Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. MfS-Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Wichtiger Grund trotz teilweiser Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin während einer sozialen Auslauffrist

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 15.09.1995; Aktenzeichen 8 Sa 391/95)

ArbG Chemnitz (Urteil vom 20.02.1995; Aktenzeichen 11 Ca 9156/94 FR)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. September 1995 – 8 Sa 391/95 – aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die 1960 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin wann in den Jahren 1983 bis 1985 als personalverantwortliche Betriebsteilleiterin eines Brauereibetriebes in der ehemaligen DDR tätig. In dieser Eigenschaft war sie Ansprechpartnerin für staatliche Stellen der DDR, die Auskünfte über Mitarbeiter der Brauerei begehrten. In der Zeit von Januar 1984 bis September 1985 wurde die Klägerin im Betrieb viermal von einem Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aufgesucht. Dabei gab die Klägerin mündlich Auskunft über einen Mitarbeiter, der im Betrieb versucht hatte, Wertgegenstände zu verkaufen, die angeblich aus einer „Westerbschaft” stammten. Die Klägerin machte auch Angaben über das Arbeitsverhalten dieses Mitarbeiters und gab in diesem Zusammenhang einen Zusatz zum Arbeitsvertrag des Mitarbeiters und Reparaturprotokolle des Betriebes heraus. In einem der Gespräche unterzeichnete sie eine ihr vorgelegte, maschinengeschriebene „Schweigeverpflichtung”, in der sie erklärte, wegen der Gespräche gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen zu bewahren. Von dem Offizier des MfS erhielt die Klägerin eine Prämie von 100,00 Mark und eine Uhr als Präsent.

Am 11. Dezember 1990 schlössen die Parteien einen Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin ab 1. Januar 1991 als stellvertretende Leiterin der Paß- und Meldestelle der Beklagten tätig wurde. In einem weiteren Arbeitsvertrag wurde die Anwendung des BAT-O vereinbart. Die Klägerin wurde zuletzt im Einwohnermeldeamt der Beklagten beschäftigt. Ihre Tätigkeit im Melde- und Paßwesen und bei der Ausstellung von Lohnsteuerkarten war mit Publikumsverkehr verbunden.

Im Rahmen der Feststellung der Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst gab die Beklagte Anfang Mai 1992 an alle Mitarbeiter vorgedruckte Anträge „auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten” aus. In diesem Formular ist die Frage enthalten:

„Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet

ja/nein

wenn ja:

In welcher Weise, wo und von wann bis wann?

Aus welchen Gründen wurde diese Tätigkeit beendet?”

Gleichzeitig ließ die Beklagte ihren Mitarbeitern eine vorgedruckte „Eidesstattliche Erklärung” zukommen, in der es u.a. heißt: „Hiermit erkläre ich an Eides statt, weder als hauptamtlicher, noch als inoffizieller Mitarbeiter für das ehemalige MfS oder ANS oder einen anderen Geheimdienst wissentlich gearbeitet zu haben”. Beide Schriftstücke wurden den Mitarbeitern der Beklagten ohne weitere Erläuterungen oder Merkblätter zur Unterschrift binnen einer Woche zugeleitet. Die Klägerin beantwortete die im „Antrag auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten” gestellte Frage mit „nein” und unterzeichnete die „Eidesstattliche Erklärung”.

Unter dem Datum 28. September 1994 erhielt die Beklagte einen Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, aus dein sich die oben dargestellten Verbindungen zum MfS ergeben.

Nach Anhörung der Klägerin kündigte die Beklagte daraufhin am 8. November 1994 das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich zum 31. Dezember 1994, vorsorglich ordentlich zum nächstzulässigen Termin. Nach Zugang der Kündigung war die Klägerin zunächst bis 6. Dezember 1994 arbeitsunfähig krank. Danach wurde sie bis zum Antritt ihres Resturlaubs zwar im Einwohnermeldeamt, aber nicht mehr bzw. nur noch eingeschränkt für Tätigkeiten mit Publikumsverkehr eingesetzt.

