Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändung. Schadensersatz als Arbeitseinkommen. Anforderungen an die Bezeichnung des Drittschuldners in einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Auslegung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Angabe des Rechtsverhältnisses, aus dem die gepfändete Forderung hergeleitet wird. Schadensersatz für verfallene Vergütungsansprüche als Arbeitseinkommen iSd. Vollstreckungsrechts

 

Leitsatz (amtlich)

Ist das Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers gepfändet und einem Gläubiger zur Einziehung überwiesen, erfasst der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, wenn dieser seine Nachweispflicht verletzt hat, Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers deshalb aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen sind und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schadensersatz in Höhe der verfallenen Vergütungsansprüche zu leisten hat.

 

Orientierungssatz

1. Eine ungenaue oder unrichtige Bezeichnung des Drittschuldners in einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bewirkt nicht die Nichtigkeit des Beschlusses, wenn trotz der Ungenauigkeit zweifelsfrei feststeht, wer Drittschuldner ist.

2. Es darf zwar kein Zweifel bestehen, welche Forderungen von einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst werden. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die Forderungen in allen ihren Einzelheiten gekennzeichnet werden und das Rechtsverhältnis, aus dem sie hergeleitet werden, gemäß der wahren Rechtslage zutreffend bezeichnet wird. Es reicht aus, dass dieses Rechtsverhältnis wenigstens in allgemeinen Umrissen angegeben wird.

3. Eine Schadensersatzforderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, die an die Stelle eines aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist verfallenen Vergütungsanspruchs tritt, wird von einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst, der sich auf das gesamte Arbeitseinkommen erstreckt.

4. Eine schuldbefreiende Zahlung des Drittschuldners an den Schuldner zum Nachteil des Pfändungsgläubigers kann bei einem Zahlungsverbot nach § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch dann nicht mehr erfolgen, wenn der Drittschuldner zur Zahlung an den Schuldner verurteilt wurde.

5. Bestehen begründete, objektiv verständliche Zweifel, ob ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eine Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner erfasst oder nicht, kann der Drittschuldner zur Vermeidung des Risikos einer doppelten Inanspruchnahme den vom Schuldner und vom Gläubiger beanspruchten Betrag nach § 372 Satz 2 BGB hinterlegen.

 

Normenkette

ZPO §§ 178, 189, 191, 767 Abs. 2, §§ 829, 835, 850; GmbHG § 35 Abs. 1; KSchG §§ 9-10; BUrlG § 7 Abs. 4; BGB § 372 S. 2, § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.05.2008; Aktenzeichen 5 Sa 810/07)

ArbG Mainz (Urteil vom 25.10.2007; Aktenzeichen 6 Ca 939/07)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Mai 2008 – 5 Sa 810/07 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 25. Oktober 2007 – 6 Ca 939/07 – abgeändert.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.766,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.202,05 Euro ab dem 1. Juni 2007 zu bezahlen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Rz. 1

 Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege einer Drittschuldnerklage in Anspruch.

Rz. 2

 Die Beklagte ist eine Bäckerei in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Kläger ist Inhaber titulierter Forderungen gegen den Streitverkündeten (Schuldner), der dem Rechtsstreit nicht beigetreten ist. Gemäß einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 7. April 2003 (– 4 C 920/02 –) hat der Schuldner 2.719,94 Euro nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Nach einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 21. Juli 2003 hat der Kläger gegen den Schuldner einen Anspruch auf Zahlung von 1.199,48 Euro nebst Zinsen. Dieser war von Oktober 1999 bis September 2005 bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt.

Rz. 3

 Der Kläger hat mit Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 7. Juli 2003 (– 7 M 1545/03 –) und vom 25. Februar 2004 (– 7 M 505/04 –) die Vergütungsansprüche des Schuldners gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. In diesen Beschlüssen heißt es, dass die Forderung des Schuldners auf Zahlung des gesamten Arbeitseinkommens (einschließlich des Geldwertes von Sachbezügen) so lange gepfändet wird, bis der Gläubigeranspruch gedeckt ist. Als Drittschuldnerin und Arbeitgeberin des Schuldners ist die “Bäckerei R…, K…” bezeichnet. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Juli 2003 wurde am 23. Juli 2003 und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 25. Februar 2004 am 2. März 2004 zugestellt. In den Zustellungsurkunden ist als Zustellungsadressatin die “Bäckerei R…, K…” genannt. Das Amtsgericht Idar-Oberstein änderte mit einem Beschluss vom 18. November 2003 seinen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Juli 2003 dahingehend ab, dass der Ehegatte des Schuldners bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags unberücksichtigt bleibt.

