Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung für Versorgungsansprüche im Konzern

 

Leitsatz (amtlich)

  • Auch ohne Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages haftet das herrschende Unternehmen für Verbindlichkeiten des beherrschten Unternehmens, wenn ein qualifiziert faktischer Konzern vorliegt. Voraussetzung dafür ist, daß das herrschende Unternehmen die Geschäfte des beherrschten Unternehmens dauernd und umfassend geführt hat (im Anschluß an BGHZ 95, 330, 346 – Autokran; BGHZ 107, 7, 15 – Tiefbau und BGH Urteil vom 23. September 1991 – II ZR 135/90 – Video – AP Nr. 1 zu § 303 AktG).
  • Im Einzelfall kann auch der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter einer GmbH, der gleichzeitig deren alleiniger Geschäftsführer ist und sich außerdem als Einzelkaufmann unternehmerisch betätigt, für Versorgungsansprüche eines Arbeitnehmers gegen die vermögenslos gewordene und im Handelsregister gelöschte GmbH nach den Haftungsregeln des qualifiziert faktischen Konzerns haften.
 

Normenkette

BetrAVG § 1; AktG §§ 17-18, 302-303, 322 Abs. 2; GmbHG § 13 Abs. 2; ArbGG § 62 Abs. 2, § 74 Abs. 1; ZPO §§ 554, 717 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.03.1991; Aktenzeichen 4 a Sa 54/90)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 31.08.1990; Aktenzeichen 13 Ca 137/90 A)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Betriebsrente zu zahlen.

Der am 25. Februar 1913 geborene Kläger war seit 1930 bei der Aktiengesellschaft Union (AG Union) in A… beschäftigt. Dieses Unternehmen wurde 1935 in eine Einzelfirma umgewandelt, deren Inhaber zunächst der Vater des Beklagten, der Kaufmann Dr. H… N… war. Die AG Union und mehrere rechtlich selbständige Gesellschaften mit beschränkter Haftung stellten Putz- und Reinigungsmittel auf dem Betriebsgelände der AG Union her und vertrieben die Produkte. Hauptgesellschafter und Geschäftsführer aller Gesellschaften mit beschränkter Haftung war zunächst der Vater des Beklagten.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte der Kläger 1947 das Arbeitsverhältnis mit der A… GmbH fort. Diese Tochtergesellschaft der AG Union hatte das Alleinvertriebsrecht der auf dem Betriebsgelände der AG Union hergestellten Produkte. Mit Dienstvertrag vom 20. Dezember 1956 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers neu gestaltet. Der Kläger trat wieder in ein unmittelbares Arbeitsverhältnis zum Beklagten und erhielt die Dienstbezeichnung Direktor. Ihm war das gesamte technische und kaufmännische Personal der AG Union und ihrer Tochtergesellschaften unterstellt. Der Kläger erhielt für alle Unternehmen der Unionswerke Einzelprokura.

Mit Wirkung ab 1. Januar 1971 übertrug der Vater des Beklagten, Dr. H… N…, seinem Sohn, dem Beklagten, die Einzelfirma AG Union und alle Geschäftsanteile der Tochtergesellschaften. Seither ist der Beklagte Inhaber der AG Union und Hauptgesellschafter und Geschäftsführer sämtlicher Tochtergesellschaften. An der Aufgabenstellung des Klägers bei den Unionswerken änderte sich nichts.

Mit Schreiben vom 21. Januar 1972 erhielt der Kläger eine vom Beklagten für die A… GmbH unterzeichnete unwiderrufliche Rentenzusage. Darin heißt es:

“Wir zahlen Ihnen oder Ihrer Ehefrau eine Firmenrente, die in ihrer Höhe so festzulegen ist, daß sie sich zusammen mit der Rente (oder Arbeitslosenunterstützung), die Sie aus der Angestelltenversicherung (oder Arbeitslosenversicherung) zu erwarten haben, auf DM 2.000, --/ Zweitausend stellen.

Erstmals fällig wird die Firmenrente in dem Monat, der auf den Termin folgt, zu dem Sie in unserem Stammhaus, der Firma Aktiengesellschaft Union, Nachfolger H… N…, ausscheiden.

Bei Ihrem Tod, oder beim Tod Ihrer Ehefrau, frühestens aber zum 1. März 1978, halbiert sich die Firmenrente.

