Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhöhung des pfändungsfreien Betrages bei Abtretungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Lohnabtretungen kann in einem Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer (Zedenten) und Arbeitgeber (Schuldner) der pfändungsfreie Betrag in entsprechender Anwendung von § 850f Abs 1 ZPO nicht erhöht werden.

2. Ob § 850f Abs 1 ZPO auf Lohnabtretungen entsprechend anwendbar ist, bleibt offen. Für die Entscheidung dieser Frage sind die Gerichte der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit zuständig, sei es das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht oder ein Gericht im Erkenntnisverfahren zwischen Arbeitnehmer (Zedent) und Abtretungsgläubiger (Zessionar).

 

Normenkette

BGB § 409; ZPO §§ 850 c, 850 f.

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 06.06.1990; Aktenzeichen 4 Sa 26/90)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.02.1990; Aktenzeichen 10 Ca 224/89)

 

Tatbestand

Der 54jährige Kläger ist seit 1958 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt und bezieht einen Bruttolohn von 2.560,20 DM, aus dem sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ein Nettolohn in Höhe von 1.822,55 DM ergibt.

Der Kläger und seine Ehefrau schlossen am 23. März 1984 mit der Firma A - Niederlassung D der D -Bank - (A -Bank ) einen Darlehensvertrag über die Antragssumme von 41.529,-- DM, die unter Einschluß von Courtage, Zinsen, Bearbeitungsgebühren und Kreditgebühren einen Gesamtdarlehensbetrag von 81.019,78 DM ergab. Der effektive Jahreszins war mit 16,4 % ausgewiesen. Als monatliche Raten waren nach der ersten Rate in Höhe von 575,78 DM 119 Folgeraten von 676,-- DM angesetzt. In dem Darlehensantrag traten der Kläger und seine Ehefrau zur Sicherung des Darlehens den pfändbaren Teil der gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt jeder Art, Pensions-, Renten-, oder sonstigen Bezüge sowie die gem. § 53 SGB abtretbaren Ansprüche gegen den jeweiligen Arbeitgeber bzw. die auszahlende Stelle an die A -Bank ab, sofern diese Ansprüche nicht bereits früher der Bank abgetreten worden waren. Außerdem wurde die A -Bank bevollmächtigt, die Abtretung gegen Übersendung einer Vertragskopie ggfs. anzuzeigen.

Im Dezember 1985 zeigte die A -Bank der Beklagten die Lohnabtretung an und legte dabei eine notariell beglaubigte Abtretungserklärung des Klägers vor. Aufgrund dieser Anzeige führt die Beklagte regelmäßig den nach der Tabelle zu § 850 c ZPO pfändbaren Betrag in Höhe von monatlich 364,-- DM an die A -Bank ab, so daß dem Kläger nur ein Betrag von 1.458,55 DM netto monatlich ausgezahlt wird.

In der Folgezeit kam es vor dem Landgericht Hamburg zu einem Rechtsstreit, in dem auf Klägerseite die A -Bank und auf Beklagtenseite der jetzige Kläger und seine Ehefrau beteiligt waren. Die Parteien dieses Rechtsstreits schlossen am 29. Oktober 1986 einen Vergleich, in dem sich die damaligen Beklagten als Gesamtschuldner verpflichteten, an die damalige Klägerin zur Abgeltung aller Ansprüche aus dem Darlehensvertrag vom 23. März 1984 49.000,-- DM nebst 9 % Zinsen seit dem 16. April 1986 in monatlichen Raten von 500,-- DM zu zahlen.