Rz. 4

 Die Beklagte erklärte in einem an die Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 9. Dezember 2003, dass sie den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 18. November 2003 anerkennt, monatlich 119,00 Euro vom Lohn des Schuldners einbehält und an die Prozessbevollmächtigten des Klägers weiterleitet. In einem weiteren Schreiben vom 29. März 2004 erkannte die Beklagte den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 25. Februar 2004 an und sagte die Abführung des Pfändungsbetrags an den Kläger zu. Entsprechend diesen Anerkenntnissen führte die Beklagte vom 11. Dezember 2003 bis zum 16. November 2005 Pfändungsbeträge an den Kläger ab.

Rz. 5

 Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verurteilte die Beklagte am 14. Februar 2007 wegen Verletzung von Pflichten aus dem Nachweisgesetz und des dadurch bedingten Verfalls von Vergütungsansprüchen des Schuldners aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist, an den Schuldner Schadensersatz iHv. 11.723,64 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2003 zu zahlen. Die Beklagte zahlte den sich ergebenden Nettobetrag im Wege der Zwangsvollstreckung an den Schuldner.

Rz. 6

 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte den pfändbaren Teil des dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zugesprochenen Betrags an ihn abführen müssen. Zum gepfändeten und ihm zur Einziehung überwiesenen gesamten Arbeitseinkommen des Schuldners gehöre jede Forderung, die ihre Grundlage im Arbeitsverhältnis habe und dazu bestimmt sei, den Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern und dessen Arbeitsleistung auszugleichen. Dies sei bei einem Schadensersatzanspruch, der an die Stelle eines Vergütungsanspruchs aus einem Arbeitsverhältnis getreten sei, der Fall. Unerheblich sei, dass in den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen sowie in den Zustellungsurkunden die Bezeichnung “GmbH” fehle. Es bestehe Identität mit der Beklagten. Diese habe die Pfändung des Arbeitseinkommens des Schuldners auch anerkannt und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Schuldner den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens abgeführt. Der pfändbare Teil des dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 14. Februar 2007 zugesprochenen Betrags sei höher als seine Restforderung. Die Beklagte hätte diese deshalb vollständig begleichen müssen.

Rz. 7

 Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.766,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 1. Juni 2007 aus 2.202,05 Euro zu zahlen.

Rz. 8

 Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse hätten den dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zugesprochenen Schadensersatz nicht erfasst. Schadensersatz stelle kein Arbeitseinkommen im Sinne dieser Beschlüsse dar. Im Übrigen seien die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse der “Bäckerei R…” und nicht ihr zugestellt worden. Es fehle an der Identität des bezeichneten Drittschuldners. Angesichts der strengen formalen Voraussetzungen des Zwangsvollstreckungsrechts könne die Klage keinen Erfolg haben.

Rz. 9

 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zugelassenen Revision verfolgt dieser sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 10

 Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat seine Drittschuldnerklage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte durfte aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Idar-Oberstein den sich aus dem dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zugesprochenen Bruttobetrag iHv. 11.723,64 Euro ergebenden Nettobetrag nicht vollständig an den Schuldner auszahlen, sondern hatte den vom Kläger beanspruchten Betrag an diesen abzuführen. Darüber, dass der pfändbare Teil höher war als die Klageforderung, besteht kein Streit.

Rz. 11

 I. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Wirksamkeit der Pfändung und der Überweisung zur Einziehung nicht entgegen, dass bei der Bezeichnung der Drittschuldnerin in den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen und bei der Angabe der Zustellungsadressatin in den Zustellungsurkunden der Zusatz “GmbH” fehlte. Die fehlende Bezeichnung der Rechtsform “GmbH” führt im Entscheidungsfall nicht zu einer Unbestimmtheit, die die Nichtigkeit der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse bewirkt.