Beim Tod beider Ehepartner endet die Rentenzahlung.

Ihr Gesamtanspruch an uns und die Versicherungsträger von zusammen DM 2.000, -- beruht auf der derzeitigen Geldwertbasis. Inzwischen, d. h. bis zum Eintritt der Zahlpflicht eingetretene Erhöhungen oder Verminderungen des Lebenshaltungskostenindex sind entsprechend zu berücksichtigen. Auch später sind Korrekturen immer dann vorzunehmen, wenn sich der Lebenshaltungskostenindex um mehr als 5 Punkte verändert.

Es bleibt uns vorbehalten, die Firmenrente direkt auszuzahlen oder die Auszahlung über die Kommerzienrat-N…-Stiftung zu bewerkstelligen.”

Am 30. Juni 1976 schied der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten aus und war noch bis zum 31. Januar 1977 als geringfügig Beschäftigter bei der A… GmbH tätig. Ab 1. Februar 1977 bezog der Kläger Betriebsrente. Diese wurde von der Kommerzienrat-N…-Stiftung bezahlt.

Im Jahre 1987 stellte der Beklagte nach gewerbepolizeilichen und umweltschutzrechtlichen Auflagen die Produktion auf dem Betriebsgelände der AG Union ein. Der Vertrieb der Waren wurde beendet. Im Zusammenhang mit den Abfindungen, die der Beklagte den entlassenen Mitarbeitern zahlen mußte, beschuldigte der Beklagte den Kläger einer Treuepflichtverletzung. Der Kläger habe 1971 eigenmächtig die Arbeitsordnung in den Unionswerken geändert. Dies habe bei den Entlassungsabfindungen zu existenzbedrohenden Mehraufwendungen in Höhe von 231.000,-- DM geführt. Wegen dieser Pflichtwidrigkeit widerrief der Beklagte im Jahre 1988 die dem Kläger erteilte Rentenzusage. Durch Urteil vom 2. Dezember 1988 hat das Arbeitsgericht Stuttgart (9 (13) Ca 182/88 A) die A… GmbH zur Zahlung der Betriebsrente an den Kläger ab 1. November 1988 verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Am 24. Dezember 1988 stellte die A… GmbH ihre Vermögenslosigkeit fest und beantragte die Löschung im Handelsregister. Im Mai 1989 stellte die Stiftung die Rentenzahlung an den Kläger ein. Die A… GmbH wurde am 29. Mai 1989 im Handelsregister gelöscht. Der Pensions- Sicherungs-Verein (PSV) lehnte seine Einstandspflicht für die Rentenansprüche des Klägers ab. Der Kläger nimmt deshalb den Beklagten in Anspruch.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte müsse als Arbeitgeber die Versorgungszusage erfüllen. Er sei nur dem Beklagten gegenüber zu Arbeitsleistungen verpflichtet gewesen. Der Beklagte habe sich bei der Erteilung der Versorgungszusage nur der A… GmbH bedient. Im übrigen hafte der Beklagte auch aus konzernrechtlichen Gründen für die vermögenslos gewordene und im Handelsregister gelöschte A… GmbH. Der Beklagte habe die Geschäfte der A… GmbH wie auch die der übrigen Tochtergesellschaften der AG Union dauernd und umfassend geführt.

Der Kläger verlangt vom Beklagten die Zahlung rückständiger Betriebsrente und begehrt die Feststellung der Zahlungsverpflichtung ab 1. März 1991. Er hat, soweit für die Revision noch von Bedeutung, sinngemäß beantragt,

  • den Beklagten zu verurteilen, an ihn rückständiges betriebliches Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 28. Februar 1991 in Höhe von 18.653,70 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus 8.093,50 DM für die Zeit vom 13. März 1990 bis 20. März 1991 und aus 18.653,70 DM seit 21. März 1991 zu zahlen,
  • den Beklagten zu verurteilen, an ihn ab 1. April 1991 monatlich zum Ersten eines Monats jeweils für den vergangenen Monat ein betriebliches Altersruhegeld in Höhe von 944,25 DM brutto zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und den Kläger zu verurteilen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Beträge zurückzuzahlen. Er hat die Auffassung vertreten, er hafte nicht für die Rentenzusage der A… GmbH. Der Kläger sei überwiegend für die A… GmbH tätig gewesen. Diese Gesellschaft sei kein abhängiges Konzernunternehmen gewesen. Jedenfalls habe der Kläger seine Versorgungsansprüche verwirkt, da er ihm durch die eigenmächtige Änderung der Arbeitsordnung schweren Schaden zugefügt habe. Auch der Versuch des Klägers, ihn durch Drohung mit einer Anzeige wegen eines Konkursvergehens zur Übernahme der Rentenverpflichtung zu bewegen, sowie die nachfolgende Strafanzeige hätten zur Verwirkung aller Rentenansprüche geführt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann die Weiterzahlung der Betriebsrente vom Beklagten verlangen. Der Beklagte haftet in entsprechender Anwendung des § 303 AktG für die Verbindlichkeiten der A… GmbH.