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat geltend gemacht, schon ihr Einsatz nach Ausspruch der Kündigung zeige, daß der Beklagten ihre Weiterbeschäftigung zumutbar sei. Sie habe die Gespräche mit dem Offizier des MfS nur in ihrer Eigenschaft als Betriebsteilleiterin geführt. Mitarbeiterin der Staatssicherheit sei sie nie gewesen. Sie habe keine Ahnung gehabt, daß über sie Akten angelegt worden seien. Deshalb habe sie die Fragen nach einer Arbeit für das MfS auch nicht falsch beantwortet.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche/außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 8. November 1994, zugegangen am 8. November 1994, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Klägerin habe dem MfS über mehrere Jahre hin bewußt Berichte über den persönlichen und beruflichen Lebensbereich von Personen geliefert und dabei betriebsinterne Unterlagen übergeben. Als stellvertretende Amtsleiterin habe die Klägerin im Einwohnermeldeamt Zugriff auf sensible personenbezogene Daten der Bürger gehabt. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in dieser Führungsposition sei nach Bekanntwerden ihrer MfS-Tätigkeit und der Falschbeantwortung der Fragen in dem Antrag auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten und der eidesstattlichen Versicherung nicht mehr zumutbar gewesen. Die Klägerin könne nicht einwenden, sie habe mit dem MfS nur im Rahmen ihrer Dienstpflichten als Betriebsteilleiterin zusammengearbeitet. Bei ihrer Tätigkeit für das MfS sei die Klägerin auch im Rahmen des operativen Vorgangs „Omega II” eingesetzt worden, bei dem es um die Beobachtung des Gebietsarztes der Wismut und dessen Umfeld im weitesten Sinne gegangen sei. Zu diesem Umfeld habe auch der Brauereiangehörige gehört, über den die Klägerin belichtet habe. Die Tätigkeit der Klägerin sei damit über ihre dienstlichen Belange hinausgegangen, was sich auch daraus ergebe, daß die Klägerin über die Vermögens- und Familienverhältnisse der Arbeitnehmer der Brauerei berichtet habe. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin bestünden nicht, es seien keine freien Stellen vorhanden, für die die Klägerin die erforderliche Qualifikation aufweise.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1, ZPO).

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitere schon daran, daß die Beklagte die Klägerin während der gewährten Auslauffrist nicht von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt, sondern im Einwohnermeldeamt weiterbeschäftigt habe. Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Auf die Fragen der Beklagten zur Arbeit für das MfS habe die Klägerin keine unwahre Erklärung abgegeben. Gefragt gewesen sei nicht nach einer „Tätigkeit” für das MfS, die Frage sei vielmehr enger nach einer „Arbeit” für das MfS gestellt gewesen. Werde vom Arbeitgeber nach „Arbeit für” das MfS gefragt, so müsse diese Frage dahingehend verstanden werden, ob eine Tätigkeit aufgrund einer Verpflichtung geschuldet worden sei. In diesem Sinne habe die Klägerin nicht für das MfS gearbeitet. Auch die Tätigkeit der Klägerin für das MfS rechtfertige keine Kündigung. Zwar sei die Klägerin über dasjenige hinausgegangen, was üblicherweise im Rahmen einer Vernehmung zu strafrechtlichen Ermittlungen geschehe. Der Inhalt der von der Klägerin abgegebenen Auskünfte und die Annahme von Präsenten zeigten, daß sich die Klägerin für das MfS in so weitgehender Weise engagiert habe, daß Umstände vorlägen, die an sich geeignet seien, einen personenbedingten Kündigungsgrund abzugeben, Bei der Interessenabwägung sei jedoch zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, daß das Maß ihren Verstrickung in Angelegenheiten des MfS gering gewesen sei. Es sei nicht erkennbar, daß die Klägerin einen Anlaß gehabt habe zu zweifeln, ob sie wirklich nur zu Zwecken strafrechtlicher Ermittlungen befragt worden sei.

II. Dem folgt der Senat nicht.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht nach Kap. XIX Sachgeb. A Anl. I Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages geprüft. Auf ein Arbeitsverhältnis, das wie das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Wirksamwerden des Beitritts zwischen einem öffentlichen Arbeitgeber i.S.v. Art. 20 Einigungsvertrag und einem Arbeitnehmer, der zu diesem Zeitpunkt in keinen arbeitsvertraglichen Beziehungen zu einem solchen Arbeitgeber im Beitrittsgebiet stand, neu begründet wird, finden die Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages keine Anwendung (BAGE 75, 200 = AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag).

