zum 31. Januar 1994 monatlich noch 203,22 DM zu beanspruchen. Die Kürzung seiner übertariflichen Zulage um diesen Betrag sei unwirksam gewesen. Die Beklagte habe hierbei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Die Anrechnung sei mitbestimmungspflichtig gewesen, weil sich durch sie die Relationen zwischen den Zulagen der einzelnen Arbeitnehmer geändert hätten. Für eine anderweitige Regelung habe Spielraum bestanden, selbst wenn man davon ausgehe, daß die Beklagte im Rahmen des ihr rechtlich Möglichen die dreiprozentige Lohnerhöhung voll anrechnen wollte. Der rechnerische Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung sei nämlich nicht vollständig, sondern bei einem Teil der Betroffenen mit weniger als 2,7 % angerechnet worden. Damit sei die Anrechnung insgesamt unvollständig gewesen, denn mitbestimmungsrechtlich stellten die beiden Anrechnungsvorgänge bezogen auf die Tariferhöhung von 3 % und den Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung von 2,7 % eine Einheit dar. Sie hätten eine insgesamt 5,7 % ergebende Tariferhöhung zum Gegenstand gehabt und seien gleichzeitig erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.032,20 DM

brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit

dem 1. Februar 1994 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Meinung war die Anrechnung nicht mitbestimmungspflichtig. Soweit sich die Verteilungsrelationen zwischen den übertariflichen Zulagen durch die Anrechnung geändert hätten, habe für eine andere Regelung kein rechtlicher und tatsächlicher Spielraum bestanden. Die Zulagen der altersgesicherten Arbeitnehmer hätten nach dem MTV nicht angerechnet werden können. Die Anrechnung der dreiprozentigen Tariferhöhung, die zur Änderung der Verteilungsrelationen geführt habe, sei daher vollständig gewesen. Die anschließende Anrechnung des Gegenwerts der Arbeitszeitverkürzung habe an den neuen Verteilungsrelationen nichts mehr geändert und habe aus diesem Grund ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht begründen können. Die beiden Anrechnungsschritte könnten auch nicht als Einheit betrachtet werden, denn Gegenstand des zweiten sei keine eigentliche Tariferhöhung, sondern eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist erfolglos. Zwar trägt die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung das angefochtene Urteil nicht. Die Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, so daß nach § 563 ZPO die Revision zurückzuweisen war.

I. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Anrechnung sei unwirksam, weil die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt habe. Die Anrechnung habe zu einer Änderung der Verteilungsrelationen zwischen den übertariflichen Zulagen, die den einzelnen Arbeitnehmern gezahlt werden, geführt. Dem Mitbestimmungsrecht stehe auch nicht etwa entgegen, daß für eine anderweitige Anrechnung kein rechtlicher Spielraum bestanden habe, denn die Beklagte habe den Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung von 2,7 % nicht bei allen betroffenen Arbeitnehmern voll angerechnet. Damit erweise sich die Anrechnung insgesamt als mitbestimmungspflichtig, da sie ein einheitlicher Vorgang gewesen sei. Dessen Aufspaltung in verschiedene Rechenoperationen sei mitbestimmungsrechtlich bedeutungslos. Die Frage, ob die Anrechnung möglicherweise wegen Nichtberücksichtigung der altersgesicherten Arbeitnehmer unvollständig war, ließ das Landesarbeitsgericht offen.

II. Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar war die Anrechnung unwirksam. Dies ergibt sich indessen nicht daraus, daß die Beklagte bei der Anrechnung des Gegenwerts der Arbeitszeitverkürzung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hätte. Insoweit bestand gar kein Mitbestimmungsrecht. Dennoch war die auf die Arbeitszeitverkürzung bezogene Anrechnung unwirksam, weil sie im Arbeitsvertrag nicht vorbehalten war (1). Die Anrechnung der dreiprozentigen Lohnerhöhung war unwirksam, weil die Beklagte das insoweit bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat (2).

1.a) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Betriebsrat habe bei der Anrechnung des Lohnausgleichs der Arbeitszeitverkürzung (2,7 %) mitzubestimmen gehabt. Es hat nicht berücksichtigt, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG nicht weiter reicht als das Entscheidungsrecht des Arbeitgebers. Nur soweit der Arbeitgeber Gestaltungsfreiheit für Regelungen hat, kann der Betriebsrat bei deren Ausgestaltung mitbestimmen. Dieser Grundsatz kommt auch in der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen zum Ausdruck. Danach ist die Anrechnung dann nicht mitbestimmungspflichtig, wenn der Arbeitgeber aus rechtlichen Gründen keinen Entscheidungsspielraum hat (BAGE 69, 134, 168 f. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 6 b der Gründe).

b) Für eine Anrechnung des Lohnausgleichs der Arbeitszeitverkürzung fehlte der Beklagten die Regelungsbefugnis. Die Anrechnung war ihr individualrechtlich verwehrt.