I. Die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht dem Kläger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Beklagten aus der Versorgungszusage zugesprochen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe als Inhaber der AG Union dem Kläger die Versorgung zugesagt. Zwar sei die Versorgungszusage vom 21. Januar 1972 von der A… GmbH erteilt worden. Der Beklagte habe sich jedoch lediglich der A… GmbH bei der Erteilung der Versorgungszusage bedient. Der Kläger sei nur dem Beklagten gegenüber zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Als Gegenleistung für diese Arbeitsleistungen habe der Beklagte eine Versorgung versprochen.

2. Der Senat folgt dieser Auslegung der Versorgungszusage durch das Landesarbeitsgericht nicht. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung wesentliches Vorbringen des Beklagten nicht beachtet.

a) Die Versorgung wurde dem Kläger von der A… GmbH zugesagt. Diese Gesellschaft wird ausdrücklich als Versorgungsschuldnerin bezeichnet. Dabei ist es unerheblich, daß im Zeitpunkt der Versorgungszusage nur zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand und nicht auch zwischen dem Kläger und der A… GmbH. In Erfüllung seiner gegenüber dem Beklagten bestehenden Arbeitsverpflichtung ist der Kläger für die A… GmbH tätig geworden.

b) Der Beklagte schuldete unter diesen Umständen nur dann die Versorgung, wenn der Kläger annehmen durfte, der Beklagte stehe hinter dieser Zusage und trete für ihre Erfüllung ein (vgl. Urteil des Senats vom 19. Mai 1981, BAGE 35, 301, 307 = AP Nr. 13 zu § 16 BetrAVG, zu III 1 der Gründe). Für die Entstehung eines solchen Vertrauenstatbestandes hat der Kläger nichts vorgetragen. Der Umstand, daß die Betriebsrente fällig werden sollte, wenn der Kläger aus dem Stammhaus, der dem Beklagten gehörenden AG Union ausscheidet, sagt über die Person des Schuldners nichts aus.

c) Darüber hinaus durfte das Landesarbeitsgericht nicht den Vortrag des Beklagten zu den Umständen außer Acht lassen, die zur Erteilung der Versorgungszusage führten. Nach der Behauptung des Beklagten hat der Kläger ihn gebeten, die Versorgungszusage im Namen der AG Union zuzusagen. Dies habe er abgelehnt und die Zusage lediglich für die A… GmbH abgegeben. Dieser Behauptung hat der Kläger nicht widersprochen. Er konnte deshalb nicht darauf vertrauen, der Beklagte habe sich als Inhaber der AG Union zur Erfüllung der Versorgungszusage verpflichten wollen.

II. Der Beklagte hat aus Gründen der konzernrechtlichen Ausfallhaftung an Stelle der vermögenslosen und im Handelsregister gelöschten A… GmbH für die Versorgungsansprüche des Klägers einzustehen. Darin stimmt der Senat dem Berufungsgericht zu.

1. § 303 AktG enthält Regelungen zum Schutz der Gläubiger einer Gesellschaft, die durch einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag mit einer herrschenden Gesellschaft verbunden ist (Gläubigerschutz). Aus dieser Bestimmung können sich Zahlungsansprüche des Gläubigers eines beherrschten Unternehmens gegen das herrschende Unternehmen ergeben.