Rz. 12

 1. Im Drittschuldnerprozess kann der Drittschuldner nicht eine bloße Fehlerhaftigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, sondern nur dessen Nichtigkeit mit Erfolg geltend machen. Nichtigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Beschluss offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. BAG 15. Februar 1989 – 4 AZR 401/88 – BAGE 61, 109). Der Drittschuldner muss in einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss so bezeichnet sein, dass über seine Identität auch für Dritte keine Zweifel bestehen (BGH 9. Juli 1987 – IX ZR 165/86 – WM 1987, 1311). Eine ungenaue oder unrichtige Drittschuldnerbezeichnung im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bewirkt nicht die Nichtigkeit des Beschlusses, wenn trotz der ungenauen oder unrichtigen Bezeichnung zweifelsfrei feststeht, wer Drittschuldner ist (vgl. BAG 15. November 1972 – 5 AZR 146/72 – AP ZPO § 850 Nr. 7; BGH 21. Dezember 1966 – VIII ZR 195/64 – NJW 1967, 821; 25. Januar 1961 – VIII ZR 22/60 – BB 1961, 302).

Rz. 13

 2. So verhält es sich im Entscheidungsfall. Das Fehlen der Bezeichnung “GmbH” führt hier nicht dazu, dass die Drittschuldnerbezeichnung unzureichend ist. Aufgrund der Geschäftsbezeichnung “Bäckerei R…” und der angegebenen Adresse “K…” besteht kein Zweifel über die Identität der Drittschuldnerin. Kein Streit besteht darüber, dass in K… nur eine Gesellschaft die Bezeichnung “Bäckerei R…” in ihrem Firmennamen trägt.

Rz. 14

 3. Ohne Erfolg rügt die Beklagte, die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse seien ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Die fehlende Bezeichnung “GmbH” in den Zustellungsurkunden macht die Zustellungen nicht unwirksam.

Rz. 15

 a) Die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner ist gemäß § 829 Abs. 3 ZPO iVm. § 835 Abs. 3 ZPO Voraussetzung einer wirksamen Pfändung und Überweisung (vgl. BAG 22. Juni 1972 – 5 AZR 55/72 – AP ZPO § 829 Nr. 3 = EzA ZPO § 829 Nr. 1). Sie erfolgt gemäß § 829 Abs. 2 Satz 1, § 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO iVm. den §§ 191 ff. ZPO. Ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Drittschuldnerin, ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG an den Geschäftsführer zuzustellen. Wird dieser nicht angetroffen, kann gemäß § 178 Abs. 1 ZPO iVm. § 191 ZPO eine Ersatzzustellung vorgenommen werden. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Juli 2003 konnte deshalb gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO einer in den Geschäftsräumen Beschäftigten übergeben werden und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 25. Februar 2004 gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Ehefrau des Geschäftsführers in dessen Wohnung.

Rz. 16

 b) Im Übrigen wären Zustellungsmängel nach § 189 ZPO iVm. § 191 ZPO geheilt. Die Beklagte hat in den von ihrem Geschäftsführer unterzeichneten Schreiben vom 9. Dezember 2003 und vom 29. März 2004 die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse ausdrücklich anerkannt, die Abführung des pfändbaren Teils der Vergütung des Schuldners zugesagt und bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem Schuldner auch die Pfändungsbeträge an den Kläger entrichtet. Dies belegt, dass der Beklagten die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse tatsächlich zugegangen sind.

Rz. 17

 II. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Beklagte habe den sich aus dem dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zugesprochenen Bruttobetrag iHv. 11.723,64 Euro ergebenden Nettobetrag vollständig an den Schuldner auszahlen müssen, weil die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Idar-Oberstein den Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen die Beklagte nicht erfasst hätten. Aufgrund dieser Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse durfte die Beklagte gemäß § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO den vom Kläger beanspruchten Betrag nicht an den Schuldner zahlen, sondern musste ihn nach § 835 Abs. 1 1. Alt. ZPO an den Kläger abführen.

Rz. 18

 1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfasst die Pfändung der Forderung des Schuldners gegen die Beklagte “auf Zahlung des gesamten Arbeitseinkommens (einschließlich des Geldwertes von Sachbezügen)” den an die Stelle seiner Vergütungsansprüche getretenen Schadensersatzanspruch des Schuldners. Dies ergibt die Auslegung der Worte “gesamtes Arbeitseinkommen” in den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen.