Nach einer Bescheinigung des Bezirksamtes W - Sozialamt - vom 10. Mai 1989 beläuft sich der sozialhilferechtliche Mindestbedarf für den Kläger und seine Ehefrau auf 1.782,14 DM monatlich, nach einer erneuten Bescheinigung des Sozialamtes vom 21. Februar 1990 auf nunmehr 1.814,54 DM monatlich. Der Kläger hat deshalb die A -Bank zur Erteilung ihrer Zustimmung aufgefordert, daß die Beklagte nur noch die diesen Mindestbedarf übersteigenden Beträge abführt. Dies wurde von der A -Bank jedoch abgelehnt. Seine zunächst auch gegen die A -Bank gerichtete Klage hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht zurückgenommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm monatlich mindestens den sozialhilferechtlichen Mindestbedarf auszahlen und dürfe nur den darüber hinausgehenden Betrag an die A -Bank abführen. Die Abtretung der Lohnansprüche sei wegen Übersicherung der A -Bank gem. § 9 AGB-Gesetz unwirksam. Außerdem sei durch den Vergleich vom 29. Oktober 1986 das Darlehensverhältnis auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt worden. Da in diesem Vergleich keine Abtretung enthalten sei, scheide eine Zahlung an die A -Bank aus. Selbst wenn aber die Abtretung wirksam sei, dürfe er nicht schlechtergestellt werden, als er bei einer Pfändung seiner Lohnansprüche stehen würde. In einem solchen Falle seien nach der Regelung des § 850 f ZPO die besonderen Bedürfnisse des Schuldners zu berücksichtigen. Danach müsse ihm der sozialhilferechtliche Mindestbedarf verbleiben. Hierbei ergebe sich für ihn ein erhöhter Bedarf aus der durch einen Schlaganfall bedingten Hilfsbedürftigkeit seiner Ehefrau sowie seinem eigenen gesundheitlichen Verfall. Im übrigen sei die Beklagte auch aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, ihm den sozialhilferechtlichen Mindestbetrag auszuzahlen. Dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme könne sie dadurch begegnen, daß sie den im Streit stehenden Betrag hinterlege oder der A -Bank den Streit verkünde.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,

von den Lohnbezügen an den Kläger monatlich min-

destens 1.782,14 DM auszuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei verpflichtet, den nach § 850 c ZPO berechneten pfändbaren Teil des Lohnes des Klägers an die A -Bank abzuführen. Insoweit sei es für sie ohne Bedeutung, ob die Abtretung wirksam erfolgt sei. Gemäß § 409 BGB habe sie eine Abtretungsanzeige in jedem Fall auszuführen. Eine Erhöhung der sich aus § 850 c ZPO ergebenden pfändungsfreien Beträge durch den Arbeitgeber sei darüber hinaus gar nicht möglich, da ausschließlich der Kläger selbst erweiterten Vollstreckungsschutz nach § 850 f ZPO beantragen könne. Schließlich führe eine Anhebung des pfändungsfreien Betrages bis zur Höhe des Sozialhilfebedarfssatzes und eine damit verbundene Auszahlung dieses Mehrbetrages an den Kläger dazu, daß sich die Beklagte dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme aussetze. Dies könne aber auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nicht von einem Arbeitgeber erwartet werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren für die Zeit ab Zustellung der Klage weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, vom Lohn des Klägers monatlich mindestens 1.782,14 DM an ihn auszuzahlen. Denn die Beklagte hat den pfändbaren Teil des Lohnes des Klägers an die A -Bank, an die der Kläger seine Lohnansprüche abgetreten hat, abzuführen (§§ 398, 400 BGB). Sie darf nur den nach § 850 c ZPO unpfändbaren Teil des Lohnes an den Kläger auszahlen. Der unpfändbare Teil des Lohnes betrug im März 1989 1.458,55 DM.