Der Bundesgerichtshof hat diese Haftungsregeln auf Unternehmen angewendet, die andere Unternehmen auch ohne Vereinbarung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages faktisch in einer qualifizierten Form beherrschen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet das herrschende Unternehmen im Konzern auch ohne Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages für die Verbindlichkeiten einer abhängigen, vermögenslos gewordenen GmbH in entsprechender Anwendung der §§ 302, 303 AktG, wenn ein qualifiziert faktischer Konzern vorlag, weil das herrschende Unternehmen die Geschäfte des beherrschten dauernd und umfassend geführt hat (BGHZ 95, 330, 346 – Autokran; BGHZ 107, 7, 15 – Tiefbau; BGH Urteil vom 23. September 1991 – II ZR 135/90 – Video – AP Nr. 1 zu § 303 AktG). In diesen Fällen der umfassenden und dauernden faktischen Abhängigkeit des beherrschten Unternehmens vom herrschenden Unternehmen wird dieselbe Wirkung erreicht wie sie mit einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag erreicht würde. Beim qualifiziert faktischen Konzern werden die Eigeninteressen der abhängigen GmbH in der Regel dem Konzerninteresse untergeordnet. Wird ein solcher die abhängige Gesellschaft und ihre Gläubiger in gleicher Weise gefährdender Zustand ohne vertragliche Grundlage tatsächlich geschaffen, dann ist ein vergleichbarer Schutz zugunsten der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft geboten wie bei der durch einen Beherrschungsvertrag eingegliederten Aktiengesellschaft.

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat diese vom Bundesgerichtshof entwickelten Haftungsgrundsätze übernommen (Urteil vom 15. Januar 1991 – 1 AZR 94/90 – AP Nr. 21 zu § 113 BetrVG 1972). Der erkennende Senat hat diese konzernrechtlichen Haftungsregeln im Rahmen der Prüfung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eines Konzernunternehmens bei der Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG berücksichtigt (Urteil des Senats vom 28. April 1992 – 3 AZR 244/91 – zur Veröffentlichung bestimmt).

An dieser Rechtsprechung zur Haftung des herrschenden Unternehmens im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern ist festzuhalten. Sie überschreitet entgegen der Auffassung von Flume (ZIP 1992, 817) nicht die Grenzen zur richterlichen Rechtsfortbildung. Es ist sachgerecht, die Rechtsfolgen an die Schaffung eines die Gläubigerinteressen gefährdenden Zustandes anzuknüpfen und nicht auf die Mittel abzustellen, mit deren Hilfe der Zustand geschaffen wurde.

2. Zwischen der A… GmbH und dem Beklagten bestand ein Konzernverhältnis im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG.

Der Beklagte war seit 1. Januar 1971 als Alleininhaber der AG Union zugleich Mehrheits- oder Alleingesellschafter der A… GmbH sowie deren einziger Geschäftsführer. Damit war der Beklagte als Alleininhaber der AG Union herrschendes Unternehmen, die A… GmbH abhängiges Unternehmen im Sinne des § 17 AktG. Die Gesellschaft war nicht nur nach der Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG wegen des Mehrheitsbesitzes, sondern bereits nach § 17 Abs. 1 AktG wegen des beherrschenden Einflusses des Beklagten abhängig. Das begründet nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG die Vermutung, daß die A… GmbH mit dem Beklagten als herrschendem Unternehmen einen Konzern bildete.

Diese Vermutung ist nach dem Prozeßstoff nicht widerlegt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gehörten die beiden Unternehmen wirtschaftlich zusammen. Die A… GmbH vertrieb die von der AG Union hergestellten Produkte. Die Unternehmen waren von ihrem Betätigungsfeld aufeinander bezogen. Aus einer solchen Interessenverbindung können sich konzernspezifische Gefahren ergeben. Auch die Parteien gingen stets von einem Konzernverhältnis zwischen dem “Stammhaus” der AG Union und den “Tochtergesellschaften” aus. Entsprechende Formulierungen finden sich im Dienstvertrag der Parteien vom 20. Dezember 1956 und in der Versorgungszusage vom 21. Januar 1972.

Der Annahme eines Konzernverhältnisses steht nicht entgegen, daß Inhaber des herrschenden Unternehmens, des Stammhauses AG Union, eine natürliche Person ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17 AktG auch eine natürliche Person sein, die sich als Einzelkaufmann unternehmerisch betätigt (BGHZ 69, 334, 337 f. – Veba-Gelsenberg; BGHZ 95, 330, 337 – Autokran und BGH Urteil vom 23. September 1991 – II ZR 135/90 – Video – AP Nr. 1 zu § 303 AktG).