2. Ob die außerordentliche Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis mit einer sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 1994 beendet hat, kann der Senat noch nicht abschließend entscheiden. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung trägt nicht, zu dem eigentlichen Kündigungsgrund fehlen aber nähere tatsächliche Feststellungen.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB (gleichlautend § 54 BAT-O) kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Entscheidung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (st. Rspr. des Senats, z.B. Urteil vom 6. August 1987 – 2 AZR 226/87 – AP Nr. 97 zu § 626 BGB und zuletzt Urteil vom 9. Mai 1996 – 2 AZR 387/95 – AP Nr. 5 zu § 273 BGB). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.

b) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, daß bei der Prüfung der Frage, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war, durchaus das eigene Verhalten des Arbeitgebers zu berücksichtigen ist. Nimmt der Arbeitgeber einen bestimmten Kündigungssachverhalt nicht zum Anlaß, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen, sondern gewährt dem Arbeitnehmer eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist in der erklärten Absicht, den Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist auch tatsächlich zu beschäftigen, so wird das eigene Verhalten des Arbeitgebers regelmäßig den Schluß zulassen, daß ihm auch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war, also kein wichtiger Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag (KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 23; Kittner/Trittin, Kündigungsschutzrecht, 2. Aufl., Einl. Rz 235; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 429; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 21). Es sind jedoch insoweit stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Nicht jeder Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer beim Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Auslauffrist gewährt und den Arbeitnehmer auch während dieser Frist tatsächlich beschäftigt, verwirkt damit sein Kündigungsrecht (Senatsurteil vom 6. Februar 1960, BAGE 9, 44 = AP Nr. 39 zu § 626 BGB). Es ist darauf abzustellen, für welche Dauer und aus welchen Gründen die tatsächliche Beschäftigung nach Ausspruch der Kündigung erfolgen soll. Erbringt z.B. eine Tanzkapelle an sich unzumutbare Leistungen, so kann die Erwägung des Arbeitgebers, eine schlechte Kapelle sei besser als gar keine Kapelle, durchaus achtbar und eine fristlose Kündigung mit einer Auslauffrist bis zur Verpflichtung der neuen Kapelle damit wirksam sein (BAG, a.a.O.).

c) Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht insoweit von einem unzutreffenden, zumindest unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, wenn es angenommen hat, die Klägerin habe nach einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit ihre Arbeitsleistung im Einwohnermeldeamt weiterhin tatsächlich erbracht. Auf eine entsprechende Behauptung der Klägerin hin, sie gehe während der Auslauffrist ganz normal ihrer Arbeit nach, hat die Beklagte, wie sie in der Revisionsinstanz mit einer ordnungsgemäßen Verfahrensrüge geltend macht, gerade dies substantiiert bestritten. Sie hat vorgetragen und durch zwei Zeugen unter Beweis gestellt, die Klägerin sei zunächst vom 8. November 1994 bis 6. Dezember 1994 krank gewesen, sei vom 7. bis 9. Dezember und am 12. Dezember 1994 für viereinhalb Stunden ohne Publikumsverkehr nur noch mit dem Abschluß begonnener Vorgänge, der Bearbeitung der Statistik und der Vorbereitung der Übergabe ihrer Amtsgeschäfte betraut worden, was nur bedeuten kann, daß die Klägerin ab 12. Dezember 1994 ihren restlichen Jahresurlaub genommen hat. Trifft dieses Vorbringen der Beklagten, das die Klägerin jedenfalls in den Grundzügen bisher nicht bestritten hat, zu, so lassen die näheren Umstände der Weiterbeschäftigung der Klägerin allein nicht den Schluß zu, daß kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung nach § 626 BGB vorlag. Dies muß auch dann gelten, wenn man richtigerweise auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung abstellt, denn angesichts des Krankenhausaufenthalts der Klägerin bei Ausspruch der Kündigung und des noch ausstehenden Resturlaubs war die weitere Entwicklung des Arbeitsverhältnisses während der Auslauffrist absehbar und schon im Kündigungszeitpunkt kann nicht von einem Willen der Beklagten ausgegangen werden, die Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist tatsächlich in ihrer bisherigen Führungsposition weiterzubeschäftigen. Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Klägerin hat die Beklagte mit dem eingetretenen Vertrauensverlust begründet, der eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in ihrer bisherigen herausgehobenen Position, vor allem den weiteren Umgang mit personenbezogenen Daten der Bürger und einen Schalterverkehr in erheblichem Umfang verbiete. Diese Argumentation wird nicht von vornherein dadurch unglaubwürdig, daß die Beklagte die Klägerin während ganzer dreieinhalb Arbeitstage ihr Arbeitsgebiet zur Vorbereitung einer ordnungsgemäßen Übergabe hat aufräumen lassen und während dieser Zeit den Schalterverkehr unterbunden, oder, wie die Klägerin behauptet, eingeschränkt hat.