Rz. 19

 a) Ein Pfändungsbeschluss als gerichtlicher Hoheitsakt ist einer Auslegung zugänglich (vgl. BAG 15. Januar 1975 – 5 AZR 367/74 – AP ZPO § 850 Nr. 8; BGH 28. April 1988 – IX ZR 151/87 – NJW 1988, 2543). Er muss die zu pfändenden Forderungen und ihren Rechtsgrund so genau bezeichnen, dass bei verständiger Auslegung unzweifelhaft feststeht, welche Forderungen Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein sollen. Die Auslegung hat vom Wortlaut auszugehen und nach objektiven Gesichtspunkten zu erfolgen. Außerhalb des Beschlusses liegende Tatsachen können für die Auslegung nicht herangezogen werden, sofern sie nicht offenkundig sind. Es genügt auch nicht, dass der Pfändungsbeschluss die zu pfändende Forderung so bestimmt bezeichnet, dass bei verständiger Auslegung für den Pfändungsgläubiger, den Schuldner und den Drittschuldner kein Zweifel zurückbleibt. Es darf auch für Dritte, zB andere Gläubiger, kein Zweifel bestehen, welche Forderungen vom Pfändungsbeschluss erfasst werden. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die Forderung in allen ihren Einzelheiten gekennzeichnet wird und das Rechtsverhältnis, aus dem die gepfändete Forderung hergeleitet wird, gemäß der wahren Rechtslage zutreffend bezeichnet wird. Es reicht aus, dass dieses Rechtsverhältnis wenigstens in allgemeinen Umrissen angegeben wird. Diese Einschränkungen sind geboten, weil der pfändende Gläubiger die zwischen dem Schuldner und dem Drittschuldner bestehenden Beziehungen oftmals nur oberflächlich kennt (vgl. BAG 15. Januar 1975 – 5 AZR 367/74 – aaO; BGH 28. April 1988 – IX ZR 151/87 – aaO; 26. Januar 1983 – VIII ZR 258/81 – BGHZ 86, 337). Die Auslegung eines Pfändungsbeschlusses durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH 14. Januar 2000 – V ZR 269/98 – NJW 2000, 1268; 26. Januar 1983 – VIII ZR 258/81 – mwN, BGHZ 86, 337).

Rz. 20

 b) Daran gemessen ist eine Schadensersatzforderung, die ein Schuldner hat, weil sein Arbeitgeber gegen Pflichten aus dem Nachweisgesetz verstoßen hat und deshalb Vergütungsansprüche des Schuldners aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen sind, unter den Begriff des “gesamten Arbeitseinkommens” iSd. Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse einzuordnen.

Rz. 21

 aa) Die formularmäßig erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse halten sich eng an die Wortfassung der Zivilprozessordnung in den §§ 850 ff. Wenn die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse von der Pfändung der Forderung auf Zahlung des gesamten Arbeitseinkommens sprechen, ist deshalb unter “Arbeitseinkommen” das zu verstehen, was auch § 850 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 ZPO als Arbeitseinkommen iSd. Vollstreckungsrechts definieren. Danach ist nicht nur laufende Arbeitsvergütung Arbeitseinkommen. Gemäß § 850 Abs. 4 ZPO erfasst die Pfändung des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens alle Vergütungen, die dem Schuldner aus der Arbeitsleistung zustehen, ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart.

Rz. 22

 bb) In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, dass zum Arbeitseinkommen iSv. § 850 Abs. 4 ZPO nicht nur Vergütungen zählen, die vom Arbeitgeber gemäß § 611 Abs. 1 BGB als Gegenleistung für vom Arbeitnehmer geleistete Dienste zu zahlen sind. In einer Entscheidung vom 13. Juli 1959 (– 2 AZR 398/58 – AP ZPO § 850 Nr. 1) hat der Zweite Senat angenommen, “Arbeitseinkommen” sei nicht nur der reine Arbeitslohn, die Zivilprozessordnung verstehe unter Arbeitseinkommen auch alle sonstigen sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers. Der Vierte Senat hat in seinem Urteil vom 12. September 1979 (– 4 AZR 420/77 – BAGE 32, 96) eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG unter den Begriff des “Arbeitseinkommens” subsumiert und als Begründung ua. angeführt, Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften, die Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers zu gewährleisten, erforderten, eine Abfindung den Pfändungsschutzvorschriften zu unterwerfen. Mit seinen Urteilen vom 13. November 1991 hat der Vierte Senat seine Rechtsprechung bestätigt (– 4 AZR 39/91 – RzK I 11c Nr. 8) und auf Sozialplanabfindungen erstreckt (– 4 AZR 20/91 – BAGE 69, 29). Nach der Rechtsprechung des Neunten Senats (28. August 2001 – 9 AZR 611/99 – BAGE 99, 5) ist nicht nur Urlaubsentgelt, sondern auch Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG Arbeitseinkommen. Damit hat der Neunte Senat Ansprüche, die als Surrogat an die Stelle von Primäransprüchen treten, diesen hinsichtlich ihrer Pfändbarkeit gleichgestellt.