3. Im Streitfall liegt ein qualifiziert faktischer Konzern vor. Der Beklagte hat die Geschäfte der A… GmbH dauernd und umfassend geführt.

a) Der Beklagte war seit 1971 entweder Allein- oder Mehrheitsgesellschafter der A… GmbH. Bereits das gab ihm die Möglichkeit, Gesellschafterbeschlüsse zur Bestellung und Abberufung der GmbH-Geschäftsführer (§ 46 Nr. 5 GmbHG) zu fassen und ihnen Weisungen für die Geschäftsführung zu erteilen. Der Beklagte hat sich aber nicht mit der Aufsicht und Weisung gegenüber der Geschäftsführung begnügt, sondern hat sich selbst zum alleinigen Geschäftsführer der A… GmbH bestellt. Führt aber der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter einer GmbH deren Geschäfte als alleiniger Geschäftsführer, dann ist das eine Art der Ausübung der Leitungsmacht, wie sie intensiver kaum vorstellbar ist. Das hat freilich zur Folge, daß bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung der mindestens mehrheitlich beteiligte Gesellschafter, der gleichzeitig alleiniger Geschäftsführer ist, schon immer dann persönlich für Verluste der Gesellschaft einstehen und wegen der entsprechenden Anwendung des § 303 AktG den Gläubigern zu haften hat, wenn er sich anderweitig unternehmerisch betätigt (BGH Urteil vom 23. September 1991, aaO, unter 2c der Gründe).

Darin liegt kein Wertungswiderspruch zum gesetzlichen Ausschluß der persönlichen Haftung des GmbH-Gesellschafters (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Betreibt der die GmbH beherrschende Mehrheitsoder Alleingesellschafter-Geschäftsführer gleichzeitig ein eigenes Unternehmen, so begründet dies die typischen Gefahren für Minderheitsgesellschafter und Gläubiger, denen das Konzernrecht mit seinen Schutzinstrumenten entgegenwirken soll (BGH Urteil vom 23. September 1991, aaO).

b) Die rechtlich selbständige A… GmbH wurde vom Beklagten tatsächlich wie eine unselbständige Betriebsabteilung der dem Beklagten gehörenden Einzelfirma AG Union geführt. Die A… GmbH vertrieb die vom Beklagten in der AG Union hergestellten Produkte. Sie war auf dem Betriebsgelände des Beklagten tätig und hatte die Räumlichkeiten von diesem nur gemietet. Ein selbständiges geschäftliches Handeln war der A… GmbH nicht möglich. Dies zeigt bereits der Dienstvertrag der Parteien vom 20. Dezember 1956. Dort war in § 3 die Bindung des Klägers, der auch Prokurist der A… GmbH war, an Weisungen des Beklagten hinsichtlich aller Entscheidungen vereinbart, die nicht zu der üblichen Routinearbeit gehören.

c) An der Leitungsmacht des Beklagten hat sich durch die gesellschaftsrechtlichen Veränderungen im Jahre 1986 nichts geändert. Zwar war die A… GmbH ab 1. Januar 1986 über den “Gewinn- und Verlust-Abführungsvertrag” vom 11. Dezember 1985 an die … (UVB GmbH) gebunden. Da der Beklagte jedoch 90 % der Geschäftsanteile der UVB GmbH besaß und deren alleiniger Geschäftsführer war, änderte sich an der Beherrschung der A… GmbH durch den Beklagten nichts.

4. Die Haftung des Beklagten ist im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen. Zwar hat das herrschende Unternehmen nicht für Verluste einzustehen, wenn bei deren Entstehung das Konzerninteresse keine Rolle gespielt hat (BGH Urteil vom 23. September 1991 – II ZR 135/90 – AP Nr. 1 zu § 303 AktG, zu 2c bb der Gründe). Die Vermögenslosigkeit der A… GmbH beruht aber nicht auf Umständen, die mit der Leitungsmacht des Beklagten nichts zu tun haben. Der Beklagte hat den die konzernrechtliche Haftung ausschließenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend entschieden.

