Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung durch einen Scheinsozius

 

Leitsatz (amtlich)

Betreibt ein Rechtsanwalt eine Anwaltskanzlei selbständig, ohne daß die anderen im Briefkopf der Kanzlei aufgeführten Anwälte auf die tägliche Arbeit und die Personalentscheidungen erkennbar Einfluß nehmen, kann er einem von ihm angestellten Rechtsanwalt für die (Schein-)sozietät wirksam kündigen, ohne nach § 174 BGB eine Vollmacht der anderen Mitglieder der (Schein-)sozietät vorzulegen.

 

Normenkette

BGB §§ 174, 180, 164

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 08.01.1996; Aktenzeichen 17 Sa 93/95)

ArbG Berlin (Urteil vom 22.05.1995; Aktenzeichen 5 Ca 27586/94)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 8. Januar 1996 – 17 Sa 93/95 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Im Juni 1993 verhandelte der Kläger mit dem Beklagten zu 1 über seine Einstellung als Rechtsanwalt in der Berliner Kanzlei der “Rechtsanwälte B…. H…. P… Berlin-Potsdam”. In dem allgemein von der Kanzlei verwendeten Briefkopf waren neben dem Beklagten zu 1 auch der Beklagte zu 2, der frühere Seniorpartner des Beklagten zu 1, der Beklagte zu 3, der das Büro in Potsdam betreibt, und die inzwischen verstorbene Ehefrau des Beklagten zu 1 aufgeführt. Das Ergebnis der Einstellungsverhandlungen bestätigte der Beklagte zu 1 dem Kläger mit folgendem Schreiben unter dem Briefkopf der Kanzlei:

“… im Anschluß an unser Gespräch bestätige ich Ihnen hiermit unsere gestrige telefonische Vereinbarung, wonach wir uns dahingehend geeinigt haben, daß Sie mit Wirkung vom 14. Juni 1993 als angestellter Rechtsanwalt bei uns tätig werden.”

Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses legte der Kläger dem Beklagten zu 1 alle von ihm entworfenen Schriftsätze und Briefe zur Unterschrift vor. Regelungen über die Terminswahrnehmung an ansonsten für den Kläger arbeitsfreien Freitagen und die Urlaubsplanung erfolgten ebenfalls ausschließlich durch den Beklagten zu 1. Den Beklagten zu 2, der seinerzeit schon seit mehreren Jahren am Bodensee wohnte und in der Kanzlei nicht mehr tätig war, lernte der Kläger erst im November 1993 kennen. Dem Beklagten zu 3 stellte sich der Kläger im Verlauf seines Arbeitsverhältnisses selbst vor.

Mit Schreiben vom 31. August 1994 kündigte der Beklagte zu 1 unter dem Briefkopf der Kanzlei das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1994. Mit Schreiben vom 1. September 1994 wies der Kläger die Kündigung mit der Begründung zurück, dem Kündigungsschreiben sei keine Vollmacht der Beklagten zu 2 und 3 beigefügt gewesen. In der Zeit vom 1. Oktober 1994 bis 31. Januar 1995 war der Kläger arbeitslos. Er bezog in diesem Zeitraum Arbeitslosengeld in Höhe von 6.288,35 DM. Daneben erzielte er aus eigenen Mandaten für Dritte einen Verdienst in Höhe von 487,13 DM brutto. Seit dem 1. Februar 1995 ist er selbständig als Rechtsanwalt tätig.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, die vereinbarte monatliche Vergütung in Höhe von 4.500,00 DM für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis 31. Januar 1995 abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes und des erzielten Zwischenverdienstes. Er hat die Auffassung vertreten, es sei unerheblich, ob zwischen den Beklagten eine echte Sozietät oder eine Scheinsozietät bestanden habe. Jedenfalls hätte der Beklagte zu 1 bei Ausspruch der Kündigung eine Vollmacht der Beklagten zu 2 und 3 vorlegen müssen. Die Beklagten hätten den Rechtsschein einer Sozietät geschaffen. Er habe deshalb darauf vertrauen dürfen, ein Arbeitsverhältnis mit allen Beklagten begründet zu haben. Außerdem hätten die Beklagten in erster Instanz das Bestehen einer Sozietät zugestanden.

Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 17.512,87 DM brutto abzüglich 6.288,35 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 22. Mai 1995 zu zahlen.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Da sie in erster Instanz antragsgemäß verurteilt worden sind und zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die Klagesumme nebst Kosten gezahlt haben, haben sie widerklagend beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 11.614,26 DM zuzüglich 4 % Zinsen auf 11.384,83 DM seit dem 16. August 1995 und auf 229,43 DM seit dem 14. September 1995 zu zahlen.