3. Das Urteil erweist sich, soweit das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB angenommen hat, auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO). Unterstellt man, das Berufungsgericht, das schon von der Sozialwidrigkeit der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG ausgegangen ist, hätte mit der gleichen Begründung einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 BGB verneint, so hält das angefochtene Urteil auch insoweit nicht den Angriffen der Revision stand.

a) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Beklagte die Klägerin nach einer früheren Tätigkeit für das MfS fragen durfte und die entsprechenden Fragen von dieser wahrheitsgemäß beantwortet werden mußten (vgl. BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; Urteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX; Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Die Beklagte ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, nur solche Angestellte zu beschäftigen, die zu den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung i.S. des Grundgesetzes stehen. Bei dieser Sachlage sind Fragen, die für die Eignung des Arbeitnehmers für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst von Bedeutung sind, zulässig. Ein Fragerecht der Beklagten und eine entsprechende Pflicht der Klägerin zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen ergibt sich vor allem aus der herausgehobenen Stellung der Klägerin in der Verwaltung der beklagten Stadt, die mit dem Umgang mit personenbezogenen Daten und Publikumsverkehr verbunden ist. Außerdem diente der Fragebogen der richtigen Berechnung der Beschäftigungszeit, die nur bei wahrheitsgemäßer Beantwortung gewährleistet war. Eine – wenn auch kurze – Anrechnung von Vordienstzeiten kam hier in Betracht, denn die Klägerin war nach ihren eigenen Angaben, die auch Gegenstand des Fragebogens über die Berechnung der Beschäftigungszeit war, ab 1. Januar 1990 in der Meldestelle in F. tätig und ist aus diesem Arbeitsverhältnis von der beklagten Stadt übernommen worden.

Eine bewußte Falschbeantwortung solcher berechtigter Fragen des öffentlichen Arbeitgebers kann je nach den Umständen das für die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers so stören, daß ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt erscheint (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 Rz 325, m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagte die Klägerin nach dem Beitritt eingestellt und vor Abschluß des Arbeitsvertrages offenbar nicht entsprechend befragt hat. Zwar ist in einem derartigen Fall zu prüfen, ob der Arbeitnehmer dem öffentlichen Arbeitgeber die unterlassene Befragung bei der Einstellung nach § 162 Abs. 2, § 242 BGB entgegenhalten kann (Senatsurteil vom 21. März 1996 – 2 AZR 479/95 –, n.v., zu II 1 der Gründe). Es verstößt jedoch im vorliegenden Fall nicht gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte die Klägerin mit einem Lebenslauf, der keine Hinweise auf eine mögliche MfS-Verstrickung enthielt, zunächst eingestellt und ihr erst später – immerhin noch in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit der Einstellung – zwecks korrekter Berechnung der Beschäftigungszeit den Fragebogen vorgelegt hat.