a) Liegt ein qualifiziert faktischer Konzern vor, weil das herrschende Unternehmen die Geschäfte der abhängigen GmbH dauernd und umfassend geführt hat, so ist dies zunächst ein ausreichendes Indiz dafür, daß der gleiche die etwaigen Minderheitsgesellschafter und die Gesellschaftsgläubiger gefährdende Zustand eingetreten ist, an den im aktienrechtlichen Vertragskonzern die Haftung geknüpft ist. Dieses Indiz kann allerdings beim qualifiziert faktischen GmbH-Konzern anders als beim aktienrechtlichen Vertragskonzern entkräftet werden. Denn anders als dem an einem Beherrschungsvertrag beteiligten Unternehmen ist es den Gesellschaftern einer GmbH nicht erlaubt, die abhängige Gesellschaft im Konzerninteresse zu benachteiligen. Aus diesem Grunde hat der Bundesgerichtshof im faktischen GmbH-Konzern den Entlastungsbeweis zugelassen. Das herrschende Unternehmen muß darlegen und beweisen, daß die Verluste der abhängigen GmbH auf Umständen beruhen, die mit der Leitungsmacht nichts zu tun haben (BGHZ 95, 330, 344 – Autokran; BGHZ 107, 7, 18 – Tiefbau; BGH Urteil vom 23. September 1991, aaO, zu 2b der Gründe).

b) Diesen Entlastungsbeweis hat der Beklagte nicht geführt.

aa) Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die Liquidation der A… GmbH sei Folge von Umweltauflagen gewesen, erklärt dies allein nicht die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft. Auch die in Liquidation befindliche Gesellschaft hätte für die Erfüllung der dem Kläger erteilten Versorgungszusage sorgen können.

bb) Die Behauptung der Revision, die A… GmbH sei, was die Erhaltung des Eigenkapitals, die Ertragskraft und die Erträgnisse anbetrifft, so geführt worden, als habe es keine Konzernverbindung zum Beklagten gegeben, ist verspätet. Die Behauptung hätte der Beklagte in der Berufungsinstanz aufstellen müssen. Mit neuen Tatsachen kann er in der Revisionsinstanz nicht gehört werden (§ 561 Abs. 1 ZPO).

cc) Unbegründet ist die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht hätte nach § 139 ZPO den Beklagten auf die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises hinweisen müssen. Nach der Sitzungsniederschrift über die Verhandlung vom 10. Januar 1991 (irrtümlich in den Vorakten 11. Januar 1991) hatte das Landesarbeitsgericht mit den Parteien “im einzelnen die Sach- und Rechtslage erörtert, insbesondere die Frage der konzernrechtlichen Haftung des Beklagten”. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechtsprechung zur Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern bekannt, die die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises vorsah (BGH Urteile vom 16. September 1985 und 20. Februar 1989, BGHZ 95, 330 – Autokran und 107, 7 – Tiefbau). Dem anwaltlich vertretenen Beklagten mußte deshalb klar sein, daß er nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast den Entlastungsbeweis zu führen hatte.

dd) Soweit die Revision im Schriftsatz vom 23. April 1992 Verfahrensrügen zu den tatsächlichen Feststellungen nach § 286 ZPO erhebt, sind sie verspätet und daher unzulässig. Die Rügen müssen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorgebracht werden (§ 554 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3b ZPO). Die Revisionsbegründungsfrist endete einen Monat nach Einlegung der Revision (§ 554 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 74 Abs. 1 ArbGG), im vorliegenden Fall am 24. Juni 1991.

Im übrigen kommt es für die Haftung des Beklagten nach § 303 AktG auf die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe systematisch die Aktivposten aus der A… GmbH herausgelöst und unter Ausübung seiner Mehrheitsrechte auf den Eintritt der Vermögenslosigkeit der A… GmbH hingearbeitet, nicht an. Ob der Beklagte sich in dieser Weise verhalten hat, kann deshalb offen bleiben. Bei der konzernrechtlichen Haftung des herrschenden Unternehmens geht es nicht um die Haftung wegen schuldhaft ordnungswidriger Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft (so allerdings in der Literatur Lutter, ZIP 1985, 1425, 1429; Karsten Schmidt, ZIP 1989, 545, 547, m.w.N.), sondern um die Pflicht zur Übernahme des Risikos, das sich aus der Einbindung der abhängigen Gesellschaft in die übergeordneten Konzerninteressen ergibt (BGH Urteil vom 23. September 1991, aaO, zu 2b der Gründe).

5. Im vorliegenden Fall kann der Kläger vom Beklagten in entsprechender Anwendung von § 303 Abs. 1 AktG unmittelbar Zahlung verlangen. Es steht fest, daß der Kläger mit seiner Forderung gegen die A… GmbH, das beherrschte Unternehmen, ausfällt.