Sie haben die Ansicht vertreten, aus den Einstellungsverhandlungen und den Umständen der Vertragsabwicklung habe dem Kläger klar sein müssen, daß der Beklagte zu 1 alleiniger Inhaber der Berliner Kanzlei gewesen sei. Jedenfalls habe beim Kläger zu keinem Zeitpunkt Ungewißheit darüber bestehen können, daß der Beklagte zu 1 zu Personalentscheidungen, auch zum Ausspruch einer Kündigung bevollmächtigt gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat nach oben dargestelltem Klageantrag erkannt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, den erhaltenen Betrag zurückzuzahlen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten zu 1 hat das Arbeitsverhältnis des Klägers beendet. Deshalb stehen dem Kläger die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu und er ist zur Rückzahlung des auf das erstinstanzliche Urteil gezahlten Betrages verpflichtet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Kündigungserklärung nicht mangels beigefügter Vollmachtsurkunden der Beklagten zu 2 und 3 zurückweisen können. § 174 BGB finde in Fällen, in denen Dritte in rechtsgeschäftliche Beziehungen allein aufgrund Rechtsscheins einbezogen seien, keine Anwendung. Auch wenn sich eine Scheinsozietät grundsätzlich wie eine echte Sozietät behandeln lassen müsse, so führe dies nicht dazu, daß Scheinsozien zur Vermeidung der Folgen des § 174 Satz 1 BGB einseitige Geschäfte nur in der Form vornehmen könnten, daß der Handelnde seinen Erklärungen eine fingierte Vollmacht der übrigen Scheinsozien beifüge.

II. Dem folgt der Senat jedenfalls im Ergebnis.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten zu 1 zum 30. September 1994 aufgelöst worden.

a) Selbst wenn, was nach dem Vorbringen des Klägers schon zweifelhaft ist, im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und allen drei Beklagten bestand, war die Kündigung des Beklagten zu 1 auch ohne Vorlage von Vollmachten der Beklagten zu 2 und 3 rechtswirksam. Die Zurückweisung der Kündigung war dann gemäß § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger von der Bevollmächtigung des Beklagten zu 1 zur Kündigung Kenntnis im Sinne dieser Vorschrift hatte.

Der Kündigungsempfänger soll nach § 174 BGB nur dann zur Zurückweisung der Kündigungserklärung befugt sein, wenn er keine Gewißheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muß (Senatsurteil vom 29. Oktober 1992 – 2 AZR 460/92 – AP Nr. 10 zu § 174 BGB). Dies ergibt sich aus den Motiven zum BGB (Motive zum BGB I, S. 240, zu § 122 Entwurf des BGB). Darin wird zur Begründung der Regelung ausgeführt, wenn jemand ein einseitiges Rechtsgeschäft, z. B. eine Kündigung gegenüber einem Beteiligten als Bevollmächtigter im Namen eines anderen vornehme, ohne sich über die erteilte Vollmacht auszuweisen, gerate der Beteiligte insofern in eine ungünstige Lage, als er keine Gewißheit darüber habe, ob das Rechtsgeschäft von einem wirklich Bevollmächtigten ausgehe und der Vertretene dasselbe gegen bzw. für sich gelten lassen müsse.

Eine solche Ungewißheit, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt und der Vertretene diese Erklärung gegen sich gelten lassen muß, kann bei Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung dann nicht bestehen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, daß ein bestimmter Mitarbeiter zu derartigen Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt ist. Dies kann etwa dadurch geschehen, daß der betreffende Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Nach ständiger Senatsrechtsprechung (Senatsurteile vom 30. Mai 1972 – 2 AZR 298/71 – BAGE 24, 273, 277 = AP Nr. 1 zu § 174 BGB, zu II 2 der Gründe und zuletzt Urteil vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 920/93 – BAGE 77, 13, 22 = AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe) bedeutet die Berufung eines Mitarbeiters in die Stellung z.B. als Leiter der Personalabteilung, als Prokurist oder als Generalbevollmächtigter in der Regel, daß die Arbeitnehmer des Betriebes auch i.S. des § 174 Satz 2 BGB davon in Kenntnis gesetzt sind, daß der Betreffende zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt ist. Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung ist dabei allerdings stets auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls festzustellen, wie sich die Position des Erklärenden für einen objektiven Betrachter darstellt, ob also mit einer derartigen Stellung die Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt.

Überträgt man diese Grundsätze auf einen Rechtsanwalt, der eine Anwaltskanzlei selbständig führt, ohne daß die sonst im Briefkopf der Kanzlei aufgeführten Rechtsanwälte auf die tägliche Arbeit und die zu treffenden Personalentscheidungen erkennbar irgendwelchen Einfluß nehmen, so gilt nichts anderes. Die Rechtsstellung eines solchen Rechtsanwalts ist noch stärker als die eines Mitarbeiters, der lediglich als Leiter der Personalabteilung bzw. als Prokurist fungiert. Für einen objektiven Betrachter ist offensichtlich, daß ein Rechtsanwalt, der unter diesen Umständen eine Kanzlei allein betreibt und selbständig einen anderen Anwalt eingestellt hat, durch die anderen im Briefkopf aufgeführten – hier nicht einmal ortsansässigen – Anwälte bevollmächtigt ist, dem angestellten Anwalt auch selbständig zu kündigen.