b) Zu Unrecht geht das Landesarbeitsgericht jedoch davon aus, die Klägerin habe die gestellten Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, weil nicht nach einer „Tätigkeit” für das MfS, sondern nur nach einer „Arbeit” für das MfS gefragt worden sei. Die Frage der Beklagten entspricht exakt der Frage 1.1 in dem Fragebogen des Landes Sachsen, die das Bundesarbeitsgericht als eine zulässige Frage nach einer früheren Tätigkeit für das MfS ausgelegt hat (BAG Urteil vom 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Der Fragebogen, den der Senat als typische Willenserklärung selbst auslegen kann (Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 73 Rz 15), spricht in seinem zweiten Absatz ausdrücklich von einer Tätigkeit. Dies kann nur bedeuten, daß die Begriffe Arbeit und Tätigkeit von der Beklagten gleichbedeutend verwendet worden sind. Der Begriff Arbeit bezeichnet eben nicht, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, lediglich eine zumeist entgeltliche Tätigkeit aufgrund eines Vertrages, der Begriff ist vielmehr weiter gefaßt. Erst recht gibt die Unterscheidung keinen Sinn, wenn es um die Frage eines öffentlichen Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer geht, ob diese als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter beim MfS „tätig waren” bzw. „gearbeitet” haben. Die Frage der Beklagten nach einer Tätigkeit der Klägerin für das frühere MfS/AfNS nahm erkennbar auf den Einigungsvertrag (Abs. 5) Bezug. Nach der Rechtsprechung des Achten Senats, von der abzuweichen auch für den vorliegenden Fall einer nach § 626 BGB zu beurteilenden Kündigung kein Anlaß besteht, bedeutet der Begriff „Tätigkeit” des Arbeitnehmers für das frühere MfS nicht, daß ein Dienstvertrag oder eine andere vertragliche Beziehung zum MfS bestanden haben muß. Es reicht eine bewußte, finale Mitarbeit, die dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer willentlich für das MfS tätig war. Eine besondere Absicht ist nicht erforderlich. Bedingter Vorsatz reicht aus. Der Arbeitnehmer muß keine positive Kenntnis davon gehabt haben, daß die Tätigkeit für das MfS erfolgte. Es genügt, wenn er eine Tätigkeit für das MfS billigend in Kauf genommen hat. Eine ohne Wissen des Arbeitnehmers erfolgte „Abschöpfung” genügt allerdings nicht. Das Verhalten des Arbeitnehmers muß über eine passive und erzwungene Information hinausgehen (st. Rspr., z.B. BAG Urteil vom 13. Juni 1996 – 8 AZR 351/93 –, n.v.).

c) Die so verstandene Frage nach einer MfS-Tätigkeit hat die Klägerin objektiv falsch beantwortet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie über die Mitwirkung bei strafrechtlichen Ermittlungen hinaus umfassende Informationen über Personen ohne deren Wissen weitergegeben, dafür eine Geldprämie von 100,00 Mark erhalten, diese mit „Renate” quittiert und eine Uhr als Sachpräsent angenommen. Insbesondere die Hinweise der Klägerin über die Diskrepanz zwischen dem Einkommen und dem „Wohlstand” eines Mitarbeiters, über einem Ehemann unbekannt gebliebene „Bekanntschaften” seiner Frau und über Westreisen von Mitarbeitern und die Herausgabe von einzelne Mitarbeiter in ein schlechtes Licht setzenden Unterlagen hat das Landesarbeitsgericht dabei zu Recht als belastende Tätigkeit für das MfS angesehen. Eine solche Tätigkeit durfte die Klägerin auf die zulässige Frage der Beklagten hin nicht verschweigen. Es kann deshalb dahinstehen, ob sie die bloße Unterzeichnung der Schweigeverpflichtung und die Mitwirkung bei strafrechtlichen Ermittlungen hätte angeben müssen.