Nach § 303 AktG hat das herrschende Unternehmen den Gläubigern Sicherheit zu leisten. Einen Zahlungsanspruch sieht die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht vor. Ein solcher Zahlungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber, wenn die abhängige Gesellschaft vermögenslos geworden ist und deshalb die Forderung nicht erfüllen kann; denn dann hat eine vorherige Sicherheitsleistung keinen Sinn mehr (BGHZ 95, 330, 347 – Autokran; BGH Urteil vom 23. September 1991 – II ZR 135/90 – Video – AP Nr. 1 zu § 303 AktG, zu 3b der Gründe).

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die A… GmbH, das beherrschte Unternehmen, im Jahre 1989 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden. Damit steht fest, daß der Kläger mit seinen Versorgungsansprüchen gegen die A… GmbH ausfällt. Er hat daher nach § 303 AktG einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten.

III. Der Beklagte darf die Zahlung der Rente nicht wegen einer Treuepflichtverletzung des Klägers verweigern.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Widerruf von Versorgungszusagen wegen Treuepflichtverletzungen nur insoweit zulässig, wie die Berufung des Arbeitnehmers auf die Versorgungszusage rechtsmißbräuchlich ist (BAGE 32, 139 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAGE 41, 333 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAGE 64, 298 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Treuebruch). Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen; auch er verlangt für einen zulässigen Widerruf Pflichtverletzungen, die besonders schwer wiegen (BGH Urteil vom 22. Juni 1981 – II ZR 146/80 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Treuebruch).

2. Soweit der Beklagte die Verwirkung der Rentenansprüche des Klägers auf dessen Verhalten im Zusammenhang mit der Einführung einer neuen Arbeitsordnung im Jahre 1971 stützt, steht diesem Einwand bereits das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 2. Dezember 1988 entgegen. In diesem Urteil war der Widerruf der Versorgungszusage wegen des Verhaltens des Klägers im Jahre 1971 als unwirksam angesehen und die A… GmbH zur Rentenzahlung verurteilt worden. Im Rahmen der konzernrechtlichen Ausfallhaftung kann das herrschende Unternehmen nach § 322 Abs. 2 AktG aber nur solche Einwendungen geltend machen, die auch das abhängige Unternehmen (noch) erheben könnte (vgl. BGHZ 95, 330, 348 – Autokran).

3. Zu beurteilen ist daher nur das Verhalten des Klägers ab 1989. Es geht um die Drohung mit einer Strafanzeige, falls der Beklagte die Rentenverpflichtung nicht übernehme, und um die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Beklagten wegen pflichtwidrig unterlassener Konkursanmeldung. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht hierin keine grobe Treuepflichtverletzung des Klägers gesehen, die einen Widerruf der Versorgungszusage rechtfertigen könnte. Dem beanstandeten Verhalten des Klägers ging ein Fehlverhalten des Beklagten voraus. Der Beklagte hatte dem Kläger unberechtigterweise die Rente verweigert. Dem Kläger ging es allein um die Aufrechterhaltung der Rentenzusage und deren Erfüllung. Er handelte in Ausübung berechtigter Interessen. Unter diesen Umständen ist das Verhalten des Klägers, wenn nicht bereits gerechtfertigt, so jedenfalls verständlich. Im übrigen zeigt die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft, daß der Beklagte, wenn auch mit geringer Schuld, seine Pflichten als Liquidator der A… GmbH verletzt hat. Aus der Sicht des Klägers war ein Zusammenhang zwischen diesem Fehlverhalten des Beklagten und dem Ausfall seines Rentenanspruches gegen die A… GmbH nicht ausgeschlossen.

IV. Über den Antrag, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Beträge zurückzuzahlen, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Dieser Antrag war nur für den Fall gestellt, daß das angefochtene Urteil aufgehoben wird (§ 717 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 62 Abs. 2 ArbGG).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Dr. Wittek, Dr. Michels, Paul

Richter Griebeling ist arbeitsunfähig krank und deshalb an der Unterschrift verhindert.

Dr. Heither

 

Fundstellen

Haufe-Index 846733

BB 1993, 866

NJW 1993, 954

NZA 1993, 316

ZIP 1993, 380

GmbHR 1993, 218

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