Rz. 23

 cc) Diese Gleichstellung ist auch geboten, wenn, wie im Entscheidungsfall, ein Schadensersatzanspruch an die Stelle von Vergütungsansprüchen tritt. Der Wortlaut des § 850 Abs. 4 ZPO, der von “allen Vergütungen, die dem Schuldner aus der Arbeits- oder Dienstleistung zustehen, ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart” spricht, steht nicht entgegen. Der Gesetzeswortlaut hindert vielmehr ein enges Verständnis des Begriffs des Arbeitseinkommens. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch können geleistete Dienste auch durch die Leistung von Schadensersatz “vergütet” werden, jedenfalls dann, wenn wie im Entscheidungsfall der Betrag des geleisteten Schadensersatzes der Höhe der verfallenen Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers entspricht. Der dem Schuldner vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz im Urteil vom 14. Februar 2007 zugesprochene Schadensersatz knüpft auch ebenso wie ein Vergütungsanspruch an die Arbeitsleistung des Schuldners an. Die Zahlung von Geld in Höhe der entgangenen Vergütung stellt wirtschaftlich die Gegenleistung für die Arbeitsleistung dar. Wäre ein Arbeitsentgeltanspruch bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlussfrist erloschen, ist der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auf Naturalrestitution gerichtet. Der Arbeitnehmer kann verlangen, so gestellt zu werden, als sei sein Vergütungsanspruch nicht untergegangen. Das hat zur Folge, dass dem Arbeitnehmer Schadensersatz in Höhe des erloschenen Vergütungsanspruchs als Bruttobetrag zuzusprechen ist (BAG 5. November 2003 – 5 AZR 676/02 – AP NachwG § 2 Nr. 7 = EzA NachwG § 2 Nr. 6). Das hat auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz im Urteil vom 14. Februar 2007 zutreffend erkannt. Es hat dem Schuldner Schadensersatz iHv. 11.723,64 Euro brutto zugesprochen und durch das Wort “brutto” zum Ausdruck gebracht, dass der Schadensersatz steuerrechtlich und sozialversicherungsrechtlich wie Arbeitsvergütung zu behandeln ist. Auch im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit, dass Schadensersatzansprüche, die an die Stelle entgangener oder vorenthaltener Arbeitsvergütung treten, den gleichen Schutz genießen wie unmittelbares Arbeitseinkommen (vgl. Mikosch AR-Blattei SD 270 Rn. 71; Neumann AR-Blattei SD 1130 Rn. 52; Zöller/Stöber ZPO 27. Aufl. § 850 Rn. 15; Stöber Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 895; Stein/Jonas/Brehm ZPO 22. Aufl. § 850 Rn. 50; MünchKommZPO-Smid ZPO 2. Aufl. § 850 Rn. 42).

Rz. 24

 dd) Die Systematik der in den §§ 850 ff. ZPO getroffenen Regelungen bestätigt dieses Verständnis. Wären nach dem Verständnis des Gesetzgebers nur für geleistete Dienste gewährte Vergütungen Arbeitseinkommen, hätte er es bei der Regelung in § 850 Abs. 2 ZPO belassen können. Wenn das Gesetz eine Vielzahl von Bezügen zum Arbeitseinkommen zählt, die nicht als unmittelbares Arbeitsentgelt für eine bestimmte Arbeitsleistung anzusehen sind, zB Karenzentschädigungen (§ 850 Abs. 3 Buchst. a ZPO), wird daraus das Bestreben des Gesetzgebers deutlich, mit einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der sich auf das Arbeitseinkommen erstreckt, möglichst umfassend alle in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erfassen (vgl. BAG 13. November 1991 – 4 AZR 20/91 – BAGE 69, 29; 13. November 1991 – 4 AZR 39/91 – RzK I 11c Nr. 8; 12. September 1979 – 4 AZR 420/77 – BAGE 32, 96).