Der Einwand des Klägers, die Lohnabtretung sei unwirksam, zumindest bestehe die Lohnabtretung aufgrund des nach der Abfindungserklärung geschlossenen gerichtlichen Vergleichs nicht mehr, ist unbegründet. Denn nach § 409 BGB muß der Kläger als Gläubiger die von der A -Bank als Zessionar der Beklagten vorgelegte Abtretungsurkunde gegen sich gelten lassen, auch wenn die Abtretung nicht erfolgt oder nicht wirksam ist. Der Kläger als Gläubiger der Lohnforderung hat vorliegend dem in der Lohnabtretungsurkunde bezeichneten neuen Gläubiger A -Bank eine Urkunde über die Abtretung ausgestellt, und dieser neue Gläubiger hat die Urkunde der Beklagten als Schuldner der Lohnforderung vorgelegt. Damit muß der Kläger nach § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB die Abtretungsurkunde gegen sich gelten lassen und die Beklagte hat an die A -Bank die pfändbaren Beträge abzuführen, auch wenn die Lohnabtretung nicht mehr bestehen sollte oder unwirksam ist, solange der Beklagten dies nicht durch eine gerichtliche Entschei-dung untersagt wird. Die Anzeige der Abtretung als solche wird nur unwirksam, wenn sie mit Zustimmung des neuen Gläubigers (A -Bank ) zurückgenommen wird (§ 409 Abs. 2 BGB). Diese Zustimmung liegt hier jedoch nicht vor.

Die Beklagte könnte sich auf die Abtretung nach § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB nur dann nicht berufen, wenn die Abtretung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen würde (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 48. Aufl. 1989, § 409 Anm. 2 b bb). Ein solcher Verstoß ist aber hier nicht ersichtlich. Sollte die Abtretung sittenwidrig und damit wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig sein, steht dies einem gesetzlichen Verbot nicht gleich, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Für den Schuldner muß nämlich klar ersichtlich sein, daß die Abtretung unwirksam ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Rechtsverstoß (gesetzliches Verbot) klar erkennbar ist. Ob aber die Abtretung möglicherweise wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist, kann erst nach Feststellung der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Hierzu ist der Schuldner überhaupt nicht in der Lage. Deshalb muß ihm auch insoweit der Schutz des § 409 BGB zugutekommen. Dem Kläger als Erstgläubiger bleibt es unbenommen, in einem Verfahren vor den ordentlichen Gerichten gegen den Abtretungsgläubiger die Unwirksamkeit der Abtretung feststellen zu lassen, die dann auch die Beklagte beachten müßte.

Da der Kläger gemäß der angezeigten Abtretung den pfändbaren Teil seines Lohnes an die A -Bank abgetreten hat, durfte die Beklagte nur den unpfändbaren Teil an den Kläger auszahlen, wonach sie verfahren ist. Eine Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen zugunsten des Klägers ist weder der Beklagten als Lohnschuldner noch den Arbeitsgerichten gestattet. Eine Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen kommt nur nach § 850 f Abs. 1 ZPO in Betracht. Ob § 850 f Abs. 1 ZPO überhaupt auf Lohnabtretungen entsprechend anzuwenden ist, wofür die vom Gesetz gewollte Gleichstellung der Lohnabtretung mit der Lohnpfändung spricht (vgl. § 400 BGB), kann hier dahingestellt bleiben. In jedem Falle wären für eine solche Entscheidung die Gerichte der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit zuständig, sei es das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht auf Antrag des Klägers oder ein Gericht im Erkenntnisverfahren, das der Kläger gegen die A -Bank als Zessionar, der die nach § 850 c ZPO pfändbaren Beträge beansprucht, führen müßte.