Allerdings kann der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAGE 71, 180, 185 f. = AP Nr. 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 1 der Gründe) übertarifliche Zulagen im Fall einer Tariferhöhung grundsätzlich auf den Tariflohn anrechnen, es sei denn, dem Arbeitnehmer wäre die Zulage als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt. Da es hier einerseits an einer solchen Zusage fehlt, aber andererseits auch keine besondere Anrechnungsvereinbarung getroffen wurde, ist davon auszugehen, daß der übliche Anrechnungsvorbehalt konkludent vereinbart war. Dieser stillschweigende Vorbehalt umfaßt aber nur die Erhöhung der nach dem Tarifvertrag geschuldeten Löhne und Gehälter. Das sind hier die Monatslöhne und -gehälter, die um 3 % erhöht wurden. Dagegen erstreckt er sich im Zweifel nicht auf die Steigerung des Entgelts pro Arbeitsstunde, die sich erst aus einer entsprechenden Umrechnung des Monatslohns auf die verkürzte Arbeitszeit ergibt.

Jede Arbeitszeitverkürzung mit vollem oder teilweisem Entgeltausgleich führt, ebenso wie eine Verlängerung der Pausenzeiten, zu einem erhöhten Arbeitsentgelt pro Zeiteinheit. Dieser Ausgleichsbetrag wird aber nicht von einer Anrechnungsklausel erfaßt, die stillschweigend oder durch bloßen Freiwilligkeitsvorbehalt vereinbart wurde und sich generell auf Tariferhöhungen bezieht. Dies ergibt sich schon daraus, daß unter einer Tariferhöhung im allgemeinen Sprachgebrauch nur eine Erhöhung des tariflich geschuldeten Entgeltbetrags verstanden wird, nicht dagegen eine bloße Steigerung des Werts der Arbeitsleistung pro Zeiteinheit aufgrund einer Arbeitszeitverkürzung oder Pausenverlängerung ohne entsprechende Kürzung des Arbeitsentgelts (Senatsbeschluß vom 19. September 1995 - 1 ABR 20/95 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu B II 2 a der Gründe). Aus der Sicht des Erklärungsempfängers, des Arbeitnehmers, liegt eine Tariflohnerhöhung nur dann vor, wenn sich der Betrag des tariflich geschuldeten Arbeitsentgelts erhöht.

Dieses Verständnis des üblichen und im allgemeinen zu unterstellenden Anrechnungsvorbehalts entspricht auch dem Zweck einer übertariflichen Zulage. Diese soll das für den Arbeitnehmer verfügbare Einkommen erhöhen und der Entwicklung anpassen. Die Annahme, daß mit der Gewährung einer übertariflichen Zulage, die nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist, regelmäßig ein Anrechnungsvorbehalt verbunden sei, findet ihre Rechtfertigung darin, daß eine solche Tariflohnerhöhung den schon vorher mit der Zulage verfolgten Zweck erfüllt und diese daher ersetzen kann. Das ist indessen nur dann der Fall, wenn sich das Gesamtvolumen des Tarifentgelts erhöht, nicht dagegen bei einer Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich.

c) Im Unterschied hierzu hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts allerdings angenommen, eine vom Anrechnungsvorbehalt umfaßte Lohnerhöhung liege auch insoweit vor, als ein tariflicher Stundenlohn zum Ausgleich einer gleichzeitig vorgenommenen Arbeitszeitverkürzung erhöht werde (BAGE 55, 322 = AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, mit ablehnender Anmerkung von Lund; ebenso Urteil vom 28. Oktober 1987 - 4 AZR 242/87 - BB 1988, 702). Diese Divergenz ist hier indessen ohne Bedeutung. Im vorliegenden Fall wird tariflich kein Stundenlohn, sondern ein Monatslohn geschuldet. Im Fall einer derartigen tariflichen Monatsvergütung ist auch nach Auffassung des Vierten Senats der Gegenwert einer Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Entgelt nicht als Tariferhöhung im Sinne des üblichen Anrechnungsvorbehalts anzusehen (BAGE 55, 322, 328 = AP, aaO).

Da hier für eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien über die Anrechnung der übertariflichen Zulage auf Tariferhöhungen nichts vorgetragen ist, kann unerörtert bleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Anrechnung des Gegenwerts einer Arbeitszeitverkürzung auf übertarifliche Zulagen einzelvertraglich ausdrücklich vorbehalten werden kann.