Rz. 25

 ee) Schließlich gebieten auch Sinn und Zweck des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen, diesen Schutz auch auf einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers zu erstrecken, der an die Stelle von Vergütungsansprüchen des Arbeitnehmers tritt. Der Pfändungsschutz und die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff. ZPO sollen den Lebensunterhalt des Schuldners und derjenigen, denen er Unterhalt gewährt, sichern. Dem Schuldner soll deshalb der nicht pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens verbleiben (BAG 13. November 1991 – 4 AZR 20/91 – BAGE 69, 29; 13. November 1991 – 4 AZR 39/91 – RzK I 11c Nr. 8; 12. September 1979 – 4 AZR 420/77 – BAGE 32, 96). Ein Verständnis, wonach eine an die Stelle eines Vergütungsanspruchs tretende Schadensersatzforderung des Schuldners gegenüber dem Drittschuldner vom Gläubiger anders als ein Vergütungsanspruch vollständig gepfändet werden könnte, ist mit diesem Ziel der Sicherstellung des Lebensunterhalts des Schuldners und seiner Familie nicht zu vereinbaren. Bezüglich der Schutzbedürftigkeit des Schuldners besteht kein Unterschied, ob dieser vom Drittschuldner Arbeitsvergütung erhält oder Schadensersatz in Höhe der Arbeitsvergütung, weil aus einem vom Drittschuldner zu vertretenden Grund der Vergütungsanspruch nicht mehr besteht.

Rz. 26

 2. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz die Beklagte in ihrem Rechtsstreit mit dem Schuldner mit einem Urteil vom 14. Februar 2007 trotz der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Idar-Oberstein zur Zahlung von 11.723,64 Euro brutto an den Schuldner verurteilt. Dieses Urteil bewirkte jedoch keine Aufhebung des Zahlungsverbots an den Schuldner. Eine schuldbefreiende Zahlung des Drittschuldners an den Schuldner zum Nachteil des Pfändungsgläubigers kann bei einem Zahlungsverbot nach § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr erfolgen. Bei einem Verstoß gegen das Zahlungsverbot ist der Pfändungsgläubiger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Drittschuldner nicht an den Schuldner gezahlt hätte. Dies gilt auch dann, wenn der Drittschuldner zu Unrecht zur Zahlung an den Schuldner verurteilt wurde, weil er im Prozess die ihm bekannte Forderungspfändung nicht vorgetragen hatte. Die Pfändungen des Arbeitseinkommens des Schuldners durch den Kläger hatte die Beklagte im Rechtsstreit mit dem Schuldner nicht geltend gemacht. Hat ein Drittschuldner im Rechtsstreit mit dem Schuldner nicht auf die Pfändung der streitgegenständlichen Forderung durch einen Gläubiger hingewiesen und kann er aufgrund der Regelung in § 767 Abs. 2 ZPO eine Vollstreckungsgegenklage gegen den Schuldner deshalb nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg erheben, bleibt ihm noch der Weg der Hinterlegung nach § 372 Satz 2 BGB. Nach dieser Bestimmung kann ua. Geld hinterlegt werden, wenn der Schuldner infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Wird zu Gunsten der Beklagten davon ausgegangen, dass begründete, objektiv verständliche Zweifel bestanden, ob die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Idar-Oberstein die Schadensersatzforderung des Schuldners gegen die Beklagte erfassen oder nicht, hätte die Beklagte zur Vermeidung des Risikos einer doppelten Inanspruchnahme den vom Kläger und vom Schuldner beanspruchten Betrag nach § 372 Satz 2 BGB hinterlegen können und müssen.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Züfle, H. Schwitzer

 

Fundstellen

Haufe-Index 2183040

BAGE 2011, 9

NJW 2009, 2324

EBE/BAG 2009

FA 2009, 288

NZA 2009, 805

ZTR 2009, 663

AP 2010

EzA-SD 2009, 10

EzA

MDR 2009, 989

ZInsO 2009, 1359

AUR 2009, 321

FoVo 2009, 246

FoVo 2009, 247

GWR 2009, 233

RdW 2010, 22

GK/Bay 2009, 457

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