Im Erkenntnisverfahren zwischen dem Kläger als Erstgläubiger und der Beklagten als Schuldner kann eine solche Entscheidung nicht getroffen werden, weil sie voraussetzte, daß der Arbeitgeber als Schuldner von sich aus zu Lasten des Lohnabtretungsgläubigers (Zessionar) die Pfändungsfreigrenzen erhöhte. Für einen solchen Eingriff in Rechte Dritter und eine solche Bevorzugung des Schuldners einer Lohnabtretung gegenüber dem Pfändungsschuldner, der das Verfahren nach § 850 f ZPO betreiben muß, fehlt die Rechtsgrundlage. Dies wäre auch nicht mit dem im Vollstreckungsrecht besonders wichtigen Grundsatz der Rechtsklarheit vereinbar (vgl. BAG Urteil vom 26. November 1986 - 4 AZR 786/85 - AP Nr. 8 zu § 850 c ZPO, mit weiteren Nachweisen). Der Arbeitgeber könnte mangels konkreter Anhaltspunkte nicht sicher beurteilen, in welcher Höhe der pfändungsfreie Betrag des Schuldners festzusetzen wäre. Er ginge das Risiko ein, daß das Gericht später einen geringeren Betrag als pfändungsfrei festsetzt und er dann zur Dop-pelzahlung (durch weitere Zahlung an den Lohnabtretungsgläubiger) gezwungen wäre.

Selbst wenn eine Anwendung des § 850 f Abs. 1 ZPO durch die Gerichte für Arbeitssachen in einen Rechtsstreit zwischen Erstgläubiger (Kläger) und dem Schuldner der Lohnforderung (Beklagte) möglich wäre, könnte dies vorliegend nicht zu einer Erhöhung der pfändungsfreien Beträge führen. Die Erhöhung der Pfändungsfreibeträge nach § 850 f ZPO setzt besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen voraus. Der Kläger hat aber lediglich auf die Krankheit seiner Ehefrau (Schlaganfall) und seinen eigenen gesundheitlichen Verfall verwiesen, ohne substantiiert vorzutragen, welche besonderen finanziellen Belastungen sich daraus für ihn ergeben. Für eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrages auf den Mindestbetrag nach den Regelsätzen des BSHG fehlt die gesetzliche Grundlage. Insoweit kann der Kläger von den zuständigen staatlichen Stellen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Ohne gesetzliche Regelung besteht jedoch keine Veranlassung, zu Lasten des Darlehensgläubigers die Pfändungsfreibeträge zu erhöhen. Dies ist den Gerichten im übrigen auch deshalb verwehrt, weil zur Zeit die zuständigen staatlichen Gremien darüber beraten, ob die Pfändungsfreigrenzen an die Sozialhilfesätze angeglichen werden sollen. Die Gerichte würden in unzulässiger Weise in das Normsetzungsverfahren eingreifen, wenn sie durch Richterrecht gesetzgeberische Entscheidungen vorwegnähmen. Dies würde gegen Art. 20 Abs. 2 GG verstoßen, der eine Trennung von Gesetzgebung und Rechtsprechung vorschreibt (vgl. BAGE 62, 338, 345 = AP Nr. 7 zu § 60 KO).

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Schaub Dr. Freitag Dr. Etzel

Dr. Kiefer Wax

 

Fundstellen

Haufe-Index 439238

BAGE 67, 193-198 (LT1-2)

BAGE, 193

BB 1991, 1495

BB 1991, 1495-1496 (LT1-2)

DB 1991, 1387-1388 (LT1-2)

NJW 1991, 2038

NJW 1991, 2038-2039 (LT1-2)

JR 1992, 88 (ST)

NZA 1991, 561-562 (LT1-2)

RdA 1991, 191

WM IV 1991, 1971-1973 (LT1-2)

WuB, I F 4 Sicherungsabtretung 1.92 (ST)

WuB, IV A § 409 BGB 1.92 (S)

WuB, VI E § 850f ZPO 1.92 (S)

ZAP, EN-Nr 467/91 (S)

AP § 850f ZPO (LT1-2), Nr 2

AR-Blattei, ES 1120 Nr 16 (LT1-2)

AR-Blattei, Lohnabtretung Entsch 16 (LT1-2)

EzA § 850f ZPO, Nr 1 (LT1-2)

FLF 1991, 170 (S)

HV-INFO 1991, 2067 (LT1-2)

KKZ 1991, 157-159 (LT)

MDR 1991, 992 (LT1-2)

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