d) Keine Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht allerdings – von seinem Ausgangspunkt her konsequent – zu der Frage getroffen, ob die Klägerin die ihr gestellten Fragen auch subjektiv falsch beantwortet hat. Konnte die Klägerin, wie sie geltend macht, unverschuldet davon ausgehen, nach einer Tätigkeit für das MfS ohne ausdrückliche Verpflichtungserklärung, lediglich verbunden mit einer Schweigeverpflichtung, sei gar nicht gefragt gewesen, ist ihre objektiv falsche Antwort durch Verbotsirrtum entschuldigt. Dies wird nach der Zurückverweisung aufzuklären sein. Ebenso wird das Landesarbeitsgericht der Einlassung der Klägerin nachzugehen haben, sie habe die Kontakte zum MfS ihrer dienstlichen Tätigkeit zugerechnet und sei deshalb unverschuldet davon ausgegangen, nach diesen Kontakten sei nicht gefragt gewesen. Für diese Einlassung der Klägerin spricht, daß sie nach den Gauck-Unterlagen zu keiner Zeit als IM tätig war und auch aus der Sicht des MfS lediglich als GM „genutzt” worden ist, ohne daß es zu der beabsichtigten Verpflichtung als GMS gekommen ist. Ob sich diese Einlassung der Klägerin angesichts der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Intensität ihrer Zusammenarbeit mit dem MfS nicht trotzdem als Schutzbehauptung erweist, setzt nähere tatsächliche Feststellungen zu dem entsprechenden Sachvortrag der Beklagten voraus, die den früheren Führungsoffizier der Klägerin als Zeugen benannt hat, und läßt sich deshalb durch den Senat nicht abschließend beurteilen.

e) Auch soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Tätigkeit der Klägerin für das MfS stelle unter den gegebenen Umständen keinen personenbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG – und damit auch wohl keinen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB – dar, hält das angefochtene Urteil den Angriffen der Revision nicht stand. Zutreffend geht das Berufungsgericht insoweit davon aus, daß die bewußte Tätigkeit für das frühere MfS sowie die Weitergabe von Informationen oder Schriftstücken an das MfS je nach den Umständen auch ohne vorherige Abmahnung geeignet sein kann, eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung eines im öffentlichen Dienst in einem sensiblen Bereich beschäftigten Arbeitnehmers zu rechtfertigen.

Es ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der Kündigung allein daran hat scheitern lassen, das Maß der Verstrickung der Klägerin sei gering gewesen, weil sie keinen Anlaß gehabt habe, daran zu zweifeln, ob sie wirklich nur zu Zwecken strafrechtlicher Ermittlungen befragt worden sei. Zwar kann es grundsätzlich einen Arbeitnehmer entlasten, wenn aus seiner Sicht die Kontakte zum MfS lediglich darin bestanden, als Auskunftspflichtiger im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen Angaben zu machen. Es ist aber schon widersprüchlich, wenn das Landesarbeitsgericht einerseits angenommen hat, die Tätigkeit der Klägerin für das MfS sei über die üblichen Auskünfte im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen hinausgegangen, bei der Interessenabwägung aber entscheidend nur darauf abstellt, die Kontakte zwischen der Klägerin und dem MfS seien im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen geknüpft worden.

Jedenfalls macht die Beklagte insoweit mit einer ordnungsgemäßen Verfahrensrüge geltend, sie habe in den Voriris tanzen konkret dargelegt und durch den ehemaligen Führungsoffizier der Klägerin unter Beweis gestellt, daß das Vorbringen der Klägerin in diesem Punkt unzutreffend sei; der Klägerin sei durch ihren ehemaligen Führungsoffizier offengelegt worden, daß es sich bei der Ermittlungstätigkeit des MfS, innerhalb derer die Klägerin eingesetzt worden sei, um den operativen Vorgang „Omega II” und damit um die Beobachtung nicht allein eines Arbeitnehmers des früheren Beschäftigungsbetriebes der Klägerin, sondern des Umfeldes des Gebietsarztes der Wismut gegangen sei. Mußte der Klägerin aber von vornherein klar sein, daß sie seitens des MfS nicht lediglich im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befragt wurde, so fällt der entscheidende vom Berufungsgericht für die Klägerin als entlastend angesehene Umstand weg. Diesen Punkt wird deshalb das Landesarbeitsgericht nach der Zurückverweisung aufzuklären und sodann abzuwägen haben, ob der festgestellte Sachverhalt entweder unter dem Gesichtspunkt der Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit oder des Vertrauensverlustes aufgrund der MfS-Tätigkeit einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung i.S.v. § 626 BGB darstellt.

4. Soweit es nach der erneuten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die fristlose Kündigung noch auf die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ankommt, wird das Landesarbeitsgericht, das in der Tätigkeit der Klägerin für das MfS einen personenbedingten Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 KSchG gesehen hat, eine erneute Interessenabwägung unter Beachtung der oben dargelegten Grundsätze vornehmen müssen.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Frey, Röder

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1086938

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