Für den Kläger konnte danach keine Ungewißheit über die Bevollmächtigung des Beklagten zu 1 bestehen. Unstreitig ist in der Zeit vom Einstellungsgespräch bis zur Kündigung allein der Beklagte zu 1 im Hinblick auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen zum Kläger aktiv tätig gewesen. Er hat das Einstellungsgespräch mit dem Kläger geführt, telefonisch die Begründung eines Arbeitsverhältnisses vereinbart und diese Vereinbarung mit Schreiben vom 2. Juni 1993 für die Kanzlei (“uns”) bestätigt. In der Folge mußte der Kläger dem Beklagten zu 1 alle Schriftsätze und Briefe zur Unterschrift vorlegen. Mit ihm erfolgte die Abstimmung hinsichtlich von Terminswahrnehmungen an sonst für den Kläger arbeitsfreien Freitagen und die Urlaubsplanung. Unstreitig hat der Kläger sein Urlaubsgesuch vom 18. August 1994 allein und direkt an den Beklagten zu 1 gerichtet. Die Beklagten zu 2 und 3 sind während der Tätigkeit des Klägers in der Berliner Kanzlei weder im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis des Klägers noch im Hinblick auf den sonstigen Kanzleibetrieb in Erscheinung getreten. Beide hat der Kläger erst nach Aufnahme der Tätigkeit kennengelernt, den Beklagten zu 2 sogar erst im November 1993, ca. fünf Monate nach seiner Einstellung. Dem Beklagten zu 2 war zudem eine direkte Einflußnahme auf den Kanzleibetrieb schon aus räumlichen Gründen nicht möglich, da er sich – abgesehen von einem Besuch pro Jahr – am Bodensee aufhielt. Auch hinsichtlich des Beklagten zu 3 ist eine aktive Beteiligung am Betrieb der Berliner Kanzlei nach dem Parteivorbringen nicht erkennbar. Auf der Grundlage dieser Tatsachen konnte für den Kläger kein Zweifel daran bestehen, daß dem Beklagten zu 1 allein die Leitung der Kanzlei in Berlin oblag.

Selbst wenn man unterstellt, die Behauptung des Klägers treffe zu, der Beklagte zu 1 habe auf die Frage nach einer Gehaltserhöhung geantwortet, das könne er nicht allein entscheiden, ergibt sich daraus nichts anderes. Die Tatsache, daß jemand, der eine Position bekleidet, mit der nach der Verkehrsanschauung üblicherweise die Berechtigung zu arbeitsvertraglichen Entscheidungen verbunden ist, aufgrund interner Regelungen vor Veranlassung bestimmter einzelner Maßnahmen Rücksprache nehmen muß, hindert die Annahme einer generellen Ermächtigung nicht (vgl. BAG Urteil vom 29. Oktober 1992 – 2 AZR 460/92 – AP Nr. 10 zu § 174 BGB).

b) Auf die Bedenken gegen den Begründungsansatz des Berufungsgerichts, das selbst bei einem wirksamen Vertragsschluß mit den Beklagten zu 2 und 3 bei Vorliegen einer Scheinsozietät grundsätzlich auf das Erfordernis einer Vollmachtsvorlage verzichten möchte, kommt es deshalb nicht mehr an.

c) Soweit der Kläger überhaupt bestreiten will, daß der Beklagte zu 1 zum Ausspruch der Kündigung durch die Beklagten zu 2 und 3 bevollmächtigt war, ändert dies nichts am Ergebnis. War der Beklagte zu 1 nicht wenigstens nach den Grundsätzen der Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht als bevollmächtigt anzusehen, Personalentscheidungen für das Berliner Büro (Einstellung, Kündigung) mit Wirkung für die Beklagten zu 2 und 3 zu treffen, so ist mit diesen schon kein Arbeitsverhältnis begründet worden und der Beklagte zu 1 hat das allein zwischen ihm und dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt.

d) Auf die formellen Revisionsrügen des Klägers, die sich gegen die Annahme einer Scheinsozietät durch das Berufungsgericht richten, kommt es damit nicht mehr an. Hatte der Kläger jedenfalls Kenntnis i.S.v. § 174 Satz 2 BGB von der Vollmacht des Beklagten zu 1 zur Kündigung, so konnte er die Kündigung nach § 174 Satz 1 BGB auch dann nicht wirksam mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde der Beklagten zu 2 und 3 zurückweisen, wenn die drei Beklagten eine echte Sozietät bildeten.

2. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat und dem Kläger deshalb nach § 615 BGB die geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüche nicht zustanden, ist auch die Widerklage begründet. Der Kläger ist nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der den Beklagten durch die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachten Leistungen entstanden ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91,97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Frey, Röder

 

Fundstellen

Haufe-Index 885436

NJW 1997, 1867

NWB 1997, 1929

NZA 1997, 655

ZIP 1997, 991

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