2. Die Anrechnung der dreiprozentigen Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage war unwirksam, weil die Beklagte insoweit gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verstoßen hat.

a) Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zunächst zutreffend erkannt, daß es sich bei der Anrechnung im vorliegenden Fall um eine kollektive Maßnahme handelte, die geeignet war, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auszulösen. Die vollständige Anrechnung der Tariferhöhung auf eine Zulage, die an eine Vielzahl von Arbeitnehmern gezahlt wird, beruht auf einer generellen Entscheidung, die individuelle Besonderheiten außer Betracht läßt und damit die Strukturformen des Entgelts betrifft (BAGE 69, 134, 163 f. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 3 b dd, ee der Gründe). Hierüber herrscht zwischen den Parteien auch kein Streit.

b) Einigkeit besteht weiter darüber, daß das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, durch die Anrechnung der dreiprozentigen Tariferhöhung hätten sich die Verteilungsrelationen zwischen den übertariflichen Zulagen geändert. Daß dies zutrifft, zeigt schon der vom Landesarbeitsgericht angestellte Vergleich zwischen den Zulagen des Klägers und denjenigen der Arbeitnehmer M und B . Diese Zulagen (ursprünglich 381,72 DM, 163,13 DM und 396,41 DM) verhielten sich vor der Anrechnung zueinander ungefähr wie 2,3 : 1 : 2,4. Danach betrugen sie noch 279,64 DM, 61,05 DM und 316,01 DM, was ungefähr einem Verhältnis von 4,6 : 1 : 5,2 entspricht.

c) Das Mitbestimmungsrecht war auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, daß die Beklagte die dreiprozentige Lohnerhöhung vollständig angerechnet hätte. Die Anrechnung war unvollständig, weil die altersgesicherten Arbeitnehmer von ihr ausgenommen wurden. Zu dieser Besserstellung war die Beklagte entgegen ihrer Annahme nicht durch § 6 MTV verpflichtet.

Der tariflich garantierte und damit anrechnungsfeste Alterssicherungsbetrag umfaßt nach dieser Bestimmung zunächst nur den Lohn, den der Arbeitnehmer zu Beginn der Verdienstsicherung bezogen hat. Nach § 6 Nr. 11 Abs. 1 MTV steigert er sich dann im Fall von Tariferhöhungen nur, soweit diese im Betrieb generell weitergegeben werden. Die Bestimmung schließt also die Anrechnung übertariflicher Zulagen auf Tariferhöhungen nicht aus, wenn damit keine Verschlechterung gegenüber der übrigen Belegschaft verbunden ist. Die Anrechnung wird in § 6 Nr. 11 Abs. 2 MTV nur insoweit erschwert, als sie von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht wird. Es bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung, ob die Schaffung dieses Mitbestimmungsrechts insgesamt wegen Gleichheitsverstoßes nichtig ist, wie der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts angenommen hat (Urteil vom 6. Februar 1985 - 4 AZR 370/83 - AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung), oder ob die Bestimmung möglicherweise insoweit noch verfassungsgemäß ist, als sie den Betriebsrat wenigstens in Härtefällen beteiligt, in denen durch die Anrechnung der Alterssicherungsbetrag vermindert würde. Selbst wenn die Beklagte nämlich bei der Anrechnung der übertariflichen Zulagen bei den verdienstgesicherten Arbeitnehmern auf die Zustimmung des Betriebsrats angewiesen wäre, ergäbe sich hieraus noch nicht die rechtliche Unmöglichkeit. Die Beklagte hat eine Einigung mit dem Betriebsrat nicht einmal versucht.

Dieterich Rost Wißmann

Schneider Federlin

 

Fundstellen

Haufe-Index 437400

BAGE 82, 47-55 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

BAGE, 47

BB 1996, 1838

BB 1996, 1838-1840 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

DB 1996, 1630-1631 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

AiB 1996, 613-614 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 10 (32) (Leitsatz 1-2 und Gründe)

ARST 1996, 173-175 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

ASP 1996, Nr 9/10, 54 (Kurzwiedergabe)

NZA 1996, 832

NZA 1996, 832-834 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

Quelle 1996, Nr 11, 40 (Leitsatz 1-2)

RdA 1996, 320-321 (Leitsatz 1-2)

SAE 1997, 309-312 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

AP § 87 BetrVG 1972, Nr 85

AR-Blattei, ES 1540 Nr 44 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

ArbuR 1996, 322 (Leitsatz 1)

EzA-SD 1996, Nr 14, 13-14 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

EzA § 4 TVG Tariflohnerhöhung, Nr 31 (Leitsatz 1-2)

EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr 55 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

PERSONAL 1997, 213 (Leitsatz 1-2)

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